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In verführerisch sinnlicher Prosa stellt Amit Chaudhuri die schwierigen Beziehungen von Menschen dar, die in Ritualen gefangen sind, an die sie kaum mehr glauben. Ob er die wechselseitige Abhängigkeit von Lehrern und Schülern auslotet, dem sonderbar reservierten Wiedersehen zweier Freunde nach zwanzig Jahren nachspürt oder von den gemischten Gefühlen einer Frau am Vorabend ihrer zweiten Hochzeit erzählt - immer weisen Chaudhuris Erzählungen über typisch indische Verhaltensmuster hinaus auf universelle Themen.
Die Menschen in diesen Erzählungen fallen vielfältig gebrochenen Selbsttäuschungen
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Produktbeschreibung
In verführerisch sinnlicher Prosa stellt Amit Chaudhuri die schwierigen Beziehungen von Menschen dar, die in Ritualen gefangen sind, an die sie kaum mehr glauben. Ob er die wechselseitige Abhängigkeit von Lehrern und Schülern auslotet, dem sonderbar reservierten Wiedersehen zweier Freunde nach zwanzig Jahren nachspürt oder von den gemischten Gefühlen einer Frau am Vorabend ihrer zweiten Hochzeit erzählt - immer weisen Chaudhuris Erzählungen über typisch indische Verhaltensmuster hinaus auf universelle Themen.

Die Menschen in diesen Erzählungen fallen vielfältig gebrochenen Selbsttäuschungen zum Opfer. Oft ist es nur ein verlegenes Schweigen, ein kurzes Wegsehen, das dem Leser zeigt, wo die nie ganz verheilenden Wunden sind, welche Menschen einander zufügen. Da sind zum Beispiel zwei Freunde, die sich nach 20 Jahren erstmals wieder begegnen. Ihr Wiedersehen verläuft in großer Befangenheit. Zwar schwelgen sie in Erinnerungen an ihre Kindheit, als wären diese ein Buch, das sie vor kurzem gemeinsam gelesen haben. Und doch hängt zwischen ihnen wie Rauch etwas, das kaum greifbar ist, aber nicht verschwinden will. Fast beiläufig enthüllt der Erzähler das Geheimnis ihrer Verlegenheit.
Autorenporträt
Amit Chaudhuri wurde 1964 in Kalkutta geboren und wuchs in Bombay auf. Nach seinem Studium in Oxford arbeitete er als Literaturkritiker für namhafte englische Zeitungen und Zeitschriften. Seine Bücher wurden von der literarischen Presse begeistert aufgenommen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2005

Schön kühl bleiben
Temperaturfragen: Amit Chaudhuris Erzählungen

Es gibt Bücher, die haben eine gefühlte Temperatur. Meßtechnisch läßt sie sich nicht leicht bestimmen, doch durch einfache Lektüre kann man sie eindeutig erspüren. Bei Amit Chaudhuris Erzählungen liegt sie im kühl temperierten Plusbereich, nicht gerade frostig oder eisig kalt, doch deutlich unterhalb der Wärmezone, in der das Blut in Wallung, Schweiß zum Ausbruch oder gar hitzige Gefühle zum Ausdruck kommen könnten. Hier bleibt alles kontrolliert und streng gekühlt, was besonders deshalb so bemerkenswert erscheint, als diese Geschichten an tropisch heißen Orten spielen. Bombay und Kalkutta sind ihre Hauptschauplätze, doch ungeachtet aller Klappentextrhetorik, die der Verlag ihnen beigibt, ist ihnen jede schwül-warme Exotik gründlich ausgetrieben. Es sind fast sämtlich unspektakuläre Alltagsbegebenheiten aus der gehobenen, städtischen Mittelschicht, von denen sie erzählen, und diese Klientel verfügt zuverlässig über leistungsstarke Klimaanlagen.

Da sind, beispielsweise, jene beiden Jugendfreunde, die sich nach zwanzig Jahren wiedersehen. Man trifft sich im biederen Wohlstandsambiente, wo einer der beiden sich mittlerweile eingerichtet hat. Dort mustert man wechselseitig die Ehefrauen, trinkt Fanta, zeigt die frisch gebadeten Töchter vor und ergeht sich pflichtschuldig in den Erinnerungen an vergangene Zeiten, was jedoch kaum darüber hinweghelfen kann, daß man sich mittlerweile nichts mehr zu sagen hat. Und während der Small talk so dahinplätschert, erfahren wir fast beiläufig, was unter diesem Mantel der Normalität versteckt gehalten werden muß: die peinliche Erinnerung an flüchtige homoerotische Abenteuer, zwei Nächte nur, die man in jugendlicher Experimentierlust einst miteinander verbracht hat. Doch selbst diese Enthüllung kommt ganz unspektakulär daher und bleibt völlig folgenlos. "Reden, Schweigen" heißt diese Erzählung, und sie zeigt, wie in der Welt, in die wir hier Einblick erhalten, alle großen, womöglich existenzerschütternden Gefühle durch gepflegtes Gespräch zum Schweigen gebracht werden.

