Marktplatzangebote
27 Angebote ab € 1,00 €
  • Gebundenes Buch

In einem kleinen Dorf in Uganda wächst Anfang der Siebzigerjahre der junge Mugezi bei seinem Großvater, dem Dorfältesten, und dessen Schwester, der Hebamme des Dorfes, auf. Für ihn die glücklichste Zeit seines Lebens, denn als Assistent der alten Frau wird er nicht nur mit den Gebräuchen der Geburtshilfe vertraut, sondern lernt bereits eine Menge über die Geheimnisse der körperlichen Liebe. Mugezis Vater Serenity und seine Mutter Nakkazi sind derweil mit den anderen Geschwistern in die Stadt gezogen. Sie führen eine Ehe, die schon von Anfang an unter keinem guten Stern stand - auch weil…mehr

Produktbeschreibung
In einem kleinen Dorf in Uganda wächst Anfang der Siebzigerjahre der junge Mugezi bei seinem Großvater, dem Dorfältesten, und dessen Schwester, der Hebamme des Dorfes, auf. Für ihn die glücklichste Zeit seines Lebens, denn als Assistent der alten Frau wird er nicht nur mit den Gebräuchen der Geburtshilfe vertraut, sondern lernt bereits eine Menge über die Geheimnisse der körperlichen Liebe. Mugezis Vater Serenity und seine Mutter Nakkazi sind derweil mit den anderen Geschwistern in die Stadt gezogen. Sie führen eine Ehe, die schon von Anfang an unter keinem guten Stern stand - auch weil Nakkazi, eine ehemalige Nonne, die das Kloster wegen ihres Hangs zur Gewalttätigkeit verlassen musste, nur in Ausnahmefällen für Sex zur Verfügung steht und deshalb den Spitznamen Hängeschloss trägt. Irgendwann sind auch für Mugezi die schönen Zeiten vorbei: Er muss zu seinen Eltern in die Stadt. Und das Leben in Kampala ist hart ... In den Wirren des Bürgerkrieges, der Uganda ins Chaos stürzt - und es zu der abyssalen Region, dem Land des Abgrunds, macht, das Serenity gerne Abessinien nennt -, verliert Mugezi schließlich fast alles, was ihm lieb war. Doch er hat gelernt, sich durchzuschlagen - und das kann er noch einmal unter Beweis stellen, als es ihn eines Tages, weg von seiner zerstörten Heimat, nach Amsterdam zieht ...
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2000

