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Los Angeles 1984. Roland Farwick patzt beim Weitsprung. Das kostet den weltbesten Zehnkämpfer die Medaille und seine Karriere. Zwanzig Jahre später wird er angeschossen; prompt setzt er sein still gestelltes Leben wieder in Bewegung. Er gründet eine Familie.Und gewinnt einen Partner. Der ermittelnde Hauptkommissar Ludger Grambach ist einer der Millionen, die Zeugen von Farwicks Schicksal wurden. Und seine eigene Geschichte als gescheitertes Genie ist mit der des Zehnkämpfers eng verknüpft. Statt Freundschaft aber beginnt ein Duell, das sich an der Oberfläche der Ermittlungsarbeit und in den…mehr

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Produktbeschreibung
Los Angeles 1984. Roland Farwick patzt beim Weitsprung. Das kostet den weltbesten Zehnkämpfer die Medaille und seine Karriere. Zwanzig Jahre später wird er angeschossen; prompt setzt er sein still gestelltes Leben wieder in Bewegung. Er gründet eine Familie.Und gewinnt einen Partner. Der ermittelnde Hauptkommissar Ludger Grambach ist einer der Millionen, die Zeugen von Farwicks Schicksal wurden. Und seine eigene Geschichte als gescheitertes Genie ist mit der des Zehnkämpfers eng verknüpft. Statt Freundschaft aber beginnt ein Duell, das sich an der Oberfläche der Ermittlungsarbeit und in den Tiefen eines Internetspiels abspielt. Bis alles, was vor zwanzig Jahren aufgeschoben wurde, endlich ausgetragen werden muss.Burkhard Spinnens Roman Mehrkampf nutzt virtuos das Krimi-Genre, um über Mittvierziger zu erzählen, die sich gegen das Älterwerden stemmen. Der Zehnkämpfer verwaltet seine Geschichte. Der ehemals Hochbegabte wartet immer noch darauf, dass er seine Bestimmung findet. Spinnen bringt das Kunststück fertig, einen spannenden Kriminalroman und zugleich ein Lehrstück über eine ganze Generation von Männern und ihre Flucht vor der Verantwortung zu schreiben.
Autorenporträt
Burkhard Spinnen, 1956 in Mönchengladbach geboren, lebt in Münster. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Aspekte-Literaturpreis (1991), dem Kranichsteiner Literaturpreis (1996), dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung (1999), dem Oldenburger Kinder- und Jugendliteraturpreis (2001), dem Herbert Quandt Medien-Preis 2003 sowie zuletzt mit dem Deutschen Hörbuchpreis (2007). Sein Werk bei Schöffling & Co.: Kalte Ente (1994), Langer Samstag (1995), Trost und Reserve (1996), Dicker Mann im Meer (1997), Belgische Riesen (2000), Bewegliche Feiertage (2000), Der schwarze Grat (2003), Lego-Steine (2004), Der Reservetorwart (2004) sowie Kram und Würde (2006).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2007

Gehüpft wie gesprungen

Im Sport entscheiden Millimeter und Zehntelsekunden darüber, ob einer als Heros, Niete oder Tragöde das Stadion verlässt. Burkhard Spinnens neuer Roman schickt einen Zehnkämpfer ins Rennen.

Von Edo Reents

Jürgen Hingsen, deutscher Zehnkämpfer und ehemaliger Weltrekordhalter, brachte bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul das, man muss schon sagen: Kunststück fertig, gleich in der ersten Disziplin auszuscheiden, weil er beim Hundert-Meter-Lauf offiziell drei, eigentlich sogar vier Fehlstarts hatte. Das löste damals nicht nur unter Sportreportern erhebliches Gelächter aus, das Hingsen mit abenteuerlichen Erklärungen und Uneinsichtigkeit noch zu befeuern wusste. Man muss dazu wissen, dass dieser Lachnummer einer der spektakulärsten Dopingfälle vorausgegangen war: Der kanadische Sprinter Ben Johnson war bereits überführt und disqualifiziert worden. Sollten also die Fehlstarts, die anders fast nicht zu erklären sind, Absicht gewesen sein, weil Hingsen damit einer Dopingkontrolle entgehen wollte, dann stünde er doch etwas anders da als jener Depp der Nation, als der er in die Sportgeschichte einging.

