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»So habe ich mein ganzes Leben lang geschrieben«, sagt der legendäre Beatnik-Dichter Lawrence Ferlinghetti über »Little Boy«, den aufregenden Roman über sein Leben, das nun 100 Jahre umspannt. Er erinnert sich darin an die Trennung von seiner Mutter, an seine Kindheit bei einer Tante in Frankreich und wie er bei einer wohlhabenden, aber kaltherzigen Pflegefamilie in Bronxville aufwuchs. Zugleich fängt er in einem turbulenten Strom aus Gedanken und Assoziationen das magische Lebensgefühl seiner Generation ein. Im Kalifornien der fünfziger Jahre gründete Ferlinghetti, nachdem er in Paris…mehr

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Produktbeschreibung
»So habe ich mein ganzes Leben lang geschrieben«, sagt der legendäre Beatnik-Dichter Lawrence Ferlinghetti über »Little Boy«, den aufregenden Roman über sein Leben, das nun 100 Jahre umspannt. Er erinnert sich darin an die Trennung von seiner Mutter, an seine Kindheit bei einer Tante in Frankreich und wie er bei einer wohlhabenden, aber kaltherzigen Pflegefamilie in Bronxville aufwuchs. Zugleich fängt er in einem turbulenten Strom aus Gedanken und Assoziationen das magische Lebensgefühl seiner Generation ein. Im Kalifornien der fünfziger Jahre gründete Ferlinghetti, nachdem er in Paris studiert und den Zweiten Weltkrieg als Marinesoldat im Pazifik und den D-Day in der Normandie miterlebt hatte, den Buchladen und Verlag City Lights, wo Ginsbergs »Howl« erschien und Kerouac und Burroughs ein und aus gingen. So wild, wie der Beat in Musik und Literatur tobte, so temperamentvoll und leidenschaftlich lässt Ferlinghetti den Anbruch der Hippiebewegung wieder lebendig werden, empört sich, mischt sich ein, klagt an - und beschwört die Kunst als politischen Protest.
Autorenporträt
Ferlinghetti, Lawrence§Lawrence Ferlinghetti wurde 1919 in Yonkers geboren. Als Dichter, Maler, Aktivist und Verlagsgründer gehört er der Beatbewegung an. Sein Gedichtband »A Coney Island of the Mind« (1958) ist in den USA bis heute ein Bestseller und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ferlinghetti erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen und verweigerte zuletzt aus Protest gegen die Politik Viktor Orbáns den Preis des ungarischen PEN Club. Er starb im Februar 2021 im Alter von 101 Jahren in San Francisco.

Winkler, Ron§Ron Winkler, geboren 1973 in Jena, lebt in Berlin. Von ihm erschienen bisher fünf Gedichtbände, zuletzt »Karten aus Gebieten« (2017). Herausgeber verschiedener Anthologien, darunter »Schneegedichte« (2011). Für seine Texte erhielt er den Leonce-und-Lena-Preis, den Mondseer Lyrikpreis, den Lyrikpreis München und den Basler Lyrikpreis. Zu seinen Übersetzungen zählen ausgewählte Gedichte von Billy Collins und ein Roman von Forrest Gander sowie »Little Boy« von Lawrence Ferlinghetti. 2020 ist er Stadtschreiber zu Rheinsberg.
Rezensionen
"Eine Legende: einer der bekanntesten und einflussreichsten Dichter der USA."
New York Times

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2019

Der Junge muss an die frische Luft

Lawrence Ferlinghetti, der 99 Jahre alte Beat-Dichter, betrachtet sich selbst als "Little Boy". Sein lyrischer Lebensroman mutiert zur Weltgeschichte.

Von Jan Wiele

Wenn man den Begriff "Memoir" hört, kann einem inzwischen leicht übel werden, so überstrapaziert ist er, Knausgård hin, Eribon oder Ernaux her, und auch in Deutschland sind viele hingerissen von dem Trend, mit dem sich manche langweilige biographische Aufzählung plötzlich als höhere Literatur ausgeben lässt. Da ist es auf den ersten Blick schon einmal erfreulich, dass die als "Roman" verkauften Memoiren des amerikanischen Beat-Dichters Lawrence Ferlinghetti nicht achthundert oder mehrere tausend Seiten füllen, sondern nur knapp zweihundert. Die haben es dafür in sich.

Ferlinghetti, geboren 1919 in New York, beginnt tatsächlich mit einer fast konventionellen Lebenserzählung, allerdings mit keiner angenehmen. "Little Boy war nah am Nichts. Er hatte keine Ahnung, wer er war oder woher er stammte. Er lebte bei Tante Emilie, die er sehr liebte." So geht das ein paar Seiten lang und wird zu einem mit Namen und Familiengeschichte so vollgestopften Dossier bis zum Erwachsenwerden, dass man darin bald den Überblick verliert und auch fast nicht mehr glaubt, hier ein Ferlinghetti-Werk vor sich zu haben. Genau in diesem Moment explodiert der Text.

