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Wolfgang Büschers Überraschungserfolg
Wolfgang Büscher hat sich zu Fuß auf eine Reise über viele Grenzen gemacht: von Berlin nach Moskau. Er geht den geschichtsträchtigen Weg der Heeresgruppe Mitte und von Napoleons "Grande Armee". Büscher erkundet auf dem Weg nach Osten Menschen und Orte, erzählt von Schmugglerinnen und Bewohnern der Zone Tschernobyls und von einer polnischen Gräfin zu Zeiten des Weltkriegs.

Produktbeschreibung
Wolfgang Büschers Überraschungserfolg

Wolfgang Büscher hat sich zu Fuß auf eine Reise über viele Grenzen gemacht: von Berlin nach Moskau. Er geht den geschichtsträchtigen Weg der Heeresgruppe Mitte und von Napoleons "Grande Armee". Büscher erkundet auf dem Weg nach Osten Menschen und Orte, erzählt von Schmugglerinnen und Bewohnern der Zone Tschernobyls und von einer polnischen Gräfin zu Zeiten des Weltkriegs.
Autorenporträt
Wolfgang Büscher, geboren 1951, hat für die "Süddeutsche Zeitung", "Geo" sowie die "Neue Zürcher Zeitung" geschrieben und das Ressort Reportage bei der "Welt" geleitet. Heute ist er Autor der "Zeit". Wolfgang Büscher erhielt zahlreiche Preise, unter anderem den Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik, den Wilhelm-Müller-Literaturpreis, den Theodor-Wolff-Preis sowie den Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis und 2006 den Ludwig-Börne-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.2003

So weit die Füße tragen
Wolfgang Büscher wanderte innerhalb von drei Monaten von Berlin nach Moskau

Wolfgang Büscher: Berlin-Moskau. Eine Reise zu Fuß. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 224 Seiten. 17,90 [Euro].

Der Gedanke, zu Fuß von Berlin nach Moskau zu laufen, ist abenteuerlich. Schon der Plan verschlägt die Sprache. Jeder von uns hätte das Schlimmste befürchtet, wenn er von Wolfgang Büscher um Rat gefragt worden wäre, hätte ihn angsterfüllt in irgendeinem gottverlassenen Straßengraben beraubt und ermordet enden sehen. Aber nur einmal kam es in einer Absteige kurz vor Moskau zu einem gefährlichen Handgemenge.

Das Vierteljahr allein auf der Straße war hart genug. Im dritten Monat heißt es: "Ich war längst in den Zustand eingetreten, in dem Mensch und Gang die Rollen tauschen. Ich ging nicht mehr, es ging mich, und was um mich her geschah, bemerkte ich nicht mehr." Das Wetter war oft wechselhaft. Manchmal schüttete es. Mehr und mehr verdreckte er. "Mein Zwei-Hemden-zwei-Hosen-System war darauf angelegt, daß ich alle paar Tage Waschtag hielt. Ich stank vermutlich, ganz sicher stank ich, aber die russische Provinz war nicht der Ort, an dem das zählte oder auch nur auffiel." Weniger und weniger wurde er als Ausländer wahrgenommen. "Das Gute ist, keiner kümmert sich um dich, deine Tarnung funktioniert hervorragend. Tarnung? Was für eine Tarnung? Das ist keine Tarnung. Du bist, was du scheinst, längst geworden. Ein Landstreicher in Rußland, was denn sonst. Einer, der sich auf den Straßen herumtreibt, einem Ziel entgegen, das es vielleicht gibt, vielleicht aber auch nicht." Als Büscher aufbrach, herrschte die Hitze des Sommers. Bei der Ankunft in Moskau schneite es.

Es ist erstaunlich, wie bunt trotz aller hintergründigen Dunkeltönung Büschers Eindrücke waren: Viele Gespräche mit denen, die seinen Weg kreuzten: in katholischen Klöstern oder mit orthodoxen Einsiedlern unter roten Zauberbäumen, mit heimgekehrten polnischen Adligen, Schmugglerinnen und Prostituierten, einem Wunderheiler in Minsk, aber auch mit der Komplizin eines deutschen Offiziers, der sich 1943 aus Liebe zu einer verschleppten Frankfurter Jüdin den Partisanen anschließen wollte, jedoch von den Russen nach Moskau geholt und irgendwann umgebracht wurde. "Dann fuhr ein Wagen vor, einer dieser Wagen, die dann immer vorfahren, und sie sah ihn nie wieder. Viel später hieß es auf ihre Nachfragen, er sei in irgendeinem Kriegsgefangenenlager gestorben, an Typhus, so wie immer an Typhus gestorben wird."

