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Deeriye, die Hauptfigur in VATER MENSCH, ist ein Held des somalischen Widerstandes, der während der italienischen Kolonialherrschaft viele Jahre im Gefängnis verbringen musste. Inzwischen ist er alt und krank und lebt zurückgezogen im Haus seines Sohnes Mursal, eines Juraprofessors, und dessen amerikanischer Ehefrau. Mursal wird zur intellektuell treibenden Kraft einer kleinen oppositionellen Gruppe im Untergrund. Aber als die Aktionen der Verschwörer scheitern und Mursal durch die Hände der Sicherheitskräfte des Generals stirbt, entschließt sich Deeriye, der sein Leben lang Gewalt verabscheut…mehr

Produktbeschreibung
Deeriye, die Hauptfigur in VATER MENSCH, ist ein Held des somalischen Widerstandes, der während der italienischen Kolonialherrschaft viele Jahre im Gefängnis verbringen musste. Inzwischen ist er alt und krank und lebt zurückgezogen im Haus seines Sohnes Mursal, eines Juraprofessors, und dessen amerikanischer Ehefrau. Mursal wird zur intellektuell treibenden Kraft einer kleinen oppositionellen Gruppe im Untergrund. Aber als die Aktionen der Verschwörer scheitern und Mursal durch die Hände der Sicherheitskräfte des Generals stirbt, entschließt sich Deeriye, der sein Leben lang Gewalt verabscheut hat, die Gerechtigkeit in eigene Hände zu nehmen. Er riskiert ein verzweifeltes Attentat auf den General... Mit VATER MENSCH hat Farah seine Trilogie Variationen über das Thema einer afrikanischen Diktatur abgeschlossen. Sein Werk ist ein aufwühlender Appell gegen die Gewalt, eine fesselnde Darstellung der widerspruchsvollen Geschichte und Kultur Somalias und zeigt eindrucksvoll, wi e das Wesen der Diktatur die menschlichen Beziehungen bis in die tiefsten Verästelungen hinein beschädigt und vergiftet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2002

Frauen, Paschas, Patriarchen
Gepanzerte Seele: Nuruddin Farahs somalische Familiengeschichten

Was für eine Genealogie: Der Großvater war nomadischer Geschichtenerzähler, der Vater Dolmetscher des britischen Gouverneurs, der Sohn, der seit 1975 ein Nomadenleben im Exil führt, Begründer der somalischen Literatur. Nuruddin Farah wird seit langem als Anwärter auf den Literaturnobelpreis gehandelt, aber sein Werk ist bei uns immer noch fast unbekannt. Er teilt damit das Schicksal seines Heimatlandes, das, seit der mißglückten UN-Befriedungsmission fast vergessen, erst seit den Anschlägen vom letzten September wieder ins Fadenkreuz des Kampfes gegen den Terror rückt. Dabei könnte Farah unser Wissen über Wurzeln und Opfer des fundamentalistischen Terrors bereichern: Niemand hat so leidenschaftlich und einfühlsam über Frauen im Machtdreieck zwischen Diktatur, islamistischem Terror und patriarchaler Clanherrschaft geschrieben.

Die Aktualität von Farahs Werk hat sich auch bei seinen deutschen Verlegern herumgesprochen. Während seine neueren Romane - zuletzt "Duniyas Gaben" - bei Suhrkamp erscheinen, hat sich die Random-House-Tochter Frederking & Thaler der älteren "Variationen über das Thema der afrikanischen Diktatur" angenommen. Nach "Bruder Zwilling", 1980 unter dem Titel "Staatseigentum" erstmals übersetzt, liegt die Trilogie mit "Tochter Frau" und "Vater Mensch" jetzt endlich komplett in Deutsch vor.

Der Diktator Siad Barre, der Farah ins Exil trieb, wurde 1991 gestürzt, aber Somalia hat sich bis heute nicht von seiner Schreckensherrschaft erholt. Von Warlords, Fundamentalisten, Sezessionisten und dem großen Nachbarn Äthiopien umzingelt, hat die provisorische Regierung nicht einmal die Hauptstadt Mogadischu unter ihre Kontrolle bringen können. Hunger, Bürgerkrieg und Anarchie machen das Land am Horn von Afrika zur leichten Beute rivalisierender Clans.

"Tochter Frau" (im Original "Sardines") und "Vater Mensch" ("Close Sesam") lesen sich wie hellsichtige Prophezeiungen dieses Krieges aller gegen alle. Aber in den Trümmern, die Kolonialherren, Freiheitskämpfer und die "Friedensstifter" des Generals hinterlassen haben, lebt die Hoffnung auf Zivilcourage, Freiheit und Frieden fort. Ihre Quelle und ihr Bewährungsfeld ist die Familie: Sie ist Keimzelle des Widerstands, Erholungsraum der Verfolgten, Labor einer neuen politischen Pädagogik und Moral, mit einem Wort: die reale Utopie einer besseren Zukunft.

