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Warum man Freunde gewinnen muss – und was es kostet
Unsere sozialen Beziehungen werden in den nächsten Jahrzehnten einer großen Belastung ausgesetzt: Sie werden knapp werden wie ein kostbarer Rohstoff. Schon heute bewegen sie sich in Teilen des Landes auf ein historisch nie gekanntes Minimum zu. Als Ergebnis der unumstößlichen Schrumpfung unserer Gesellschaft und aufgrund vielfältiger Globalisierungseffekte wird es eine Reduzierung unserer kleinsten Welt, der unserer Freunde und Familien geben. Diese Revolution wird sich in allen Lebensbereichen Geltung verschaffen: in der Politik wie in…mehr

Produktbeschreibung
Warum man Freunde gewinnen muss – und was es kostet

Unsere sozialen Beziehungen werden in den nächsten Jahrzehnten einer großen Belastung ausgesetzt: Sie werden knapp werden wie ein kostbarer Rohstoff. Schon heute bewegen sie sich in Teilen des Landes auf ein historisch nie gekanntes Minimum zu. Als Ergebnis der unumstößlichen Schrumpfung unserer Gesellschaft und aufgrund vielfältiger Globalisierungseffekte wird es eine Reduzierung unserer kleinsten Welt, der unserer Freunde und Familien geben. Diese Revolution wird sich in allen Lebensbereichen Geltung verschaffen: in der Politik wie in der Kultur, in der Wissenschaft wie im Alltag.

Wer ist da, wenn niemand mehr da ist? Jeder hat gelernt, dass er für die Zukunft vorsorgen muss. Wir sollen sparen, Geld und Vorräte anlegen. Aber kann man eigentlich Kinder sparen, die man nie geboren hat? Zu den knappen Rohstoffen der Zukunft wird etwas gehören, das man nicht sparen kann: Verwandte, Freunde, Beziehungen, kurzum das, was man soziales Kapital nennt. In den kommenden Jahren wird sich unsere Lebensweise radikal verändern. In vielen Ländern Europas wird eine wachsende Zahl von Kindern in ihrer eigenen Generation wenige oder gar keine Blutsverwandte mehr haben. Künftig sehen sich ganze Landstriche, wie heute schon Teile Ostdeutschlands, mit einer Wanderungsbewegung junger Frauen konfrontiert; zurück bleiben Männer, deren Chancen, eine Partnerin zu finden, immer geringer werden.

Frank Schirrmacher zeigt, dass unsere Gesellschaften auf diese Entwertung ihres sozialen Kapitals nicht vorbereitet sind: Der Wohlfahrtsstaat zieht sich in einem Moment als großer Ernährer zurück, in dem sich das private Versorgungsnetz aus Freundschaft, Verwandtschaft und Familie auflöst. Kann es in diesem Umfeld Uneigennützigkeit und Altruismus, selbstlose Hilfe und Unterstützung für den anderen überhaupt noch geben? Der Zusammenbruch unserer sozialen Grundfesten zwingt uns, unser alltägliches Zusammenleben von Grund auf umzuorganisieren. Dabei werden Frauen eine alles entscheidende Rolle spielen.

