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Das Buch behandelt einen düsteren Aspekt der Musikpolitik im NS-Staat: Die Tätigkeit des berüchtigten Einsatzstabes Rosenberg und seines "Sonderstab Musik" vor allem in Frankreich während der Okkupation durch die Wehrmacht. Die Musikwissenschaft der Bundesrepublik hat sich fünfzig Jahre lang um dieses Thema herumgedrückt nur wegen einiger sogenannter Koryphäen, die mittlerweile oder immer noch den Ton angaben und daher zu schonen waren. Der Autor Willem de Vries scheut sich nicht, alle die Namen zu nennen, bis fast zur letzten Sekretärin. Er tut das sachlich und ohne daß der gerissenste…mehr

Produktbeschreibung
Das Buch behandelt einen düsteren Aspekt der Musikpolitik im NS-Staat: Die Tätigkeit des berüchtigten Einsatzstabes Rosenberg und seines "Sonderstab Musik" vor allem in Frankreich während der Okkupation durch die Wehrmacht. Die Musikwissenschaft der Bundesrepublik hat sich fünfzig Jahre lang um dieses Thema herumgedrückt nur wegen einiger sogenannter Koryphäen, die mittlerweile oder immer noch den Ton angaben und daher zu schonen waren. Der Autor Willem de Vries scheut sich nicht, alle die Namen zu nennen, bis fast zur letzten Sekretärin. Er tut das sachlich und ohne daß der gerissenste Rechtsanwalt hier einen Ansatzpunkt für juristische Aktion entdecken würde. Einer der Tatbeteiligten, der jüngste der Uberlebenden, hatte de Vries bereits im Vorfeld der Arbeit mit Klage gedroht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Das Grauen ist graubraun
Musik im Würgegriff der Nazis / Von Gerhard R. Koch

Dieses Jahrhundert wurde auch durch die Beschäftigung mit Kunst zum Wechselbad. Denn auf stetig wachsende Autonomie zielten Musik wie Malerei: auf die Befreiung von den Konventionen der Form wie der Tonalität die Tonkunst und auf die Loslösung von der Gegenständlichkeit, dem Abbildcharakter die Bildende Kunst. "Ich fühle luft von anderem planeten": Stefan Georges Verse wurden in Schönbergs zweitem Streichquartett zum Motto künstlerischer Emanzipation schlechthin, und noch heute läßt sich das Aufbruchs-Pathos des Jahrhundertbeginns nachvollziehen - und mit ihm auch der wahrhaft utopische Rausch, der Bindungen an Thron und Altar ledig zu sein, mochte nun auch der Markt zum Gradmesser kulturellen Erfolgs werden.

Doch die Künstler in ihrem Überschwang hatten die Rechnung ohne die totalitären Regime gemacht. Und deren Propaganda-Artisten wußten, wie man die Massensuggestion des Ästhetischen nutzte. Und sie wußten auch, wie man die Künstler mit Zuckerbrot und Peitsche behandelte, sie vielfältig ans Regime band oder aber mit Einschüchterung, Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung bedrohte. Und oft genug blieb es nicht bei der Drohung. Nazis und Stalinisten arbeiteten besonders effektiv mit dieser Doppelstrategie; wobei im kommunistischen Herrschaftsbereich das Pendel zwischen anfänglich erlaubter Avanciertheit und verordneter Trivialität weiter ausschlug als im Dritten Reich.

Immer häufiger erweist sich das Schlagwort vom "Ende der Geschichte" als trügerisch. Zumindest will es nicht gelingen, die NS-Musikgeschichte ausschließlich "historisch" zu betrachten. Denn immer wieder treten neue Facetten zutage, die sogar noch lebende Persönlichkeiten neu sehen lassen - und nicht unbedingt im besten Licht: beispielsweise die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf oder, weit mehr noch, den Musikologen Wolfgang Boetticher. Und immer wieder kommt es zum Streit der Positionen: zwischen denen, die rücksichtslose Aufklärung fordern, nicht zuletzt im Interesse der Opfer, und einer oft allzu großzügigen "Schwamm drüber"-Attitüde. Wobei sich deren Verfechter nicht selten auf Wagner berufen, dessen künstlerische Größe alle Ideologiekritik obsolet mache. Doch die stetig neuen Querelen um Bayreuth lassen ebendies als Illusion erscheinen.

