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"Früher ist Karoline jedes Jahr umgezogen, damit Hausrat erst gar nicht zustande kam, Hausrat oder Verdruß - jetzt will Karoline bleiben."Zusammen mit Mann und Tochter. Doch wieviel Wachheit, Phantasie muß man aufbringen, täglich, damit Zuneigung, Nähe nicht einfach weggleiten, daß der gemeinsame Entwurf nicht schadhaft wird? Und natürlich braucht es dafür den Weg über die Welt. Auch Scholz, ein Schiffsunternehmer, sucht einen Ort zum Bleiben. Er könnte einen Makler beauftragen, macht sich aber lieber selbst auf den Weg, für zwei Wochen, quer durch Mitteleuropa, mit einer Gemeinschaft aus…mehr

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Produktbeschreibung
"Früher ist Karoline jedes Jahr umgezogen, damit Hausrat erst gar nicht zustande kam, Hausrat oder Verdruß - jetzt will Karoline bleiben."Zusammen mit Mann und Tochter. Doch wieviel Wachheit, Phantasie muß man aufbringen, täglich, damit Zuneigung, Nähe nicht einfach weggleiten, daß der gemeinsame Entwurf nicht schadhaft wird? Und natürlich braucht es dafür den Weg über die Welt.
Auch Scholz, ein Schiffsunternehmer, sucht einen Ort zum Bleiben. Er könnte einen Makler beauftragen, macht sich aber lieber selbst auf den Weg, für zwei Wochen, quer durch Mitteleuropa, mit einer Gemeinschaft aus Einzelgängern, unter ihnen Karoline und ihre Familie. Im Gehen und Erzählen versuchen sie, dieZone des Unbeschädigtseins zu erweitern, denn das wäre der Ort, an dem man sich niederlassen kann.
Christine Pitzkes zweiter Roman ist ein sprachmächtiger Versuch, dem, was man leichthin Beschädigung des Humanen nennt, entgegenzutreten, unbeugsam zu sein der Zerstörung gegenüber und ein Dach zu errichten aus fragilen, kühn sich emporschwingenden Sätzen, unter dem es sich sein läßt.
Autorenporträt
Christine Pitzke, geboren 1964 in Burghausen, kurzzeitiges Medizin-Studium, dann Germanistik und Philosophie. Hörfunkautorin in München. Romanveröffentlichung. Auszeichnungen: Arbeitsstipendium des Literarischen Colloquium Berlin, Aufenthaltsstipendium im Künstlerdorf Schöppingen, Literaturstipendium der Stadt München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2008

Jagd auf die Eiskrawatten

Bekämpft die Kehrmaschinensprache! In ihrem Roman "Nächste Nähe, weit entfernt" lässt Christine Pitzke eine Gruppe von "Wortjunkies" auf der Suche nach dem richtigen Leben bis nach Venedig gondeln. Doch die Abkehr von allen Zwängen birgt Gefahren.

Es gibt Menschen, die glauben, dass die gegenwärtige Welt stumpf und dumpf ist, nichts für zarte Seelen, die sich nach wahren Empfindungen und tiefen Einsichten sehnen. Diese Leute glauben, dass es an Büchern fehlt, die unter Aufbietung größter poetischer Anstrengung und sprachlicher Handstandüberschläge ihre Leser in die besseren Bezirke des Daseins führen. Und dann gibt es jene rohen Menschen, die bereits eine unübersehbare Menge dieser Bücher gelesen haben, die diese Idee für ein abgesunkenes Klischee halten, das zwar in der Geschichte der modernen Literatur immer wieder produktiv geworden ist, zuletzt aber selbst im Falle Peter Handkes kaum noch zu brauchbaren Ergebnissen geführt hat. Diese Leute räumen lieber erst einmal den Geschirrspüler aus, als sich ein weiteres Mal mit einigen "Sondermenschen" in die "unversehrten Bezirke des Daseins" aufzumachen.

Christine Pitzke, Handke-Apologetin einfachster Art, beginnt ihren Roman mit der Schilderung des städtischen Alltags einer Kleinfamilie. "Der Lärm bellt" in den grell besonnten Straßen, deren Bewohner ihrer Arbeit entgegenhasten - "Angestellte des heutigen Tages". Manch einer "tauscht frühmorgens in der Küche die Hoffnung gegen eine Uhr, die wird den ganzen Tag am Gelenk getragen. Manche legen vor dem Spiegel ihre Eiskrawatte an, die stützt den Kopf und hält den Hals steif." Frau Pitzke möchte uns mit Hilfe gesuchter Bildlichkeit davon überzeugen, dass unser Leben starr und genormt ist. Dies liegt unter anderem daran, dass "Bürstenwagen" die Straßen "von Absonderlichkeit und Melancholie" frei fegen.

Aber zum Glück gibt es Menschen wie die Protagonistin, die sich behaupten, die viel zu originell und störrisch sind, als dass sie sich in ein solches Schicksal fügen könnten. Gibt es für sie ein richtiges Leben im falschen? Sinnträchtige Formulierungen lassen ahnen, dass hinter der Norm eine verborgene Tiefe waltet: "In der Stadt war diese Stunde, in der sie im Schweigen versank, man musste nur länger warten können als die Stadt selbst." Da fällt es nicht schwer, vor dem Weiterlesen Wäsche in die Trommel zu stopfen.