Jenseits von Abessinien
Beobachten und zuschlagen: Der gefeierte Erstlingsroman des afrikanischen Autors Moses Isegawa
Nichts liebt der Literaturbetrieb so sehr wie Schriftstellermärchen. Das Hauptmotiv ist dabei immer dasselbe: Der aus dem Nichts kam. Irgendwo, verloren in der großen weiten Welt und ganz auf sich gestellt, sitzt ein Unbekannter und bringt Worte zu Papier. Die neueste Version dieses Märchens stammt aus den Niederlanden. „Mein Gott, da ist doch in irgendeiner Wohnung in Beverwijk Weltliteratur geschrieben worden”, sagte der holländische Kritiker Anil Ramdas, der erste Gutachter dieses Buches, das damals noch den englischen Originaltitel „Abyssinian Chronicles” trug. Er gab damit die Linie für alle weiteren Interpretationen vor. Die holländischen Medien überschlugen sich und das Buch wurde – quasi in der Originalübersetzung – zu einem Riesenerfolg.
Der Autor, der 1963 in Kawempe in Uganda geborene Moses Isegawa sagte in einem Interview: „Erstmals seit der Entkolonialisierung wagen sich afrikanische Schriftsteller an universelle Themen. Wir haben gesehen, was den lateinamerikanischen Autoren in den Siebziger und den indischen Autoren in den Achtzigern gelungen ist. Gabriel García Márquez ist das große Vorbild. Die Bücher dieser Autoren waren dazu bestimmt, überall auf der Welt gelesen zu werden. Und jetzt betreten auch die Afrikaner die Bühne der Weltliteratur. Zum ersten Mal haben wir ein eigenes Gesicht. ”
Kein Zweifel: Da will einer hoch hinaus. Womöglich bis zur „Great African Novel”. Aber: Folgt da die Dritte Welt nur den Phantasien, die sich die Erste von ihr macht? Oder formuliert sich hier tatsächlich neues Selbstbewusstsein? Isegawas Roman wohnt ein ungebrochener Wille inne. „Ich will hier raus, ich will es schaffen, ich will”, sagt die „Abessinische Chronik” fast auf jeder Seite. Das Buch dient nicht nur als Mittel zur Befreiung – es erzählt selbst auch noch die Geschichte einer solchen.
Am 9. Oktober 1962 wurde Uganda unabhängig. Ein Jahr zuvor war der von der Mutter wegen ihrer christlichen Vorlieben so genannte Johannes Chrysostomus geboren worden, der allerdings nur Mugezi (der Intelligente) genannt wird. Die Geschichte dieses Ich-Erzählers und Helden verläuft dann parallel zu der Ugandas. Zum Beispiel: Am 25. Januar 1971 putschte sich Idi Amin an die Macht. Bei den Feiern an diesem Tag verbrennt Mugezis Großmutter, Geburtshelferin von Beruf, mit der er bis dahin in einer Art Paradies gelebt hatte. Mit ihr verbrennen Kindheit, Freiheit und Unschuld. Mugezi kommt in die Stadt zu seinen Eltern.
Die beiden Leitmotive des vor allem durch eine phantastische Überfülle an Anekdoten, Episoden und Eindrücken beeindruckenden Romans sind von da an Unterdrückung und Gewalt. „Die diktatorische Leitung des Gefängnisses betrachtete Gefangenschaft als höchste Form von Disziplin und Erziehung”, heißt es über das Familienleben. Die Atmosphäre entspricht tatsächlich der eines Gefängnishofs. Doch Isegawa bleibt nicht bei der allgegenwärtigen Gewalt und Unterdrückung stehen, er zeigt, wie das Kind aus ihnen zu lernen beginnt und vom Opfer zum Akteur wird. „Wer in einer Diktatur historisches Bewusstsein pflegen will, muss das allein tun”, sagt Mugezi über sein Zuhause. Er lernt die Kunst der Verstellung und subtile Formen der Rache, weil er beobachten lernt. Dieser Geist – beobachten, abwarten, zuschlagen – bleibt ihm; damit vollzieht sich eine Verwandlung vom Opfer zum Subjekt der Geschichte.
Offensichtlich ist dieser Weg, Hass produktiv werden zu lassen, auch der von Moses Isegawa selbst. Die Szenen, die das Elternhaus beschreiben, sind die besten des ganzen Buches. Sie wirken so authentisch, dass man sich wundert, wie empathisch zu Anfang die gehassten Eltern geschildert worden waren. Mugezi hat hier als Erzähler seine Lektion schon angewendet, er hat die Welt aus dem Blickwinkel der Eltern gesehen. Er hat sie dabei als vereinsamte Figuren gezeigt und Geschichte mit ihren Wiederholungen transparent gemacht. Mugezi selbst wählt sich in seiner Verlorenheit dann Idi Amin als imaginären Übervater, ohne den er das Elternhaus wohl nicht überlebt hätte.
