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Bernard Wittmann: Ingenieur, Familienvater, ehemaliger Kz-Häftling und fleißiger Briefeschreiber. In einer Zeit, die der Brieftaube näher zu liegen scheint als dem Telefon, und die doch erst ein halbes Menschenleben entfernt ist, baute er im irakischen Kurdistan zehn Jahre lang Straßen, Brücken und Freundschaften. Kein soziologisches oder historisches Vorurteil, keine politische Agenda verstellt Wittmann den Zugang zu dieser fremden Gesellschaft: Ihm reichen gute Nerven, Karl-May-Lektüre und gesunder Menschenverstand um Kurdistan begreifen und schätzen zu lernen. Dann kommt die Revolution von…mehr

Produktbeschreibung
Bernard Wittmann: Ingenieur, Familienvater, ehemaliger Kz-Häftling und fleißiger Briefeschreiber. In einer Zeit, die der Brieftaube näher zu liegen scheint als dem Telefon, und die doch erst ein halbes Menschenleben entfernt ist, baute er im irakischen Kurdistan zehn Jahre lang Straßen, Brücken und Freundschaften. Kein soziologisches oder historisches Vorurteil, keine politische Agenda verstellt Wittmann den Zugang zu dieser fremden Gesellschaft: Ihm reichen gute Nerven, Karl-May-Lektüre und gesunder Menschenverstand um Kurdistan begreifen und schätzen zu lernen. Dann kommt die Revolution von 1958, der Barzani-Aufstand, Umstürze. Krieg in Kurdistan! Bald werden nicht nur Nachbardörfer ausradiert, auch das Camp der Straßenbauer gerät zwischen den Fronten unter täglichen Beschuß. Wittmanns Briefe nach Deutschland schwanken zwischen Idyll und Abgrund, zwischen Panik und dem Versuch die Familie daheim nicht zu beunruhigen. So entsteht ein berührend um Objektivität bemühtes, und doch urdeutsch-subjektives Bild einer Gesellschaft, die damals noch so unendlich weit entfernt schien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.07.2009