Es ist eine hübsche Entsprechung zwischen Inhalt und Form: Little Boy, nunmehr zum "Grown Boy" gereift, "fand seine eigene Stimme", heißt es dort, und ab diesem Punkt ist der Rest des Buches verfasst wie eines der Gedichte, die man von Ferlinghetti oder anderen Beat-Poeten wie Allen Ginsberg kennt: als Suada (wenn auch hier wie Prosa gesetzt), als nicht abreißender Bewusstseinsstrom, der alles vermischt von Lebens- bis zur Literatur- und Weltgeschichte und in dem eine Fülle von Bildern, Zitaten, Verweisen treibt oder mitgerissen wird.

Mit dem Beginn der Suada ist auch jegliche Chronologie aufgehoben, es geht nunmehr ohne Punkt und Komma quer durch die Jahrhunderte. Mal kommt man in der Antike, mal in der Moderne heraus, aber ohnehin scheint Ferlinghetti ein Anhänger jenes poetischen Entgrenzungsprogramms zu sein, das Arno Holz 1899 in seinem "Phantasus" entfaltete: "Da so in Hinterindien rum muss ich schon mal irgendwie gelebt haben", hieß es dort, und nun liest man: "ich war mit Noah in der Arche ich war als Rom erbaut wurde in Indien ich war neben dem Esel in der Krippe ich sah in Luna Park wie Laughing Woman bei starkem Regen außerhalb von ihrem Fun House unvermindert lachte".

Die amerikanische Konsumgesellschaft in ihrer Kirmeshaftigkeit ist oft Fluchtpunkt und Zielscheibe des lyrischen Ichs, das in dieser Betrachtungsweise selbst schon lange Tradition hat. "A Coney Island of the Mind" heißt ein berühmter, in Amerika vielgelesener Gedichtband Ferlinghettis von 1958. Da Coney Island bekannt ist für Jahrmarkt, Karussells und Geisterbahnen, kann man die Metapher vielleicht so verstehen, wie wenn ein Italiener von der Welt als grande casino spricht.

Ganz sicher betrachtet Ferlinghetti sie auch heute noch als solche, und es erscheint fast unglaublich, dass der demnächst Hundertjährige immer noch munter dabei ist, ihre neuesten Absurditäten mit dem Furor des Achtundsechzigers, ach was, des Achtundvierzigers in ein Beat-Geheul zu verwandeln, denn bereits 1948 an der Sorbonne sah sich Ferlinghetti in Paris in einer Bewegung. Mit dem Seesack über der Schulter, wie es im Buch heißt, kam er dort in den verschneiten Tuilerien an, und es begann eine Art lyrische Ekstase, die offenbar noch immer anhält: "Rimbaud war ich und Apollinaire war ich und Baudelaire war ich und Villon war ich und ich war alle durchgeknallten streunenden zerlumpten Dichter zusammengerollt in einen Schlaf unter den Brücken dieser Welt."

Was Intertextualität in der Moderne bedeutet, bekommt man vielleicht an keinem Werk so deutlich zu fassen wie an Ferlinghettis: Bald jede zweite Zeile ist bei ihm eine, manchmal auch kalauernde, Wiederaufnahme und Verarbeitung des Bestehenden, das allerdings bei weitem nicht nur französische Schultern hat. Die noch größeren Hausheiligen, die immer wieder genannt werden, sind hier vor allem "Old Walt und Old Ez", nämlich Walt Whitman und Ezra Pound, ferner "Jimmy Joyce und Tea Ass Eliot".

Von des Letzteren Welt-Abgesang "The Waste Land" hat auch "Little Boy" vieles sich einverleibt, das Leben ist für ihn, mit den schönen Worten des Übersetzers Ron Winkler, eine Mischung aus "Wimmernummer" und "Jammerprotokoll". Winkler hat viel zu tun bei der Übertragung der Hauptwortketten Ferlinghettis und seiner traumhaft verdichteten Gedankenbilder, muss dafür sprachschöpferisch werden, um "Hipsterstricher" oder "Blödbürgertum" zu erzeugen.

Dass Ferlinghetti insbesondere die heutige Jugend für blöd hält, daraus macht er kein Hehl. Sein lyrisches Ich, seit jeher ein großer Café-Gänger, sieht mit tiefem Befremden, wie die Fixierung auf elektronische Geräte aus sozialen Wesen asoziale macht. Bei der Beobachtung eines "Jungspundes mit seinem Laptop, beide Ohren von Kopfhörern plombiert", der auf Fragen nicht reagiert, entsteht eine amüsante Phantasie: "Hat er nichts gehört? Ist dieser Körper noch am Leben? Ich bin alarmiert. Ich wähle 911. Nach einer Weile kommt ein Polizeiauto und er wird verhaftet wegen ,Nichtteilnahme an der Menschheit'." So etwas wird Lawrence Ferlinghetti niemals passieren, er nimmt noch sehr aktiv an ihr teil und sähe gern abgewendet, dass "Moloch Mammon gänzlich übernehmen und der Jugendaufstand der Sechziger begraben" wird. "Trauernd schaue ich auf unsere Welt des 21. Jahrhunderts", heißt es an anderer Stelle. Dass er immer noch da ist, um auf seine charakteristische Weise gegen Google, gegen "semiliterate Medien" oder den drohenden "Autogeddon", also unser aller Ersticken an Abgasen, aufzubegehren, ist ein Glück.