Autorenporträt
Frank Schirrmacher, geboren 1959, Studium in Heidelberg und Cambridge, Promotion. Seit 1994 einer der Herausgeber der "FAZ". Dort auch zuständig für das Ressort Natur und Wissenschaft. Zahlreiche Fachpublikationen. Der Autor lebt in Frankfurt am Main. 2009 wurde Frank Schirrmacher mit dem "Ludwig-Börne-Preis" ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Dem Rezensenten Dieter Rulff nötigt es zwar Respekt ab, wie sich Frank Schirrmacher mit aller feuilletonistischen Kraft dem demografischen Trend entgegenzustemmen versucht, doch ist er nicht ganz vom Sinn des Unternehmens überzeugt. Einverstanden ist Rulff noch mit der Feststellung, dass Familien der Schlüssel der gesellschaftlichen Zukunftsfähigkeit sind, doch fragt er sich, ob Schirrmachers Ideal der "großen und lebenslangen, solidarischen und selbstversorgenden" Familien den Wirklichkeitstest besteht. Rulff selbst kommen da eher "Einmalgeschiedenzweikinderlebensabschnittspartnerschaften" in den Sinn. Auch dass weniger staatliche Fürsorge mehr Kinder gebiert, wie Schirrmacher Rulffs Angaben zufolge mit Blick auf die USA erklärt, findet Rulff - mit Blick auf Frankreich und Schweden - fraglich. Insgesamt meint Rulff, förderten zwar die "mit dickem Pinsel" gearbeiteten Thesen das Lesevergnügen, gehen aber erheblich auf Kosten der Überzeugungskraft.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2006

Die nie Geborenen zetteln keine Revolution an
Nur eins ist wirklich nötig angesichts der Minusgrade des Lebens - Frank Schirrmacher hat ein weltliches „Wachet-Auf”-Traktat geschrieben
Vor ein paar Jahren verbrachten wir einige Zeit in Rumänien. Unsere Gastgeber hatten rührend vorgesorgt und darauf geschaut, dass es vor allem dem Baby an nichts fehle. Ein Kinderwagen allerdings stand nicht bereit, nicht einmal irgendein altes Modell, das für die begrenzte Zeit seinen Dienst erfüllt hätte. Wir kauften für den Gegenwert von zwei Jahresrenten einer Witwe ein italienisches Fabrikat, und als wir es hatten und losfahren wollten, begriffen wir, warum unser Wunsch ins Leere gegangen war. Auf den Straßen von Bukarest wurden keine Kinder ausgeführt: Erstens weil man sich auf ihnen ohnehin nicht bewegen konnte. Die Bürgersteige waren zugeparkt und bestanden nur aus Löchern und nach Regenfällen aus Seen. Zweitens hatte Rumänien den stärksten Geburtenrückgang aller europäischen Länder nach der Wende zu verzeichnen. Von Ceausescu zu hohen Fertilitätsraten angetrieben und durch drakonische Strafen von der Abtreibung abgehalten, hatten die postsozialistischen Rumänen über Nacht die Position der Spitzenbrüter aufgegeben und sich als Minusvolk im westeuropäischen Stil neu etabliert.
Wenn aber keine Kinder auf den Straßen anzutreffen waren, so fiel eine andere Spezies auf. Das neue Rumänien hatte eine leibhafte Allegorie des Gebärverzichts hervorgebracht: sehr junge Landestöchter, noch unter Ceausescu geboren, Schampooschönheiten mit Endlosbeinen, denen ein weibliches Merkmal völlig abging: Hüften.
Die drei großen F
Es ist ein rezentes Phänomen, dass Demografie der Stoff von Geschichten wird - wie einst zu des seligen Reverend Malthus’ Zeiten. Ebenso neu ist die Verkündung der neuesten Geburtenstatistik, die schon fast so regelmäßig erfolgt wie die Bekanntgabe der Arbeitslosenzahlen. Frank Schirrmacher, Herausgeber der FAZ, bietet in seinem neuen Buch nur wenige, lieblos gemachte und schwer lesbare Diagramme, aber viele Geschichten. Geschichten für eine Welt, in der 0,8 Kinder fehlen, zum Beispiel im bundesrepublikanischen Durchschnitt - 1, 3 sind es, 2, 1 pro Paar müssten es sein, damit kein Geburtendefizit entsteht.
Es ist der Vorzug, ja der Auftrag dieses Buches, eine Zukunft fühlbar werden zu lassen, die in den offiziösen Verlautbarungen als eine Lücke aufscheint, die vielleicht nicht mehr gefüllt werden kann, der aber im Bild des Schrumpfens ein Gutteil ihrer Brisanz genommen wird. Wie Herwig Birg, der mit seinen Büchern „Die ausgefallene Generation” und „Die demographische Zeitenwende” vorausging, verweist Schirrmacher darauf, dass wir keine lineare Verkleinerung aller gesellschaftlichen Verhältnisse zu erwarten haben, sondern eine Zukunft, in der leidlich stabile Zustände umkippen und unterschiedlich verteilte Lasten auf die Generationen, die Geschlechter, die Regionen, die Statusgruppen warten.
