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Die protestantische Gestalt des Christentums hat die deutsche Literatur über weite Strecken geprägt. Luthers Übersetzung, in der die Heilige Schrift in den protestantischen Elementar- und Lateinschulen unterrichtet wurde, schuf eine einheitliche Literatursprache jenseits aller Standesgrenzen. Im Zusammenhang mit der Reformation entstand nicht nur eine neue Sprache, sondern auch die enge Verbindung zwischen Literatur und Religion. Nur in Deutschland besteht eine derart enge Beziehung zwischen Dichtung und den zentralen protestantischen Institutionen, der Kirche und dem Pfarrhaus. Das…mehr

Produktbeschreibung
Die protestantische Gestalt des Christentums hat die deutsche Literatur über weite Strecken geprägt. Luthers Übersetzung, in der die Heilige Schrift in den protestantischen Elementar- und Lateinschulen unterrichtet wurde, schuf eine einheitliche Literatursprache jenseits aller Standesgrenzen. Im Zusammenhang mit der Reformation entstand nicht nur eine neue Sprache, sondern auch die enge Verbindung zwischen Literatur und Religion. Nur in Deutschland besteht eine derart enge Beziehung zwischen Dichtung und den zentralen protestantischen Institutionen, der Kirche und dem Pfarrhaus. Das protestantische Pfarrhaus war eine Keimzelle der Bildung und in seiner Bibliothek begegneten die Pfarrerssöhne der antiken Literatur. Ob Gottsched, Lessing, Wieland, Lichtenberg, Jean Paul und die Brüder Schlegel: Sie alle stammen aus einem Pfarrhaus. Die Beiträge des Bandes gehen der Beziehung zwischen Protestantismus und deutscher Literatur anhand prominenter Beispiele nach.
Autorenporträt
Gunther Wenz ist em. Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der LMU und Leiter der Wolfhart-Pannenberg Forschungsstelle an der Hochschule für Philosophie in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2005

Ringvorlesungsparabel
Vereinnahmung: Ein Band über Protestantismus und Literatur

Falls es noch einer Begründung des Themas bedurft hätte, hat sie Heinz Schlaffer 2002 in seiner "Kurzen Geschichte der deutschen Literatur" geliefert: "Keine andere geistige Haltung hat die Bildungsgeschichte der deutschen Intelligenz seit dem Mittelalter und in besonderem Maße seit der Reformation so nachhaltig bestimmt wie die Religiosität." Den Aufstieg der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert sieht er maßgeblich mit dem Pietismus und einer spezifisch protestantischen Sozialisation verknüpft. Zwar beruft sich die Einleitung des Sammelbandes ausdrücklich auf Heinz Schlaffer, doch hat er nur wenig mit dessen forcierter Darstellung gemein. An seinem rein ästhetisch-literarischen Interesse hatte der Germanist Schlaffer keine Zweifel gelassen: "Der Verfasser hält es mit der radikalen Aufklärung: Jede Religion ist ein Irrtum, aber ein folgenreicher Irrtum. Zu dessen - seltenen - guten Folgen gehört das Beste an der deutschen Literatur." Nun hingegen erkunden Theologen den Zusammenhang von Protestantismus und deutscher Literatur und legen das Ergebnis einer in München gehaltenen Ringvorlesung vor. Daraus erklären sich Stärken wie Schwächen des Bandes.

Die Beiträge überzeugen vor allem dann, wenn die Verfasser ihre spezifisch theologischen Kompetenzen ausspielen und auf entsprechende Zusammenhänge einzelner Texte aufmerksam machen. So spürt Jan Rohls den verschiedenen theologischen Positionen nach, die der Berliner Aufklärer Friedrich Nicolai in seinem Roman "Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker" (1773 bis 1776) aufeinandertreffen läßt, und schreibt einzelnen Figuren porträthafte Züge zu, wenn er etwa die Gestalt des orthodoxen lutherischen Eiferers Stauzius als Karikatur des Hamburger Hauptpastors Johann Melchior Goeze ansieht, der durch seinen berühmten Streit mit Lessing in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Wenn Gunther Wenz das Werk Gottfried Kellers nach Spuren der Religionskritik Feuerbachs durchleuchtet, so ist dies zwar nicht neu, aber in Form einer kompakten, eine Vielzahl an literarischen Texten einbeziehenden Studie reizvoll zu lesen. Schließlich tragen einige Beiträge auch originelle Sichtweisen an vielinterpretierte Texte heran, etwa wenn Christoph Schwöbel den Verfall der Familie in Thomas Manns "Buddenbrooks" mit der Geschichte des lutherisch-reformierten Christentums in Lübeck parallel setzt und anhand der vier Buddenbrook-Generationen vier verschiedene Konzeptualisierungen von Religion herausarbeitet.