Lawrence Ferlinghetti: "Little Boy". Roman.

Aus dem Englischen von Ron Winkler. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2019. 214 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.03.2019

Einer ist
noch da
Zu seinem hundertsten
Geburtstag hat sich
Lawrence Ferlinghetti
selbst einen autobiografischen
Roman geschenkt
VON WILLI WINKLER
So berühmt ist er, dass ihn Bob Dylan in San Francisco auf die Bühne holte, 1976, beim legendären Abschiedskonzert von The Band an Thanksgiving. Lawrence Ferlinghetti erschien mit Charlie-Chaplin-Melone und im Arbeiterhemd, der common man persönlich, sagte ein blasphemisches Vaterunser auf, bei dem das Publikum nicht recht wusste, was es davon halten sollte, und schon verschwand der Dichter wieder im Bühnendunkel.
Aber er ist nie verschwunden, er war immer da, eine echte Jahrhundertfigur, und hat inzwischen selbst den Kollegen George Whitman überrundet, den Inhaber der Pariser Buchhandlung Shakespeare & Co. So ist er zum Stammvater der Moderne geworden: Als Allen Ginsberg 1955 zum ersten Mal aus „Howl“ las, als der weinbefeuerte Orpheus die neuen amerikanischen Urworte erfand („I saw the best minds of my generation destroyed by madness“), schickte ihm Ferlinghetti ein sorgfältig formuliertes Telegramm, ein Zitat, das noch einmal Literaturgeschichte machen sollte. „Ich grüße Dich am Beginn einer großen Laufbahn“, schrieb er und verlangte gleich das Manuskript. Das Buch erschien in seinem City-Lights-Verlag, Ferlinghetti wurde verhaftet, es folgte einer dieser legendären Prozesse wegen Obszönität (das demotische Wort „fuck“ hatte in „Howl“ Verwendung gefunden, und eine vorwiegend homosexuelle Verkehrsmethode wurde ekstatisch besungen), aber dann siegte die Kunstfreiheit. Der Richter erkannte die „heilbringende gesellschaftliche Relevanz“ von „Howl“, doch bis heute kann dieses Langgedicht in keinem amerikanischen Sender ohne rhetorischen Pariser vorgetragen werden.
Ohne selber einer zu sein, wurde Ferlinghetti der wichtigste Propagandist der Beats und blieb dabei ein pflichtbewusster Geschäftsmann, der pünktlich zum Abendessen nach Hause kam, keine Drogen brauchte und sogar William Burroughs’ „Naked Lunch“ ablehnte, weil es ihm zu anarchistisch, zu wirr, zu verdrogt war.
Ferlinghetti steckte Jack Kerouac in seine eigene Hütte in Big Sur, aber nicht, damit er endlich loskam vom Saufen, sondern um ein weiteres seiner heilig-nüchternen Bücher zu schreiben; „Big Sur“ entstand in zehn Nächten auf Benzedrin, Alkohol gab es erst danach wieder. Paul Bowles, Charles Bukowski, James Purdy, Sam Shepard hat er verlegt, eine ganze alexandrinische Bibliothek der amerikanischen Neuzeit ist da in sechzig Jahren zusammengekommen. Sogar Brecht hat er herausgebracht, den Sohn Stefan Brecht, Erotisches, aber auch Elegisch-Unbrechtisches, amerikanisch fast: „Ich war glücklich, scheint es, wenn ich meine Zeit/ unversehens verlor, wartend oder schaukelnd,/ in Bewegung ruhend“.
Ferlinghetti hat tatsächlich erlebt, wie die best minds seiner Generation kaputtgingen: Neal Cassady verreckte 1968 elendiglich, Kerouac platzte im Jahr darauf die Leber, Richard Brautigan erschoss sich 1984. Burroughs und Ginsberg hielten bis 1997 durch, Gregory Corso, Lucien Carr, Dennis Hopper, die ganzen modernen Heiligen, alle, alle sind sie tot. Nur ihr Meisterschüler Bob Dylan ist noch da.
Und Lawrence Ferlinghetti.
Die großen Namen haben den seinen oft verdeckt, dabei ist Ferlinghetti selber einer der erfolgreichsten Dichter Amerikas. Sein Band „Coney Island of the Mind“ (eine Art „Zirkus der Seele“) hat sich seit 1958 mehr als eine Million Mal verkauft. In Julio Cortázars „Rayuela“ schreibt der avantgardistische Schriftsteller Morelli „mit roter Tinte und sichtlichem Vergnügen“ die letzten Zeilen aus der zehnten Stanze ab. Es ist ein verrücktes, dabei ganz selbstverständliches, nämlich ausschließlich ästhetisches Manifest: „Yet I have slept with beauty / in my own weird way / and I have made a hungry scene or two / with beauty in my bed / and so spilled out another poem or two / and so spilled out another poem or two / upon the Bosch-like world“. (Und doch hab ich auf meine krumme Art mit der Schönheit geschlafen / hab ein, zwei wilde Szenen gemacht / der Schönheit in meinem Bett / und so ein, zwei Gedichte rausgestoßen / ein, zwei Gedichte rausgestoßen / in diese Welt von Hieronymus Bosch)