Umgekehrt ist sie freilich auch das Einfallstor staatlichen und religiösen Terrors. Farahs mafioser "inzestuöser Zirkel" karikiert die somalische Großfamilie: Die schwarzen oder vielmehr roten "Lackaffen" ahmen die Kolonialherren nach; Stammeshäuptlinge, Paschas, tyrannische Patriarchen und bigotte Schwiegermütter sind nicht nur Stellvertreter Allahs, sondern auch Statthalter eines Diktators, der seine Untertanen wie Kinder behandelt. Nur selbstbewußte, furchtlose Männer und starke Frauen können aus diesem Teufelskreis ausbrechen - und laufen dabei Gefahr, selbst paranoid und unbarmherzig, väterlich herablassend oder verbittert zu werden.

In "Tochter Frau" beschreibt Farah einmal mehr Frauen zwischen Unterdrückung und Aufbegehren, archaischer Unmündigkeit und natürlichem Stolz. Frauen sind im polygamen Somalia Waren, die gekauft und wieder abgestoßen werden, Kinder rechtlose Unpersonen: "Die Schmerzen gehören uns, Fett, Reichtum und Macht gehören den Männern." In der Beschneidung oder in der "politischen Vergewaltigung" stehen nicht allein ihre körperliche Unversehrtheit und Würde auf dem Spiel: In den grausamen Ritualen verdichtet sich tribale, religiöse und staatliche Gewalt gegen Frauen zum Exzeß. Farah konfrontiert emanzipierte Frauen wie Medina mit den Opfern und Tätern autochthoner wie importierter Männlichkeitsmythen. Die westlich gebildete Journalistin weigert sich, ihre Tochter beschneiden zu lassen; weder Schreibverbote noch Bespitzelung, weder der Haß ihrer Schwiegermutter Idil noch die feige Resignation ihres Mannes Samater, eines opportunistischen Intellektuellen, der als Minister immer mit einem Fuß im Gefängnis steht, können sie davon abbringen. Medina hat die "größeren Hoden": Sie gibt für ihre Überzeugungen Beruf, Haus und Familie auf. Aber die harten Zeiten haben auch ihre Weiblichkeit verhärtet und ihre Liebesfähigkeit beschädigt. Aggressiv, ungeduldig und besserwisserisch stößt sie Vertraute vor den Kopf und läßt ihr "aufgeklärtes Kind" allein mit ihren ideologischen Prinzipien. Erst als durch ihre Mitschuld ihr Bruder zum Tode verurteilt wird, lenkt sie ein und beginnt ihren Seelenpanzer zu lockern.

Farah unterschlägt nie die Widersprüche und Schwächen seiner starken Frauen. Wiewohl nicht frei von Schwarzweißmalerei und aufdringlich didaktischer Symbolik und Rhetorik, springt er immer wieder über den Schatten seines Pansomalismus. Ausländerinnen kommen bei ihm allerdings selten gut weg: Naivität, Narzißmus, Arroganz und sexuelle Promiskuität machen sie zu nützlichen Idiotinnen im Harem des Generals. Sandra etwa, eine italienische Marxistin, läßt sich als Mätresse des "Ideologen" ihre politische Unschuld und ihr journalistisches Ethos abschwatzen. Farah mag ein kosmopolitischer Demokrat und geschworener Feind religiöser Intoleranz sein, aber auf die "Arroganz der judäo-christlichen Welt" ist er nicht gut zu sprechen. In einem Interview beschrieb er die Terroranschläge von New York als Resultat eines verwirrten, aber politisch durchaus legitimen "Bedürfnisses nach Gerechtigkeit". Daß er dennoch eine amerikanische Jüdin mit großer Sensibilität und Sympathie porträtiert, zeigt freilich, daß er sich seine dichterische Wahrheit nicht von Ressentiments verdunkeln läßt.