Allerdings nutzen nicht alle Beiträger ihre Möglichkeiten in gleicher Weise. So souverän Ulrich Barths ästhetikgeschichtliche Einordnung von Wackenroders Theorie der Kunstandacht ist, hätte man von einem Theologen doch gern mehr zu spezifisch protestantisch-pietistischen Traditionen und zu zeitgenössischen Katholizismusbildern erfahren. In einigen Fällen muß man auch textferne Fragestellungen monieren. So kommt Eilert Herms am Ende seiner Ausführungen zu Hermann Hesses "Glasperlenspiel" zu der Erkenntnis, daß protestantische Bildung in Hesses utopischem Kastalierorden keine Rolle mehr spielt, nur - wen interessiert dies ernstlich?

Überhaupt möchte man die Theologen davor warnen, einzelne Autoren und Texte für eigene Standpunkte zu vereinnahmen oder für den religiösen Diskurs zu "retten". Künstler sind allemal unsichere Kantonisten, deren Werk meist nur um den Preis der Simplifizierung eine theologisch-religiöse Affirmation zuläßt. Ob Klopstock und seinem ausufernden "Messias"-Projekt nicht nur in literarischer Hinsicht, sondern auch "für die christliche Frömmigkeit" eine epochale Bedeutung im Übergang zur Moderne zukommt, wie dies Walter Sparn meint, sei doch gelinde bezweifelt. Und wenn Jan Rohls in aller Ausführlichkeit Richard Wagners religiösen Vorstellungen nachgeht, so wäre man für einen Hinweis, was für ein krudes privativistisch-subjektivistisches Konglomerat hier doch vorliegt, nicht undankbar gewesen. Daß es den meisten Schriftstellern bei der Anverwandlung protestantischer Traditionen zuallererst um deren ästhetisch-poetisches Potential ging, hat Schlaffer klarer gesehen: "Mit der Übernahme religiöser Sprachgebärden beginnt der Aufstieg der deutschen Literatur, mit der Ersetzung der Religion durch die Kunst ist er vollendet."

THOMAS MEISSNER

Jan Rohls / Gunther Wenz (Hg.): "Protestantismus und deutsche Literatur". Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004. 295 S., br., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.12.2004

