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Dem Buchhändler Friedrich Keller wird von einem verwahrlosten Unbekannten ein Manuskript mit Gedichten zugespielt. Keller, neurotischer Einzelgänger und passionierter Kenner der Dichtkunst, beginnt eines Tages das Manuskript zu lesen und entdeckt bald, dass ihm ein Meisterwerk vorliegt. Geraume Zeit später erkennt er den Mann auf der Straße wieder und folgt ihm spontan in die derbe Welt einer Säufer- und Hurenkneipe, wo er das Gespräch mit dem Genie sucht. Die Begegnung bringt seine Welt ins Wanken. Als der Dichter eines Tages bei Keller zuhause aufkreuzt, gerät sie vollends aus den…mehr

Produktbeschreibung
Dem Buchhändler Friedrich Keller wird von einem verwahrlosten Unbekannten ein Manuskript mit Gedichten zugespielt. Keller, neurotischer Einzelgänger und passionierter Kenner der Dichtkunst, beginnt eines Tages das Manuskript zu lesen und entdeckt bald, dass ihm ein Meisterwerk vorliegt. Geraume Zeit später erkennt er den Mann auf der Straße wieder und folgt ihm spontan in die derbe Welt einer Säufer- und Hurenkneipe, wo er das Gespräch mit dem Genie sucht. Die Begegnung bringt seine Welt ins Wanken. Als der Dichter eines Tages bei Keller zuhause aufkreuzt, gerät sie vollends aus den Fugen.

Was war geschehen?

Steven Uhly nutzt das Spiel von Dichtung und Wahrheit in so raffinierter Weise, dass man nicht zu entscheiden vermag, ob "Den blinden Göttern" Krimi, Burleske oder hermeneutische Deutung ist. Vor allem aber wird nicht klar, ob hier eine wahre Geschichte vorliegt oder aber die Persiflage einer solchen. Denn die Gedichte gibt es wirklich und sie sind - zumindest will es uns so scheinen - meisterhaft.

Steven Uhly hat dem Verlag gegenüber diesbezüglich sehr widersprüchliche Äußerungen gemacht. Wir hatten daher kurzfristig in Erwägung gezogen, auf eine Veröffentlichung zu verzichten, da wir die Befürchtung hegten, in eine Grauzone zu geraten. Doch die außergewöhnliche Qualität beider Manuskripte - die Sonett-Sammlung und die ihr zur Seite gestellte Erzählung - ließ uns keine andere Wahl.
Autorenporträt
STEVEN UHLY wurde 1964 in Köln geboren und ist deutsch-bengalischer Abstammung. Er hat Literatur studiert, ein Institut in Brasilien geleitet, und er übersetzt neben seiner eigenen schriftstellerischen Arbeit Lyrik und Prosa aus dem Spanischen, Portugiesischen und Englischen. Sein Debütroman »Mein Leben in Aspik« ist 2010 als erstes Buch des Secession Verlag erschienen. Das Nachfolgebuch »Adams Fuge« wurde 20111 mit dem Tukan-Preis ausgezeichnet. »Glückskind« (2012) wurde zum Bestseller, von mehreren deutschen Städten für mehrwöchige Leseveranstaltungen (»Ein Stadt liest«) ausgewählt und von Michael Verhoeven für die ARD verfilmt. »Königreich der Dämmerung« ist in mehrere Sprachen übersetzt worden und wurde unter anderem von der London Times zum »Buch des Monats« gewählt. »Den blinden Göttern« ist nach »Marie« sein sechster Roman. Steven Uhly lebt mit seiner Familie in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2018

Mach uns Angst!

Steven Uhly zieht den Lesern seines neuen Romans "Den blinden Göttern" den Boden unter den Füßen weg. Aus einem literarischen Vexierspiel wird ein Psychothriller.

Von Andreas Platthaus

Es ist ja doch alles falsch. "Was hatte überhaupt noch Bedeutung, wenn alles gelogen, kopiert, zusammengestückelt und fingiert war? Wo gab es in dieser großen Illusion noch eine Zuflucht, auf die Verlass war?" Friedrich Keller ist Ende vierzig, aber Zeiten wie diese hat er noch nie erlebt. Seine Welt zerfällt, alle Sicherheiten schwinden. So sind sie, unsere Zeiten, in denen das München von Steven Uhlys neuem Roman angesiedelt ist, und Friedrich Keller, Buchhändler im familieneigenen Geschäft, in dem er für die Lyrikabteilung zuständig ist, hat jeden Halt verloren. Schuld daran ist jedoch nicht die Krise seines Metiers, nicht das Netz, ja nicht einmal Donald Trump. Es sind die Gedichte.