Ein paar mehr waren es doch. Wie jeder Dichter seit Goethe hat Ferlinghetti viel zu viele Gedichte geschrieben, sie flossen ihm nur so aus der Feder, free verse, das kommt vom lebenslangen Lotterbett. Er konnte es sich sogar leisten, mit 97 noch einmal zu debütieren. Da hat er erotische Gedichte unter dem Pseudonym Lorenzo Chiera veröffentlicht und sie als seine Übersetzung eines naturgemäß völlig unbekannten Poeten aus dem 14. Jahrhundert ausgegeben.
„Und Liebe was ist Liebe / und Herz was ist Herz“, tiriliert er mit Minnesangs Frühlingsgefühl bereits in seinem ersten Gedichtband, „wenn wir nicht denken, dass sie existieren / Die abgefallene Blüte wird’s uns nicht sagen / mag sie auch geformt sein wie ein Herz / kopfunter und spröde wie ein Blatt“. Ein Dichter sollte keine Gedichte, sondern lebendige Zeitungen fabrizieren, hat er verkündet, sollte „ein Reporter aus dem All sein, seine Berichte an einen obersten Chef vom Dienst schicken, der an völlige Ehrlichkeit glaubt und dem man nicht mit irgendeinem Blödsinn kommen kann“.
Das reportierende Dichten ist ihm immer leichtgefallen, alles kann ihn zum Vers reizen. Ferlinghetti verzaubert sich die rohe Welt, indem er sie fromm besingt. Schläft ein Lied, so weckt er es: „Die Welt ist ein wunderschöner Ort/um hineingeboren zu werden/wenn man nichts dagegen hat, dass Glück/nicht immer so arg viel Spaß macht“.
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist ihr schon in die Falle gegangen. So in dem ewigen Traum, dass von irgendwo die unbekannte Geliebte erscheine, ein einziges haltloses Versprechen: „Wow I says / Only the next day / she has bad teeth / and really hates / poetry“. Denn darum geht es doch, Poesie zur Rettung der Welt. (Sie braucht es.)
Zum hundertsten Geburtstag hat sich Ferlinghetti ein Buch geschenkt, „Little Boy“, das trotz des Titels alles Mögliche ist, nur keine Autobiografie. Die Kindheit wird immerhin angedeutet, in New York geboren, aber Kinderjahre in Straßburg und Paris mit französischer Gouvernante. Der Vater vor der Geburt gestorben, die Mutter krank, er selber im Waisenhaus, später im Internat oder bei der wenig verlässlichen Tante Emilie: „Sie trug Glockenhüte und das Haar so kurz wie Louise Brooks und immer das gleiche elegante Kleid im Stil der Zwanziger, mit tiefem Dekolleté und langer Perlenkette und immer Kölnisch-Wasser-Duft verströmend.“
Ein von Anbeginn beschädigtes Leben, sollte man denken, doch fehlt dem Autor die Geduld, sich in die literarisch vertraute Südstaatenkindheit zu versenken, die Geschichte mit dem holländischen Chauffeur, dem irischen Dienstmädchen, abwesenden Eltern und Geschwistern.
Nie sei er ein Rebell gewesen, schreibt er, sondern Teil der Generation, die in den Zweiten Weltkrieg eintrat und Hitler besiegte. Sie ist sonst verschwunden, diese Generation von Kennedy, von Brandt, Strauß und Schmidt, auch sie alle gestorben. Ferlinghetti war dabei in der Normandie, dann in Nagasaki, wo er die „Landschaften der Hölle“ sah und Pazifist wurde. („Little Boy“ war auch der Codename der Atombombe, die auf Hiroshima niederging.) Nach einem Sorbonne-Studium ging er nicht zurück nach New York, sondern ans andere Ende des Kontinents, nach San Francisco, fragte sich dort wie ein Tourist nach dem Boheme-Viertel durch, stieg bei einem Taschenbuchladen ein, der City Lights hieß und mit seinem angeschlossenen Verlag zum Inbegriff moderner amerikanischer Literatur wurde.
Den Laden gibt es bis heute, denkmalgeschützt das ganze Haus. Als Relikt aus uralten Zeiten hat auch er sich hier festgekrallt, während die Immobilien um ihn herum Mondpreise erzielen und nächstes Jahr schon das Doppelte kosten, weil der Buchmarkt schrumpft und die Tech-Industrie immer weiter brummt.