Rumänien kommt bei Schirrmacher auch vor. Seine Geschichte vor der Revolution wird im Zusammenhang der Frage aufgerufen, wie wir die Rolle der Nichtgeborenen für eine Gesellschaft bewerten wollen. Ceausescu sei von denen gestürzt worden, so Schirrmacher, die seine Bevölkerungspolitik ins Leben gerufen habe, von den Jungen. „Die, die nie geboren wurden, zetteln keine Revolution an.” Man begreift ein wenig von der Verzweiflung, die den Autor zu diesem Exempel greifen lässt. Eine hohe Geburtenrate ist immer gut, auch wenn sie per Diktat herbeigeführt wurde, sie kann ja das Diktat per Gewalt wieder beseitigen. Von den langfristig negativen Konsequenzen für den rumänischen Bevölkerungshaushalt erfährt der Leser nichts. Die Theorie des Minimums ist eine Theorie des „Unum necessarium”, des „Nur eins ist wirklich nötig” (Lukas, 10, 42). Man könnte auch sagen, sie folgt den minimalistischen Ansprüchen der Figur „Hauptsache, dass”: Hauptsache, dass die Geburtenrate stimmt, Hauptsache, dass es Familien gibt, Hauptsache, dass Frauen sind wie Frauen.
Als habe er geahnt, was seine Nachfolger an steilen Thesen vorlegen würden, eröffnete Matthew Arnold 1869 die Reihe der säkularen „Wachet-Auf”-Traktate mit einer Warnung vor eben den Gefahren des „Unum necessarium”, das, wie er fand, der Komplexität der neuen Zeiten und seinem Ideal einer „runden” Kultur nicht gerecht würde. Zumindest dieser Appell von „Culture and Anarchy” (1869) verhallte ungehört. Die Liste der monokausalen Kulturpathologien wurde lang und länger. Nun heißt es wieder, wie schon im 19. Jahrhundert: It’s the demography, stupid!
Mit all den erwartbaren Widersprüchen, die derart eingeschränkte Sichtweisen produzieren. Die rumänische Geschichte unterstützt eine von Schirrmachers Hauptthesen nicht: „Kinder müssen Kinder erleben, um später Kinder zu wollen. Erwachsene müssen andere Erwachsene mit Kindern aufwachsen sehen, um Familien zu wollen.” Andere Einflussgrößen waren da offenbar stärker.
Im übrigen geht dieses Buch an einem „sozialen Kapital” merkwürdig schnöde vorbei: Selbst wenn Kinder zu Hause allein aufwachsen, die Gesellschaft sorgt dafür, dass sie in Kindergärten, Vorschulen und Schulen auf ihresgleichen treffen. Auch Vater Schirrmacher dürfte erfahren haben, wie schwer er gegen die Erziehung durch die Peer-Group ankam.
Er aber lässt nur die drei großen F zu: Fruchtbarkeit, Familie, Frauen. Das Thema Fruchtbarkeit ist für ihn entschieden. Die Ungeborenen der letzten drei Jahrzehnte macht keiner mehr lebendig. Die kleinen Veränderungen an der Stellschraube in Richtung mehr Kinder, die medienwirksame Losung „Neue Lust auf Familie”, alles was in irgendeiner Hinsicht Hoffnung machen könnte, ist für den postreformistischen Hardcore-Demografen irrelevant. Es geht nur darum, „künftige Ressourcenverteilungen vorauszusagen und auf sie vorzubereiten”. Es geht um das Überleben unter den Bedingungen des Minimums.
Der erste Hoffnungsträger ist die Familie als Garantin all „jener Handlungen, für die Eltern und Kinder kein Geld und keine Anerkennung bekommen, die so selbstverständlich sind, daß es keine Orden gibt und keine Sozialversicherung - Selbstverständlichkeiten, wie gesagt.” Was in und durch Familien sonst so bewirkt wird, vielleicht die Abtötung des Kinderwunsches oder gar die Abtötung von Kindern, weiß Schirrmacher, aber es kümmert ihn nicht. Luxus-Empfindlichkeiten. Hauptsache, dass noch jemand da ist, der einen reinlässt.
Ebenso überlebensnotwendig sind die Frauen. Sie gelten als Geschlecht der Zukunft, weil sie das Erbe der Evolution treuer verwalten als die Männer. „Alles, was einer schrumpfenden Gesellschaft fehlen wird - soziale Kompetenz, Einfühlung, Altruismus, Kooperation -, vereinen Frauen auf sich; da sind sich Evolutionspsychologie, Hirnforschung, Anthropologie und Psychologie einig.” Schön, jetzt müsste nur noch geklärt werden, warum sie in diesem einen kleinen Punkt (sich) versagen, dem Kinderkriegen.