Auf Karl Mays Spuren
50 Jahre alte Briefe aus dem „wilden Kurdistan”
Sechzig Jahre nach dem Erscheinen der phantastischen Abenteuergeschichten von Karl May „Durch das wilde Kurdistan” wandelt ein Ingenieur aus Westfalen, Bernard Wittmann, auf den Spuren des Erzählers aus Radebeul in Sachsen. Im Auftrag einer Düsseldorfer Firma, die einem Antrag der irakischen Regierung folgt, geht Wittmann als Bauleiter 1954 nach Kurdistan-Irak. Beeindruckend erzählt er in den von seiner Tochter Petra herausgegebenen Briefen aus fast zehn Jahren die Abenteuer beim Bau der Nordstraße. Berge waren abzutragen, Täler zu planieren, Brücken über Schluchten zu errichten. Der Bauleiter und seine Gruppe von vorwiegend Deutschen und Kurden stapften durch Schlamm, überquerten reißende Flüsse. Sie erlebten, dass nach heftigem Regen Flüsse und Bäche in anderthalb Stunden um ein bis zwei Meter stiegen, gerade fertige Brücken wegrissen und Zufahrtswege wegschwemmten.
Sie trotzten Schnee und eisiger Kälte, Hitze von 56 Grad im Schatten und einer Trockenheit, die Ernten vernichtete. Dazu kam die Ehrenpflicht der guten Nachbarschaft zu den Kurden. Zwei Orten, die von der Außenwelt mit Schneeverwehungen von fünf Metern Höhe von der Außenwelt abgeschnitten waren, galt es zu helfen. Als Rettung erwiesen sich die Großgeräte des Straßenbaus: Bagger und Schneepflüge auf Ketten. Geräumt wurden: 60 000 Kubikmeter Schnee, gerettet 1500 Menschen, 6000 Ziegen und Schafe, 1200 Esel, 800 Kühe und 300 Pferde.
Anschaulich schildert Wittmann die täglichen Aufgaben. Mühsam war die Arbeit, zweimal, 1958 und 1963, durch Umstürze und blutige Kriege der irakischen Armee gegen die Kurden bedroht, vollendet Wittmann 1963 erfolgreich den Bau der Nordstraße mit dem Gütesiegel „Made in Germany”. Der Rezensent des Buches fährt auf ihr 50 Jahre später so gut wie in der Zeit der Übergabe, die Spuren des letzten Feldzuges Saddam Husseins gegen die Kurden Ende der 80er Jahre waren jedoch nicht zu übersehen.
Alle im Norden waren stolz auf den„Allemani”, den Deutschen. Die Freundschaft, die ihm entgegengebracht wurde, beschreibt Wittmann einfühlsam. Seine Kenntnis der kurdischen und der arabischen Sprache, die er sich im Land aneignete, öffnete ihm den Zugang zu den Herrensitzen der kurdischen Stammesfürsten wie zu den Bauern, den Arbeitern und Händlern. Von den Scheichs dieser Zeit abgesehen war das Leben im Norden karg. Holzpflüge, Ochs und Esel bestimmten die Arbeit auf dem Lande. Eine nennenswerte Industrie bestand nicht. Besonderen Eindruck auf ihn machte die Stadt Halabscha nahe der iranischen Grenze. Er fand eine Stadt im Frieden, schreibt er, eine Stadt seit alters her der Geistesschaffenden, der Schriftsteller und Dichter. Diese Stadt, die er liebte, ging an drei Tagen im März 1988 im Hagel von Phosphor- und Gasbomben unter, mit ihr mehr als 8000 Menschen.
Wittmanns Liebe zu Volk und Land wuchs mit seiner Erkenntnis, dass „dieses Volk ein Recht auf Selbstbestimmung hat”. Die politischen Probleme, die er in den 50er und 60er Jahren beschreibt, sind aktuell geblieben, wenn auch heute die historische Chance besteht, dass die Kurden in einem föderativen Irak für ihre Selbstbestimmung ein festes Fundament haben. Zukunftsgewissheit äußerte mir in einem persönlichen Gespräch Dschalal Talabani, der erste kurdische Staatspräsident Iraks: „Das Kurdistan von heute ist nicht das Volk zu Zeiten von Karl May und nicht das Volk der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. In den Städten haben wir eine junge Bourgeoisie und eine junge Arbeiterklasse und eine funktionierende parlamentarische Demokratie.” Eine Reihe von Gesetzen, die von der kurdischen Nationalversammlung verabschiedet wurden, ebnen den Weg in den Rechtsstaat. Der „Ehrenmord” wird mit schweren Strafen geahndet. Zwangsehen sind verboten, wenn sie auch noch vereinzelt auf dem Lande unter Berufung auf den Koran vorkommen. Die Frau ist gesellschaftlich gleichberechtigt.
Die Briefe aus Kurdistan gehören zu den besten Berichten und Erzählungen aus diesem Land. Die letzte Station von Bernard Wittmann waren die Vereinigten Arabischen Emirate, damals ein britisches Protektorat an der Piratenküste. Ein Hafen war zu bauen, ein Projekt für einen Mann, der das „wilde Kurdistan” standhaft durchlebt hat und der die neue Herausforderung suchte. Er starb im Januar 1968 an einem Herzinfarkt. Der Emir ordnete Staatstrauer an, drei Tage waren der Basar und alle Geschäfte geschlossen. Der Bruder des Emirs war einer der Träger des Sarges zu einem kleinen christlichen Friedhof.
HEINZ ODERMANN
PETRA KRUSELL (Hg.): Bernard Wittmann: Briefe aus Kurdistan 1954-1963. Zwischen Krieg und Idyll – ein Leben im Straßenbau. Verlag Hans Schiler, Berlin 2008. 267 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Für Heinz Odermann gehören diese von der Tochter des Autors herausgegebenen Briefe aus Kurdistan 1954-1963 zu den besten Berichten und Erzählungen aus diesem Land. Sind Karl Mays Spuren in den Texten für den Rezensenten auch erahnbar, so streicht Odermann doch ihre absolute Originalität heraus. Wenn Bernard Wittmann seiner Tochter von den Abenteuern beim Bau der Nordstraße in Kurdistan-Irak erzählt, ist das für Odermann anschaulich und zugleich immer auch ein Beweis für die Einfühlsamkeit des Deutschen und seine Liebe für das Land und die Verbundenheit mit den Menschen, ob Emir, Stammesfürst oder Bauer. Bemerkenswert findet Odermann nicht zuletzt, wie die von Wittmann geschilderten politischen Probleme von damals den heutigen gleichen.

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