„Und so sitze ich im Caffe Trieste in San Francisco wo sich nichts je ändert Dekade für Dekade ändern die Gesichter sich aber es sind dieselben der Bevölkerung der Welt entnommenen Charaktere und ich bin dort mit meinem fortwährenden Gefährten meinem einsamen Ich und der einzige Plot in diesem Buch von meinem Leben ist mein fortwährendes Altern (…)“. Es ist der gute alte stream of consciousness, anspielungsüberreich wie beim mittleren Saul Bellow, und nebenbei muss die Weltliteratur von Plato über Dante und Cervantes abgehandelt werden. Kein Einschlafen also ohne Proust, kein melancholischer Moment ohne Tschechow, kein Schweigen ohne Shakespeare und Beckett.
Es fehlt nicht an Kürzestcharakterisierungen der Dichter, die alle viel berühmter wurden als er. Burroughs: „Er war da und zugleich nicht da sogar wenn er im City Lights Bookstore signierte der originalgetreue Schwindler.“ Ginsburg: „Ginzy hatte eine Schwäche für Heteros wollte sie immer konvertieren.“ (Die Übersetzung von Ron Winkler ist nicht immer gelungen.) Er ist nicht bloß ein anderer, sondern ganz viele: „Rimbaud und Apollinaire war ich und Baudelaire war ich und Villon war ich und ich war alle durchgeknallten streunenden zerlumpten Dichter (…)“.
Wenn er auftaucht aus dieser ozeanisch-kindlichen Formlosigkeit, kann er nur Ironie bemühen: „aber ich hab die Story noch gar nicht wirklich auf Touren bringen können“. Die Rezension dazu hat er sich schon vor Jahrzehnten selber geschrieben: „Und mein Buch ist voll / von Blättern und Blüten gepflückt / bevor sie zerfielen/und sie sind geädert und welk / wie das Herz“.
Als Dichter, so hat es dieser poetische Reporter immer wieder gesagt, könnte ihm nichts ferner sein als die sogenannte Wirklichkeit. „Im Süßigkeitenladen hinter der Hochbahn / verliebte ich mich / zum ersten Mal / in die Unwirklichkeit“, beginnt eins der frühen Gedichte. Der Zauber der süßen, bunten Sachen, dazu eine Katze, die da herumstrolcht, herbstzeitlose Gedanken: „Ein Mädchen kam hereingelaufen / regennass die Haare / die Brüste atemlos in dem kleinen Raum / Draußen fielen die Blätter zu Boden / und schrien / Zu früh! Zu früh!“ Zu früh ist jedenfalls nicht zu spät. Ferlinghetti findet die beste Rechtfertigung für ein langes Leben, seit Bismarck die Rentenversicherung eingeführt hat: „Also kehre ich zurück zum Monolog über mein Leben als nicht enden wollender Roman weil ich schlicht nicht weiß wie man ein Leben abschließt.“ Es ist doch kein geringer Trost, dass einer der Helden so lang lebt, sich nicht tot fährt, nicht mit Aids ansteckt, nicht im Katholizismus oder im Alkohol versinkt und nie seinen Hass auf den Kapitalismus verlernt. Deshalb ist ihm zuletzt auch zu Donald Trump noch ein Gedicht eingefallen, das er für eine jüngere Generation auf Youtube vorträgt: Die Gloriole der Freiheitsstatue hat er sich dafür aufgesetzt, klagt, dass vom Weißen Haus ein neuer räuberischer Kapitalismus ausgehe, der verlangt: „Unterwirf dich, common man, unterwirf dich!“
Wer immer sich unterwirft, Ferlinghetti ist es gewiss nicht, und wahrscheinlich würde er sofort wieder ins Gefängnis gehen, für die Literatur, für seine Gedichte, für Amerika. Reich ist er damit nicht geworden, aber wo steht, dass Gedichte Geld bringen müssen? „Yet I have slept with beauty / in my own weird way (…)“, mit der Schönheit schlafen – mehr kann man im Leben nicht erreichen. Am Sonntag wird Lawrence Ferlinghetti, dieser unermüdliche Minnesänger des Lebens, zum ersten Mal hundert Jahre alt.
Lawrence Ferlinghetti: Little Boy. Roman. Aus dem Englischen von Ron Winkler. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2019. 216 Seiten, 20 Euro.
Die Welt ist ein
wunderschöner Ort
um hineingeboren
zu werden wenn man
nichts dagegen hat,
dass Glück nicht
immer so arg viel
Spaß macht“
Denn darum geht es
doch, Poesie zur Rettung
der Welt. Sie braucht es
Wer immer sich
unterwirft, Ferlinghetti
ist es gewiss nicht
Der Verleger und reportierende Dichter Lawrence Ferlinghetti, geboren 1919, im ersten Stock des City Light Bookstore in San Francisco 1983.
Foto: Mauritius / Edward Nachtrieb
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Einer ist
noch da