Dies ist sicherlich auch ein literarischer Stoff. Das Scheitern großer Sportler, zu denen Hingsen durchaus zählte, in entscheidenden Momenten, das Zunichtewerden einer mühseligen und kostspieligen Vorbereitungszeit, die auf den einen Punkt hin ausgerichtet war - das hat etwas Bewegendes, das über das rein Sportliche hinausreicht und die unterschiedlichsten Köpfe zu Deutungen reizt.

Wenn nun Burkhard Spinnen einen Roman von nicht zu knappem Umfang über einen Zehnkämpfer vorlegt, dann macht das nicht nur den sportinteressierten Leser neugierig. Dieser preisgekrönte Autor, Jahrgang 1956, ist auf Grund seiner weit gestreuten Interessen ein gerngesehener Gast in den deutschen Feuilletons (auch dieser Zeitung) und hat sich dabei als Spezialist für Alltags- und Mentalitätsgeschichte erwiesen, ob nun für Modelleisenbahnen, Borussia Mönchengladbach oder Sabine Christiansen.

Ja, denkt man, bei Spinnen werden wir schon an den richtigen Mann geraten sein. Wenn man dann allerdings in seinem Zehnkampfroman "Mehrkampf" diesen Dialog liest, dann wird man gleich misstrauisch: ",Sie waren also auch Zehnkämpfer. Oder Zwanzigkämpfer? Als Sportlehrer muss man doch alle Sportarten kennen.' Er lacht. ,Ich kenne zehn.'" Hier spricht ein gewisser Roland Farwick, um dessen Scheitern es geht. Der Zehnkämpfer meint in dieser selbstbezüglichen Äußerung aber gar nicht zehn Sportarten, sondern Disziplinen; "Sportart" ist die allgemeine Kategorie, also Leichtathletik, innerhalb deren Zehnkampf eine Disziplin ist, und innerhalb dieser gibt es wiederum die zehn Disziplinen Sprint, Springen und so weiter. Ein Detail, gewiss, das man noch nicht überbewerten sollte. Aber es ist doch verräterisch.

Wir haben es also mit dem Zehnkämpfer Roland Farwick zu tun, der bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles im Weitsprung beim entscheidenden dritten Versuch übertritt, obwohl er damit, so wird es zumindest insinuiert, wahrscheinlich Weltrekord gesprungen wäre. Und dies ist schon die nächste Ungenauigkeit: Es ist zwar möglich, dass ein Zehnkämpfer in einer bestimmten Disziplin Weltrekord erzielt; aber es ist äußerst unwahrscheinlich. Beim Weitsprung kommt hinzu, dass seit 1968 und bis 1991 der Weltrekord Bob Beamons gültig war, von dem man sich lange gefragt hat, ob er überhaupt jemals gebrochen würde und wenn, dann bestimmt nicht von einem Zehnkämpfer.

Dass Spinnen kein Don DeLillo und kein Richard Ford ist, wusste man schon vorher; aber dass hier praktisch alles, was sportlich von Belang ist, blasse Behauptung bleibt, das ist schon ein Ärgernis: die Enttäuschung des Athleten über seinen Patzer; die Anteilnahme oder der Ärger der Sportzuschauer; die Konsequenz, die Farwick im zarten Zehnkämpferalter von vierundzwanzig Jahren daraus zieht, indem er, der ehemalige Weltrekordhalter, seine Karriere noch im Stadion beendet. Was hilft es da, wenn Spinnen bemüht ist, den Fall mit Bedeutung aufzuladen - vom fassungslosen Trainer gibt es angeblich ein "Foto, das um die Welt ging" -, wenn praktisch in allem an Wahrscheinlichkeit und Plausibilität mangelt? Dass Spinnen seinen haarsträubend konstruierten Fall an Hingsen anlehnt, wenn auch mit der zeitlichen Verschiebung von vier Jahren und der örtlichen von Seoul nach Los Angeles, ist bereits an einem Satz erkennbar: "Du wolltest nicht zur Dopingkontrolle." Statt der Spur dann auch nachzugehen, lässt Spinnen seinen Helden der Krankenschwester, die diesen Verdacht äußert, unter den Kittel greifen, bevor er sie dann auf dem Krankenbett, Zitat, "vögelt". Aber übergehen wir solche softpornographischen Einlagen und folgen wir dem Plot.

