Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 2,00 €
  • Gebundenes Buch

Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit lauteten seit der Französischen Revolution von 1789 die drei Begriffe, aus denen sich die Grundwerte moderner Gesellschaften herleiten. In Freiheit finden sich Unterbegriffe wie Toleranz, Sicherheit und Verantwortung. Gleichheit hat sich in Gerechtigkeit verwandelt, während Brüderlichkeit heute vor allem als Solidarität verstanden wird. Diese Begriffe haben jedoch unter anderem auch deshalb an Bedeutung verloren, weil sie häufig oberflächlich, mit vordergründigem politischen Interesse wie ein tibetanisches Mantra wiederholt, immer weniger in ethischem Sinn verwendet worden sind.…mehr

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit lauteten seit der Französischen Revolution von 1789 die drei Begriffe, aus denen sich die Grundwerte moderner Gesellschaften herleiten. In Freiheit finden sich Unterbegriffe wie Toleranz, Sicherheit und Verantwortung. Gleichheit hat sich in Gerechtigkeit verwandelt, während Brüderlichkeit heute vor allem als Solidarität verstanden wird. Diese Begriffe haben jedoch unter anderem auch deshalb an Bedeutung verloren, weil sie häufig oberflächlich, mit vordergründigem politischen Interesse wie ein tibetanisches Mantra wiederholt, immer weniger in ethischem Sinn verwendet worden sind.
Autorenporträt
Ulrich Wickert, geboren 1942 in Tokio, studierte in Deutschland Jura und in den USA Politische Wissenschaften. Von 1977 bis 1991 war er ARD-Korrespondent in Washington, New York und Paris, von 1991 bis 2006 moderierte er die "Tagesthemen". 2005 wurde Wickert in Frankreich zum "Offizier der Ehrenlegion" und 2006 zum Sekretär der Académie de Berlin ernannt. Er lebt in Hamburg und Südfrankreich, wo er neben Kriminalromanen auch politische Sachbücher schreibt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2004

Die Großen läßt man laufen
Wohin das alles führt: Ulrich Wickert spricht's endlich einmal aus

"Während manch ein deutscher Bedürftiger sich schämt, zum Sozialamt zu gehen, kennen viele Ausländer alle Schliche und Wege." Seltsames Argument. Wenn es Menschen gibt, die das Eingeständnis ihrer elenden Lage mehr scheuen als das Elend selber, müßte ihnen auf sensible Weise zu ihrem Recht verholfen werden. Umgekehrt kann es nur in Ausnahmen, die dem Sinn eines Gesetzes widerstreiten, moralisch fragwürdig sein, die "Wege" des Rechts auch zu nutzen. Wer dagegen die "Schliche" nutzt, ist ein Betrüger. Egal, ob Deutscher oder Ausländer. Ulrich Wickert gibt sich in seinen 2002 an der Universität Duisburg gehaltenen Mercator-Vorlesungen erstaunlich populistisch. Denn wie anders sollte man es nennen, wenn der hohe Anteil der Ausländer an den Sozialhilfeempfängern attackiert wird, die offenbar allesamt von ihrem irgendwie unrechtmäßig erworbenen "Geld des Sozialamtes" nicht nur "nicht schlecht leben", sondern auch noch "den Verdienst auf dem Schwarzmarkt als Investition in der Heimat verwenden"?

Doch auch die Reichen, die nur an den Besitz, und die Politiker, die nur an die Macht denken, werden attackiert. Unternehmer zahlen im Ausland Dumpinglöhne und umgehen dabei alle Sicherheitsstandards; die Banken helfen, Hunderte von Milliarden in Steueroasen "bis in die Bahamas oder gar die Cayman-Inseln" zu verschieben; der Staat verfolgt akribisch und mit immer neuen Gesetzen und mit immer mehr Polizei die Kleinkriminalität, während er "mit einem milden Augenzwinkern zuschaut, wie die Wirtschaft die Gesetze umgeht." Und am Ende will dann auch der Ehrliche nicht mehr der Dumme sein. Es geht Wickert um eine ethische Kritik des schwindenden Unrechtbewußtseins, und da mag Zuspitzung ein rechtes Mittel geben. Käme in dieser Zuspitzung nicht, nun wirklich erstaunlich, ein fehlendes Bewußtsein von der Natur des Rechts zutage.

