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Wer »Die kleinen Widrigkeiten des Lebens«, den ersten Erzählungsband von Grace Paley, gelesen hat, wird sich freuen, hier einigen ihrer temperamentvollen Figuren wiederzubegegnen. Allen voran Faith, dem Alter Ego der Autorin, ihren Exmännern und Liebhabern, ihren wilden Söhnen Tonto und Richard, aber auch ihrer Nachbarin und Mietshausphilosophin Mrs. Raftery oder ihren Eltern, die inzwischen im jüdischen Altersheim leben und Faith in Gespräche über Leben und Schreiben verwickeln. Auf den Vortreppen der New Yorker Brownstones oder auf dem Spielplatz machen Frauen und Männer Politik,…mehr

Produktbeschreibung
Wer »Die kleinen Widrigkeiten des Lebens«, den ersten Erzählungsband von Grace Paley, gelesen hat, wird sich freuen, hier einigen ihrer temperamentvollen Figuren wiederzubegegnen. Allen voran Faith, dem Alter Ego der Autorin, ihren Exmännern und Liebhabern, ihren wilden Söhnen Tonto und Richard, aber auch ihrer Nachbarin und Mietshausphilosophin Mrs. Raftery oder ihren Eltern, die inzwischen im jüdischen Altersheim leben und Faith in Gespräche über Leben und Schreiben verwickeln.
Auf den Vortreppen der New Yorker Brownstones oder auf dem Spielplatz machen Frauen und Männer Politik, demonstrieren in der City Hall und im Central Park, kämpfen gegen den Atomkrieg und für Bürgerrechte; Protestsongs erklingen oder werden parodiert. Als unkonventionelle Feministin lässt Grace Paley in »Ungeheure Veränderungen in letzter Minute« Menschen jeglicher Herkunft aufeinandertreffen - in teils komischen, teils dramatischen Situationen.
Autorenporträt
Paley, GraceGrace Paley, 1922 als Tochter russisch-jüdischer Einwanderer in New York geboren, war neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit in der Friedens-, Frauen- und Bürgerrechtsbewegung aktiv. Sie veröffentlichte zahlreiche Shortstorys und Gedichtbände und erhielt mehrere bedeutende Auszeichnungen und Preise für ihr Lebenswerk, das jetzt vollständig in Neuübersetzungen bei Schöffling & Co. erscheint. Grace Paley starb 2007 in Vermont.

Ruschmeier, SigridSigrid Ruschmeier, geboren 1945, lebt in Berlin. Studium der Germanistik und Politologie, Verlagstätigkeit, seit 1988 Übersetzerin aus dem Englischen, u. a. von Sybille Bedford, Elizabeth Bowen, Bill Bryson, Jennifer Egan, Sebastian Haffner, Arthur Phillips, Gwendoline Riley, Rudolf Vrba und Fay Weldon.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2014

Als New York noch die Stadt war, die vor Testosteron nur so strotzte
Großstadtgeschichten, die von Liebe und Brutalität, Trauer und Humor erzählen: "Ungeheure Veränderungen in letzter Minute" von Grace Paley

Geschichten erzählen, so einfach wie möglich, um ein paar Leben zu retten. Wenn es etwas gibt, was die Storys von Grace Paley zusammenhält, dann dies: der Wille, Menschen sichtbar zu machen, die sonst kaum jemand sieht. Menschen, die ihr Leben auf den Vortreppen der New Yorker Brownstone-Häuser verbringen, ihre Kinder in heruntergekommenen Apartments großziehen und sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten. Menschen wie die herrlich streitlustige Grace, die in ihrer liebevollen Derbheit immer ein Schimpfwort für ihre Nachbarn übrighat und alles daransetzt, ihrem Sohn den Weg in ein besseres Leben zu bahnen. Oder Menschen wie die wunderbare, manchmal so tieftraurige, oft aber auch einfach umwerfend komische und selbstironische Faith, die, wie viele der Frauenfiguren Grace Paleys, von ihrem Mann sitzengelassen wurde und sich nun allein um ihre beiden Söhne Tonto und Richard kümmert.

Und dann wird ihr plötzlich klar, was sie der eigenen Familie, den Freundinnen und Freunden, was sie sich und dem Leben schuldet. "Und zwar das: ihre Geschichten so einfach wie möglich zu erzählen, um sozusagen ein paar Leben zu retten." Und sie fängt an zu erzählen, von Lucia und ihrer Mutter Anna, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts jeden Morgen lange mit der U-Bahn durch Manhattan ins Hospital für Geisteskranke fährt, um ihrem Stiefvater warmes Essen zu bringen, dazu ein paar Blumen, und ihm beim Sterben zuzusehen: "Hallo, Zio, hier ist dein Essen. Mama schickt es. Jetzt muss ich gehen." Und sie erzählt, wie Annas Mutter Maria ihren ersten Mann verloren und dann den neuen getroffen hat, der dem Verstorbenen irgendwie ähnlich sah, ihr im Bett irgendwie das geben konnte, was sie brauchte, irgendwie auch als Vater für Anna taugte, gegen den ihr Verstand also nichts einzuwenden hatte.

