Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 16,61 €
  • Gebundenes Buch

Früchte der Beobachtung und des Nachdenkens mit brauchbaren Auskünften aus dem Erfahrungsschatz des Verfassers, notwendiges Hilfsmittel zur Ausübung des geselligen Verkehrs, Mitteilungen über Personen, Dinge und ihre Umgebung, Anmerkungen zum Weltverkehr mit einer Beschreibung der Eisenbahn unter Berücksichtigung der Krümmungsverhältnisse, Anweisungen für Dienstboten und Hausfrauen, unvergeßliche Aussprüche und Anregungen, niedergeschrieben für die heutigen harten Zeiten zur Aufklärung von Mißverständnissen und zur Verdeckung des schlechten Geschmacks. "Raoul Tranchirers vielseitiger großer…mehr

Produktbeschreibung
Früchte der Beobachtung und des Nachdenkens mit brauchbaren Auskünften aus dem Erfahrungsschatz des Verfassers, notwendiges Hilfsmittel zur Ausübung des geselligen Verkehrs, Mitteilungen über Personen, Dinge und ihre Umgebung, Anmerkungen zum Weltverkehr mit einer Beschreibung der Eisenbahn unter Berücksichtigung der Krümmungsverhältnisse, Anweisungen für Dienstboten und Hausfrauen, unvergeßliche Aussprüche und Anregungen, niedergeschrieben für die heutigen harten Zeiten zur Aufklärung von Mißverständnissen und zur Verdeckung des schlechten Geschmacks.
"Raoul Tranchirers vielseitiger großer Ratschläger für alle Fälle der Welt" ist ein Buch voll entwaffnender Komik, stets dem milden Wahn der Alltagserkenntnis verpflichtet, voller Erkenntnisse wie dieser: "In jeden ordentlichen Haushalt gehört auch ein Bücherschrank oder Regal mit Büchern." Und in dieses allemal der "Große Ratschläger".
Neben der regulären Ausgabe ist eine streng limitierte Vorzugsausgabe in 100 signierten Exemplaren mit einer Original-Collage Ror Wolfs als Beilage erschienen.
Autorenporträt
Ror Wolf, geboren 1932 in Saalfeld/Thüringen, lebt in Mainz. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden (1988), dem Bremer Literaturpreis (1992), dem Heimito von Doderer-Preis (1996), dem Staatspreis des Landes Rheinland-Pfalz (1997), dem Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (2003), dem Preis Hörbuch des Jahres 2006, dem Preis Hörspiel des Jahres 2007 sowie 2008 mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg. 2014 erhielt er für sein literarisches Schaffen den Georg-K.-Glaser-Literaturpreis des Landes Rheinland-Pfalz und des Südwestrundfunks (SWR) und 2015 den Günter-Eich-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1999

Das Loch ist da, die Haut lebt, die Hose ist tot
Ror Wolf ist König Uhu Von Ulrich Raulff

Wolfgang Neuss seligen Angedenkens verfügte über eine merkwürdige Intonation, wenn er, voll falscher Bonhommie, die Wörter "deutscher Fleischer" aussprach: Deitscher Fleischer. Eine anheimelnde Brutalität lag darin, eine mörderische Gemütlichkeit - eine tiefere Note der deutschen Seele, ihr Schlachtkammerton. Dem Ton wäre man ungern im Dunkeln begegnet. Unvermutet kehrt er wieder, wenn man die Sätze liest, die Raoul Tranchirers "Großer Ratschläger" unter dem Stichwort (wie eiskalt ist dies Wörtchen!) "Kalbskopf" vorhält: "Man drehe ihn mit dem Nacken gegen sich, stoße die Gabel in das Gurgelbein und führe einen Kreuzschnitt über den Kopf, ziehe die Haut in die Höhe und öffne die Hirnschale mit der Messerspitze . . ." Ganz kannibalisch einfach ist die Sache: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden zubereitet. Es kommt darauf an, sie zu tranchieren.

Ror Wolf, der seit vielen Jahren als Raoul Tranchirer firmiert, lässt die Welt nur als zerschnittene gelten. So könnte man sagen. Aber gleich müsste man den Satz wieder zerschneiden, weil es ja gerade die Geltung ist, die der deutsche Fleischer bevorzugt durch den literarischen Wolf dreht. Die lexikalische Form, die Ror Wolf früh gefunden und virtuos variiert hat, ist ein trügerisches Gebilde: Vorgeblich serviert sie auf jedes Stichwort hin gut abgehangene und fachmännisch nach aktuellem Wissensstand zugeschnittene Stücke Text. Zwei Sorten sind davon im Angebot: Erläuterung und Beratung. In der Regel wird knapp und kompakt geschnitten, gelegentlich darf's etwas mehr sein. Die Wahrheit sieht freilich anders aus: Mal schnippelt der Fleischer so lange am Bedeutungsfett herum, bis vom ganzen Stück nichts mehr übrig ist, mal verweigert er die Bedienung des Kunden, und mal verkauft er ihm eine Katze für einen Hasen.