Roland Farwick wird zwanzig Jahre nach seiner Blamage in offensichtlich mörderischer Absicht angeschossen. Der Polizeibeamte Grambach, ein alter Bekannter und sportlich gleichfalls nicht ohne Ehrgeiz, gerät bei der Suche nach dem Schützen an Farwicks Ex-Frau, mit der er sich irgendwie sogar einlässt, an den Kinderbuchautor Pardon (allein der Name ist zum Haareraufen), der damals eine Biographie über den Vierundzwanzigjährigen (!) schreiben wollte, an den geheimnisvollen Weber, der sich schließlich selber eine Kugel in den Kopf jagt und insofern der Gesuchte sein könnte, und an weiteres Personal, das geradewegs dem Holzschnittfigurenkabinett des Doktor Spinnen entlaufen zu sein scheint, so ausgedacht wirkt das alles. Deswegen ist es auch egal, wie die Sache ausgeht: War es ein Verrückter oder der alte, seit Los Angeles vor Kummer kranke Trainer? War es etwa Grambach, oder hat Farwick den Schützen von sich aus angeheuert? Vielleicht hatte Spinnen, der sich sicherlich auch für das Kino interessiert, Kaurismäkis "I Hired A Contract Killer" vor Augen. Aber er geht lieber ins Netz und lässt Grambach umständlich und ermüdend mit Hilfe eines Internetspiels (selbstverständlich "das anspruchsvollste seiner Art") ermitteln, wobei man schon ein schlechtes Gewissen bekommt, weil man den offenbar intendierten Witz einer Parallelhandlung nicht richtig begreift.

Sport ist Mord - das ist es wohl, was Spinnen uns sagen will, weil sein Personal fortwährend von einem "Mörder" redet, obwohl es gar keinen Mord gibt. Eine andere Binsenweisheit besagt, dass gutes Deutsch Glückssache ist. Auch hier tritt Spinnen, wie sein komischer Held, kräftig über. Dass die pronominalen Bezüge oft nicht stimmen, wird man als Ausdruck einer Schwäche werten dürfen, die auch andere Gegenwartsautoren (und Lektoren) mittlerweile befallen hat. Hier erstaunt, wie viel schon auf engstem Raum nicht passt: "Er hält die Luft an und spannt die Muskeln, sie lacht, dann beißt sie ihn einmal in die Seite und nimmt ihn in den Mund. Seine Erektion ist wieder prompt und makellos." Wenn "sie" zunächst "ihn" in die Seite beißt, dann wird der Mann, also Farwick, gemeint sein und nicht etwas anderes, auf das sich das zweite "ihn" bezieht; es sei denn, die Krankenschwester kann einen ganzen Patienten in den Mund nehmen (vom adjektivischen Gebrauch des "prompt" zu schweigen). Und da, wo auf eigene Faust sentenzhaft Sinn gestiftet werden soll, geht die Sache ebenfalls schief: "Wer selbst noch ein Sohn ist, kann eigentlich nicht Vater werden." Das liest man und denkt: Stimmt das denn auch?

