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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Konfessionskundliche und kontrovers-theologische Studien
  • Verlag: Bonifatius-Verlag
  • Seitenzahl: 465
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 836g
  • ISBN-13: 9783897100923
  • ISBN-10: 3897100924
  • Artikelnr.: 27464293
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Unter Rekurs auf Begriffe aus Niklas Luhmanns Systemtheorie nimmt Rezensent Henning Ziebritzki die Ökumene-Diskussionen zwischen katholischer und anglikanischer Kirche, um die es in dem Band geht, als ein Beispiel für die Selbstreferenzialitität aber auch Unbestimmtheit gesellschaftlicher Systeme wie der Kirchen. Fasziniert berichtet er, mit Lünings "brillanter Studie" im Blick, wie solche Konsenspapiere formuliert werden, wie sie zu Kompromissformeln finden und wie sie entscheidende Differenzen zwischen Partnern eben durch "Unbestimmtheit" auszugleichen suchen. Dabei stimmt er Lüning zu und fordert eine neue Konsenskultur in solchen Gesprächen, die den jeweiligen absoluten Wahrheitsanspruch der Partner nicht unterschlage, sondern zu einem "differenzierten Konsens" findet. Ziebritzki lobt Lüning ganz besonders dafür, dass er ein "effektives hermeneutisches Instrumentarium" gefunden habe, um solche sehr spezifischen Texte zu lesen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2000

Bestimmtheit verletzt
Ökumenische Kommissionen haben ein bißchen gelernt, mit Texten umzugehen: Peter Lüning beobachtet sie dabei

Daß gesellschaftliche Funktionssysteme sich in einen "Zustand selbsterzeugter Unbestimmtheit" versetzen, hat Niklas Luhmann als Folge ihrer Ausdifferenzierung diagnostiziert. Denn die funktionale Differenzierung der Gesellschaft beruht darauf, daß Systeme sich gegen ihre Umwelt operativ schließen und zugleich eine intensive Selbstreferenz erzeugen. Die Operationen des Systems haben für dessen Selbstaufbau die Funktion, zum einen eine systeminterne Unbestimmtheit herzustellen, die zum anderen nur durch systemeigene Strukturierungen in Bestimmtheit überführt werden kann.

Wer sich einmal die Mühe macht, irgendeinen sogenannten ökumenischen Konsenstext zu lesen und in Kategorien klarer Begrifflichkeit zu verstehen, dem dürfte schlagartig deutlich werden, was Luhmann meint. Die Ökumene zwischen den christlichen Konfessionen hat sich in Praxis wie Theorie nicht nur längst als eigenes Subsystem aus dem Religionssystem ausdifferenziert. Ihr systemspezifisches Leitmedium, der Dialog- oder Konsenstext, ist zudem wunderbar geeignet, ebenjenen "Zustand selbsterzeugter Unbestimmtheit" zu illustrieren, der Luhmann zufolge für alle Leitmedien von Systemen charakteristisch ist.

Ökumenische Konsensgespräche zeichnen sich in der Regel dadurch aus, daß zwei oder mehrere Dialogpartner im Hinblick auf ein theologisches Thema einen gemeinsamen Text produzieren, bis alle Seiten ihm ihr jeweiliges Verständnis unterlegen können. Der pragmatische Gewinn kann dabei jedoch nur um den Preis semantischer Unbestimmtheit erkauft werden. Diese Hermeneutik der Unbestimmtheit hat nun Peter Lüning für den Dialog zwischen der anglikanischen und der römisch-katholischen Kirche in einer ebenso gründlichen wie scharfsinnigen Studie aufgeklärt. Gegenstand seiner Untersuchung sind sämtliche Dialogergebnisse der beiden "Anglikanisch/Römisch-Katholischen Internationalen Kommissionen" (ARCIC I/II), die infolge der historischen Begegnung zwischen Papst Paul VI. und dem Erzbischof von Canterbury, Michael Ramsey, am 23. März 1966 eingesetzt wurden.

