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Jugendkriminalität ist zu einem der wichtigsten innenpolitischen Themen in der Bundesrepublik geworden. Dabei kommen die Betroffenen so gut wie gar nicht zu Wort. Im vorliegenden Buch äußern sich jugendliche Gefangene der JVA Köln-Ossendorf im Rahmen einer Erzählwerkstatt freimütig und offen über ihre Familien, ihre Kindheit, ihre Straftaten, ihre Träume und Wünsche und ihr Leben im und nach dem Gefängnis.

Produktbeschreibung
Jugendkriminalität ist zu einem der wichtigsten innenpolitischen Themen in der Bundesrepublik geworden. Dabei kommen die Betroffenen so gut wie gar nicht zu Wort. Im vorliegenden Buch äußern sich jugendliche Gefangene der JVA Köln-Ossendorf im Rahmen einer Erzählwerkstatt freimütig und offen über ihre Familien, ihre Kindheit, ihre Straftaten, ihre Träume und Wünsche und ihr Leben im und nach dem Gefängnis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2007

Das Ende der coolen Sprüche
Jugendliche erzählen über ihr Leben in der Haft
Es fängt gleich gut an. Bilal schildert, wie er verhaftet wurde nach einer Flucht mit dem Auto, der Streifenwagen hinterher, Kelle, Kontrolle. Ein bisschen wie im Film. Dann war plötzlich eine Waffe auf ihn gerichtet, und er hatte die Hände in Handschellen auf dem Rücken und Schmerzen in den verdrehten Schultern. Die Polizei brauchte nicht lange, die Täter waren gut zu erkennen auf der Überwachungskamera. Kleinganovenfehler. So war das bei Bilal, der sagt, er würde Geld, das er auf der Straße findet, immer zurückgeben. Im Präsidium wartete der Junge erst gar nicht auf den Anwalt, er quatschte gleich los. Das war schon nicht so mehr wie im Film. Das war das Ende der coolen Sprüche.
Seitdem sitzt Bilal in der Jugendabteilung der Justizvollzugsanstalt Köln in Untersuchungshaft. Zusammen mit Hubertus, der davor auf der Straße lebte und Fahrräder klaute und Christian, der mit Drogen dealte und dem ein Fluchtversuch misslang, mit Baschar, der eine Prostituierte vergewaltigt und beklaut haben soll, mit Miguel, der einem anderen auf den Kopf trat, bis der sich nicht mehr bewegte und mit Carlos, der möglicherweise einen abgestochen hat. Falsche Namen – wahre Geschichten.
Ein Jahr lang hat Klaus Jünschke mit zwanzig Jugendlichen in der JVA Köln geredet, jeden Montag zwischen 15 bis 17 Uhr, so viele wollten zur Erzählwerkstatt, dass die Bewerber Anträge schreiben mussten. Entstanden ist daraus das Buch „Pop Shop. Gespräche mit Jugendlichen in Haft”, Erzählungen über das Leben vor, in und nach der JVA. Sie reden über die Festnahme, die Zellen, das Essen, die Taten, die Richter, die Freunde und die Frauen. Sie erzählen von Soßen wie Wasser in der Kantine, von der Angst, noch durchgeknallter rauszukommen oder vor Gericht zu weinen. Es wird geprahlt und reflektiert, gelacht und bereut. Es gibt gute Tage und schlechte. Es gibt stille Jugendliche und aufgekratzte. Es ist ein Buch, das vom Gefängnis erzählt. Und von Menschen, die drin sind.
Ein Jahr. Das ist eine Menge Zeit. Und so fangen sie an zu vertrauen, erzählen von Vätern, die sie mit Gürteln und Eisennieten schlugen, die sie den Gang entlangprügelten, weil sie ihre Zahnspange vergessen hatten, von Müttern, vor denen sie sich jetzt schämen, wenn sie vor ihnen sitzen, mit verweinten Augen. Sie reden von Drogen, die sie sich eingeschmissen haben, von Anklageschriften, die sie nicht verstehen, von ihren Frauen, die wohl fremdgehen da draußen, von Freunden, die nie gekommen sind. Und sie reden vom Knast, wie es ist, das Alleinsein und das Abgezocktwerden, wie sie die Zellenkollegen hassen, die ihnen die Würstchen wegfressen und die Beamten, die wegschauen. Sie erzählen von eiskalten Russen und nervenden Junkies. Zellenkollegen heißen „Spannmann”, Typen, die wegen Kleinigkeiten reinkommen, „Pille-Palle-Gangster”. Selbstmordgefährdete bekommen grüne Karten, „Pop Shop” heißt die von der Gefängnisleitung verhängte Freizeitsperre.