Keine Seite, ja, kaum ein Absatz ist ohne Stellen, die man nicht zumindest ankringeln muss: falsche oder fehlende Konjunktive ("tun wir, als ob nichts war"), fehlende Reflexivpronomina ("Er entscheidet, vollkommen ruhig zu bleiben"), Unsicherheiten bei festgefügten Wendungen, überhaupt jede Menge Schief- und Gestelztheiten sowie Ungenauigkeiten ("seitdem" statt "seit", "Objekt ihrer Vorsorge", "flammneu") und und und. Dabei ist Spinnen in Sprachkritik so verliebt wie jeder Schriftsteller, der auch nicht recht weiß, was er eigentlich erzählen will: "Aber der Satz kümmert sich einen Dreck um die Tatsache. Er kommt wie ein verwirrter Cousin zur Familienfeier. Stürmt ohne anzuklopfen herein und wirft ein paar Fotos und Papiere auf den Tisch, mit einer Geste, die sagt: Hier! Da habt ihr's jetzt schwarz auf weiß."

Ja, da haben wir's. Aber wer soll das eigentlich lesen? Spinnen ist promovierter Germanist und muss, wenn das Lektorat dergleichen schon durchwinkt (oder verschlimmbessert?), doch selber auf so etwas achten. Leider gibt es "Derrick" nicht mehr, sonst hätten Verlag und Autor diese einmaligen und überdies - eine Unart auch in anderen Verlagen - oft noch nicht einmal durch Anführungsstriche gekennzeichneten Dialoge dem ZDF andrehen können; aber die "Tatort"-Redaktion wird dafür sicherlich Verwendung haben. Einen spannenden Fernsehkrimi gibt die Sache vielleicht noch her; nur keinen Roman, jedenfalls nicht in dieser Form.

- Burkhard Spinnen: "Mehrkampf". Roman. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2007. 392 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kein gutes Haar lässt der Rezensent Edo Reents am neuen Roman von Burkhard Spinnen. Kleinigkeiten sind es zunächst, die ihn skeptisch stimmen - etwa die Verwechslung der Begriffe "Sportart" und "Disziplin" früh im Buch. Von einem Zehnkämpfer namens Roland Farwick erzählt Spinnen, dass der aber nur ums Haar im Jahr 1984 BobBeamons legendären Weitsprungweltrekord verfehlt haben soll - schon das hält Reents für wenig plausibel. Und so geht das dann auch zwanzig Jahre später weiter, als der Zehnkämpferheld angeschossen wird und Spinnen uns mit seinem Figurenarsenal bekannt macht, das der Rezensent als"Holzschnittfigurenkabinett" karikiert. Aber damit hat Reents noch lange nicht genug gemäkelt, denn mit Beispiel um Beispiel sucht er zu belegen, dass Burkhard Spinnen und sein Lektor mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß stehen - da komme es beinahe Seite für Seite zu kaum verzeihlichen Grammatik-Verfehlungen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.10.2007

