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Die Biographie über Ernst Litfaß zeichnet die Geschichte einer Karriere nach, ergibt ein immer wieder auch schreiend komisches Berliner Porträt, lässt sich aufblättern wie ein Album aus der Zeit, als die Bilder mächtig wurden. 1855 wurden die ersten Litfaßsäulen aufgestellt.

Produktbeschreibung
Die Biographie über Ernst Litfaß zeichnet die Geschichte einer Karriere nach, ergibt ein immer wieder auch schreiend komisches Berliner Porträt, lässt sich aufblättern wie ein Album aus der Zeit, als die Bilder mächtig wurden. 1855 wurden die ersten Litfaßsäulen aufgestellt.
Autorenporträt
Wilfried F. Schoeller wurde 1941 in Illertissen/Schwaben geboren und lebte in Berlin und Frankfurt am Main. Er war Literaturkritiker und Leiter der Abteilung »Aktuelle Kultur« im Hessischen Rundfunk/Fernsehen. 1990 erhielt er den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik. Er schrieb Bücher u.a. über Adorno, Heinrich Mann, Michail Bulgakow und ist der Herausgeber des Gesamtwerkes von Oskar Maria Graf. Er verfasste zahlreiche Literaturfilme und Hörspiele. Wilfried F. Schoeller war Professor für Literatur des 20. Jahrhunderts, Literaturkritik und Medien an der Universität Bremen. Wilfried F. Schoeller starb 2020 in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.09.2005

