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Produktdetails
  • Verlag: zu Klampen Verlag
  • 2000.
  • Seitenzahl: 157
  • Deutsch
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 206g
  • ISBN-13: 9783924245931
  • ISBN-10: 3924245932
  • Artikelnr.: 08601037
Autorenporträt
Friedhelm Decher, Jahrgang 1954, lehrt Philosophie an der Universität Siegen und ist freier Autor.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.07.2000

Die in Adern gegossene Zeitgalle
„Besuch vom Mittagsdämon” – Friedhelm Dechers Buch über die Philosophie der Langeweile
Heimtückisch beschleicht der „Cafard” die Fremdenlegionäre. Langeweile, Überdruss und Sehnsucht erzeugen eine dumpfe Leere in der Seele. In seinem Legionärsroman „Gourrama” beschreibt Friedrich Glauser diese apathische Trägheit, die beim kleinsten Funken explodieren kann.
Im „Geist des cafard” lässt sich ein Phänomen wieder erkennen, das meist verharmlosend Langeweile genannt wird. Ein bekanntes Gefühl, das indessen schwer zu beschreiben ist. Müsste man ihm einen zeitlichen Ort zuweisen, wäre dies ohne Zweifel der Sonntagnachmittag – wie Emile Cioran es tut: Ihm graust vor diesen Stunden, in denen der „Leeregrund der Ewigkeit” spürbar wird: „Das Weltall, verwandelt in einen Sonntagnachmittag: das ist die Definition der Langeweile – und der Untergang des Weltalls . . .”
Mit derart schwarzen Gedanken ist Langeweile allerdings nicht hinreichend zu bestimmen. In seinem psychologisch fundierten Deutungsversuch hat Martin Doehlemann 1991 vier Formen unterschieden: die situative, die überdrüssige, die existenzielle und schließlich die schöpferische Langeweile, wie sie Goethe in den Venezianischen Epigrammen als „Mutter der Musen” besingt. Die ersten drei hat Martin Heidegger in „Grundbegriffe der Metaphysik” existenzphilosophisch begründet – und der Abschnitt über Heidegger bildet denn auch ein Kernstück von Friedhelm Dechers Versuch über die Langeweile im philosophischen Diskurs: über den „mittäglichen Dämon”, wie es das mönchische Mittelalter versinnbildlichte.
Schon die deutsche Bezeichnung Langeweile umschreibt das Phänomen als eine Funktion der Zeit – so überrascht es nicht, dass sich bei Heidegger die komplexeste Deutung nachlesen lässt. Er unterscheidet dabei das „Gelangweiltwerden von etwas”, das „Sichlangweilen bei etwas” sowie die Gestalt des „Es ist einem langweilig”. Drei Steigerungsstufen, in denen die Leere und die Gleichgültigkeit zunehmen, in denen das Dasein sich dem Seienden schließlich ganz verweigert. Das Selbst, auf die eigene Nacktheit zurückgeworfen, bannt sich in der Zeit.
Weniger differenziert, dafür mit bitterschönen Metaphern hat Cioran die Langeweile beschrieben: etwa als „in Adern gegossene Zeitgalle”. Für ihn ist sie bereits in der kosmischen Ur-Langeweile angelegt. Deshalb gibt es auch kein Entrinnen, keine Heilung von ihr. Anders Heidegger, der gewissen Trost weiß: Die Langeweile lässt sich überwinden in einem Akt der Selbst-Befreiung, mit dem Entschluss „zu sich selbst”, dem Entschluss, den Zeitbann aufzulösen und die Möglichkeiten des Existierens „inmitten des Seienden” zu realisieren.
Andere Deutungsversuche bleiben hinter denen von Heidegger und Cioran zurück. Für Schopenhauer stockt der Lebensprozess, weil dem Willen das bestimmte Objekt des „matten Sehnens” fehlt. Leere und Nichtigkeit werden für Pascal, Kant oder Kierkegaard im Gefühl der Langeweile spürbar. Doch diese Überlegungen meinen meist eher eine Zeitdehnung als existenziellen Abgrund. Entsprechend harmlos nehmen sich die Therapievorschläge aus. Kant findet in Betätigungen wie Spielen, Rauchen oder dem Lesen von Liebesromanen Entlastung. Helvétius neigt dazu, die Arbeit als Palliativ der müßiggängerischen Eintönigkeit zu empfehlen. Für Kant hilft auch Reisen – wovon Seneca wieder abrät, weil der Reisende stets den schlimmsten Begleiter mit sich nimmt: sich selbst.
All dies ist interessant und anregend nachzulesen. Allerdings täuscht das Buch nicht darüber hinweg, dass die Langeweile in der Philosophie (Heidegger ausgenommen) eher marginalen Stellenwert einnimmt. Und die Philosophie allein kommt dem Phänomen nur unzureichend bei, sie benötigt die Hilfe der Psychologie. Weil diese hier ausgespart ist, bleiben die eingangs gestellten Fragen nach den sozialen und individuellen Erscheinungsformen der Langeweile unterbelichtet.
BEAT MAZENAUER
FRIEDHELM DECHER: Besuch vom Mittagsdämon. Philosophie der Langeweile. Zu Klampen Verlag, Lüneburg 2000. 158 Seiten, 36 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Hans-Albrecht Koch ist der Ansicht, dass es in der Tat ein probates Mittel gegen Langeweile gibt - zum Beispiel die Lektüre des vorliegenden Buchs. Offenbar hat der Rezensent eine Menge gelernt, jedenfalls referiert er eifrig, was Galiani, Schopenhauer, Kant, Blaise Pascal und andere über die Langeweile zu sagen hatten. Das scheint unterhaltsam zu sein, wie Koch mit mehreren Beispielen zu suggerieren weiß. Nur: ob die "Therapievorschläge" der berühmten Köpfe auch Erfolg beim Kampf gegen die Langeweile nach sich ziehen - daran äußert der Rezensent dann doch einige Zweifel. Aber egal. Schließlich bleibt ja auch die Möglichkeit, sich Giacomo Leopardi anzuschließen, der die Langeweile ohnehin als "Leidenschaft sui generis" betrachtet hat, so Koch.

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