"Vater Mensch" entstand 1983 - übrigens in Bayreuth -, aber die Fragen, die der Roman stellt, sind heute brisanter denn je: Darf ein guter Muslim sich und andere töten, um dem Bösen in den Arm zu fallen? Wo hört der gerechte Dschihad gegen eine barbarische Diktatur auf, wo fangen Prinzipienreiterei und Terrorismus an? Der fromme Deeriye, ein kranker, müder Veteran des Befreiungskriegs gegen die Italiener (und einer der raren gütigen Väter Farahs), gerät in schwere Loyalitäts- und Gewissenskonflikte, als sein Sohn Mursal als Verschwörer verhaftet wird: Darf, muß er noch einmal zu den Waffen greifen, um jene zornigen Kinder, die ihre Väter nicht einmal mehr ins Vertrauen ziehen, zu verteidigen und zu rächen? Aber war er, der die Welt nur aus dem Gefängnis kennt, nicht immer abwesend, wenn sein Sohn ihn brauchte? So streiten Erfahrung und Weisheit der Väter mit dem ungestümen Haß der Söhne, das Natur- und Blutrecht nomadischer Clans mit der urbanen Gesetzlichkeit, die Transzendenz des Koran mit säkularisierten Menschenrechten und Bürgerpflichten. Farah dekliniert einmal mehr öffentlich-politische Fragen im Binnenraum der Familie durch und setzt die Sprache des heiligen Wahnsinns gegen die Lügen der Diktatur. Am Ende findet der Held von 1934 bei einem verzweifelten Selbstmordattentat einen bizarren Märtyrertod: Der verwirrte Greis zieht aus Versehen die Gebetskette anstelle des Revolvers.

Nuruddin Farah macht es uns nicht einfach. Seine Begriffe von Freiheit, Emanzipation und Gerechtigkeit sind nicht deckungsgleich mit unseren angeblich so universellen Idealen. Aber sie sind gerade darum über alle Zweifel erhaben, weil sie auch die Kategorie des Zweifels kennen und in einer Art herrschaftsfreiem Diskurs entfaltet werden: Im Palaver unter Freunden und im Familienrat haben Alt und Jung, Mann und Frau, Einheimischer und Gast das gleiche Stimmrecht, und abweichende Meinungen lassen die Menschen nur um so "besser und lebhafter denken".

Auch als Erzähler zitiert Farah westliche Vorbilder von Joyce bis Brecht nur, um sich, noch ganz in der mündlichen Erzähltradition verhaftet, um so weiter von ihnen zu entfernen. Reich an Gerüchen und Farben, blumigen Metaphern und Pathos, geschmückt mit Spruchweisheiten, Gebeten, Visionen und Träumen, zehren seine Romane gleichermaßen von animistischer Magie, somalischen Volksmärchen und arabischer Lyrik wie von der Literatur der Kolonialherren. Die offene, synkretistische Form bildet nicht nur die Geschichte des Landes, sondern auch die Zerrissenheit des Exilanten ab. Leider gibt die Übersetzung diese Vielfalt nur unzureichend und hölzern wieder; schmerzlich vermißt man auch ein Glossar. Aber wer Geduld und Interesse mitbringt, wird aus dieser zwanzig Jahre alten Trilogie mehr über Gewalt, Geschlechter- und Generationenkonflikte in islamischen Gesellschaften lernen als von unseren Scholl-Latours.

MARTIN HALTER

Nuruddin Farah: "Tochter Frau". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Pemsel. Marino bei Frederking & Thaler, München 2001. 318 S., geb., 20,- [Euro].

Nuruddin Farah: "Vater Mensch". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Pemsel. Marino bei Frederking & Thaler, München 2001. 286 S., geb., 20,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zwei Romane des Somaliers Nurrudin Farah sind jetzt parallel auf deutsch erschienen und beide gehören, wie Ilja Trojanow erläutert, zwei unterschiedlichen Trilogien an, die jetzt jeweils komplett übersetzt vorliegen: "Dunijas Gaben" (Suhrkamp) und "Vater Mensch" (Frederking und Thaler).
Trojanow geht in seiner Besprechung vor allem auf "Duniyas Gaben " ein, das Mittelstück aus einer Trilogie, zu der noch "Maps" und "Geheimnisse" gehören. Variationen zum Thema afrikanische Familie, benennt Trojanow das Oberthema. Gilt zu Beginn die Familie als Hort der Sicherheit und Gegenpol zum politischen Geschehen, das von Willkür bestimmt ist, bekommt der Gehorsam des Clandenkens im Laufe der Trilogie etwas Grausames, analysiert der Rezensent. Vor allem Kinder und Frauen komme dieses Denken teuer zu stehen. Trojanow bezeichnet Farahs Romane als weder exotisch noch folkloristisch - sie pflegen, wie er meint, "einen etwas überhöhten intellektuellen Diskurs". Der Somalier lebt seit vielen Jahren im Exil - und kehrt literarisch immer wieder in seine Heimat zurück, mit dem Blick des Gebildeten und Herumgekommenen, der für Trojanow den Besonderheiten seines Landes ein "anthropologisches Lehrstück" abgewinnt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Farahs Romane verbinden die lebendigen afrikanischen Mythen mit dem Blick eines kosmopolitischen Intellektuellen auf sein zerrissenes Land." (Süddeutsche Zeitung)

"Nuruddin Farah ist einer der wichtigsten Interpreten der Erfahrung in unserem unruhigen Kontinent." (Nadine Gordimer)