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Dieses Buch versammelt die Aussagen wichtigster Protagonisten und Lokalmatadore aus Kultur, Politik und Wirtschaft. Es entsteht ein sinnlich-plastisches West-Berlin-Porträt, wie es keine Stadtchronik liefern kann. West-Berlin - hochgezüchtet aus Trümmern, Camel-Zigaretten, Trockenkartoffeln und Notopfermarken, von der Blockade gestählt, von Adenauer verabscheut und vom Mauerkorsett gestützt. Olaf Leitner lässt die einstige Teilstadt wieder entstehen - mit ein paar Jahren davor und danach.

Produktbeschreibung
Dieses Buch versammelt die Aussagen wichtigster Protagonisten und Lokalmatadore aus Kultur, Politik und Wirtschaft. Es entsteht ein sinnlich-plastisches West-Berlin-Porträt, wie es keine Stadtchronik liefern kann. West-Berlin - hochgezüchtet aus Trümmern, Camel-Zigaretten, Trockenkartoffeln und Notopfermarken, von der Blockade gestählt, von Adenauer verabscheut und vom Mauerkorsett gestützt. Olaf Leitner lässt die einstige Teilstadt wieder entstehen - mit ein paar Jahren davor und danach.
Autorenporträt
Olaf Leitner, geboren im Zentrum Gesamt-Berlins, studierte Germanistik, Publizistik und Theaterwissenschaft, lernte Journalismus mit Bleisatz und Satzspiegel beim West-Berliner Telegraf, jobbte für den Stern und TV Hören und Sehen, kam zum RIAS und war da etliche Zeit Musikredakteur. Er schrieb u. a. Theater-, Buch- und Filmkritiken und lebt heute in Nordfriesland.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2002

Mischehen waren selten
Zwei Bücher über das versunkene West-Berlin · Von Michael Angele

Als vor zwei Jahren das Buch "Atlantis Westberlin" erschien, bekam man ein erstes Bild von den Zuständen im alten West-Berlin. Offenbar hatten in dieser versunkenen Stadt fast nur Studenten in höheren Semestern gelebt. Wenn sie aus dem Fenster ihres Zimmers sahen, blickten sie auf ein gegenüberliegendes Fenster oder auf eine Brandmauer. Viele arbeiteten in der Altenpflege, andere kamen über die Vermittlungsagentur TUSMA zu etwas Geld, das sie in der "Heinrich Heine"-Buchhandlung am Bahnhof Zoo sofort wieder ausgaben. Gelegentlich zogen sie zum Kontrollpunkt Dreilinden, hielten ein Pappschild in die Höhe, auf denen ein Ortsname stand, stiegen in ein fremdes Auto, verschwanden durch die Mauer und kamen früher oder später zurück.

Dank "West-Berlin! Westberlin! Berlin (West)!", einer Publikation, die in dieser Woche auf den Markt kommt, kann dieser erste Befund nun vertieft werden. Der Journalist Olaf Leitner hat achtzig mehr oder weniger prominente Zeugen befragt, die den Untergang des alten West-Berlins überlebt haben. Es stellt sich heraus, daß besagte langjährige Studenten vor allem Zugezogene aus Baden-Württemberg waren. Ihr erster Treffpunkt soll der "Leuchtturm" in der Crellestraße gewesen sein. Die Mehrheit verwandelte später Kreuzberg in ein Biotop. Der Rest wohnte am Savignyplatz. Obschon es so viele Studenten gegeben hat, ist kaum etwas über die wissenschaftliche Arbeit bekannt. Von den Studenten segregiert, gab es eine größere Gruppe Einheimischer, die aggressiv gewesen sein muß, aber dank eines strikten Waffenverbots kein Unheil anrichten konnte.

Sie hielt sich in der Nähe von Eckkneipen auf und lebte von der Hausmeisterei. Mischehen zwischen ihnen und Studenten waren selten. Immerhin sollen das "Spandauer Volksblatt", das lange als wichtigste Gegenstimme zur Springerpresse galt, und ein paar Sendungen des Rundfunks im amerikanischen Sektor (RIAS) aus diesen Ehen hervorgegangen sein. Von Verbindungen mit der großen Gruppe der türkischen Gastarbeiter weiß man nichts. Die deutschsprachige Bevölkerung war in RIAS- und SFB-Hörer geteilt, aber über die Sozialstruktur sagt das wenig aus.

