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Produktdetails
  • Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf
  • Seitenzahl: 264
  • Abmessung: 225mm x 250mm
  • Gewicht: 1276g
  • ISBN-13: 9783896021830
  • ISBN-10: 3896021834
  • Artikelnr.: 24169848
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Frank Buschs Besprechung dieses Buches klingt ein bisschen nach Grabrede für ein Theater, das eigentlich noch ziemlich lebendig ist. Die schwarzweiß Bilder mit dem exotischen Ost-Flair inspirieren Busch dazu, noch einmal das Phänomen Volksbühne grundsätzlich zu erläutern. "Ein Feldzug von Romantikern” sei der Krieg, den die Volksbühne seit 1992 gegen "die Übernahme aller Westgewohnheiten” führe. Eingestreute Bildbeschreibungen und Zitatenschnipsel von Volksbühnenmachern und von ihnen favorisierten Autoren ergeben ein griffiges Bild dieses Buches, dessen Anhang mit dem vollständigen Verzeichnis "der über hundert Inszenierungen” besonders herausgehoben wird.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2000

Vergangene Tage
Jetzt als Album: Frank Castorfs Berliner "Volksbühne"

Die Fotos sind schwarzweiß, denn der Bildband ist "Castorfs Volksbühne" gewidmet. Schon die inszenierten Selbstbilder des Berliner Theaters spielen mit dem, was der Westen so exotisch an der DDR fand und was der Osten zunächst froh war, hinter sich zu lassen: auf zwei Seiten Ansichten des architektonischen Monumentalstils der 1954 wieder aufgebauten Volksbühne, hinter deren kühn geschwungenen grauen Fassaden der Putz bröckelt; einmal ein Auto der Marke Trabant, das unbekümmert auf dem Vorplatz des Theaters abgestellt war und im Zeichen der neuen Zeit auf einen Wagen des Abschleppdienstes gehievt wird; ein kleines Bild von einer Tänzerin auf einem stilisiertem Emblem von Hammer und Sichel und ein großes von den drei riesigen Lettern, die auf dem Dach das Wort "OST" leuchten lassen.

Der Fotograf Andreas Kämper hat die Neonbuchstaben von der Rückseite aufgenommen, so daß durch sie hindurch die Häuser Ost-Berlins sichtbar werden. Das Bild ist eine buchstäbliche Umsetzung des Bekenntnisses, das der Dramaturg Matthias Lilienthal zur Ästhetik der Volksbühne gibt: "Gegen die Übernahme aller westlichen Gewohnheiten wird der DDR-Kult gesetzt." Die DDR ist Kult an Castorfs Volksbühne, denn wenn man auch froh war, sie hinter sich gelassen zu haben, so hat sie doch Jahre des Lebens geprägt und eine Ironie ausgebildet, die nur versteht, wer dabeigewesen ist.

Um die Ironie zu begreifen, die in der Schwarzweißästhetik der "schönen Bilder vom häßlichen Leben" steckt, muß man die Situation kennen, aus der die Volksbühne entstanden ist. Nach dem Selbstverständnis des Chefdramaturgen "markiert dieses Theater die Bruchstelle zwischen Ost und West und hat Entwertung von allem, was in der DDR bestand (mit dem bloßen Argument, daß es zur DDR gehörte), einen ironischen Krieg erklärt." Der Krieg, der seit 1992 an der Volksbühne geführt wird, ist ein Feldzug von Romantikern: aus Sehnsucht nach einer besseren Welt werden Bilder aus der versunkenen Zeit zitiert. "Aus der Jagd nach Brot wurde die Schnäppchenjagd; so geht es aufwärts im Kapitalismus: Die Armut stieg vom Magen in den Kopf, aus Armut wurde Armseligkeit", kommentiert Frank Castorf die Bilder zu seiner Inszenierung von Hauptmanns Drama "Die Weber". Poetischer ausgedrückt klingt diese Sehnsucht bei Rainer Maria Rilke: "Aber der Reichen Tage sind vergangen, - und keiner wird sie dir zurückverlangen, / nur mach die Armen endlich wieder arm."

Ein Zitat von Rilke findet sich denn auch unter den Dichterworten von so unterschiedlichen Autoren wie Pasolini, Volker Braun und Ernst Jünger, die neben Aufsätzen sowie Textsplittern aus Rezensionen und Interviews den Bildern zur Seite gestellt sind. Das Ganze ist so vielfältig, widersprüchlich und - im übertragenen Sinne - bunt wie die Volksbühne selbst. Es entspricht der romantischen Liebe zum Fragmentarischen, Unfertigen, vielleicht auch zur mystischen Zahl sieben, daß das Buch nur die Jahre von 1992 bis 1999 widerspiegelt, während Castorfs Arbeit an der Volksbühne weitergeht. Trotzdem endet das Buch mit einem vollständigen Verzeichnis der über hundert Inszenierungen, die in diesen sieben Jahren an der Volksbühne herausgekommen sind. Danach hat Heiner Müller das letzte Wort mit einem Gruß, den er 1996 aus Kalifornien an die Volksbühne schickte: "Eure historische Leistung ist die Befreiung aus der programmierten Sinnschleife, in der die Stimme erstickt. Nach dem Einlaß in die Suppenküche des Kapitals: spuckt weiter in die Suppe."

FRANK BUSCH

Hans-Dieter Schütt und Kirsten Hehmeyer: "Castorfs Volksbühne. Schöne Bilder vom häßlichen Leben". Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 1999. 264 S., Abb., geb., 49,80 DM.

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