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Dieser Band ist die erste Bestandsaufnahme zum Thema 'Heimatbuch', einer der populären Geschichtsschreibung zuzurechnenden Buchklasse. Sie ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden und hat, wie die Tausenden Publikationen im gesamten deutschen Sprachraum zeigen, ihre Vitalität bis in die Gegenwart beibehalten.Das Heimatbuch vereint seinem ganzheitlichen Anspruch folgend die Bereiche Geschichte, Landeskunde, Geographie, Volkskunde, Soziologie, Sprache und Literatur. Entsprechend kommen in diesem fächer- und grenzüberschreitend angelegten Sammelband Vertreter unterschiedlicher Disziplinen…mehr

Produktbeschreibung
Dieser Band ist die erste Bestandsaufnahme zum Thema 'Heimatbuch', einer der populären Geschichtsschreibung zuzurechnenden Buchklasse. Sie ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden und hat, wie die Tausenden Publikationen im gesamten deutschen Sprachraum zeigen, ihre Vitalität bis in die Gegenwart beibehalten.Das Heimatbuch vereint seinem ganzheitlichen Anspruch folgend die Bereiche Geschichte, Landeskunde, Geographie, Volkskunde, Soziologie, Sprache und Literatur. Entsprechend kommen in diesem fächer- und grenzüberschreitend angelegten Sammelband Vertreter unterschiedlicher Disziplinen ebenso zu Wort wie ein 'Laienforscher'.Beispiele zur jeweils regional- und zeitspezifischen Ausprägung bilden die Grundlage für eine vergleichende Betrachtung des breiten Spektrums an Erscheinungsformen des Heimatbuchs und die Annäherung an grundsätzliche Fragen zu der weitgehend unerforschten Schriftenklasse. Warum und seit wann werden Heimatbücher geschrieben? Was macht ein Buch zu einem Heimatbuch? Welches Verhältnis besteht zwischen Heimatbuch und Geschichtswissenschaft? Lassen sich unterschiedliche Typen unterscheiden? Wer schreibt Heimatbücher und für wen? Welche Funktion erfüllen sie?
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2011

Geschichtchen für alle
Oft unterschätzt: Bedeutung von Heimatbüchern für das kollektive Gedächtnis breiter Bevölkerungskreise

Das, was viele gerne lesen, sehen oder hören, stößt bei der hehren Wissenschaft nicht selten auf Misstrauen - wenn es denn überhaupt Interesse findet. Freilich überwinden auch die Angehörigen der akademischen Elite zuweilen ihre Vorurteile zu Gegenständen, die vermeintlich unter ihrem Niveau sind, und stellen überrascht fest, dass die Auseinandersetzung damit durchaus erhellend sein kann. So geschehen zum Beispiel, als die Literaturwissenschaft Johannes Mario Simmel oder Heinz G. Konsalik entdeckte. Seit dem Erscheinen des vorliegenden Bandes kann auch die Historikerzunft zu einer derartigen Einsicht gelangen.

Mathias Beer weist in seiner instruktiven Einleitung auf ein Paradoxon hin: Heimatbücher sind einerseits ungemein weit verbreitet - er meint wohl nicht zu Unrecht, dass mindestens ein solches Werk wahrscheinlich im Buchregal "fast jedes Haushalts" anzutreffen sei. Andererseits ist diese Art von Publikationen bislang von der Geschichtswissenschaft und der Volkskunde weitestgehend ignoriert worden. Es existiert nicht einmal eine eindeutige lexikographische Definition. Mit "Heimatbuch" gemeint sind Ortsgeschichten, die sich mit der historischen Entwicklung von einzelnen, nicht selten sehr kleinen Kommunen oder eng begrenzten Regionen beschäftigen. Obwohl derartige Publikationen seit dem späten 19. Jahrhundert in Hülle und Fülle geschrieben, gedruckt und eben auch gekauft und gelesen wurden, fanden sie von wissenschaftlicher Seite bis in die jüngste Zeit hinein allenfalls sporadisch Beachtung. Denn ihnen haftete der Ruch des Amateurhaften an; ihre Autoren, die Lehrer, Pfarrer und sonstigen, meist selbst berufenen "Ortschronisten" wurden, allem Eifer und aller Akribie ihrer Arbeit zum Trotz, nicht für voll genommen, "Hobbyhistoriker" eben.