Das ist eine Warum-Frage, die Schirrmacher nicht stellt, nicht stellen darf, denn die Natur fragt bekanntlich nicht warum. Mit einer Reihe von Bedingungsfaktoren geht Schirrmacher also entweder gar nicht oder sehr samtpfötig um. Religion kommt nicht vor, der zivilisatorische Prozess, den wir Moderne nennen, auch nicht, der Staat, der uns in den siebziger Jahren schwer getäuscht hat, als er uns eine „schicksallose” Zukunft versprach, wird mit Missachtung gestraft.
Die kapitalistische Wirtschaftsordnung, normalerweise ein Hauptverdächtiger, figuriert bei Schirrmacher als „Arbeit”: „Liebe begünstigt Geburten, Arbeit vereitelt sie.” Das ist die keuscheste Systemkritik seit langem. Aber Schirrmacher will sich „einfach” nicht mit „ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen” Erklärungen aufhalten. „Es handelt sich um fundamentale biologische Prozesse - das Fortpflanzungsverhalten steuert nicht nur die Urinstinkte aller Lebewesen, sondern auch die Evolution von Gemeinschaft, Gesellschaft und Kultur.” Und was steuert das Fortpflanzungsverhalten? Die Natur? Also nicht Ceausescu, die kinderlosen Soaps oder die kindfraulichen Rollenmodelle junger Frauen? Weil Schirrmacher die Warum-Fragen ausklammert, muss er Geschichte in jener grauen Zone ansiedeln, in der sie von Natur ununterscheidbar wird. Der passende geschichtsphilosophische Begriff dazu ist „Schicksal”.
Schirrmacher liebt diesen Begriff. Das „Unum necessarium”, der Grund der tragischen Zukunftssicht, ist die Biologie nebst den aus ihr ableitbaren statistischen und sozialpsychologischen Gesetzmäßigkeiten. Deswegen verbündet Schirrmacher sich mit den neuen Alleserklärern, den Neodarwinisten, ohne dass er in dieser Hinsicht eindeutig Farbe bekennen würde. Es gibt einen rührenden Text-Kasten, in dem der notwendige Tribut an Darwin entrichtet wird und von ihm bzw. seinen Nachfolgern eine Erklärung verlangt wird, warum „die Gesetze der Evolution” ausgerechnet in der Hauptsache Fortpflanzung versagen - ohne Ergebnis. (Wenige Seiten später wird dem Naturphänomen Fernsehen ein Gutteil der Schuld dafür zugeschoben, dass wir keine Kinder mehr wollen.)
Dies ist eine Entwicklung, die wir gerne genauer erklärt bekämen: Wieso der Neodarwinismus zur Leitwissenschaft aufrückt, in einer Epoche, da Wissenschaftler die These vertreten, dass die menschliche Spezies keinem evolutionärem Prozess mehr unterliege. Und wieso die gläubigsten Abnehmer dieser Lehre die gehobenen Frauenzeitschriften sind, die ihre pop-psychologischen Beiträge an eine Klientel richten, die für ihren aktiven Gebärstreik bekannt ist.
Angesichts der bald ausbrechenden „Minusgrade des Lebens” sind das zweitrangige Sorgen, gewiss aber auch dann, wenn jeder von uns im Jahr 2070 unter neun Milliarden Erdensingles herumfremdelt, hat er das Anrecht, auf die richtigen Fragen, seine Kondition betreffend, die angemessenen Antworten zu bekommen. Die demografische Zukunft wird vermutlich Schirrmacher gehören, aber es kann nicht sein, dass er in diese ohnehin schon schwierige Zukunft auch noch seinen Naturalismus mitnimmt.
Wer sind eigentlich „wir”, das Kollektiv, in dessen Name Schirrmacher diese Fragen verhandelt? Und wer wollen „wir” sein? Wenn es für die Demografen „30 Jahre nach 12 ist” (Birg), dann schlägt die Stunde der Bevölkerungspolitiker. Dazu sagt Schirrmacher auf zwei Seiten, dass sich „unsere” Gesellschaft auch darin versündigt hat, dass sie für eine Integration des „nichtdeutschen” Nachwuchses nicht genügend Sorge trägt. Das ist alles. Sein „Wir”, seine „Schicksalsgemeinschaft” ist also doch wohl ohne die von außen Kommenden gedacht.