Nicht jene, die Friedrich Keller verkauft. Sondern ein Typoskript, das vor zwei Jahren ein ihm unbekannter Penner ohne weiteren Kommentar ins Geschäft gebracht und ihm übergeben hat. Dieses Konvolut aus lauter Sonetten (allerdings ungewöhnlichen, nicht selten nur aus einem oder zwei Worten pro Zeile bestehend) trägt den Titel "Den blinden Göttern", und als Verfasser firmiert laut Deckblatt ein gewisser Radi Zeiler. Und dessen Gedächtnis ist Steven Uhlys Roman gewidmet, der zudem so heißt wie die Lyriksammlung und als letztes Kapitel vierunddreißig Gedichte daraus enthält. Es ist ein vielfaches literarisches Vexierspiel, das Uhly hier betreibt, und das geht so weit, dass selbst der angeblich vom Verlag formulierte Klappentext mit einbezogen wird, in dem es zu Radi Zeilers Lyrik heißt: "Die Gedichte gibt es wirklich, und sie sind - zumindest will es uns so scheinen - meisterhaft. Steven Uhly hat dem Verlag gegenüber diesbezüglich sehr widersprüchliche Äußerungen getätigt. Wir hatten daher kurzfristig in Erwägung gezogen, von einer Veröffentlichung Abstand zu nehmen, da wir die Befürchtung hegten, in eine Grauzone zu geraten. Doch die außergewöhnliche Qualität beider Manuskripte - die Sonett-Sammlung und die ihr zur Seite gestellte Erzählung - ließ uns keine andere Wahl." Honi soit qui mal y pense. Hat das noch Bedeutung, wenn alles doch nur von Uhly gelogen, kopiert, zusammengestückelt und fingiert ist - wie es ja auch seine Aufgabe als Romanautor ist?

Schon die vom Klappentext erwähnte "Grauzone" setzt ein thematisches Signal, denn der Roman setzt ein, als Friedrich Keller aus einem Traum erwacht, der ihn zum wiederholten Mal in eine unbestimmte Welt geführt hat, in einen Weißraum. Nichts hat der durch seine Initialen im Zusammenhang mit unruhigen Träumen literaturgeschichtlich einschlägig vorbelastete Protagonist von seinen nächtlichen Eindrücken behalten. Träumt Keller noch? Auch diese Entscheidung nimmt uns der Roman nicht ab. Seine Erzählstruktur mit den unwahrscheinlichsten Winkelzügen, Gestaltwandlern und dem einzigen Fixpunkt Friedrich Keller, diesem Mann, der durch alle Geschehnisse so sehr er selbst bleibt, dass er als die seltsamste Figur von allen erscheint, gehorcht einer Traumlogik. "Den blinden Göttern" ist in mehrfachem Sinne ein traumhaftes Buch.

Es hat wenig gemein mit Steven Uhlys früheren Romanen, die aber auch schon nicht einem einheitlichen Stilprinzip gehorchten; nicht einmal die als Fortsetzungsgeschichte konzipierten "Glückskind" und "Marie" hatten über die Titel-Anspielungen auf das Märchen "Frau Holle" hinaus strukturelle Ähnlichkeiten miteinander. Interessanter ist der Vergleich mit Uhlys Gedichtband "Tagebuch", der ähnliche Freude am Formenspiel aufweist, wie sie die Poeme aus "Den blinden Göttern", dem Buch im Buch, auszeichnet. "Erzwungene Sonette" nennt Friedrich Keller einige davon, weil sie scheinbar durch bloße Satzaufspaltung entstanden sind, etwa dieses:

Ich kann

nicht behaupten

die Welt

existiere

jenseits

meiner selbst

ohne

gleichzeitig

zu behaupten auch

ich selbst

existierte

jenseits

meiner selbst.

"Wie viele andere", heißt es im Roman, der konsequent aus Friedrich Kellers Kopf heraus erzählt ist, "kämpfte dieses Gedicht gegen die Form an, in der es auftrat, doch der Inhalt war makellos in seiner Folgerichtigkeit. Wie sollte er sich diesen Widerspruch erklären?" So wie den Wechsel von Konjunktiv I zu Konjunktiv II im Laufe des Gedichts: als ständig wachsende Irrealität. Es ist denn auch just dieses Sonett, dass bei Friedrich Keller Zweifel an der Identität von dessen Verfasser weckt, die er irgendwann gesichert glaubte. Als er das Gedicht zu rezitieren beginnt, fällt ihm der vermeintliche Autor ins Wort: "Ach ja! Ja, ja, ich erinnere mich, natürlich erinnere ich mich, schließlich habe ich es selbst als falscher Radi Zeiler verfasst." Dann beendet er schleunigst das Gespräch.

