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Produktdetails
  • Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf
  • Seitenzahl: 273
  • Abmessung: 225mm x 250mm
  • Gewicht: 1478g
  • ISBN-13: 9783896023414
  • ISBN-10: 3896023411
  • Artikelnr.: 24188280
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2000

Sieben schlagkräftige Adjektive suchen eine Frau
Wer, wie, was und wo ist die Berlinerin? / Eine Fotoausstellung und ein Buch

Das stelle man sich einfach mal vor: Da kommt jemand am Abend nach Berlin, fährt mit dem Taxi zu seinem Hotel und tags darauf zur Ausstellung "Die Berlinerin", hat mit kaum jemandem gesprochen und schaut nicht aus dem Wagenfenster, weil er rasch noch in den Unterlagen zur Ausstellung blättern will, die er zufällig in die Finger bekommen hat. Ihnen entnimmt er unter anderem, daß die Berlinerin als "unerschrocken, respektlos und etwas spröde, manchmal als sentimental, oft als ironisch und gelegentlich als skurril" gilt und daß sie jetzt, da Berlin auf dem Weg sei, wieder eine Metropole zu werden, außerdem "urban" würde. Aha, denkt er sich, die Rede ist vermutlich von Nadja Auermann. Nun jedenfalls, im Erdgeschoß des Willy-Brandt-Hauses, soll er sie kennenlernen, diese Berlinerin. Von Angesicht zu Angesicht.

Aber es hängen knapp achtzig Bilder dort, die mehr als achtzig Frauen zeigen. Und knapp achtzig Bilder sagen weniger als ein einzelnes Substantiv, auch weniger als sieben schlagkräftige Adjektive. So überfällt den Besucher eine gewisse Ratlosigkeit in der Flucht der spitz aufeinander zulaufenden Wände des dreieckigen Saals.

Bemüht sucht er in der Schnittmenge der Motive nach gemeinsamen Charakteristika, findet aber nur den oft ein wenig ernsten Blick, der eher mit der Situation vor der Kamera als einem berlinbedingten Wesen dieser Damen zu tun haben dürfte. Die Berlinerin, denkt der Besucher deshalb vor den Fotos eines Mädchens im geblümten Kleid und einer halbnackten Installationskünstlerin in einer sonst leeren Badewanne, einer alten Würstchenverkäuferin in ihrer Bude und einer jungen Politikerin auf ihrem Bett voller Micky- und Diddl-Mäuse, die gibt es vermutlich gar nicht.

Später, bei der Lektüre des Katalogs und vielleicht schon auf dem Nachhauseweg wieder aus der Stadt hinaus freilich wird er lesen: "Wichtiger und angemessener als die schnelle, pointierte Verallgemeinerung scheint in diesem Fall die sensible, aufmerksame Beobachtung, die es dem Betrachter und Leser überläßt, seine Schlüsse zu ziehen." Da denkt sich der Besucher, er hätte lieber auf der Straße die Augen offenhalten sollen, als auf den Etikettenschwindel einer Bilderschau hereinzufallen.

Dorothea Melis, in den sechziger Jahren Redakteurin der Zeitschrift "Sibylle", später PR-Chefin des Modeunternehmens "Exquisit" und jetzt Kuratorin dieser Ausstellung sowie Herausgeberin des begleitenden Bildbands, ging es in Wirklichkeit gar nicht um eine Untersuchung von lokalem Interesse. Sie stellte Fragen, die älter sind als die Fotografie, sogar älter als Berlin, und ließ sie sich von Lichtbildnern sowie einigen Autoren beantworten. Sie lauten ungefähr so: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und welchen Beruf haben ausgerechnet Sie? Es sind Menschheitsfragen, weshalb die Ausstellung Menschheitsantworten gibt. Es ist eine wunderbare Ausstellung - und, der wesentlich größeren Zahl der Bilder wegen, ein noch schöneres Buch.