Sicher ist, daß es ein Bürgertum nur in Rudimenten gegeben hat. Auch eine mondäne, stilbildende Gesellschaft existierte kaum. Geistige Führerschaft übernahmen die beiden Stadtmagazine. Mode wurde nicht gemacht. Um das Rad der Wirtschaft am Laufen zu halten, muß enorm viel Geld in die Stadt geflossen sein. Sie befand sich auf einer Insel, obschon sie in einem buchstäblichen Sinn nicht von Wasser umgeben war. Man weiß auch von ökonomischen Beschränkungen, die aus noch älterer Zeit herrührten. So erinnert sich ein Zeuge, daß nichts produziert werden durfte, was der militärischen Rüstung dienen konnte.

Zwar gab es ein Rathaus, ein unförmiger Bau, aber die wichtigen innerstädtischen Angelegenheiten wurden in kleinen Zirkeln besprochen. Häufig fällt in diesem Zusammenhang der Name Landowsky, vermutlich ein polnischer Emigrant. Eine große Rolle spielten auch die Amerikaner. Im Süden der Stadt existierten Einkaufsläden, die nur ihnen offen waren. Eine Gruppe von Künstlern, die sich "neue Wilde" nannten, soll die Stadt wiederholt mit New York verglichen haben, und Ende der achtziger Jahre besuchte Jack Nicholson unter Drogeneinfluß eine Vorführung im "Filmkunst 66". Für ihre Bewohner überraschend ging die Stadt dann am 9. November 1989 unter.

Obwohl die Hegemonialmacht der Studenten weiterhin nicht bestritten werden kann, schärft Olaf Leitners Buch den Blick für die Vielfalt der Milieus. Zwei Dinge verbinden die Gruppen jedoch. 1.) Verwandte, die auf Besuch kamen, wurden zu den Aussichtsplattformen an der Mauer geführt. 2.) Alle Bewohner fühlten die große Bedeutsamkeit ihrer Stadt, von der nur der kleinste Teil in der sichtbaren Welt lag. So sind sie eine Novität für den Historiker: Sie lebten in einem "Mythos". Es wird noch viele weitere Bücher über West-Berlin brauchen, um genau zu verstehen, was das heißt.

Herbert Beckmann, "Atlantis Westberlin. Eine Erinnerungsreise in eine versunkene Stadt". Berlin: Ch. Links, 2000, 215 S., 15,50 EUR. Olaf Leitner, "West-Berlin! Westberlin! Berlin (West)! Die Kultur - die Szene - die Politik. Erinnerungen an eine Teilstadt der 70er und 80er Jahre". Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2002, 544 S., 101 Abb., 22,90 EUR.

Morgen lesen Sie an dieser Stelle: "Plattenteller".

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Das in seiner Konzeption "dezidiert thesenfreie" Buch hat Moritz Müller-Wirth offenbar gut unterhalten. Zwar fehlt ihm ein "ordentliches Register" und ist ihm auch die "offensiv vertretene Arglosigkeit" manchmal etwas naiv vorgekommen, wenn in den hier vorgestellten Interviews beispielsweise nie recht nachgehakt werde. Aber alles in allem gefällt Müller-Wirth das Buch, das er als eine Art "Zoo-Führer" begreifen möchte, "Abteilung: bedrohte und ausgestorbene Arten". So richtig ins Volle gegriffen hat der Rezensent nicht, um uns etwas mehr zu vermitteln von den teils durchaus namhaften "80 Hauptakteuren". Aber vielleicht hat sowohl den Rezensenten wie womöglich auch schon den Autor vor ihm eine gewisse Müdigkeit beschlichen angesichts der Gesprächspartner, von denen mancher meinen könnte, schon genug Interviews mit ihnen gelesen zu haben, nicht zuletzt über Berlin vor und nach dem Mauerfall.

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