Auf zur Annoncir-Polka!
Der Setzkasten-Aktionist: Ernst Litfaß und seine Säule
Sein Name ist so untrennbar mit dem Objekt verbunden wie die scharfen S-Laute in der Wortmitte der Litfaßsäule. Vor 150 Jahren, 1855, hat Ernst Litfaß, der „Reklamekönig” des 19. Jahrhunderts, die nach ihm benannte Anschlagsäule erfunden, genauer: Er hat sie nach bereits existierenden Vorbildern in London und Paris kopiert. Litfaß war ein rastloser Mann mit vielen Talenten. Anlässlich des Säulen-Jubiläums hat Wilfried F. Schoeller eine Biografie über den Drucker, Werbekolporteur, Dichter, Impresario und Eventregisseur geschrieben und ihm ist dabei ein kleines Meisterwerk gelungen. Schoeller erzählt mit viel Sprachwitz und mit ironischer Sympathie für die Bizarrerien des Werbegenies.
Ernst Litfaß, der am 11. Februar 1816 in Berlin geboren wurde, zog es anfangs keineswegs in die Druckerei des Stiefvaters, sondern auf die Bühne des Liebhabertheaters. Unter dem Pseudonym „Herr Flodoardo aus Berlin” brillierte Litfaß im Fach jugendlicher Liebhaber, spielte zwei Jahre an der Seite von Näherinnen und „ästhetischen Dienstmägden”. Dann übernahm er doch die stiefväterliche Firma und modernisierte sie sofort durch die Anschaffung von Schnellpressen. Seine Haupteinnahmequelle war eine Anthologie „komischer und ernster Dichtungen zum Vortrage in öffentl. u. Privatgesellschaften”, in die Litfaß furchtlos seine eigenen, äußerst mittelmäßigen Verse einstreute. Auch druckte er Programmzettel für die Berliner Bühnen und Konzertlokale.
Stets war er auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern. 1845 unterbreitete er dem preußischen König den Vorschlag, sämtliche Grabinschriften auf den Friedhöfen Berlins zu sammeln. Als die staatliche Unterstützung für die projektierten vielbändigen „Denkmäler der Entschlafenen” ausblieb, ließ Litfaß seinen Plan sogleich wieder fallen. 1848 wurde er zum Drucker der Revolution. Aus seinen Schnellpressen kamen die Flugschriften der Demokraten sowie das satirische Journal „Berliner Krakehler”. Doch Litfaß, so Schoeller, war ein „Aktionist mit dem Setzkasten” und in letzter Konsequenz ein wendiger Geschäftsmann, der das Spiel mit wechselnden Loyalitäten meisterlich beherrschte. Nach der Niederschlagung der 1848er Bewegung wurde de facto die „Affichierungsfreiheit” aufgehoben, das Recht, in Anschlägen an Mauern und Hauswänden unzensiert die Meinungsfreiheit zu erproben.
Das fortgesetzte ‚wilde Plakatieren‘ brachte den Werbestrategen Litfaß auf eine Idee. 1854 wandte er sich an den Berliner Polizeipräsidenten mit einer Offerte: Er erbot sich, Säulen aufzustellen, die künftig der alleinige Ort für Anschläge jeglicher Art sein sollten. Auf diese Weise verschaffte sich Litfaß ein Monopol für Werbeflächen und der Staat bekam Kontrolle über die „ungehemmte Galerie der Straße” (Schoeller). Pointe am Rande: Litfaß versprach, 30 „Urinoirs” in der hygienisch rückständigen Metropole zu errichten. Doch diese Zusage hat er nie eingelöst.
Die Lustbarkeiten der Metropole
Die erste von 150 Säulen weihte Litfaß 1855 vor seinem Firmensitz ein. Anfangs war die Neuerung in Berlin durchaus umstritten, weil sie zu marktschreierisch sei und die Aussicht hemme. Doch der geschickte Stratege Litfaß ließ lobende Artikel in den Zeitungen platzieren und eigens eine „Ernst-Litfaß-Annoncir-Polka” komponieren. Er zündete Ideen wie Raketen. Bereits 1851 hatte er den „Berliner Tagestelegraph” gegründet, ein kostenloses Anzeigenblatt, das den Touristen über die täglichen Lustbarkeiten in der Metropole informierte - der Urtypus heutiger Stadtmagazine. Ab 1858 bot Litfaß amtliche Vordrucke für nahezu jeden Zweck an, von „Concours-Anmeldungen” bis zu „Kegel-Regelments”, und wurde so zum „Schriftverwalter der deutschen Bürokratie” (Schoeller).
Auch als Redoutenregisseur und öffentlicher Wohltäter machte er sich einen Namen. Zur Feier des 100. Geburtstages Schillers ließ er ein gigantisches Fest steigen, „zum Besten der Abgebrannten im Voigtlande und der Ortsarmen in Blasewitz”. 1866 strömten 50 000 Berliner zu einem „Patriotischen Fest” nach Treptow, wo Litfaß mit immensem Aufwand ein Schiffsbombardement nachstellen ließ. Der Lohn dieser Mühen: er wurde zum „Kommissionsrath” ernannt. Der ersehnte Adelstitel ist ihm, der am 27. Dezember 1874 starb, verwehrt geblieben.
Als „außergewöhnlichen Kreativen” feiert auch eine Litfaß-Hommage von Steffen Damm und Klaus Siebenhaar den Säulenheiligen, affirmativer im Ton als Schoeller und mit verzichtbaren Anleihen beim Werber-Deutsch. Neben einem biografischen Porträt enthält das Buch einige Originaltexte von Litfaß und eine lesenswerte Kulturgeschichte seiner Säule. Diese hat stumme Komparsenauftritte nicht nur in der Malerei oder auf dem Umschlag von „Emil und die Detektive”, sondern auch in Fritz Langs „M” und Carol Reeds „Der Dritte Mann”. Dort steigt der flüchtige Harry Lime durch eine hohle Litfaßsäule in den Untergrund Wiens. Die Szene hätte dem Effektemacher Litfaß gefallen. RALF BERHORST
WILFRIED F. SCHOELLER: Ernst Litfaß. Der Reklamekönig. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2005. 223 Seiten, 19,90 Euro.
STEFFEN DAMM, KLAUS SIEBENHAAR: Ernst Litfaß und sein Erbe. Eine Kulturgeschichte der Litfaßsäule. Verlag Bostelmann & Siebenhaar, Berlin 2005. 168 Seiten, 15,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Sicht werde eingeschränkt und sie seien zu marktschreierisch, hieß es vor 150 Jahren in Berlin, als die ersten Litfaßsäulen aufgestellt wurden. Zum Jubiläum nicht des Erfinders, sondern seiner Säulen hat Wilfried F. Schoellers eine 223 Seiten starke Biografie über Ernst Litfaß vorgelegt, erläutert Rezensent Ralf Berhorst und lobt sie zur Einstimmung schon mal als ein "kleines Meisterwerk". Auch sei Ernst Litfaß als umtriebiges Multitalent ein überaus lohnendes Objekt der Darstellung. Allerlei "Bizarrerien" könne Schoeller anzeigen, nachdem erst einmal geklärt sei, dass Litfaß seine Säulen nicht erfunden, vielmehr nach Vorbildern in London und Paris abgekupfert habe. Realität auch in Berlin sind sie aber erst geworden, so Berhorst, weil die wirtschaftlichen Interessen des Druckereibesitzers Litfaß mit dem staatlichen Kontrollbedürfnis gegen wildes Plakatieren nach der 1848er Revolution eine strategische Partnerschaft eingingen. Litfaß sei beispielsweise auch deshalb eine so interessante Figur, gibt der Rezensent zu bedenken, weil er kurz zuvor noch der wichtigste Drucker von Revolutionsschriften gewesen sei. Darüber hinaus aber auch, in jungen Jahren, Schauspieler an der Seite von "ästhetischen Damen", und später "Dichter, Impressario und Eventregisseur". Von diesen und weiteren einfallsreichen Betätigungen des Ernst Litfaß erzähle Schoellers Biografie mit "viel Sprachwitz" und stets "ironischer Sympathie" für den Helden.

© Perlentaucher Medien GmbH
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