Dabei fehlt es nicht an Literatur über die Musik im Nationalsozialismus. Joseph Wulfs Dokumentation "Musik im Dritten Reich" folgten Fred K. Priebergs "Musik im NS-Staat" und sein Versuch, Furtwängler zu rechtfertigen, Michael H. Katers Arbeit über den Jazz im Nationalsozialismus und Eckhard Johns "Musik-Bolschewismus". Hinzu kommen viele Einzeluntersuchungen, etwa die Orff-Studie von Kater.

Der Zeithistoriker aus Toronto hat nun ein neues Buch über die Musiker im Dritten Reich vorgelegt. Verständlicherweise enthält dieses Werk nicht allzuviel grundstürzend Neues. Kater behandelt weitgehend dieselben Personen wie Wulf oder Prieberg, kommt oft auch zu ähnlichen Schlüssen oder Bewertungen. Wohl aber hat er noch unbekannte oder wenig beachtete Quellen studiert - und sein historiographischer Ansatz ist nicht nur auf die "Tausend Jahre" von 1933 bis 1945 fokussiert. Hinzu kommt noch etwas anderes: Das heftig umstrittene Buch Goldhagens über "Hitlers willige Vollstrecker" hat doch manchen Blick aufs Dritte Reich verändert. Die von Goldhagen und Kater untersuchten Gruppen mögen verschieden sein, strukturell ergeben sich Analogien. Gewiß verkennt auch Kater nicht den durchgängig terroristischen Zugriff des NS-Regimes: Ein Weißwäscher ist er wahrlich nicht. Aber die Nazi-Herrschaft scheint ihm weniger monolithisch als gemeinhin vermutet.

Selbst die Führungshierarchie war nicht so betoniert wie oft angenommen, vielmehr gab es mitunter fast anarchische Rivalitäten und Intrigen zwischen Ämtern und Protagonisten, etwa Goebbels und Göring. Verfolgt wurde zwar alles, was als "jüdisch-bolschewistisch" galt; doch über diese Feindbild-Projektion hinaus gab es keineswegs immer massiv-eindeutige, gar ästhetisch "positive" Direktiven. Ähnlich verhielt es sich mit dem, was die Täter der Wehrmacht nur allzugern als "Befehlsnotstand" für sich entlastend in Anspruch nahmen: Der reale Zwang, der Partei beizutreten, Funktionen zu übernehmen oder gar - wie auch immer - zum "Täter" zu werden, war nicht so unabweislich wie oft behauptet. Wer Karriere machte, tat dies in der Regel aus Fanatismus oder Opportunismus - was natürlich immensen psychosozialen Druck nicht ausschloß. Mit schonungslos scharfen Urteilen hält Kater gewiß nicht zurück, Exculpierungsstrategien sind seine Sache nicht. Doch vermeidet er die allzu plakative Ankläger-Attitüde und Schwarzweißmalerei, entdeckt mitunter eher Grautöne, auch manch geheime Verführungen, die zu fatalen biographischen Weichenstellungen führten. Und Kater vernachlässigt nicht den sozialen Aspekt: Um 1933 war die Situation für Musiker alles andere als rosig, der Überlebenskampf kraß - Verheißung wie Terror griffen leichter als in Zeiten relativer Sicherheit.

Zu Katers Differenzierungskunst gehört auch zeitliche Anti-Monolithik. Denn völkisch-autoritäre Tendenzen entstanden schon im Kaiserreich und durchzogen die Weimarer Republik. Neue Phänomene wie die Jugendbewegung hatten mit dem Alten zu tun und waren gleichzeitig in die NS-"Revolution" zu integrieren. Das Unheil kam nicht mit einem Schlag, und es setzte sich nach 1945 fort, oft nur geringfügig modifiziert.

Daß es möglich war, dem Regime nicht zu willen zu sein, belegt Kater wieder einmal mit dem Komponisten Karl Amadeus Hartmann und dem Dirigenten Hermann Scherchen. Beide haben als animae candidae den NS-Staat überlebt. Doch selbst Hans Rosbaud, hochverehrte Vaterfigur der Moderne-Dirigenten, hat seinen Anpassungs-Obulus entrichtet; wie denn überhaupt viele recht gesprenkelt dastehen.