Für den jungen Mann folgt ein Priesterseminar, für den Erwachsenen folgen Jobs als Lehrer, Schnapsbrenner und bei Säuberungsaktionen, daneben Liebe zu seiner Halbschwester, Zerstörung seines Heimatdorfes, der allgegenwärtige Tod durch Krieg und danach durch Aids. Für das Land folgen dem Sturz Amins, die nächste Diktatur, der Bürgerkrieg, und dann auch hier – Aids.
Mugezis geschärftes Bewusstsein bleibt wach, trotzdem wird das Buch hier schwächer. Die klaren, erzählerischen Linien, die Isegawa in die Jahre von 1950 bis 1980 gelegt hatte, finden sich jetzt nicht mehr. Gewalt folgt auf Gewalt, die Übersicht aber fehlt, das Buch droht sich in den Wirren zu verlieren, die es schildert. Erst gegen Ende findet Isegawa wieder die Balance zwischen erregender Erzählung und schillernder Bedeutung. Mugezi wird von drei Frauen vergewaltigt. Von da an taucht die Drei immer wieder auf, und die Frauen werden endgültig zum wechselnden, aber immer wiederkehrenden Fluchtpunkt im Leben von Vater und Sohn. Und drei Frauen sieht sein Vater Serenity im Tod: seine langjährige Geliebte und Schwester seiner Frau, seine tote Frau, versteckt unter einem Büffelkadaver, und eine geheimnisvolle Dame, die ihn von der Fixierung auf Frauen geheilt hatte. Damit hatte das Buch begonnen.
Die „Abessinische Chronik” könnte gut auch „Väter und Söhne” heißen. Außerdem ist das Buch eine Familien- und Dorfgeschichte, eine vielfältige Darstellung des Alltags in Uganda, eine afrikanische Sittengeschichte, eine Schilderung der Diktaturen und Bürgerkriegswirren von der Mitte des Jahrhunderts bis zum Ende der Achtziger Jahre, ein Kompendium afrikanischer Sichtweisen, Gewohnheiten und Vorlieben, ein Kaleidoskop von Phantasien, Phantasmen und Träumen. Vor allem aber ist das Buch ein echter Entwicklungsroman.
Am Ende hat Mugezi wie Isegawa selbst Uganda verlassen und ist nach Holland gegangen. Dort schreibt Isegawa ein Buch über Afrika. Seinen lange unverständlichen Titel hat Isegawa, lesen wir jetzt, von Serenity mitgebracht. Abessinien sei nicht das alte Äthiopien sondern das moderne Uganda, hatte der gesagt – im Englischen bedeutet Abyssinia auch das Land des Abgrunds.
Seinen Anspruch, den großen afrikanischen Roman zu schreiben, hat Isegawa mit dieser „Chronik des Abgrunds” teilweise eingelöst. Vielleicht aber hatte er beim Schreiben noch ein ganz anderes Vorbild. Sein Held erscheint zuweilen auch wie eine moderne Reinkarnation von Stendhals Julien Sorel aus „Rot und Schwarz”. Es ist der gleiche schlaue Ehrgeiz des Außenseiters, der hier am Werk ist, die gleiche aufmüpfige Gesinnung, die gleiche Fähigkeit des Beobachtens, die gleiche Energie, die vom Rand ins Zentrum führt, von unten nach oben. Und im Priesterseminar, das Mugezi wie Sorel besucht, wird der einzige Weiße unter all den Schwarzen wegen seiner Gesichtsfarbe „Rot” genannt. Vielleicht also bedient Isegawa mit seinem Roman westliche Erwartungen weit geschickter, als uns bewusst ist, vielleicht weiß er sie zu unterlaufen und für seine Zwecke zu nutzen. Wie man das lernt, hat sein Buch jedenfalls gezeigt: Die Kunst der Verstellung ist die Waffe der Machtlosen. Auch das ist eine Einsicht aus „Rot und Schwarz”.
PETER MICHALZIK
MOSES ISEGAWA: Abessinische Chronik. Roman. Aus dem Niederländischen von Barbara Heller. Karl Blessing Verlag, München 2000. 610 S. , 49,90 Mark.
Der niederländisch-afrikanische Autor Moses Isegawa
Foto: van Houts
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2001