Da hat dieser Penner, den Friedrich Keller eines Tages vor seiner Haustür gefunden und aus Neugier eingelassen hat, längst zum ersten und weiß Gott nicht zum letzten Mal seine Identität gewechselt: Aus dem Obdachlosen wurde ein toter Bruder, und später wird Friedrich Keller in ihm den verschwundenen Vater erkennen. Immer näher kommt der ehedem Fremde so dem Buchhändler, nistet sich erst im Haushalt ein, nimmt sich die kolumbianische Putzfrau Elvira zur Geliebten und erweckt dann eben den Anschein, selbst zur Familie zu gehören. Uhly macht die irrwitzigsten Kapriolen und Dreistigkeiten glaubhaft, weil sie aus der Sicht von Friedrich Keller jeweils konsequent sind. Immer mehr wird der Weißraum in dessen Träumen ausgefüllt mit Szenen, die in ihm einen Psychiatriepatienten vermuten lassen, aber "Den blinden Göttern" lässt sich auch nicht auf diese Deutung reduzieren.

Zumal das Buch großes komisches Potential hat: Es gibt etwa groteske Kneipenszenen, und Friedrich Kellers Lebens- und Liebesfeindlichkeit spielt mit den klassischen Motiven vom Hagestolz. Diese Momente der Handlung wirken derart aus der Zeit gefallen, dass sie eine zusätzliche, nun aber burleske Komponente in die Handlung einführen. Und nicht nur die Figuren wechseln vor Friedrich Kellers Augen permanent ihre Rollen, sondern auch der Roman selbst ist in ständiger Wandlung begriffen: von einer poetologischen Posse über eine Krimihandlung zur pathologischen Szene und nicht zuletzt auch zur Politkomödie, wenn schließlich eine ganze Gruppe syrischer Flüchtlinge im Hause Keller Aufnahme findet. Die Welt um den Solipsisten Friedrich wird immer größer, rückt ihm aber auch immer mehr auf die Pelle. Wenn man sich denn für ein Genre zu entscheiden hätte, dem "Den blinden Göttern" zuzuordnen wäre, dann für das des Psychothrillers.

Einem ohne Schrecken allerdings, dafür jedoch mit einer latenten Bedrohung aller Gewissheiten, die beim Lesen viel mehr Wirkungstreffer landet, als es bloße Schocks vermöchten. Steven Uhly zieht uns den Boden unter den Füßen weg, und wenn er selbst als "Sprachexperte" namens Uhlig, Ullrich, Ullily, OEly oder Dutzenden anderen anagrammatischen Bezeichnungen wiederholt in die Träume von Friedrich Keller eintritt, liefert er Schlüssel fürs Geschehen, die aber nur weitere Falltüren öffnen: "Manchmal, da schweigen Sie plötzlich mitten im Satz. Aber die Geschichte in ihrem Kopf geht weiter. Es ist, als hätten Sie bloß vergessen, sie zu erzählen. Und wissen Sie was? Das sind die Momente, die ich am erregendsten finde! Denn dann bin ich gefragt. Ich muss mich in Sie hineinversetzen, muss mit all meiner Empathie dafür sorgen, dass diese Lücken geschlossen werden, und zwar so, dass man es nicht bemerkt . . ." Oder: "Wie bei Freud sind alle Figuren in der Geschichte Sie selbst beziehungsweise Teilaspekte Ihres früheren Selbst." Aber das alles erzählt dieser Ugly/Gugly/Kulkur Friedrich Keller im Traum. Ulkig? Ja, so könnte er auch heißen.

Bücher wie "Den blinden Göttern", die alle Grenzen zwischen Genres, Fiktionen und Realitäten verwischen, gibt es wenige in der deutschen Gegenwartsliteratur. In diesem Herbst dafür gleich zwei; das andere ist "Schattenfroh" von Michael Lentz (F.A.Z. vom 6. September). Das allerdings ist literarisch derart (anspielungs)reich, dass es zur Verwandtschaft mit allem taugt, was hohen ästhetischen Anspruch erhebt. Mit anderen Worten: Lentz versichert uns der Kriterien für Literatur. Mit Steven Uhlys Roman verhält es sich anders: Er verunsichert massiv. Das ist sein Thema. Uns darüber klarzuwerden, wie ihm das gelingt, heißt mit Unsicherheit besser zurechtzukommen. Es gibt keine interessantere Aufgabe in der Gegenwartsliteratur.

Steven Uhly: "Den blinden Göttern". Roman.

Secession Verlag für Literatur, Zürich 2018. 266 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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