Das bietet gewiß nicht gerade mitreißende Lektüre und entfaltet doch, sofern man einen Sinn für Grauschattierungen entwickelt, einen ganz eigenen Reiz. Denn mit seiner Weigerung, das gängige Bild vom bunten Leben in Indien - heiß und wild und üppig sinnlich - ein weiteres Mal zu reproduzieren, hebt dieser Autor sich wohltuend aus der Schar derjenigen ab, die damit gerne westliche Erwartungen bedienen. Überhaupt ist das Bemerkenswerte an Chaudhuri, der 1962 in Kalkutta geboren wurde, in Bombay aufwuchs und 1991 in England literarisch debütierte, wie wenig er sich um Indien-Klischees oder Bollywood-Moden schert. Statt dessen begibt er sich auf abseitige Erkundungswege durch eine gediegene Mittelklassewelt, deren unterdrückte Dramen er aufmerksam protokolliert. So lesen wir von diversen Dinnerpartys, Geschäftsessen, Zusammenkünften zu Familienfesten und immer wieder von aufstrebenden jungen Literaten, die ganz in der Welt ihrer Lektüre aufgehen, derweil ein Dienstmädchen die Treppe wischt.

Dabei werden allerdings die eigentlich entscheidenden Ereignisse, um die die Handlung sich gruppiert, in den Erzählungen eher ausgespart, so daß wir oft nur deren Vorbereitung oder Vorgeschichte selbst verfolgen können. Wenn wir uns daher diesen Autor mal als Gastgeber einer Party vorstellen wollten, dann wirkt es, als empfinge er uns freundlich und zuvorkommend im Hausflur, biete Drinks an und geleite uns zur Tür des Wohnzimmers, aus dem schon vielversprechendes Geplauder zu vernehmen ist - und verschwinde dann diskret. Ob dies aus Scheu oder Takt, Hilflosigkeit oder Höflichkeit geschieht, bleibt uns zur Entscheidung überlassen. In der Titelgeschichte heißt es dazu: "Auf den Partys anderer Leute wurde man vermißt, auf der eigenen nicht; dort genoß man weniger Aufmerksamkeit als ein Kulissenarbeiter." Nur fragt man sich manchmal bei der Lektüre, warum die Kulissen hier überhaupt so kunstvoll arrangiert werden, wenn sich der Vorhang zum erwarteten großen Stück nie wirklich hebt.

Drastik und Dramatik jedenfalls bleiben sorgsam ausgespart. Mit sanfter Ironie läßt Chaudhuri statt dessen eine Erzählfigur notieren: "Wo unser Herz schlug, das war geheim oder enttäuschend oder befriedigend oder trivial, zu trivial, um es in Worte zu fassen oder zu einer Geschichte zu verarbeiten" - und bietet doch in seinem Werk genau, was hier vermißt wird. Fast unmerklich fügen sich die einzelnen Storys zu einem größeren Zusammenhang, in dem die wiederkehrenden Hoffnungen wie Enttäuschungen der Protagonisten, auch auf die Gefahr des Trivialen hin, behutsam in Worte gefaßt sind. Dabei stellt zwar die Eröffnungsgeschichte, "Porträt eines Künstler", sich gleich in eine große Tradition: Kalkutta, heißt es hier, sei zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts eine noch provinziellere Metropole, als Dublin es vor hundert Jahren war. Das ist gewiß kein Topos der Bescheidenheit, sondern der versuchten Überbietung und greift eindeutig zu hoch. Denn statt sie an James Joyces "Dubliners" zu messen, sollten wir Chaudhuris Städtebewohner besser nach der Qualität der Inneneinrichtung ihrer wohltemperierten Appartements beurteilen. Wer genau hinhört, kann das sanfte Surren der Marken-Kühlschränke als Grundton dieser Kurzgeschichten wohl vernehmen.

Amit Chaudhuri: "Betörungen und fromme Lügen". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Heller. Karl Blessing Verlag, München 2005. 253 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Einen ganz eigenen Reiz haben diese Erzählungen für Rezensent Tobias Döring entwickelt, für den die gefühlte Temperatur dieser Erzählungen "im kühl temperierten Plusbereich" liegt: "nicht gerade frostig oder eisig kalt, doch deutlich unterhalb der Wärmezone", in der das Blut in Wallung gerate. Alles bleibe in diesen Geschichten, deren Autor sich darin auf abseitige Erkundungswege durch eine gediegene indische Mittelklassenwelt bewege, ebenso kontrolliert wie distinguiert. Der Rezensent findet das auch deshalb bemerkenswert, weil Amit Chaudhuris Geschichten an tropisch heißen Orten wie Bombay oder Kalkutta spielen würden. Aufmerksam, mit Sinn für Grauschattierungen und sanfter Ironie protokolliere der 1962 geborene Autor auf Dinnerparties, Familientreffen, Geschäftsessen und in der Lebenswelt junger Literaten die unterdrückten "Dramen" der Mittelklassenwelt.

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