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Seit dem 11. Jahrhundert war die europäische Stadt Motor der europäischen Geschichte. Sie war das Reich der Vernunft, in dem der Mensch - in Abgrenzung zur Natur - zur Selbstbestimmung, zur Freiheit finden konnte. Und sie war ein Übungsplatz, Konflikte auszutragen und Geduld im Umgang miteinander zu finden. Vielfalt, Unberechenbarkeit, gesellschaftliche Dynamik schaffen aber auch Unsicherheiten. Zum Lob der Stadt gehörte deshalb stets die Angst vor der Stadt.
Der Historiker Eberhard Straub resümiert in seiner Streitschrift die Entwicklung der Stadt und zeigt, wie durch das inzwischen
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Produktbeschreibung
Seit dem 11. Jahrhundert war die europäische Stadt Motor der europäischen Geschichte. Sie war das Reich der Vernunft, in dem der Mensch - in Abgrenzung zur Natur - zur Selbstbestimmung, zur Freiheit finden konnte. Und sie war ein Übungsplatz, Konflikte auszutragen und Geduld im Umgang miteinander zu finden. Vielfalt, Unberechenbarkeit, gesellschaftliche Dynamik schaffen aber auch Unsicherheiten. Zum Lob der Stadt gehörte deshalb stets die Angst vor der Stadt.

Der Historiker Eberhard Straub resümiert in seiner Streitschrift die Entwicklung der Stadt und zeigt, wie durch das inzwischen übermächtige Sicherheitsstreben die Freiheit in den Städten eingeschränkt wird und das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit aus dem Gleichgewicht gerät. Und wie schließlich mit der Forderung nach einem städtischen Leben im Einklang mit der Natur sich der Begriff von Urbanität fundamental wandelt. Ist das Ende der europäischen Stadt in Sicht - und mit ihm der Untergang freiheitlicher Traditionen?
Autorenporträt
Eberhard Straub, geb. 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung' und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Michael Mönninger freut sich sichtlich über so viel Niveau bei Eberhard Straub. Wie der Historiker in seinem Buch urbanes Zusammenleben beschreibt, jenseits von sozialwissenschaftlichem Krisengerede und philologischer Langeweile, dafür im großen Bogen, beginnend im Orient, und mit Fantasie, hat Mönninger vor Augen geführt, dass echtes urbanes Leben noch jedes Fremde assimiliert. Auch wenn der Autor mitunter Konflikte im städtischen Leben ausblendet und die Stadt gemäß seiner These als moralische Anstalt begreift, als unterhaltsame Stadtgeschichte hat das Buch den Rezensenten überzeugt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.12.2015

Des Menschen Unfasslichkeit
Eberhard Straub hat ein fulminantes, ganz eigenes Lob der Großstadt geschrieben
Kommentare zur Situation der Zeit halten sich besser an die großen Begriffe von Geschichte, Staat, Nation oder Globalisierung. Bemerkungen zum Schicksal der Städte gehören eher in die intellektuelle Regionalliga und in planungssoziologische Fachseminare. Nun hat der Historiker und Privatgelehrte Eberhard Straub mit seiner Streitschrift „Das Drama der Stadt“ das Nachdenken über das urbane Zusammenleben wieder auf das Niveau großer Geschichtserzählungen gebracht.
  Abseits des Krisengeredes der sozialwissenschaftlichen Ideologiekritik und fern vom philologischen Phlegma der Altertumskunde zeichnet Straub einen großen Bogen der städtischen Selbstbehauptung. Von den idealisierten Professorenideen der attischen Polis-Demokratie und der unhistorischen Verengung des europäischen Stadtbegriffs auf London, Paris und Wien möchte er nichts wissen. Stattdessen weitet er den Blick auf die orientalische Stadt seit dem Hellenismus aus und nennt Kairo, Alexandria, Bagdad und Konstantinopel die wahren Vorläufer des urbanen Europa.
  Das antike Ideal sieht er nicht im öden Kleinstadtleben Athens, dem er seit Anbeginn nur „Elend“ und „Geistesstillstand“ bescheinigt, sondern im Rom der Kaiserzeit, das schon unter Augustus völlig orientalisiert gewesen sei. Städtische Tugenden entstanden nicht aus dem kleinlichen Interessenkampf einer Minderheit fremdenfeindlicher athenischer Großgrundbesitzer, sondern aus der Vermischung von Zuwanderern – ohne Zwang zu Integration und Assimilierung. Jede echte Großstadt, so Straub, hat aus Fremden Eingeborene gemacht. Rom war allein wegen Kindermangels auf Immigration angewiesen und konnte aufstiegsorientierte Barbaren – Araber, Slawen, Germanen – von den Vorteilen urbaner Manieren überzeugen. Dass es in der absoluten Monarchie Roms nicht die abstrakte Freiheit, sondern vielfältige Freiheiten sowie mehr Fest- als Arbeitstage gab, schildert der Autor mit sinnesfreudigen Streifzügen durch römische Hochhausviertel, Thermen und Einkaufsstraßen. Derlei historische Fantasie ist zwar unwissenschaftlich, aber macht anschaulich, warum für Straub die Menschen nur in Großstädten lernen, einander zu ertragen und miteinander auszukommen.