Lünings brillante Studie hat in verschiedener Hinsicht exemplarischen Charakter. Denn der offizielle Dialog zwischen der anglikanischen und der römisch-katholischen Kirche hat, auch aufgrund der historischen Ausbildung verschiedener innerkonfessioneller Richtungen im Anglikanismus selbst, gegenüber anderen ökumenischen Teildialogen den Vorteil, von einer besonderen thematischen Weite zu sein: Er umschließt mit der Rechtfertigungsthematik sowohl ein spezifisch reformatorisches Anliegen wie auch mit den Lehren von Kirche, Sakramenten, Amt und kirchlicher Autorität einen Themenkomplex, in dem das spezifisch römisch-katholische Proprium zum Ausdruck kommt.

Entscheidend für die Richtung von Lünings Studie ist jedoch sein fundamentaltheologischer Ansatz. Lüning sieht das wesentlich Christliche im Offenbarungsbegriff gegeben, wie er durch die Rechtfertigung als die soteriologische Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Mensch inhaltlich qualifiziert ist. In den christlichen Konfessionen artikuliert sich nun das je spezifische Verständnis von Offenbarung und Rechtfertigung zwar positionell und partikular, aber gleichwohl in jedem Fall, wie Lüning gegen das pluralistische Mißverständnis einer relativistischen Position in der Wahrheitsfrage hervorhebt, mit dem allgemeinen Anspruch auf universelle Wahrheit. Das aber bedeutet, daß in dem Anspruch einer christlichen Konfession, ihre Sicht von Offenbarung und Rechtfertigung zu vertreten, zugleich ein bestimmtes Modell von Einheit und Differenz der christlichen Kirchen mitgegeben ist. Somit ist "die Frage nach der Einlösbarkeit eines allgemeinen Wahrheitsanspruches für den ökumenischen Diskurs von grundlegender Bedeutung, da es ihm wesentlich um eine Einheit in der Wahrheit des christlichen Glaubens trotz divergierender Überzeugungen oder gerade in divergierenden theologischen Wahrheitsansprüchen geht".

Damit hat Lüning ein effektives hermeneutisches Instrumentarium für die relecture der Konsenstexte gefunden. Das Ergebnis fällt weitgehend sehr kritisch aus. Lüning kann immer wieder nachweisen, so bei der Frage der Eucharistie, daß der Dialog von einer Strategie der "Auswahlhermeneutik" geleitet wird: Der vermeintliche Konsens kann nur erreicht werden, weil zentrale theologisch divergierende Wahrheitsansprüche ausgeklammert werden: Das Gespräch breche exakt da ab, wo "reformatorische bzw. gegenreformatorische, d. h. getrennte Überlieferungen in ihrer Gegensätzlichkeit" berührt werden könnten. So bleibt etwa für den Sakramentsbegriff, wie er in den Konsensbegriffen verwendet wird, festzuhalten, daß er "wegen seiner Interpretationsoffenheit" die ökumenisch entscheidende Frage nach der grundsätzlichen Zuordnung von Christus und Kirche bei der Heilsvermittlung nicht zu klären vermag.

Lüning stellt daher den erreichten Konsens zwischen den beiden Kirchen insgesamt in Frage. Da in den einzelnen Themenbereichen trotz erklärter Konvergenzen, die zum Teil auch plausibel sind, "entscheidende Differenzen verbleiben, die nicht in erster Linie theologische Einzelfragen betreffen, sondern grundsätzlichen Charakter haben", schlägt er eine andere ökumenische Hermeneutik vor. Für sie hätte auf der Grundlage des Wahrheitsbegriffes zu gelten, "daß sich die im christlichen Glauben als die eine Wirklichkeit erkannte göttliche Wahrheit im theologischen Diskurs als ,differenzierter Konsens' zu bewähren hat". Und das ergäbe für ökumenische Texte einen Gewinn an Bestimmtheit, der letztlich einer Einheit in Wahrheit mehr dient als die gegenwärtig herrschende unselige Ökumenepolitik der Differenzeinebnung. Denn die Wahrheit, nicht der Konsens, schenkt die Freiheit, die Einheit möglich macht.

HENNING ZIERBRITZKI

Peter Lüning: "Offenbarung und Rechtfertigung". Eine Studie zu ihrer Verhältnisbestimmung anhand des anglikanisch/römisch-katholischen Dialoges. Bonifatius Verlag, Paderborn 1999. 464 S., geb. 148,- DM.

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