Brutalität und Liebe, Trauer und Humor: in den Geschichten von Grace Paley folgen diese Zustände so dicht aufeinander, als gehörten sie zusammen. Mit der Neuübersetzung von "Ungeheure Veränderungen in letzter Minute", ihrem zweiten Erzählband auf Deutsch, kann man jetzt eine Autorin entdecken, die hierzulande immer noch nicht sehr bekannt ist. Dabei galt Grace Paley, als sie 2007 starb, nicht nur als eine der wichtigsten literarischen Stimmen Amerikas, sondern auch als eine der politisch engagiertesten Autorinnen der Vereinigten Staaten. Bekannt wurde sie 1959 mit ihrem ersten, im vergangenen Jahr in einer Neuübersetzung von Sigrid Ruschmeier erschienenen Erzählband "Die kleinen Widrigkeiten des Lebens". Als 1974 "Ungeheure Veränderungen in letzter Minute" erscheint, sind fünfzehn politisch höchst turbulente Jahre vergangen: politische Kämpfe gegen Vietnamkrieg und Rassismus, für Frauen- und Bürgerrechte. Paley hat Stellung bezogen, sich immer wieder intensiv eingesetzt. Natürlich spielt das alles in ihren Storys eine Rolle. Doch nicht in Form moralischer Parolen, mit denen man es sich beim Lesen bequem machen kann. Politisch sind die Erzählungen durch ihren wachen Blick auf das New York der fünfziger bis siebziger Jahre, auf eine "testosteronstrotzende Stadt", die "bei ihrer andauernden Beton mischenden Neugestaltung ständig ab- und aufreißt". Sozial relevante Entscheidungen werden in jenen Jahren oft mit der Abrissbirne getroffen.

Die Kompilation der Erzählungen ist atemberaubend. Konzentrierte, nur wenige Seiten umfassende Snapshots stehen neben komplexen Familiengeschichten. Auf befreienden Humor folgt knallharte Gewalt, wie etwa in der Geschichte "Das kleine Mädchen". Als gefeierte Autorin konnte Paley viele ihrer Storys vorab in Zeitungen veröffentlichen, diese wollte aber niemand nehmen. Ein vierzehnjähriges Mädchen aus dem Mittleren Westen, abgehauen aus der Enge ihres Elternhauses, neugierig auf Abenteuer. In New York trifft sie auf einen Schwarzen, lässt sich anmachen, geht mit ihm nach Hause, raucht mit ihm einen Joint. "Willst du vögeln? Sie sagt: Und ob, Mann!" Es endet in einer brutalen Vergewaltigung. Das Mädchen landet "kaputt auf dem Müll, auf den ganzen Glasscherben unten im Luftschacht. Bei lebendigem Leib aus dem Klofenster geworfen."

Ähnlich wie Faulkners "Freistatt" erzeugt diese Geschichte ein Gefühl von beklemmender Hilflosigkeit. Was auf den ersten Blick klar erscheint, erweist sich beim genaueren Hinsehen als höchst unklar. Einen vertrauenswürdigen Erzähler, der moralische Orientierung bietet, Gutes von Bösem, Täter und Opfer trennt, gibt es hier nicht. Verstörend ist diese Geschichte aber auch deshalb, weil das fleischliche Verlangen, das hier in Gewalt umkippt, für andere Figuren des Bandes zur Quelle des Glücks wird.

Grace Paley verlangt ihren Lesern viel ab, lässt sie allein mit ihren Fragen an die Welt und an sich selbst. Mit der radikalen Offenheit ihrer Geschichten konfrontiert sie uns mit der Radikalität des Lebens. Darin liegt die außerordentliche Kraft ihrer Texte. Was denn ihre Lieblingsgeschichte sei, wird sie 1978 in einem Interview gefragt. Ihre Antwort: "Wenn jemand zu mir sagt: ,Was stimmt mit dieser Geschichte nicht?', dann ist das meine Lieblingsgeschichte."

SEBASTIAN WILDE

Grace Paley: "Ungeheure Veränderungen in letzter Minute". Storys.

Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2014. 256 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mächtig gefordert haben die Erzählungen von Grace Paley den Rezensenten. Doch am Ende steht Sebastian Wilde lachend da über das Glück dieser Lektüre. Die als Buch erstmals 1974 erschienenen Texte sind für ihn eine echte Entdeckung. Zeigen sie doch die Unsichtbaren New Yorks, Frauengestalten vor allem in ihre Verstrickungen in Liebe und Brutalität, Humor und Trauer, die sämtlich bei Paley nah beieinander liegen, wie Wilde erklärt. Daran, dass diese Autorin immens politisch war, hat er keinen Zweifel. Das soziale Großstadt-Panorama der 50er bis 70er Jahre, das Paley zeichnet, spiegelt sich für den Rezensenten auch in der unerbittlichen Rasanz des Stils und in der Abfolge der Storys, die oft sehr unterschiedlich sind, wie Wilde schreibt. Orientierung - Fehlanzeige. Was hier Gut, was Böse ist, vermag der Rezensent am Ende nicht zu entscheiden.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Endlich kommt die große alte Dame der amerikanischen Shortstory, Grace Paley, auch bei uns zu Ehren, dem Verlag Schöffling & Co. sei Dank.«
Gabriele von Arnim, Die literarische Welt

»Eine Entdeckung.«
Rainer Moritz, Deutschlandfunk Büchermarkt