Dreizehn Fotografinnen und Fotografen, darunter Sibylle Bergemann und Barbara Klemm, Rudi Meisel und Jonas Maron, zeigen buchstäblich ihren engeren und weiteren Bekanntenkreis, auch ihr engeres und weiteres Umfeld. Daß den "Bekannten" mit der Bildserie von Ute Mahler ein eigenes Kapitel gewidmet ist, kann nicht überraschen. Mit Prominenten schmückt sich noch jede Stadt gern. Bei Ute Mahler reicht die Liste von Ulrike Folkerts und Regine Hildebrandt bis Corinna Harfouch und Christa Wolf. Und weil viele der "Schreibenden", der "Künstlerinnen", der "Selbstbewußten" sowie der "Engel in der Stadt", wie andere Bildfolgen überschrieben sind, kaum minder bekannt sind, könnte man einen Moment lang meinen, Berlin würde hier vor allem über seine Prominenz definiert. Doch dazu sind die Aufnahmen zu wenig glamourös, zu wenig spektakulär. Die Berühmten, so wird dem Betrachter nahegebracht, gehören einfach dazu, fügen sich wie nahtlos ein in die große Gruppe der namenlosen Passanten. Und vielleicht liegt ja gerade darin sogar eine Berliner Eigenart? In München stellte man sich einen solchen Ansatz schwieriger vor. Sonst aber war es den Fotografen vor allem darum zu tun, ein Frauenbild an der Wende von einem Jahrtausend zum anderen zusammenzusetzen, das andernorts in Deutschland kaum weniger gültig sein dürfte. "Zum Beispiel Berlin" wäre nicht der schlechteste Titel für Ausstellung und Buch gewesen.

Vor allem im Vergleich mit ähnlichen Arbeiten aus den siebziger und achtziger Jahren, etwa Sybille Mallmanns Porträtreigen "Nur die Sehnsucht bleibt" oder Eva Kroths Arbeit "Ansichten von Frauen"; wird ein Wandel gleichermaßen in der Darstellung wie der Selbstdarstellung deutlich. Nirgends käme es einem bei den aktuellen Bildern in den Sinn, daß hier Unsicherheiten hinter Masken, Posen und Accessoires versteckt würden; und nur in einem einzigen Fall stülpte eine Fotografin mit geblitzten Nahaufnahmen durchs Weitwinkelobjektiv ihre effektheischende, aber wenig aussagekräftige Bildsprache den Modellen gleichsam als gleichmacherische Verkleidung über.

Sonst herrschen Gelassenheit und Ruhe vor, nicht unbedingt Selbstzufriedenheit, fast immer hingegen Selbstsicherheit, die keineswegs nur im ernsten Blick Raum für Geheimnisse läßt - wie Nelly Rau-Häring belegt. Ihre Bilder sind pointierte Beobachtungen alltäglicher Szenen in Tanzsälen, in Parks und auf der Straße, wie en passant entstanden. Auf einem der Fotos lächelt eine nicht eben schlanke Türkin mit Kopftuch vor den Dauerwellenwerbeplakaten eines Friseurs spitzbübisch-wissend an der Kamera vorbei. Wie lauteten gleich die sieben schlagkräftigen Adjektive, versucht man sich da zu erinnern - und denkt, daß Nelly Rau-Häring sie doch noch gefunden hat: die Berlinerin.

FREDDY LANGER

Bis Ende Januar. Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße 28. Das Buch "Die Berlinerin", herausgegeben von Dorothea Melis, ist im Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen und kostet 49,80 Mark.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Es gebe zwar nicht die typische Berlinerin, meint Angelika Overath, aber es gebe die Berlinerinnen, die alle höchst unterschiedlich seien und doch irgendetwas gemeinsam hätten - was das ist, weiß Overath auch nicht genau, Nuancen meint sie, die man spüren würde, wenn man sich drei Berlinerinnen nebeneinander in einer römischen Pizzeria vorstellen würde. Die Herausgeberin, da ist sich Overath jedenfalls sicher, kann die Ost- von der Westberlinerin unterscheiden - Dorothea Melis war Redakteurin der DDR-Frauenzeitschrift "Sybille". Noch ein Merkmal ist Overath aufgefallen: die Berlinerin an sich hat gerne einen Hund an ihrer Seite. Zu entdecken ist die vielseitige Stadt-Frau, egal ob prominent oder anonym bleibend, in einem Band, der Fotos und Geschichten versammelt: von Schwarzweißbildern bis zur poppigen Farbfotografie, ergänzt von teilweise hinreißenden Geschichten, von denen Overath vor allem die von Jutta Voigt über ihre lebenshungrige Mutter besonders gefallen hat. Und am Ende weiß die Rezensentin dann doch , was die Berlinerin an sich auszeichnet: "ihr Eigensinn", der in diesem Band auf schönste Weise zur Geltung kommt.

© Perlentaucher Medien GmbH