Am liebsten jagt Raoul Tranchirer dem Kunden erst einen Schrecken ein (ein bisschen Ekel darf dabei sein) und erklärt ihm dann, dass alles nichts zu bedeuten hat: der Kunde nicht, der Schrecken nicht und der Text schon gar nicht. Nehmen wir zum Beispiel den Artikel "Blut": "Das aus Schlachtwunden fließende Blut sieht rot aus, es ist leichtflüssig und gerinnt zu einem Blutkuchen, der bald die Gestalt des Gefäßes, in dem es aufgefangen wird, annimmt. Die Gerinnung kann durch Umrühren verhindert werden. Wir halten das freilich in diesem Zusammenhang für ganz und gar überflüssig." So sieht ein tranchirter Schluss aus: Es könnte so oder anders gewesen sein, davon wollen wir jetzt nicht weiter reden, und im übrigen ist das alles bedeutungslos.

Der Stoff, den Ror Wolf bevorzugt zerschneidet und wieder neu zusammenklebt (er könnte auch König Uhu heißen), entstammt dem neunzehnten Jahrhundert, seinen populären Bildmedien, seinen Ratgebern und Enzyklopädien. Gelegentlich ist das Resultat dieses sartorischen (nicht satirischen) Bemühens durchaus komisch, so etwa unter dem Stichwort "Haut und Hose": "Wenn ein Mann jahrelang auf der Hose herumsitzt, so wird dieses Kleidungsstück glänzend und dünn und bekommt am Ende ein Loch. Wie kommt es, dass nur die Hose und nicht auch die Haut des Mannes von diesem Schicksal betroffen wird? Nun: weil die Haut lebt, die Hose aber tot ist. Die Haut wird unaufhörlich von Blut durchströmt, die Hose nicht."

Wirklich lustig ist das Resultat der Schnippeleien an Haut und Hose des neunzehnten Jahrhunderts nur selten. Skurril dagegen immer. Skurril erscheinen im Abstand von hundert Jahren die Sorgen des Bürgertums vor Naturkatastrophen und den Peinlichkeiten des gesellschaftlichen Verkehrs, bizarr die Rezepte, mittels deren es sich vor solchen Fährnissen zu bewahren sucht. Denn die Gefahren sind allesamt imaginärer Art, real ist nur der Abwehrzauber. So dass sich bald das Heilmittel als das echte Gift, die Kur als wahre Katastrophe zu erkennen gibt. Wie es das Stichwort "Ordnung im Zimmer" protokolliert: "Ordnung im Zimmer ist rasch herzustellen. Dazu dient das Spiel Die Flut kommt. Jeder Gegenstand, jedes Buch muss rasch an Ort und Stelle gebracht werden, damit die hereinbrechenden Wassermassen nicht alles hinwegspülen. Wie erfreulich, dass die Flut dann schließlich, wenn alles in Ordnung ist, doch nicht kommt." In der Harmlosigkeit liegt der Gipfel der Wolfschen Perfidie: Seine Katastrophen sind so gemein, nicht einzutreten.

Die Kapuze seiner Ratschlägerprosa tief ins Gesicht gezogen, arbeitet Ror Wolf an einem düsteren Verzeichnis. Es ist das Kompendium der Ängste des neunzehnten Jahrhunderts. Das jetzt überarbeitete, erweiterte und mit neuen Collagen prachtvoll ausgestattete Opus ist 1983 zum ersten Mal erschienen. Zahlreich sind seine literarischen Paten. Zu ihnen gehören die Helden der schwarzen Serie von Poe bis Kafka, aber auch die goldenen Herzen des Kleinbürgertums von Karl May bis Arno Schmidt. Daneben, nicht zu vergessen, die verrückten Sammler und Protokollanten der Obsessionen von Charles Fort bis Klaus Theweleit. Dessen Chronik der Männerphantasien steht Ror Wolfs Projekt näher, als man denkt. Was treibt seine einsamen Männer den Unfällen der Eisenbahnreise und des Ballonflugs entgegen? Woher rührt die Nervosität der lesenden Damen, die mit flackerndem Blick vom "Sofaplatz" zum "Spanferkel" wechseln? Wohin gehen die Sehnsüchte der Blut rührenden und Bier trinkenden Menschheit? Sie alle drehen sich um dieselbe unaussprechliche Sache. Aber in diesen Abgrund wollen wir nicht länger schauen.

Stattdessen empfiehlt sich der Blick auf die Collagen, in denen nicht der geringste Reiz dieses Bandes liegt. Ror Wolf, ein Meisterschüler von Max Ernst, tranchiert die Bilder des neunzehnten Jahrhunderts so genüsslich und so versiert wie seine Texte. Und dennoch klappt man am Ende den schweren Band erleichtert zu - ein wenig so, wie man die Schranktür der verstorbenen Großmutter schließt. Es riecht nach Melancholie und Mottenkugeln.

Ror Wolf: "Raoul Tranchirers vielseitiger großer Ratschläger für alle Fälle der Welt". Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 1999. 356 S., geb., 128,- DM; Subskriptionspreis bis 31. 3. 2000: 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wirklich lustig findet Ulrich Raulff Wolfs lexikalisch angeordneten "Ratschläger" nicht, "skurril dagegen immer". Vor allem findet er darin einen gewissen deutschen "Schlachtkammerton", eine "mörderische Gemütlichkeit" und zitiert Wolfs Anweisung zum "Kalbskopf": "Man ... stoße die Gabel in das Gurgelbein". Raulff weist darauf hin, dass dieser Band mit seinen prachtvollen Collagen, die sich allesamt an den geheimen Ängsten des 19. Jahrhunderts ergötzen, bereits 1983 schon einmal erschien und nun also erweitert und verschönert neu herausgebracht wird.

© Perlentaucher Medien GmbH