In zwei Fällen vor allem gelingen Kater bemerkenswerte Umbewertungen: bei Richard Strauss und Wilhelm Furtwängler. Der Komponist kommt besser weg als üblich. Konservativ und opportunistisch zwar auch, wurde er, so Kater, doch nicht zum ernsthaften Nazi-Handlanger, zeigte Renitenz, machte sich mißliebig - und nur Alter und Weltruhm bewahrten ihn vor über Schikanen hinausgehenden Sanktionen. Allzuviel riskieren konnte er nicht, denn als "jüdisch Versippter" mußte er Wohlverhalten zeigen. Carl Orffs Lavieren wiederum hing mit seiner nicht "rein arischen" Herkunft zusammen, und mancher Kotau Wolfgang Fortners dienten der Ablenkung von seiner Homosexualität.

Allzu bereitwillig wird bisweilen Furtwänglers "Größe" weit über seine NS-Funktionen gestellt. Tatsache ist, daß der Dirigent kein Nazi war, Bedrängten geholfen hat und mit Goebbels 1934 den Clinch in Sachen Hindemith riskierte. Doch seine Abneigung gegen die Braunhemden entsprach weniger demokratischer Gesinnung als konservativ-bildungsbürgerlichem Elitarismus. Überhaupt schildert Kater ein gespaltenes Charakterbild: einerseits ein eitel-autoritärer konservativer Karrierist - Pfitzner, sich stets vernachlässigt wähnend, nannte ihn den "Primadonnerich" -, andererseits ein Mann mit ebenfalls wohl eher eitlem "Helfersyndrom". Priebergs Versuch, Furtwängler gar zum geheimen "Widerstandskämpfer" zu stilisieren, billigt Kater gewiß nicht. Er mutet auch frivol an gegenüber denen, die nicht in der Sonne des NS-Systems exzellierten, erst recht gegenüber den Opfern. Für Kater stand Furtwängler hauptsächlich im Dienst des Regimes.

Der holländische Musik-Zeithistoriker Willem de Vries hat sich dagegen einem längst überfälligen Thema zugewandt: Den vordringenden deutschen Truppen folgten ja nicht nur im Osten die Killerkommandos, sondern auch, vor allem im Westen, die Beutekunstraffer. Da gab es vor allem im "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" (ERR) den "Sonderstab Musik", dessen Aufgabe es war, in den besetzten Gebieten Wertgegenstände zu konfiszieren und ins Reich zu überführen. De Vries dokumentiert, daß unzählige Instrumente wie Dokumente konfisziert wurden; etwa Cembali von Wanda Landowska oder Partituren Milhauds, meist aus dem Besitz jüdischer Musiker. Die dies organisierten, waren keine Henker oder Folterknechte, sondern "seriöse" Musikwissenschaftler, sogar Koryphäen ihrer deutschen Zunft. Als Handlanger dienten sie sich einer Macht an, auf deren ideologischem Boden sie standen. Wolfgang Boetticher wurde im Februar 1939 attestiert, er sei für solche Aufgaben wegen seiner "weltanschaulichen Festigkeit und des ausgezeichneten Wissens bestens geeignet". Mal trat er als solider Lassus- oder Schumann-Forscher auf, mal als scharfer Politruk, einschüchternd in der Uniform der Waffen-SS.

Boetticher war als Wissenschaftler Überzeugungstäter, hat sogar Schumann-Briefe regelrecht gefälscht, um antisemitische Spitzen gegen Mendelssohn zu suggerieren. Die musikologischen Ehrenmänner, die man bei de Vries findet, auch sie Hitlers willige Vollstrecker, haben nach 1945 munter ihre Karrieren fortgesetzt, ihre Vergehen vertuscht. Einer der Inkriminierten las noch 1960 über "Deutsche Orchestermusik des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts" und tuckerte von Beethoven zu Bruckner, um erleichtert das Semester abzuschließen: Jetzt käme noch der gesondert zu würdigende Strauss, der Rest sei sowieso nicht der Rede wert. So eklatant die ästhetische Borniertheit, so widerlich die Bekundung, das Verfemte nicht einmal des Bedenkens für wert zu erachten. Analoges hörte man von Germanisten, Kunstwissenschaftlern, Historikern. Lob und Preis den Achtundsechzigern, daß sich dies änderte.