Zu seinem hundertsten
Geburtstag hat sich
Lawrence Ferlinghetti
selbst einen autobiografischen
Roman geschenkt

VON WILLI WINKLER

So berühmt ist er, dass ihn Bob Dylan in San Francisco auf die Bühne holte, 1976, beim legendären Abschiedskonzert von The Band an Thanksgiving. Lawrence Ferlinghetti erschien mit Charlie-Chaplin-Melone und im Arbeiterhemd, der common man persönlich, sagte ein blasphemisches Vaterunser auf, bei dem das Publikum nicht recht wusste, was es davon halten sollte, und schon verschwand der Dichter wieder im Bühnendunkel.

Aber er ist nie verschwunden, er war immer da, eine echte Jahrhundertfigur, und hat inzwischen selbst den Kollegen George Whitman überrundet, den Inhaber der Pariser Buchhandlung Shakespeare & Co. So ist er zum Stammvater der Moderne geworden: Als Allen Ginsberg 1955 zum ersten Mal aus „Howl“ las, als der weinbefeuerte Orpheus die neuen amerikanischen Urworte erfand („I saw the best minds of my generation destroyed by madness“), schickte ihm Ferlinghetti ein sorgfältig formuliertes Telegramm, ein Zitat, das noch einmal Literaturgeschichte machen sollte. „Ich grüße Dich am Beginn einer großen Laufbahn“, schrieb er und verlangte gleich das Manuskript. Das Buch erschien in seinem City-Lights-Verlag, Ferlinghetti wurde verhaftet, es folgte einer dieser legendären Prozesse wegen Obszönität (das demotische Wort „fuck“ hatte in „Howl“ Verwendung gefunden, und eine vorwiegend homosexuelle Verkehrsmethode wurde ekstatisch besungen), aber dann siegte die Kunstfreiheit. Der Richter erkannte die „heilbringende gesellschaftliche Relevanz“ von „Howl“, doch bis heute kann dieses Langgedicht in keinem amerikanischen Sender ohne rhetorischen Pariser vorgetragen werden.

Ohne selber einer zu sein, wurde Ferlinghetti der wichtigste Propagandist der Beats und blieb dabei ein pflichtbewusster Geschäftsmann, der pünktlich zum Abendessen nach Hause kam, keine Drogen brauchte und sogar William Burroughs’ „Naked Lunch“ ablehnte, weil es ihm zu anarchistisch, zu wirr, zu verdrogt war.

Ferlinghetti steckte Jack Kerouac in seine eigene Hütte in Big Sur, aber nicht, damit er endlich loskam vom Saufen, sondern um ein weiteres seiner heilig-nüchternen Bücher zu schreiben; „Big Sur“ entstand in zehn Nächten auf Benzedrin, Alkohol gab es erst danach wieder. Paul Bowles, Charles Bukowski, James Purdy, Sam Shepard hat er verlegt, eine ganze alexandrinische Bibliothek der amerikanischen Neuzeit ist da in sechzig Jahren zusammengekommen. Sogar Brecht hat er herausgebracht, den Sohn Stefan Brecht, Erotisches, aber auch Elegisch-Unbrechtisches, amerikanisch fast: „Ich war glücklich, scheint es, wenn ich meine Zeit/ unversehens verlor, wartend oder schaukelnd,/ in Bewegung ruhend“.

Ferlinghetti hat tatsächlich erlebt, wie die best minds seiner Generation kaputtgingen: Neal Cassady verreckte 1968 elendiglich, Kerouac platzte im Jahr darauf die Leber, Richard Brautigan erschoss sich 1984. Burroughs und Ginsberg hielten bis 1997 durch, Gregory Corso, Lucien Carr, Dennis Hopper, die ganzen modernen Heiligen, alle, alle sind sie tot. Nur ihr Meisterschüler Bob Dylan ist noch da.

Und Lawrence Ferlinghetti.

