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In dem Buch kommen drei Parlamentarier zu Wort, die 1990 der einzigen frei gewählten Volkskammer der DDR angehörten. Rolf Schwanitz, Dagmar Enkelmann und Burkhard Schneeweiß sprechen offen über ihre familiären und beruflichen Wurzeln, ihre sich daraus ergebende Politisierung und ihre Motive, für das neue Parlament zu kandidieren. So werden erstmals die Menschen hinter den Abgeordneten sichtbar, die angesichts der rasanten historischen Entwicklungen damals im Hintergrund blieben.

Produktbeschreibung
In dem Buch kommen drei Parlamentarier zu Wort, die 1990 der einzigen frei gewählten Volkskammer
der DDR angehörten. Rolf Schwanitz, Dagmar Enkelmann und Burkhard Schneeweiß sprechen offen über ihre familiären und beruflichen Wurzeln, ihre sich daraus ergebende Politisierung und ihre Motive, für das
neue Parlament zu kandidieren. So werden erstmals die Menschen hinter den Abgeordneten sichtbar, die angesichts der rasanten historischen Entwicklungen damals im Hintergrund blieben.
Autorenporträt
Nicole Glocke: geboren 1969 in Bochum, Studium der Geschichte und Politikwissenschaft, 1997 Promotion, 1998-2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag, journalistische Arbeit, 2003 freie Mitarbeiterin bei einer deutschsprachigen Zeitschrift in Budapest; lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2012

Entfesselte Volkskammer
Drei frei gewählte Abgeordnete berichten aus der Zeit des DDR-Umbruchs: 164 Gesetze in sechs Monaten

Auf die Frage, ob man in der DDR-Volkskammer auch mal einen Zwischenruf machen könne, kam zu Zeiten der Diktatur die Antwort: "Ja - einen schon!" Der Flüsterwitz als Realsatire. Mit Blick auf Professor Burkhard Schneeweiß, einen der drei in ihrer Studie vorgestellten ehemaligen DDR-Volksvertreter, notiert Nicole Glocke: "Bis auf die letzten Volkskammersitzungen im Herbst 1989 erlebte Schneeweiß niemals spontane Zwischenrufe, Kontroversen oder unvermittelte Unmutsäußerungen."

Der heute 79-jährige Schneeweiß, im Hauptberuf ein hochangesehener, längst im Ruhestand lebender Facharzt für Kinderheilkunde, lernte den Unterschied erst nach der Wahl vom 18. März 1990 kennen, der einzigen freien und zugleich letzten Volkskammerwahl. Nun war er, nachdem er seit 1976 Mitglied der obersten DDR-Volksvertretung in der Fraktion der Ost-CDU gewesen war, Abgeordneter eines demokratisch legitimierten Parlaments. Außer seiner Vita zeichnet die Autorin die Karriere von Rolf Schwanitz nach. Geboren 1959, in Thüringen aufgewachsen, zog der Jurist erst nach der Epochenwende in der DDR in die Volkskammer ein, als Abgeordneter der SPD, die er - nach zeitweiliger Tätigkeit als Staatsminister im Bundeskanzleramt unter Gerhard Schröder - auch heute wieder im Bundestag vertritt. In der letzten Volkskammer hat er sich besonders um die Bewältigung der Stasi-Erblast verdient gemacht. Ein beredtes Beispiel für politische Sozialisation eines "gelernten DDR-Bürgers" im vereinten Deutschland. In ihrem dritten Porträt wendet sich Nicole Glocke der Abgeordneten Dagmar Enkelmann zu, die heute ein Bundestagsmandat der Linkspartei besitzt. Sie war 1977 der SED beigetreten, mit 21 Jahren, und kam über die PDS zur Partei Gysis und Lafontaines. Von 1979 bis 1989 lehrte die promovierte Diplom-Historikerin als Dozentin an der FDJ-Kaderschmiede Bogensee. Heute dient sie ihrer Fraktion als Erste Parlamentarische Geschäftsführerin. Auch eine bemerkenswerte Karriere in der Berliner Republik.