Der Halbgott, der Versager
„Mehrkampf”: Burkhard Spinnens Sport- und Kriminalroman
Es ist ein merkwürdiges Vergnügen, jenen Athleten zuzuschauen, die man die Zehnkämpfer nennt. Man sieht sie sprinten, ist beeindruckt und denkt doch sofort: Es gibt viel bessere Sprinter auf der Welt. Und so geht es weiter, wenn die Zehnkämpfer die Kugel stoßen, den Speer werfen oder sich mit dem Stab über die Latte katapultieren: Immerzu weiß man, dass es andere gibt, die all das viel besser können, bessere Kugelstoßer, Speerwerfer, Stabhochspringer. Man fragt sich also schon, warum man seine Lebenszeit ausgerechnet mit dem Zehnkampf und den Zehnkämpfern verbringen soll, zumal sich ihr Wettkampf über zwei endlose Tage hinzieht und auch noch einem schwer durchschaubaren Punktesystem folgt. Schlicht gesagt: Zehnkampf kann ziemlich öde sein.
Aber dann kommt die zehnte und letzte Disziplin, der 1500-Meter-Lauf, und obwohl es natürlich viel bessere Mittelstreckler als unsere Zehnkämpfer gibt, ist nun plötzlich alles wie verwandelt. Jetzt kommen jene Bilder und Szenen, die man zu Recht unvergesslich nennt: Wie die Athleten auf bleischweren Beinen dem Ziel entgegentraben und -wanken. Wie sie hinter der Ziellinie in grenzenloser Erschöpfung zusammenbrechen, wobei auch die Sieger wie Gefallene aussehen. Jetzt endlich begreift auch der Hartherzige und Sehschwache, warum die Mehrkämpfer eben nicht die Heroen des Mittelmaßes sind, sondern tatsächlich die Könige der Leichtathletik.
Der Zehnkämpfer, so formuliert es der Autor Burkhard Spinnen, „ist die ganze Leichtathletik in einer Person”. Spinnen hat nun den Roman eines Zehnkämpfers geschrieben, und da ist es natürlich interessant, den Leser am Ende der Romanlektüre genauer zu betrachten. Denn eine kurze Sache, ein literarischer Sprint ist Spinnens Werk weiß Gott nicht, es könnte also der Leser am Ende des Romans dem Zehnkämpfer am Ende des Zehnkampfs ähnlich sehen. Ausgepumpt, fix und fertig, aber womöglich euphorisch.
Aber das Erstaunliche ist: Der Leser fühlt kaum eine Anstrengung nach der Lektüre. Er bricht nicht nach den Schlusssätzen zusammen. Er fühlt sich also nicht wie ein Zehnkämpfer nach dem strapaziösen Finale, sondern eher wie ein Wanderer nach dem Waldspaziergang, wie ein Radler nach der Sonntagstour. Und die spannende Frage ist jetzt natürlich: Ist dies ein Glück, oder ist es das Gegenteil?
Spinnens Roman umkreist und erforscht eine unbegreifliche, eine unerhörte Begebenheit: Mitten in der Stadt und am hellichten Tag wird auf Roland Farwick geschossen, die Schüsse treffen ihn, verletzen ihn aber nur leicht. Was den rätselhaften Fall zur Sensation macht, ist die Person des Angeschossenen: Roland Farwick war einmal eine Berühmtheit, ja Weltberühmtheit: Weltrekordler im Zehnkampf, Silbermedaillengewinner, dazu auch noch ein sogenannter schöner Mann, ein wahres Lustobjekt also für den Sport- wie für den Societyjournalismus. Bis eines Tages . . .
Und damit sind wir bei der anderen unerhörten Begebenheit in Farwicks Leben. Jenem 8. August 1984, an dem der deutsche Sportler, der Weltrekordler und Olympiafavorit, bei den Spielen von Los Angeles schon in der zweiten Disziplin, dem Weitsprung, dreimal übertrat und disqualifiziert wurde – ein zwar tragisches, aber auch geradezu lächerliches Versagen, mit dem Farwicks sportliche Weltkarriere wie mit einem vernichtenden Blitzschlag beendet war.