Die großen Namen haben den seinen oft verdeckt, dabei ist Ferlinghetti selber einer der erfolgreichsten Dichter Amerikas. Sein Band „Coney Island of the Mind“ (eine Art „Zirkus der Seele“) hat sich seit 1958 mehr als eine Million Mal verkauft. In Julio Cortázars „Rayuela“ schreibt der avantgardistische Schriftsteller Morelli „mit roter Tinte und sichtlichem Vergnügen“ die letzten Zeilen aus der zehnten Stanze ab. Es ist ein verrücktes, dabei ganz selbstverständliches, nämlich ausschließlich ästhetisches Manifest: „Yet I have slept with beauty / in my own weird way / and I have made a hungry scene or two / with beauty in my bed / and so spilled out another poem or two / and so spilled out another poem or two / upon the Bosch-like world“. (Und doch hab ich auf meine krumme Art mit der Schönheit geschlafen / hab ein, zwei wilde Szenen gemacht / der Schönheit in meinem Bett / und so ein, zwei Gedichte rausgestoßen / ein, zwei Gedichte rausgestoßen / in diese Welt von Hieronymus Bosch)

Ein paar mehr waren es doch. Wie jeder Dichter seit Goethe hat Ferlinghetti viel zu viele Gedichte geschrieben, sie flossen ihm nur so aus der Feder, free verse, das kommt vom lebenslangen Lotterbett. Er konnte es sich sogar leisten, mit 97 noch einmal zu debütieren. Da hat er erotische Gedichte unter dem Pseudonym Lorenzo Chiera veröffentlicht und sie als seine Übersetzung eines naturgemäß völlig unbekannten Poeten aus dem 14. Jahrhundert ausgegeben.

„Und Liebe was ist Liebe / und Herz was ist Herz“, tiriliert er mit Minnesangs Frühlingsgefühl bereits in seinem ersten Gedichtband, „wenn wir nicht denken, dass sie existieren / Die abgefallene Blüte wird’s uns nicht sagen / mag sie auch geformt sein wie ein Herz / kopfunter und spröde wie ein Blatt“. Ein Dichter sollte keine Gedichte, sondern lebendige Zeitungen fabrizieren, hat er verkündet, sollte „ein Reporter aus dem All sein, seine Berichte an einen obersten Chef vom Dienst schicken, der an völlige Ehrlichkeit glaubt und dem man nicht mit irgendeinem Blödsinn kommen kann“.

Das reportierende Dichten ist ihm immer leichtgefallen, alles kann ihn zum Vers reizen. Ferlinghetti verzaubert sich die rohe Welt, indem er sie fromm besingt. Schläft ein Lied, so weckt er es: „Die Welt ist ein wunderschöner Ort/um hineingeboren zu werden/wenn man nichts dagegen hat, dass Glück/nicht immer so arg viel Spaß macht“.

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist ihr schon in die Falle gegangen. So in dem ewigen Traum, dass von irgendwo die unbekannte Geliebte erscheine, ein einziges haltloses Versprechen: „Wow I says / Only the next day / she has bad teeth / and really hates / poetry“. Denn darum geht es doch, Poesie zur Rettung der Welt. (Sie braucht es.)

Zum hundertsten Geburtstag hat sich Ferlinghetti ein Buch geschenkt, „Little Boy“, das trotz des Titels alles Mögliche ist, nur keine Autobiografie. Die Kindheit wird immerhin angedeutet, in New York geboren, aber Kinderjahre in Straßburg und Paris mit französischer Gouvernante. Der Vater vor der Geburt gestorben, die Mutter krank, er selber im Waisenhaus, später im Internat oder bei der wenig verlässlichen Tante Emilie: „Sie trug Glockenhüte und das Haar so kurz wie Louise Brooks und immer das gleiche elegante Kleid im Stil der Zwanziger, mit tiefem Dekolleté und langer Perlenkette und immer Kölnisch-Wasser-Duft verströmend.“

Ein von Anbeginn beschädigtes Leben, sollte man denken, doch fehlt dem Autor die Geduld, sich in die literarisch vertraute Südstaatenkindheit zu versenken, die Geschichte mit dem holländischen Chauffeur, dem irischen Dienstmädchen, abwesenden Eltern und Geschwistern.

Nie sei er ein Rebell gewesen, schreibt er, sondern Teil der Generation, die in den Zweiten Weltkrieg eintrat und Hitler besiegte. Sie ist sonst verschwunden, diese Generation von Kennedy, von Brandt, Strauß und Schmidt, auch sie alle gestorben. Ferlinghetti war dabei in der Normandie, dann in Nagasaki, wo er die „Landschaften der Hölle“ sah und Pazifist wurde. („Little Boy“ war auch der Codename der Atombombe, die auf Hiroshima niederging.) Nach einem Sorbonne-Studium ging er nicht zurück nach New York, sondern ans andere Ende des Kontinents, nach San Francisco, fragte sich dort wie ein Tourist nach dem Boheme-Viertel durch, stieg bei einem Taschenbuchladen ein, der City Lights hieß und mit seinem angeschlossenen Verlag zum Inbegriff moderner amerikanischer Literatur wurde.

Den Laden gibt es bis heute, denkmalgeschützt das ganze Haus. Als Relikt aus uralten Zeiten hat auch er sich hier festgekrallt, während die Immobilien um ihn herum Mondpreise erzielen und nächstes Jahr schon das Doppelte kosten, weil der Buchmarkt schrumpft und die Tech-Industrie immer weiter brummt.