Hinterlassungsfähiges
Das verwundert. Entgegen weit verbreiteter Annahmen sind wir in Sachen Einwanderung zumindest statistisch Spitze. Mark Steyns Pamphlet „It’s the demography, stupid” (im New Criterion vom Januar 2006), das auf das sensible Seher-Auge Schirrmachers passt wie die sprichwörtliche Faust, äußert sich zur Wir-Frage sehr viel deutlicher. Die „Selbstauslöschung” Westeuropas und damit „der Rassen, die im positiven wie im negativen die moderne Welt geschaffen haben” ist auch für ihn demografisch besiegelte Tatsache.
Aber was ist mit den Neubürgern, jenen 22 Millionen Immigranten mit muslimischem Hintergrund, die Europa nach dem Krieg aufgenommen hat? „Eurabia” ist eine Vorstellung, die Steyn anwidert. Und genauso wenig beruhigt ihn die Tatsache, dass die US-amerikanische Geburtsrate (2, 1) gerade mal so den Fortbestand sichert. Da sind zu viele nicht-weiße Ingredienzien im nationalen Gen-Pool. Es geht also nicht nur um Aussterben, sondern auch um die Gefahr der feindlichen Übernahme durch die Zeugungswilligen dieser Erde, die für Steyn in der islamischen und antidemokratischen Welt zu suchen sind.
Nun müssen ja nicht alle so wenig mit dem Nachlass einer großen Kultur anfangen können wie unsere germanischen Vorfahren seinerzeit mit dem Imperium Romanum. Aber Geschichte beiseite und verdeckten oder offenen Rassismus außen vor gelassen: Was die Gegenwart angeht, so haben wir überhaupt keinen Anlass, müde abzuwinken und zu sagen: Dann eben ohne uns. Zur positiven Bilanz gehören etwa sechs Jahrzehnte ohne Krieg und damit auch ohne entsprechende Vorratsproduktion von Söhnen, gehört eine sensible Abwägung des Kinderwunsches angesichts von Arbeitslosenzahlen, die noch ganz andere Umschwünge zur Folge haben könnten, gehört unendlich viel „Hinterlassungsfähiges”, wie Benn das nannte. Leider erfährt man davon bei Schirrmacher nichts. Die Minimum-Menschen lässt er mit ihrem bloßen Überlebenswunsch allein.
Es gab übrigens doch Kinder und Kinderwagen in Bukarest. Wir hatten sie nur an der falschen Stelle erwartet. Die Rumänen, am großen Vorbild Frankreichs orientiert, führten ihre Kinder nicht auf den Straßen, sondern zu festgesetzten Stunden in den Parks aus. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich das mal schreiben müsste, aber bitte: It’s a culture thing, stupid. WOLFGANG KEMP
FRANK SCHIRRMACHER: Minimum. Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft. Karl Blessing Verlag, München 2006. 192 Seiten, 16 Euro.
„Wir achten darauf, dass dieses Kind den richtigen Schulranzen bekommt . . . Und doch hat das Kind, das nun zehn Jahre alt ist, eine schier untragbare Last auf dem Rücken. Während es noch auf dem Schulweg ist, ist es bereits verschuldet.” (Frank Schirrmacher)
Foto: Dietmar Gust
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2006

FRANK SCHIRRMACHER, Mitherausgeber dieser Zeitung, hat ein Buch über den tiefgreifenden Umbruch unserer Gesellschaft geschrieben. Wir haben weniger Kinder, weniger Verwandte, und unsere Kinder haben weniger Freunde als in früheren Generationen. Diese Kinder werden in den Metropolen Familie nur noch als eine Ausnahmeerscheinung erleben. So verändert sich nicht nur das Leben des einzelnen radikal, sondern unsere Gesellschaft wird schleichend umprogrammiert; die Familie wird eine noch knappere Ressource sein, als sie es heute schon ist. Damit fällt eine Art Urversicherungsanstalt des Lebens aus, die in dem Augenblick um so lebenswichtiger wird, da sich der Wohlfahrtsstaat zurückzieht. In Zeiten, in denen das wertvollste Gut das soziale Kapital sein wird - wie werden wir neue Gemeinschaften bilden? (Frank Schirrmacher: "Minimum". Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft. Karl Blessing Verlag, München 2006. 185 S., geb., 16,- [Euro].)

F.A.Z.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Frank Schirrmacher - der Antreiber nationaler Großdebatten."