Jeder Leser, der dem merkwürdigen Vergnügen nachgeht, die Welt der Zehnkämpfer zu studieren, denkt natürlich nun, wenn er den Namen Farwick liest, sofort den Namen „Hingsen”. Jürgen Hingsen, das war einmal jener Zehnkämpfer, der bei Olympia unvergesslich versagte und danach wie aus der Welt verschwand. Wobei sich Spinnen weit genug vom historischen Fall entfernt und also wohl vor dem Bundesverfassungsgericht sicher ist: Hingsen scheiterte nicht in Los Angeles 1984, sondern erst in Seoul 1988, und er trat auch nicht beim Weitsprung über, sondern hatte drei Fehlstarts beim 100-Meter-Lauf. Aber trotz solcher Differenzen ist es natürlich unmöglich, bei Farwicks Geschichte nicht Hingsens Gesicht und auch seinen sagenhaften, muskelbeladenen Athletenkörper vor sich zu sehen. Hingsen, das war der Mann, den die Deutschen, zumindest die Sportsdeutschen niemals vergessen haben: Hingsen, der Halbgott, und Hingsen, die Lachnummer.
Für jeden Roman gibt es die richtigen und die falschen Leser. Als der Leser, der sich hier als Rezensent versucht, von Burkhard Spinnens Projekt hörte, glaubte er sofort frohgemut, einer von den richtigen Lesern zu sein. Er dachte an die unzähligen Lebensstunden, die er mit dem Sportfernsehen, also manchmal auch mit dem Zehnkampf, verbracht und vernichtet hat. Und er erinnerte sich an begeisternde Auftritte des Dichters Spinnen, etwa als Bachmann-Juror in Klagenfurt, oder als Fußballschwärmer bei einem Literatentreffen in Berlin: an einen Rhetor, der den Enthusiasmus und die Selbstironie mühelos zum schönsten Zusammenspiel bringt und dem dabei niemals jener peinliche Fehlpass unterläuft, den man die Phrase nennt.
Ein Sportroman von Spinnen, so dachte der Leser, den will ich lesen! Da bin ich genau der Richtige! Doch er muss jetzt, irgendwie zerknirscht, zugeben, dass er vielleicht doch der falsche Leser für dieses Buch gewesen ist.
Es ist nämlich der Zehnkampf-Roman „Mehrkampf” selber eine Art Mehrkampf geworden. Erstens eine Geschichte vom Sport, vom Heldenleben und plötzlichen Erlöschen eines begnadeten Sportlers. Zweitens ist der Roman aber auch ein Kriminalroman. Und drittens ist er eine Geschichte über die seltsame Welt des Computerspiels. Und wer nun niemals im Leben den Tatort anschaut und auch noch niemals im Internet Seekrieg gespielt hat, der wird, bei aller Liebe zum Zehnkampf, bei diesem Buch ziemlich schnell vom richtigen zum falschen Leser. Fühlt sich ausgeschlossen, kann nicht mitspielen, will es auch nicht. Könnte nun die Lektüre resigniert beenden. Liest aber weiter. Langweilt sich seltsamerweise nicht, obwohl er viele Gründe dafür hätte. Obwohl er von Kriminalkommissaren und Computern keine Ahnung hat und auch nicht haben möchte. Anstrengend nämlich ist Spinnens Prosa nicht. Man folgt ihr gern, auch dort, wo einem ihr Gegenstand gleichgültig ist. Und die Antwort auf zumindest eine Frage möchte man doch wissen: Wer schoss auf Roland Farwick?
Hauptkommissar Grambach, der den Fall untersucht, hat bald einen Verdacht: dass das rätselhafte Attentat auf den Zehnkämpfer eine Inszenierung war, unter tätiger Mitwirkung des Opfers selber. Vielleicht wollte Farwick, der nach seinem Olympia-Desaster ein trist-verborgenes, ein nur noch „still gestelltes Leben” geführt hat, durch das Attentat noch einmal ins bewegte Leben (und natürlich: in die Schlagzeilen) zurückkehren. Der Kommissar jedenfalls ist für diesen Fall prädestiniert: An jenem 8. August 1984, als Farwick bei Olympia ins Nichts gestürzt war, hatte auch Ludger Grambach sein altes Leben jählings beendet. Er war ein juristisches Wunderkind gewesen, doch froh gemacht hatte ihn das Rechtswesen nie. Und nun fasst er, unter dem Eindruck des fernen Zehnkämpfer-Dramas, den bizarren Entschluss, Polizist zu werden, nun ja.