Gleich zu Beginn stand die Volkskammer im Zeichen eines eklatanten Verfassungsbruchs, als ihre Wahl 1950 statt nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts gemäß Artikel 9 der ersten DDR-Verfassung als Einheitslisten-Abstimmung durchgepeitscht wurde. Fortan beließ die SED der Wählerschaft nie eine Entscheidungsalternative. Das Herrschaftsmonopol war jederzeit gewährleistet. Als die DDR erstmals frei wählen durfte, war die SED zur PDS mutiert. Die Lebensläufe der drei Abgeordneten widerspiegeln aus persönlicher Perspektive die Geschichte der Volkskammer nach dem Sturz Honeckers. Die in Berlin lebende Zeithistorikerin bietet Einblicke in den Alltag der Abgeordneten in der bewegten Zeit des DDR-Umbruchs, sie lässt ihre politischen Hoffnungen und Enttäuschungen nachempfinden, ihre Mentalität, ihre durchweg optimistische Stimmungslage. Ohne Frage sahen sie sich vor großen Herausforderungen. Sie haben sie bewusst und verantwortungsvoll angenommen.

Die freie Volkskammer existierte allerdings nur rund sechs Monate. Mit dem Votum für den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes hatte sie ihr eigenes Ende besiegelt. In der Zeit ihres Bestehens vom 5. April bis zum 2. Oktober 1990 beriet und verabschiedete sie in 37 Plenartagungen 164 Gesetze und 93 Beschlüsse - darunter Regelungen zum Umgang mit den Stasi-Akten und zu offenen Vermögensfragen, den Währungs-, Wirtschafts- und Sozialvertrag sowie den Einigungsvertrag. Dass in den neun Legislaturperioden zuvor die Abgeordneten der obersten DDR-Volksvertretung nachhaltig eingeschüchtert, von der Politbürokratie der SED manipuliert und vor allem in den 1950er Jahren politischer Verfolgung bis hin zur Verhaftung ausgesetzt waren, macht den Kontrast zur freien Volkskammer nur umso deutlicher. Der gut recherchierte, verständlich geschriebene, manchmal ins allzu Feuilletonistische verfallende schmale Band ist durchaus lesenswert. Authentisch wird die Darstellung durch die sorgfältig transkribierten Zitate aus den Gesprächen, die die Autorin mit den drei Protagonisten ihres Buches geführt hat. Vermisst wird das Porträt eines DDR-Bürgerrechtlers. Die polemischen Seitenhiebe, die Frau Glocke gegen Helmut Kohl und Lothar de Maizière austeilt, sind überflüssig. Auf ein Personenregister hätte sie nicht verzichten sollen.

KARL WILHELM FRICKE

Nicole Glocke: Spontaneität war das Gebot der Stunde. Drei Abgeordnete der ersten und einzigen frei gewählten DDR-Volkskammer berichten. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2012. 229 S., br., 14,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Drei Beispiele für politische Sozialisation nach der Wende findet Karl Wilhelm Fricke in dieser Studie der Historikerin Nicole Glocke. Glocke dokumentiert Zitate aus Gesprächen mit den ehemaligen DDR-Volksvertretern Burkhard Schneeweiß, Rolf Schwanitz und Dagmar Enkelmann, authentisch findet Fricke, und zeichnet jeweils ihre Vita und Karriere und den von Hoffnungen und Enttäuschungen geprägten Abgeordneten-Alltag in der Zeit des Umbruchs nach. Fricke erkennt darin nicht nur persönliche Lebenswege, sondern auch die Geschichte der Volkskammer nach dem Sturz Honeckers, den Wandel dieser Institution vom Herrschaftsapparat zum freien Plenum. Auf ihre Polemiken gegen Kohl und de Maiziere hätte die Autorin laut Fricke verzichten können, auf das Personenregister besser nicht.

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