Der Ort der Ethik ist für Wickert die Gemeinschaft, und den Antrieb zum ethischen Handeln gibt das Gemeinschaftsgefühl. Zwei Entwicklungen haben dieses Gefühl geschwächt. Zum einen haben Sozialpolitik und Verrechtlichung das horizontale "Wir" der Gemeinschaft in ein vertikales "Gegenüber" von einzelnem und Staat verwandelt. Zum anderen schwebe, wie Wickert mit Hinweis auf Martin Walser ausführlich darlegt, Auschwitz als großes Tabu über der deutschen Öffentlichkeit. Das Tabu verhindere - ein etwas abstruser Punkt - eine sachgemäße Gentechnologiedebatte. Und das Tabu verhindere, daß "die Deutschen über die Entwicklung ihrer Gemeinschaft nachdenken". Wo aber das Gefühl für die Zugehörigkeit zu einem Volk, zu einem Vaterland fehlt, schwinde auch die Bereitschaft, seinen Teil zum Wohlergehen dieser Gemeinschaft beizutragen. Moralische Erziehung müßte das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken, zu welchem Zwecke Wickert die Einführung eines sozialen Pflichtjahres empfiehlt.

Gegen all das soll gar nichts gesagt werden, selbst wenn sich zum Auschwitz-Tabu Sätze finden, wo bei uns schon Leute aus weit geringerem Anlaß gevierteilt wurden. Es ist auch nichts dagegen zu sagen, daß Wickert die moderne "individualistische Welt" als Verlust gegenüber der mit Wehmut geschilderten paradiesischen Gemeinschaft der amerikanisch-protestantischen Hutterer empfindet. Wenn sich nur auch Sätze fänden, die den staatlichen Schutz der individuellen Freiheit als Gewinn verteidigten! Doch für ihn ist das Recht nur der Feind der Moral. Das sieht man am Beispiel der ausländischen Sozialhilfeempfänger. Weil sie sich nicht mit Deutschland identifizieren, halten sie sich schamlos an ihre Rechte. Keinen Gedanken wendet Wickert auf den Unterschied zwischen Ausländern und deutschen Staatsbürgern ausländischer Herkunft. Auch der Unterschied zwischen ordnungsgemäßer und erschlichener Unterstützung ist ihm bedeutungslos.

Aber selbst wenn sich ein höherer Anteil bestimmter Bevölkerungsgruppen an bestimmten Vergehen nachweisen läßt, kann daraus doch kein Vorwurf gegen die Gruppe gemacht werden. Um ein Beispiel aus der Umgebung des Rezensenten zu nehmen: Ein junger Afghane, aus moderner Familie, in Deutschland zur Schule gegangen, längst eingebürgert, war vor dem 11. September bei der Lufthansa zu einer Pilotenausbildung angenommen worden, um jetzt zu erfahren, daß er angesichts seiner Herkunft keine Einstellungschance habe. Klar, statistisch stehen Afghanen nicht gut da. Wie die Türken beim Kindergeld. Aber darf ich ernsthaft einer kinderreichen türkischen Familie den Vorwurf machen, daß sie die Wege des Rechts kennen, oder einem kinderlosen deutschen Paar, daß sie nicht an die Gemeinschaft denken? Gemeinschaft und Gesellschaft sind bekanntermaßen antinomische Begriffe. Wenn Populismus heißt, grundlegende politische Antinomien handlungsweisend in eine Richtung aufzulösen, dann redet Ulrich Wickert hier populistisch.

GUSTAV FALKE

Ulrich Wickert: "Die Zeichen der Zeit". Was ist aus Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit geworden? Mit einem Porträt von Heribert Klein und Ulrich Wickerts Antworten im Fragebogen des F.A.Z.-Magazins. Hohenheim Verlag, Stuttgart, Leipzig 2004. 152 S., geb., 14,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In die populistische Ecke sieht Gustav Falke den Fernsehmoderator Ulrich Wickert mit diesem Buch abgerutscht, das dessen Mercator-Vorlesungen an der Universität Duisburg zusammenfasst. Zu Falkes Enstetzen beklagt Wickert nicht nur schwindendes Unrechtsbewusstseins ("Der Ehrliche ist der Dumme"), sondern macht dafür den Verlust eines deutschen Gemeinschaftsgefühls verantwortlich. Am schlimmsten aber ist für den Rezensenten, dass Wickert das Recht zum "Feind der Moral" macht. Vergeblich hat er nach einem Satz gesucht, in dem der "staatliche Schutz der individuellen Freiheit als Gewinn" verteidigt wird. Stattdessen hat er den Gedanken gefunden, dass Auschwitz nicht nur eine sachgemäße Debatte über die Gentechnologie verhindere, sondern auch, dass die Deutschen über die Entwicklung ihrer Gemeinschaft nachdächten. Befremdlich erscheint ihm auch ein Satz wie dieser: "Während manch ein deutscher Bedürftiger sich schämt, zum Sozialamt zu gehen, kennen viele Ausländer alle Schliche und Wege". So bleibt Falke nur, dem Autor "fehlendes Bewusstsein von der Natur des Rechts" zu bescheinigen.

© Perlentaucher Medien GmbH