Beer und seine 14 Mitautorinnen und Mitautoren geht es nicht etwa darum, methodische Mängel und theoretische Defizite der landläufigen Heimatbücher in Abrede zu stellen. Es gelingt ihnen aber zu zeigen, dass die serielle Untersuchung von Heimatbüchern ertragreich ist, und zwar nicht, um zahllose lokale Details aneinanderzureihen, sondern um diese Buchklasse konsequent als mentalitätsgeschichtliche Quelle zu nutzen. Derartige Analysen untermauern nämlich die Erkenntnis, dass das von Fachwissenschaftlern erarbeitete und in der öffentlichen Erinnerungspolitik manifest werdende, gewissermaßen "offizielle" Geschichtsbild und der Inhalt des "kollektiven Gedächtnisses" breiter Bevölkerungsteile - vorsichtig gesprochen - keineswegs in jeder Beziehung identisch sind. Sie zeigen vielmehr, dass es hier signifikante Unterschiede vor allem im Bereich der Zeitgeschichte, also nach der berühmten Definition von Hans Rothfels hinsichtlich der Geschichte der "Epoche der Mitlebenden" gibt.

Gerade weil die Autoren von Heimatbüchern zumeist keine "zünftigen" Historiker sind, weil sie also nicht in die jeweiligen Konjunkturen des akademischen Diskurses eingebunden waren oder sind, spiegeln ihre Arbeiten in besonderer Weise ein Geschichtsverständnis "von unten" wider. Heimatbücher konzentrieren sich naturgemäß auf die lokale Perspektive und haben nicht den Ehrgeiz, nationale, transnationale, wirtschafts- und sozialgeschichtliche oder sonst irgendwelche übergreifenden historischen Erklärungsmuster liefern zu wollen. Da sie aber, wie der Band gewiss richtig unterstellt, eine "besonders verbreitete Form der Aneignung von Geschichte" darstellen, da sie die Erwartungshaltung eines Publikums befriedigen, das bewusst oder unbewusst die identitätsstiftende Funktion der Lokalgeschichte ("Wir hier in xy-hausen, seit Jahrhunderten sind wir da!") sucht und das gar nicht die komplexen und niemals abschließend beantworteten Fragen der "großen Historie" stellen mag, deswegen sind Heimatbücher, gemessen an ihrer Verbreitung, erfolgreicher als praktisch das ganze akademische Schrifttum.

Zu einem bezeichnenden Befund gelangt Wilfried Setzler, der die "NS-Zeit im Heimatbuch" exemplarisch untersucht hat. Unbeschadet nämlich der Tatsache, dass die Geschichtswissenschaft mittlerweile ganze Bibliotheken mit Untersuchungen zur Geschichte der nationalsozialistischen Diktatur angefüllt hat, blieben die Jahre von 1933 bis 1945 in Heimatbüchern lange Zeit ganz oder weitgehend ausgeblendet. Im Vordergrund der Darstellung hier stehen, wenn überhaupt, die unmittelbaren Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges vor Ort, der als ein mehr oder weniger grundlos über die "Heimat" hereingebrochenes "Unglück" erscheint. Dies korrespondiert sehr gut mit Zeitzeugenbefragungen: In der individuellen, von geschichtswissenschaftlicher Formatierung unverbauten Erinnerung der "Normalverbraucher" stehen etwa der Bombenkrieg und die (Nachkriegs-)Misere der Mangelversorgung im Vordergrund - bei nahezu vollständiger "Abwesenheit" von Politik, gleichviel ob vor oder nach 1945.

Die bislang unterentwickelte Forschung zu den Heimatbüchern hat mit dem vorliegenden Buch einen wichtigen Schritt nach vorn gemacht. Es ist zu hoffen, dass davon Impulse für weitere Untersuchungen ausgehen. Ein lesenswerter Band, nicht nur, aber auch für "professionelle" Historiker.

WINFRID HALDER

Mathias Beer (Herausgeber): Das Heimatbuch. Geschichte, Methodik, Wirkung. V & R Unipress Verlag, Göttingen 2010. 342 S., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einen lesenswerten Sammelband nicht nur für professionelle Historiker hat Winfrid Halder anzuzeigen. Dem stiefmütterlich behandelten Heimatbuch erweisen die insgesamt 15 (offenbar durchaus akademisch geschulten) Autoren des Bandes laut Rezensent ihre Achtung, indem sie es aus der Schmuddelecke heraus und neben die konjunkturell vom akademischen Diskurs abhängige offizielle Geschichtsschreibung stellen. Und siehe da: Der Rezensent erfährt, wie das regional fokussierte, mit methodischen und theoretischen Defiziten behaftete Ortschronistentum trotz allem neue Perspektiven eröffnen kann. Ein Impuls für weitere Untersuchungen zu Heimatbüchern, so hofft er.

© Perlentaucher Medien GmbH