„Und so sitze ich im Caffe Trieste in San Francisco wo sich nichts je ändert Dekade für Dekade ändern die Gesichter sich aber es sind dieselben der Bevölkerung der Welt entnommenen Charaktere und ich bin dort mit meinem fortwährenden Gefährten meinem einsamen Ich und der einzige Plot in diesem Buch von meinem Leben ist mein fortwährendes Altern (…)“. Es ist der gute alte stream of consciousness, anspielungsüberreich wie beim mittleren Saul Bellow, und nebenbei muss die Weltliteratur von Plato über Dante und Cervantes abgehandelt werden. Kein Einschlafen also ohne Proust, kein melancholischer Moment ohne Tschechow, kein Schweigen ohne Shakespeare und Beckett.

Es fehlt nicht an Kürzestcharakterisierungen der Dichter, die alle viel berühmter wurden als er. Burroughs: „Er war da und zugleich nicht da sogar wenn er im City Lights Bookstore signierte der originalgetreue Schwindler.“ Ginsburg: „Ginzy hatte eine Schwäche für Heteros wollte sie immer konvertieren.“ (Die Übersetzung von Ron Winkler ist nicht immer gelungen.) Er ist nicht bloß ein anderer, sondern ganz viele: „Rimbaud und Apollinaire war ich und Baudelaire war ich und Villon war ich und ich war alle durchgeknallten streunenden zerlumpten Dichter (…)“.

Wenn er auftaucht aus dieser ozeanisch-kindlichen Formlosigkeit, kann er nur Ironie bemühen: „aber ich hab die Story noch gar nicht wirklich auf Touren bringen können“. Die Rezension dazu hat er sich schon vor Jahrzehnten selber geschrieben: „Und mein Buch ist voll / von Blättern und Blüten gepflückt / bevor sie zerfielen/und sie sind geädert und welk / wie das Herz“.

Als Dichter, so hat es dieser poetische Reporter immer wieder gesagt, könnte ihm nichts ferner sein als die sogenannte Wirklichkeit. „Im Süßigkeitenladen hinter der Hochbahn / verliebte ich mich / zum ersten Mal / in die Unwirklichkeit“, beginnt eins der frühen Gedichte. Der Zauber der süßen, bunten Sachen, dazu eine Katze, die da herumstrolcht, herbstzeitlose Gedanken: „Ein Mädchen kam hereingelaufen / regennass die Haare / die Brüste atemlos in dem kleinen Raum / Draußen fielen die Blätter zu Boden / und schrien / Zu früh! Zu früh!“ Zu früh ist jedenfalls nicht zu spät. Ferlinghetti findet die beste Rechtfertigung für ein langes Leben, seit Bismarck die Rentenversicherung eingeführt hat: „Also kehre ich zurück zum Monolog über mein Leben als nicht enden wollender Roman weil ich schlicht nicht weiß wie man ein Leben abschließt.“ Es ist doch kein geringer Trost, dass einer der Helden so lang lebt, sich nicht tot fährt, nicht mit Aids ansteckt, nicht im Katholizismus oder im Alkohol versinkt und nie seinen Hass auf den Kapitalismus verlernt. Deshalb ist ihm zuletzt auch zu Donald Trump noch ein Gedicht eingefallen, das er für eine jüngere Generation auf Youtube vorträgt: Die Gloriole der Freiheitsstatue hat er sich dafür aufgesetzt, klagt, dass vom Weißen Haus ein neuer räuberischer Kapitalismus ausgehe, der verlangt: „Unterwirf dich, common man, unterwirf dich!“

Wer immer sich unterwirft, Ferlinghetti ist es gewiss nicht, und wahrscheinlich würde er sofort wieder ins Gefängnis gehen, für die Literatur, für seine Gedichte, für Amerika. Reich ist er damit nicht geworden, aber wo steht, dass Gedichte Geld bringen müssen? „Yet I have slept with beauty / in my own weird way (…)“, mit der Schönheit schlafen – mehr kann man im Leben nicht erreichen. Am Sonntag wird Lawrence Ferlinghetti, dieser unermüdliche Minnesänger des Lebens, zum ersten Mal hundert Jahre alt.

Lawrence Ferlinghetti: Little Boy. Roman. Aus dem Englischen von Ron Winkler. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2019. 216 Seiten, 20 Euro.

Die Welt ist ein
wunderschöner Ort
um hineingeboren
zu werden wenn man
nichts dagegen hat,
dass Glück nicht
immer so arg viel
Spaß macht“

Denn darum geht es
doch, Poesie zur Rettung
der Welt. Sie braucht es

Wer immer sich
unterwirft, Ferlinghetti
ist es gewiss nicht

Der Verleger und reportierende Dichter Lawrence Ferlinghetti, geboren 1919, im ersten Stock des City Light Bookstore in San Francisco 1983.
Foto: Mauritius / Edward Nachtrieb

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