  Den weiteren Verlauf der Stadtgeschichte entwickelt der Autor entlang eines sehr breiten Zeitpfeiles, der allerlei Umbrüche und Konflikte tilgt, aber den Sinn des urbanen Dramas umso deutlicher macht: „In der Großstadt erwacht der Mensch erst zu einer umfassenden Vorstellung seiner Unfasslichkeit.“ Mit dem Untergang des Römischen Reiches sind dann auch die Großstädte fast verschwunden, bis im 11. Jahrhundert die Kriege und Belagerungen überwunden waren und der Aufbruch in ein neues Europa der Städte gelang.
In den alten Bischofsstädten aus römischer Zeit und neuen Fürstenstädten entbrannten Kirchenbau-Konkurrenzen, wobei die freien deutschen Reichsstädte ebenso kronen- wie kirchenferne Ausnahmen blieben. Die Stadtkirchen erfüllten Straub zufolge weniger spirituelle denn handfeste sozialpolitische Aufgaben als Familienberatung, Ausländeramt, Sozialfürsorge und Jobcenter; Frauen waren gleichberechtigt berufstätig und führten Großhaushalte wie Familienunternehmen. Europa konnte zur vorangegangenen Stadtblüte nicht nur Roms, sondern auch Cordobas oder Antiochias aufschließen. Den deutschen Residenzen im 15. Jahrhundert gelang schließlich eine bürgerlich-aristokratische Symbiose, der gegenüber die Bürgerstädte zur Provinz herabsanken.
  Überraschend schert Straub aus dem Kanon des Städtelobs aus und feiert Madrid um 1600 als Welttheater und erste moderne Stadt. Die spanische Hauptstadt sei „Mutter aller Völker“ gewesen und habe jeden durch Hispanisierung von seinem provinziellen Schicksal befreit. Wenn es stimmt, dass zwischen 1600 und 1700 in Spanien mehr als hunderttausend Theaterstücke geschrieben wurden, dann hat es nirgends zuvor oder später eine derartige moralische Erziehungsanstalt für die Massen gegeben. Daraus folgert der Autor: Nicht Demokratisierung, sondern Nobilitierung war die zentrale Triebfeder der Madrilenen, die ein ganzes Volk zu Adligen machen wollten. Allerdings muss sich der Leser hier die Grausamkeit des spanischen Hofzeremoniells und die kolonialen Menschenschlachtungen hinzudenken.
  Freilich bleibt Straubs Gleichsetzung von Urbanität und Höflichkeit fragwürdig. Urbanität war eigentlich eine Leitidee der antiken Sittenlehre im Gegensatz zur bäuerlichen „Rustizität“ und meinte Bildung, Witz und furchtlosen Bürgersinn als oberste römisch-republikanische Tugenden. Erst in höfischen Gesellschaften schrumpfte Urbanität zur bloßen Höflichkeit der glatt polierten „Politesse“. Diese konnte sich, so Straub, in der stadtfernen Kunstwelt von Versailles zu skurriler Blüte entwickeln, während nebenan die zweite Welthauptstadt Paris zum Schlachtfeld unruhiger aristokratischer Cliquen herabsank. Das änderte sich erst mit dem Gesinnungs- und Kontrollzwang durch die Französische Revolution 1789, die nicht eben stadtfreundlich war. Von Paris aus begann damals, was Straub „die moderne Spätantike des ausufernden Verwaltungs-, Verteilungs- und Steuerstaates“ nennt. Es war der Versuch, die europäische Vielfalt durch ein Nationalideal mit gleichen Sitten auf monotone Einfalt zu beschränken.
  Zwar gab es im 19. Jahrhundert noch epochale Stadtverschönerungen und den Aufstieg kommunaler Selbstverwaltungen mit ihren großen Bürgermeistern. Doch nach 1900 beginnt für Straub das Großreinemachen der „Propheten des totalen Vitalismus und der neuen Natürlichkeit“. Mit Sport, Abstinenz, Gartenstadt und Rassenhygiene wurde jeder zum Rädchen im Massengetriebe. Was daraus an Verrechtlichung und Bevormundung in heutigen städtischen „Versicherungsgesellschaften“ mit ihrem ausgeprägten Willen zum Rechthaben geworden ist, macht für Straub das Zusammenleben schwieriger als im Chaos des alten Rom.
  Noch nie waren Städte so sicher und sauber wie heute, aber sie müssen um ihre Vitalität und ihren Asylcharakter für Marginalisierte wieder kämpfen: „Wer die Stadt unbekümmert um Karriere und Verdienst auch außerhalb der organisierten bürgerfestlichen Turbulenzen als Ort der Lebensfreude betrachtet, seinen Spazierstock in die Luft wirft, singt, musiziert, bis in die tiefe Nacht redet und dabei auch noch Bier und Schnaps trinkt und Zigaretten raucht, ist ein Störenfried.“ So werden aus städtischen Eingeborenen wieder Fremde – eine unschöne Wendung, der man mit Eberhard Straub nun energisch entgegentreten kann.
MICHAEL MÖNNINGER
Eberhard Straub: Das Drama der Stadt. Nicolai Verlag, Berlin 2015. 208 Seiten, 19,95Euro.
Nicht Athen, das Rom der Kaiserzeit ist das antike Ideal der Stadt.
Foto: AP
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