Michael H. Kater: "Die mißbrauchte Muse". Musiker im Dritten Reich. Aus dem Amerikanischen von Maurus Pacher. Europa Verlag, München und Wien 1998. 575 S., geb., 58,- DM.

Willem de Vries: "Sonderstab Musik". Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940-45. Aus dem Englischen von Antje Oliver. Dittrich Verlag, Köln 1998. 384 S., 49 Abb., geb., 49,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

In einem sehr ausführlichen Essay kommt Eckhard John auf verschiedene Neuerscheinungen zum Thema der Musikwissenschaft im Nationalsozialismus zu sprechen - und dabei geht er äußerst streng mit dieser Disziplin ins Gericht, die sich seiner Darstellung nach noch später als andere Geisteswissenschaften mit ihrer Nazi-Vergangenheit befasst hat. Johns Argumentation legt nahe, dass es gerade daran lag, dass diese Disziplin besonders tief und besonders freiwillig in die Verbrechen verstrickt war. Erst 1996 hielten Musikwissenschaftler das erste Kolloquium zum Thema ab, und zwar in der Schweiz. Der von Anselm Gerhard herausgegebene Band "Musikwissenschaft - eine verspätete Disziplin?" (Metzler), den John in seiner Kritik nur erwähnt, versammelt die Akten dieses Kongresses.
1) Pamela M. Potter: "Die deutscheste aller Künste" (Klett-Cotta)
Besonders eingehend widmet sich John in seiner Kritik Pamela M. Potters Monografie, die eine Aufbereitung des gesamten Themenbereichs verspricht. Die Verdienste der Studie liegen nach John vor allem in der Archiv- und Quellenarbeit der Autorin, die zu einigen bedeutenden Personen der Zeit wichtiges neues Material gefunden zu haben scheint. Die historische Analyse dieses Materials hat John allerdings unbefriedigt zu lassen. Er mag etwa der These der Autorin, der Antisemitismus der Musikwissenschaftler sei vielfach nur "Lippenbekenntnis" gewesen, ganz und gar nicht zustimmen und argumentiert - unterstützt von Potters Material selbst - eher in Richtung einer großen Kontinuität mit der Weimarer Republik. Schon damals seien Deutschtümelei und Antisemitismus in der Musikwissenschaft stark verbreitet gewesen. Gegen Potters These spricht für ihn auch, dass sich die Musikwissenschaft nach 1933 mehr oder weniger von selbst gleichgeschaltet habe. Dennoch betont John nochmals die Bedeutung von Potters Arbeit, die er vor allem in den zahlreichen "fachgeschichtlichen und biografischen Details" erblickt.
2) Willem de Vries: "Sonderstab Musik" (Dittrich)
Kürzer, aber sehr beeindruckt berichtet John über diesen Band, der in Belgien, den Niederlanden und Frankreich die Plünderungspolitik der Nazis untersuchte. Er beweist für John die "direkte Beteiligung" von Musikwissenschaftlern an der Arisierungs- und Mordpolitik der Nazis. John belegt das vor allem mit dem Raub unschätzbarer Archive - wie etwa des Besitzes von Darius Milhaud -, die bis heute verloren sind.
3) Michael H. Kater: "Die missbrauchte Muse" (Europa)
Wenig Zustimmung findet bei John dagegen dieser Band. Ohne genauer auf einzelne Darlegungen Katers einzugehen, fühlt sich der Rezensent durch den "herablassenden Ton" gestört, mit dem Kater auf bisherige Forschungsergebnisse zurückblicke, und wirft ihm zugleich einen personalisierenden und allzu subjektiven Umgang mit seinem Gegenstand vor.
En passant erwähnt John auch weitere Studien zum Thema, etwa Eva Weißweilers Band "Ausgemerzt! Das Lexikon der Juden in der Musik und seine Folgen" (Dittrich) und den Sammelband "Die dunkle Last - Musik und Nationalsozialismus" (Bela-Verlag). Auch auf zwei englischsprachige Bücher geht er kurz ein, Michael H. Katers "Composers of the Nazi Era" (Oxford University Press) und den Sammelband "Driven into Paradise - The Musical Migration from Nazi Germany to the United States" (University of California Press).

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