Auf Schritt und Tritt traf der geduldige, einsame Wanderer auf Opfer der Sowjetzeit. Nicht nur unter Deutschen, Polen, Weißrussen, Russen, sondern auch - ja, wirklich - bei überlebenden Assyrern, Nestorianern. Den meisten von ihnen "machte Stalin ein Ende nach dem üblichen Verfahren: die Eliten ausrotten, den Rest deportieren". Überall Spuren des Krieges. Jedoch wäre der Eindruck falsch, daß Verwüstungen und Schrecken des Krieges wie des Kommunismus das ganze Buch in ein fahles Licht tauchen. Es gibt viel Helles, Heiteres, tatsächlich einen hinreißenden Ausflug zur verbotenen Zone bei Tschernobyl: Anna Petrownas Haus und Garten am Rande des Sperrgebiets waren ein "russischer Sommertraum". Es gab auch Lukullisches, als Annas Soljanka aufgetragen wurde: "Zur Basis aus Kohl, Öl, Möhren, Salz und Pfeffer tat sie Äpfel, Zucchini und Pilze." Schon das Lesen läßt Wasser im Munde zusammenlaufen. In der Zone selbst "wucherte alles zu. Es gab keine Wiesen und keine Felder und Gärten mehr, und die Dörfer, in die wir kamen, holte sich der Wald wieder, jeden Sommer mehr . . . Bäume und Ranken hatten sie längst in ihre Umarmung genommen."

Büschers Buch ist keine bloß aufregende Reisereportage eines Fußgängers. In knappen Worten charakterisiert er so anschaulich die Landschaften, die er durchstreift, daß man glauben könnte, selbst dort gewesen zu sein. Er faßt in wenigen Sätzen eines historischen Kurzporträts beispielsweise das Schicksal des unglücklichen Weißrußlands zusammen. "Die Weißrussen wären - nur weg von Stalin - unter Pilsudskis Regime gegangen, aber der polonisierte allzu rabiat. Sie hätten sich unter die Herrschaft der Deutschen begeben, aber deren Krieg rottete fast ein Viertel von ihnen aus. Sie kamen wieder unter die Sowjets, und sie bekamen Tschernobyl. Sie bekamen immer das Schlimmste ab und das meiste, im Krieg wie im Frieden."

Büscher notiert früh auf seiner Reise, daß niemand Osten sein will. "Der Osten ist etwas, das keiner haben will. Das sich jeder von der Jacke schnippt wie Vogeldreck . . . Der Osten wurde weiter und weiter gereicht, von Berlin bis Moskau. Bis kurz vorher, um genau zu sein, denn Moskau, so viel sei vorweggenommen, Moskau ist wieder Westen."

ARNULF BARING

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"2500 Kilometer wanderte der Journalist Wolfgang Büscher, 82 Tage auf den Spuren seines gefallenen Großvaters. Und aus der endlosen Landschaft erwuchsen ihm und uns Geschichten und Geschichte. Wer nach Osten will, läuft gegen den Geist der Zeit: "Polen kam aus der Gegenrichtung und strebte nach Westen, und der Luftzug, der dabei entstand und mich streifte, war oft unser einziger Kontakt." Büscher untertreibt, denn er dringt tief in die Seele des Landes ein. Ulrich Matthes liest mit einer Eleganz und einem Wohlklang, die hörbar machen, was diese Reportage ist: ein Stück großartige Literatur."
(hr2 Hörbuch-Bestseller)

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Mit den Füßen voran" wollte Wolfgang Büscher den Osten und seine Geschichte finden und verstehen, doch, so der Rezensent Frank Kaspar, "der Osten ... entzog sich" - hier sei man noch im Westen, wurde dem Autor allerortens versichert, und als er schließlich in Moskau anlangte, war er wieder im Westen. Dennoch hat Kaspar den Reisebericht genossen, in dem der ausdauernde Wanderer "sinnlich, knapp und präzise formuliert und historisches Wissen wie Analysen immer an die eigene Beobachtung, an persönliche Erlebnisse und Begegnungen bindet". Nur am Vortrag von Ulrich Matthes hat sich der Rezensent gestoßen. Die Reisebekanntschaften habe er meist trefflich intoniert, doch der Tonfall des Erzählers selber triefe nur so von "geschmäcklerischem Weltschmerz". Schade.

© Perlentaucher Medien GmbH