Spinnen, Jahrgang 1956, erzählt uns also in „Mehrkampf” eine Art Doppelgängergeschichte aus seiner Generation: das Drama und die Elegie vom mittelalten Mann, der nicht weiß, ob sein Leben wirklich noch ein Leben ist. Der der würgenden Stille seines Daseins entkommen möchte, notfalls mit Waffengewalt. Und das ist dann die sportliche Herausforderung für den Dichter gewesen: mit gleich zwei ermatteten Helden, zwei müden Männern einen unmüden Roman, ein sogenanntes spannendes Buch zu verfassen.
Eine ganze Weile lang ist man froh, dass Spinnen seine Geschichte wie ein guter Sportreporter erzählt, nicht wie ein ehrgeiziger mittlerer Poet. Ohne sichtbare Kunstanstrengung, ohne Krampf und Phrase. Aber auf der sehr langen Strecke, die der Roman durchstehen muss, führt Spinnens solides Allegro Moderato sein allzeit männlich-schmuckloser Tatort-Ton doch unaufhaltsam zur Ermüdung und Ernüchterung des Lesers.
„Eine langweilige Geschichte” heißt eine der tollsten Geschichten Anton Tschechows – doch den uralten Verwandlungstrick, aus grauen Menschen Zauberwesen zu machen, aus Müdigkeit Faszination, versucht Spinnen erst gar nicht. Sucht Zuflucht stattdessen in den Provinzen des besseren Unterhaltungsromans. Zu welchem natürlich auch einige erotische Szenen gehören, die dann zum Beispiel so klingen: „Der Weg über den Rasen hat ausgereicht für eine perfekte Erektion. Als Ruth ihm die Trainingshose herabzieht, lacht sie. Dann kniet sie sich vor ihm ins Gras und nimmt ihn in den Mund”. Das ist sie, das ist die Liebe der Athleten – keine romantische und poetische Affäre, bloß eine schnelle sexuelle Trainingseinheit.
Auf den wahren Zehnkämpfer-Roman müssen wir also auch nach dem Buch „Mehrkampf” noch warten. Auf die Geschichte, die den ganzen Glanz und Schmutz des Hochleistungssports beschreibt: das Drama in der Arena und die Ödnis des Trainings, den Rausch des Sieges und das Grauen des Ruhestands. Auf ein Buch also, das vom Sport und nur vom Sport erzählt und auf alle Kriminalkommissare, Computerspiele und vielleicht sogar auf die Frauen verzichten kann. Dieses Buch möchten wir allzu gern lesen, und bestimmt wäre Burkhard Spinnen ein guter Autor dafür.
BENJAMIN HENRICHS
BURKHARD SPINNEN: Mehrkampf. Roman. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2007. 392 S., 19,90 Euro.
Zehnkämpfer Jürgen Hingsen, 1987 Tony Duffy/Allsport
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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»Es sind die sparsam eingesetzten Gedankenspiele über Mittelmaß und Wahn, die Spinnens Roman zu einem intellektuellen Vergnügen machen.« Harry Nutt, Frankfurter Rundschau »Burkhard Spinnen ist ein furioser Roman über die Angst des mittelalten Mannes gelungen.« Denis Scheck, Deutschlandradio »Auf den ersten Blick ein spannender Krimi. Tatsächlich aber ein grandioser Roman über das Scheitern und unseren Umgang damit.« Wolfgang Niess, literaturblatt »Spinnen erzählt vom Kampf unter Männern. Beide versuchen den Traum ihrer Jugend festzuhalten, doch müssen sie erkennen: Sie haben ihn längst verloren.« Focus »Im Mittelpunkt steht nicht die alte 'Whodunnit'-Frage (...), sondern vielmehr die Geschichte zweier Mittvierzigern (...) - auf ebenso nüchterne wie kunstvolle Weise erzählt.« Marion Lühe, Rheinischer Merkur »Eine Geschichte, die Spinnen nach allen Regeln der Krimikunst entfaltet (...). Eine Gattung, deren Beherrschung Burkhard Spinnen nunmehr auch bewiesen hat.« Thomas Schaefer, Badische Zeitung »Es ist ein Vergnügen das Buch zu lesen. Spinnen hat einen wachen Blick für die Krisen jener Generation, der man eigentlich abspricht, Krisen haben zu dürfen (...).« Frankfurter Neue Presse »Spinnen gelingt das packende Porträt einer atomisierten Gesellschaft, in der Männer 'im besten Alter' nicht wissen, wohin mit sich selbst - geschweige denn mit anderen.« Nürnberger Nachrichten