Fleischeslust
Prächtig: Moses Isegawa stürzt in einen abessinischen Abgrund

Nicht "abessinische", sondern "abyssische" Chronik müßte dieser Roman eigentlich heißen. Denn Mugezi, der Erzähler, erklärt, sein Vater Serenity habe Uganda für einen "Abyss", einen Abgrund, gehalten, der Menschenleben verschlinge, deswegen sei Uganda das wahre Abyssinien, Abessinien. Der 1963 geborene Isegawa schildert in diesem Debüt die Geschichte Mugezis von der frühesten Kindheit in einem ugandischen Dorf bis zur Auswanderung nach Amsterdam. Ein afrikanischer Bildungsroman, könnte man meinen, wäre da nicht die überaus feine Ironie, mit der Isegawa seine Schilderungen vorträgt und die auch den späten Erfolg Mugezis in ein höchst zweideutiges Licht rückt. Der Ironiker tritt nur in den Hintergrund, wenn Isegawa die Greuel des Bürgerkrieges ausmalt, von dem das ostafrikanische Land heimgesucht wird - oder wenn er das Wüten der Aids-Epidemie beschreibt, der reihenweise Mugezis Onkel und Tanten zum Opfer fallen.

Aus einem anscheinend unerschöpflichen Füllhorn schüttelt Isegawa seine Episoden. Der Roman überzeugt nicht durch komplexe Konstruktion oder durch atemraubende Spannungsbögen, sondern durch seinen Reichtum an Anekdoten, durch die Kaskaden von Miniaturen - und den Willen seines Protagonisten, den tausend Wechselfällen des Lebens zu trotzen. Schon das Dorf im ostafrikanischen Busch als Schauplatz der Kindheit bietet viele Möglichkeiten zu mannigfaltigen Erlebnissen. So wird der junge Mugezi Gehilfe seiner Großmutter, die als Heilkundige und Hebamme in den Weilern unterwegs ist. Seine Bedeutung liegt weniger in praktischen Diensten als in einer Art magischer Präsenz: Die Gegenwart des Jünglings soll, mündlicher Überlieferung zufolge, die Geburt gesunder männlicher Nachkommen begünstigen. Männliche Nachkommen wiederum erhöhen das soziale Prestige der ugandischen Mütter. Straucheln könnte Mugezi auch im katholischen Seminar, in dem Neuankömmlinge einer von den Priestern geduldeten Tyrannei durch die älteren Schüler ausgesetzt sind. Hier mausert er sich zu einem kleinen Terroristen.

Isegawa verfügt über ein beeindruckendes Erzähltalent. Eine Herausforderung für die Lachmuskeln ist die Darstellung der Hochzeit von Serenity und Hängeschloß, der Eltern Mugezis. Wie die weitverzweigte Verwandtschaft sich im Dorf versammelt, wie die Festgemeinde sich einer wüsten Orgie des Fleisches hingibt und die Braut, eine verstoßene katholische Nonne, von Ekel vor all dieser heidnischen Fleischeslust ergriffen wird, wie in der Hochzeitsnacht, in der das Ritual der Entjungferung unter Anwesenheit einer Tante zelebriert werden soll, die Tante dem Bräutigam beispringt, weil dieser im entscheidenden Augenblick unter Potenzproblemen leidet, wie sich der Bräutigam in ebendiese hilfreiche Tante unsterblich verliebt, woraus seine lebenslängliche Beziehung zu einer Zweitfrau entspringt, wie sich die Spuren der nächtlichen Exzesse am folgenden Tag auf dem ganzen Gelände verstreut finden: das alles ist äußerst unterhaltsam erzählt. Aber Isegawa beschönigt auch nichts: Er schildert die ugandischen Verhältnisse, die kaum zu bezwingende Neigung zu Korruption und Nepotismus, die innerafrikanischen ethnischen Vorurteile, die systematischen Plünderungen und Vergewaltigungen ohne postkoloniale Schuldzuweisungen.

Mit bewundernswertem Improvisationstalent schmuggelt sich der Schelm durch die Fährnisse der "abessinischen" Steppe und ist am Ende - ein bißchen reifer, ein bißchen klüger, ein bißchen vermögender - unter allerlei Schwindeleien in Europa angelangt. Dank einer niederländischen Hilfsorganisation, die in Uganda mit ihrem pädophilen Image zu kämpfen hat, während sie in Europa mit zweifelhaften Methoden ihre Spenden eintreibt, dringt er bis nach Amsterdam vor und verabschiedet sich, als er alle Betrügereien durchschaut hat, auf nonchalante Art aus seinen Spendensammelkontrakten - und geht ein Verhältnis zu einer Weißen ein. Und so endet Mugezis Geschichte - leider, muß man sagen, denn der Leser hat unterwegs diesen ugandischen Fabulierer, diesen Märchenprinzen mit seiner blühenden Phantasie und seinem nicht totzukriegenden Humor längst liebgewonnen.

LORENZO RAVAGLI

Moses Isegawa: "Abessinische Chronik". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Heller. Verlag Karl Blessing, München 2000. 604 S., geb., 46,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Irene Binal ist der Ansicht, dass es dem Autor sehr gut gelungen sei, eine Brücke zwischen Europa und Afrika zu schlagen. Denn obwohl der soziale und kulturelle Rahmen dieses Romans - eine Mischung aus Autobiografie und Erfindung - ein afrikanischer sei, so mache doch der Autor deutlich, dass Gefühle und Reaktionen sich von europäischen bisweilen nur recht wenig unterscheiden. Die Stärke dieses Buches sieht die Rezensentin denn auch vor allem darin, dass Isegawa auch stets großen Wert darauf legt, die Ursachen für bestimmte Verhaltensweisen genau aufzuzeigen. Sie bedauert lediglich, dass der Autor die politische Situation in Uganda nicht kritisch hinterfragen mag. Dies ist dezidiert nicht sein Anspruch. Allerdings weist sie darauf hin, dass Isegawa beispielsweise durch die Beschreibung einer Frau, die der Guerilla nahe steht, denn doch - wenn auch indirekt - eine politische Verantwortung andeutet.

© Perlentaucher Medien GmbH