Was macht man, um zum Grund der Sehnsucht zu gelangen und sich aus Zwängen zu lösen? Man tritt eine Reise an. Christine Pitzkes Protagonistenfamilie schließt sich einer Gruppe von "Gegenwendigen" an, lauter unbeugsamen Leutchen, die einem reichen Reeder aus Übersee dabei helfen wollen, sich mit dem Land seiner Herkunft auszusöhnen. Denn der sensible Unternehmer sieht Europa von "Scham und Schuld" kontaminiert, sucht aber trotz alledem gerade hier einen Ort zum Bleiben.

Ausgestattet mit einem "Finderblick", besteigen die Reisenden einen alten Omnibus und fahren durch die Gegend: die schöne Layla, die von Schnürstiefelchen immerzu in rote Sandaletten schlüpft, "der Stundengeber", der aus der kürzesten Zeit einen ganzen Tag machen kann. Ihre Aufgabe besteht darin, "Orte mit gewaltfreien Geschichten zu besiedeln". Daher tragen sie einander poetisch hanebüchene Texte vor, Träume und Bruchstücke ihrer Biographien. Mitreisende Schauspieler improvisieren auf den Hinterbänken Szenen von Kleist, Tschechow und Ibsen. "Weder Gruppe noch Herde, nur weniger vereinzelt und ein nichtverschwiegener Tag, diese andere Art Wir, unser Bloßgehen, Bloßreden, ein Freispruch." Christine Pitzke möchte nicht nur ihrer Reisegesellschaft jeden Gruppenzwang ersparen, sie möchte auch ihre Sprache aus den Zumutungen der Konvention befreien.

So wie heute jeder bessere Reiseveranstalter mit der Einzigartigkeit seines Frühstücksbuffets wirbt, so beschließt jede sich modern gebende Autorin, der Sprache ihre Verfügbarkeit zu nehmen: "Stattdessen wollen wir uns zu einer anderen Sprache aufladen, vielstimmig, die ein wenig arbeitet für morgen, für das Diesseits, immer größere Diesseitigung." Das sind seit Adornos Tagen Konventionen, inzwischen abgenutzt und hier besonders tief gesunken - auch wenn die Bildlichkeit sich noch so sehr überschlägt im Versuch, das bisher nicht Zusammengehörige zusammenzuzwingen, auch wenn die selbsternannten "Wortjunkies" im Reisebus ein intensives "Hineingefühl des Montags" empfinden. Die Waschmaschine piept. Sie ist fertig.

Im Roman nimmt die beschworene Gegenwelt Gestalt an, denn die Reisenden machen in Venedig Station. Bis dahin blieben die erlebten Orte diffus und ohne Wirklichkeitsreferenz. Hier in der Stadt der verschwimmenden Grenzen und der literarischen Selbstauflösung erleben die Reisenden die größte Offenheit: "Jedenfalls geht Scholz als kelchförmiges Gebilde durch Venedig. Kelche sind abgeschafft, aber da wir heute alle kelchförmig sind, lacht keiner über den anderen." Die durch die Stadt wandernden Kelche überwinden die Versehrtheit, das sonst allgegenwärtige "Verneinen und Zerstören". Das können sie, weil Kunsteindrücke und Naturbetrachtung beständig oben in sie hineinrieseln. So verändert sich auch das Zeitempfinden: An die Stelle der "Zeit des Hohns" und der "Zeit der Dreistigkeit" tritt die "Zeit des Bergens" - womit nicht darauf angespielt werden soll, dass der Reisebus zuletzt in einer Felsspalte klemmt und der Leser sich die bange Frage stellen muss: Kehrt das "Andersschreckliche" zurück?

SANDRA KERSCHBAUMER

Christine Pitzke: "Nächste Nähe, weit entfernt". Roman. Verlag Jung und Jung, Salzburg/Wien 2007. 151 S., geb., 18,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Hingerissen zeigt sich Dorothea Dieckmann von Christine Pitzkes "wundervollem" zweiten Roman "Nächste Nähe, weit entfernt". Sie zählt das Buch zu den Romanexperimenten, denen es gelingt, mit den konventionellen Regeln des Erzählens zu brechen, ohne auf Handlung und Entwicklung zu verzichten. Die Geschichte um einen Reeder aus Übersee, der sich mit einer Gruppe von Menschen auf die Suche nach einem Wohnort macht, kreist für Dieckmann um Themen wie Heimat und Freundschaft. Motiviert sieht sie das Werk von Pitzkes Absicht, die Gewalt zu überwinden in "unbeschädigten Momenten und Weisen der Gemeinsamkeit". So findet Diekmann in der Reflexion des "Wir" auch eine Art roten Faden, der sich durch den Roman zieht, den sie als "aufmerksame, empfindliche Endeckungsreise" beschreibt, dessen Lektüre auf sie beglückende Wirkung hatte. Besonders unterstreicht sie die poetische, lyrische Prosa Pitzkes, den Rhythmus ihrer Sätze, die sich immer wieder dem Hermetischen nähern.

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