Klaus Jünschke hat Fragen gestellt und zugehört, der Fotograf Jörg Hauenstein hat Bilder gemacht, Christiane Ensslin hat alles überarbeitet. Hier werden aus vermeintlich Unrettbaren nachdenkliche, selbstkritische Jugendliche, die darüber diskutieren, ob die Schläge der Väter sie zu dem gemacht haben, was sie sind. Oder ob sie mehr Disziplin gebraucht hätten. „Es liegt bei mir und nicht bei ihnen. Sache ist eben, man muss bestraft werden für das, was man getan hat”, sagt Abdullah. „Schläge helfen doch”, sagt Selim. „In den Knast stecken, das ist schon irgendwo richtig, damit die Leute lernen”, sagt Miguel. „Schon bei dem Gedanken, dass ich so was gemacht habe, wird mir schlecht”, sagt Carlos. Und Ismail fragt, warum die deutschen Jungs ihre Mütter eigentlich nie umarmen im Besucherraum.
Ganz nahe dran ist Klaus Jünschke, der es als ehemaliger RAF-Terrorist auch selber kennt, das Eingesperrtsein, und der sich schon lange beschäftigt mit Gefängnisalltag und Jugendknast. Nahe dran, aber nicht ohne Distanz. Und nachdem gerade die jugendlichen Mörder eines Mitgefangenen in der JVA Siegburg zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden, kann man in diesem Buch die Abgründe erahnen: wenn sie Angebereien herunterspulen, wenn sie mit Drogen und Knarren und brutalen Schlägereien protzen. Bis wieder alles kippt und sie von ihrem ersten Raub erzählen, bei dem sie vor Angst beinahe die Waffe fallen ließen. „Ich bin mit den Worten groß und seh’ dann immer so assi aus, ich bin aber nicht so, okay, ich bin auch so. Aber wenn ich hier in der Zelle bin, ich denk’ nur an meine Mutter”, sagt Bilal.
Jener Bilal, den sie erwischt haben nach einer Fahrt, die zunächst aussah wie ein Film. KARIN STEINBERGER
KLAUS JÜNSCHKE / JÖRG HAUENSTEIN / CHRISTIANE ENSSLIN: Pop Shop. Gespräche mit Jugendlichen in Haft. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2007. 238 Seiten. 16 Euro.
„Ich denk’ nur an meine Mutter”: Wenn Jugendliche vom Eingesperrtsein erzählen, wird geprahlt und reflektiert, gelacht und bereut. Foto: Jörg Hauenstein
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Abgründe erahnen" lassen Rezensentin Karin Steinberger die Gespräche des einst selbst als RAF-Terrorist inhaftierten Klaus Jünschke mit Jugendlichen der JVA-Köln. Jünschke ließ die jugendlichen Vergewaltiger, Totschläger, Diebe oder Drogendealer frei erzählen, und so sind Geschichten herausgekommen, die von Taten und Schuldgefühlen, von durch Drogen und familiäre Misshandlung gekennzeichnete Biografien, aber auch vom Leben im Knast handeln - etwa dem schlechten Essen im Entzug oder dem rauen sozialen Miteinander im Mikrokosmos Justizvollzugsanstalt. So entsteht ein reales Bild von Lebenszusammenhängen, die selbst den Betroffenen zuweilen "wie im Film" erscheinen können. "Ganz nah dran" und doch nicht distanzlos sei Jünschkes Präsentation, lobt die Rezensentin, die die erzählten Schicksale offenkundig bewegt haben.

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