Jesus war ein Schriftsteller
Theologen zu Heinz Schlaffers These von der Pfarrhaus-Literatur
Die Blüte der deutschen Literatur hat ihre Wurzel im protestantischen Pfarrhaus: Diese These, die Heinz Schlaffer in seiner „Kurzen Geschichte der deutschen Literatur” vertrat, hat zu lebhaften Debatten geführt. Die protestantischen Theologen waren dabei bislang nicht recht zu vernehmen. Aber gerade von ihnen ist Auskunft darüber erwarten, wie sich die Verwandlung protestantischen Geistes in Poesie genauer beschreiben lässt. Und auch Schlaffers Begrenzung der literarischen Blüte vom 18. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts enthält eine höchst relevante religionstheoretische Frage: Ist das diagnostizierte „Ende” der deutschen Literatur zugleich auch Indiz für die Erschöpfung des Paradigmas protestantischer Bildung?
Zwei Veröffentlichungen nehmen nun dieses Gespräch auf. Klaas Huizing, als systematischer Theologie und Romancier prädestiniert für die Aufgabe, unternimmt es, Schlaffers These inhaltlich zu präzisieren. Die literarische Produktivität der Pfarrerssöhne verdanke sich der Dramatisierung der Bibel bei Hamann und Herder: Gott als Schriftsteller, die Bibel als Kunstwerk, die persönliches Mitleiden und Identifizieren anregt. Im Mittelpunkt stehen die Gleichnisse Jesu, die „Miniaturdramen” der Freiheitserfahrung sind. Jesus war den Literaten das Urbild des Schriftstellers.
In der Konzentration auf die „Grundbewegtheit des Lebens” nähern sich Religion und Kunst also an, wobei Huizing den Mehrwert der Religion darin sieht, das Lebensganze in den Horizont des Gelingens zu rücken. Durchaus nicht aller Kunst kommt religiöse Qualität zu, wo dies allerdings geschieht, kann die Kunstreligion dem religiösen Erleben eine besondere Authentizität verleihen. Die Potentiale kunstreligiösen Ausdrucks und Ausdrucksverstehens formt Huizing mit Hilfe von Schleiermacher und Warburg in das Projekt einer „leibfreundlichen ästhetischen Theologie” um.
Eine Münchner Ringvorlesung zu „Protestantismus und deutsche Literatur”, jetzt als Sammelband erschienen, nähert sich dem Thema in historischer Perspektive. In den Beiträgen von Walther Sparn zu Klopstocks „Messias” und von Jan Rohls zu Friedrich Nicolais „Sebaldus Nothanker” wird die Auseinandersetzung mit aufgeklärter Bibel- und Dogmenkritik sowie pietistischer Gefühlsreligion als Nährboden einer Poesie begreifbar, die sich nicht nur als Ausdruck moderner Religiosität verstand, sondern auch als theologische Avantgarde.
Religion und Kunstreligion
Die Literatur dieser Epoche übte Reformdruck auf die Theologie aus, ging aber bald durch eine eigenständige Kunstreligion darüber hinaus. Im Falle Wackenroders geschah das mit der Absicht, der protestantischen Betonung praktischer Frömmigkeit eine kontemplativ-ästhetische Religiosität entgegenzustellen. Gegen die Annahme, die Religion werde so dem ästhetischen Erleben untergeordnet, weist Ulrich Barth Religion und Kunst als je selbständige, aber komplementär angelegte Sphären auf. Die Kunst verhelfe der Religion, ihre „unbestimmte Transzendierungsintention sinnlich erlebbar zu machen”, während die Religion der Kunst dazu verhelfe, sich der „Tiefendimension” ihres Sinnpotentials bewusst zu werden.
Mit dem 20. Jahrhundert scheint dieses konstruktive Verhältnis beendet. Fulminant interpretiert Christoph Schwöbel die vier Generationen der „Buddenbrooks” als Repräsentanten einer kurzen Geschichte des bürgerlichen Protestantismus. Sie reicht von dem traditionellen Protestantismus des alten Konsuls Johann über Jeans gefühligen Vorsehungsglauben und Thomas’ antimetaphysische Affekte , die angesichts des nahenden Todes schließlich zusammenbrechen, bis zur musikalischen Kunstreligion Hannos. Die ineinander verflochtene Dekadenz von Bürgertum und protestantischer Religion sieht Schwöbel hier ebenso eindrücklich dargestellt wie das Problem protestantischer Ethik, dass es Gott gegenüber keinen Beistand und keine Vermittlung von außen gibt.
Genau darin liegt aber auch die Gestaltungskraft des Protestantismus, wie Eilert Herms gegenüber Hermann Hesse hervorhebt. Die von Hesse diagnostizierte Unfähigkeit des Protestantismus zur kirchlichen Gestalt hält Herms das „bildende Wirken der Wahrheit” entgegen, die im gerade im Verzicht auf kirchliche Vermittlung zur personalen Menschenbildung werde und in vielerlei Formen kulturellen Ausdruck finde.
Es sind aber auch andere Schlüsse denkbar: In Thomas Manns literarischer Geschichte des modernen Protestantismus manifestiert sich eine neue, reflexive Gestalt der Frömmigkeit. Dies lässt sich auch als Ausdruck der Auseinandersetzung des Protestantismus mit seinen eigenen Folgen verstehen. Darin liegt nicht nur „Krise”, sondern auch die Möglichkeit, die literarischen Beschreibungen für die Selbstverständigung über Ort und Aufgabe der Theologie fruchtbar zu machen. Von der daraus zu erwartenden Belebung zeugen diese beiden Bände, in denen die protestantische Theologie zu beachtlicher Form aufläuft.
FRIEDEMANN VOIGT
KLAAS HUIZING: Ästhetische Theologie. Band III: Der dramatisierte Mensch. Kreuz Verlag, München 2004. 194 Seiten, 26,90 Euro.
JAN ROHLS, GUNTHER WENZ (Hrsg.): Protestantismus und deutsche Literatur. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004. 295 Seiten, 34,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nachdem Heinz Schlaffer mit seiner These, die deutsche Literatur hätte ihre Blüte vom 18. Jahrhundert bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts unter dem Einfluss der protestantischen Theologie erlebt, für lebhafte Diskussionen gesorgt hat, sieht Friedemar Voigt die Debatte durch zwei neue Bücher wieder aufgegriffen. Dabei zeigt sich die protestantische Theologie, wie er befriedigt feststellt, in "beachtlicher Form. Der Sammelband "Protestantismus und deutsche Literatur", der aus einer Münchner Ringvorlesung hervorgegangen ist, legt eine historische Perspektive an das Thema an, stellt der Rezensent fest. Dabei werde deutlich, dass insbesondere Klopstock und Nicolai ihr literarisches Werk als "theologische Avantgarde" begriffen, wie Walther Sparn und Jan Rohls in jeweils eigenen Beiträgen herausarbeiten, so Voigt. Ihm hat besonders der "fulminante" Beitrag von Christoph Schwöbel zu den "Buddenbrooks" von Thomas Mann imponiert. Der Autor hat den Roman als "kurze Geschichte des bürgerlichen Protestantismus" gelesen und stellt die enge Verflechtung zwischen bürgerlicher "Dekadenz" und "Protestantischer Religion" heraus, so der Rezensent zustimmend.

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