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Die Neuausgabe der lange vergriffenen Briefe Karl Kraus' an Sidonie Nádherny - mit neuen Dokumenten, die auch die Stimme Sidonie Nádhernys deutlicher erkennen lassen, sowie einer Vielzahl unbekannter Abbildungen. Der vierzigjährige Karl Kraus, Herausgeber der satirischen Zeitschrift »Die Fackel«, gefürchtet von seinen Feinden, gefeiert von seinen Anhängern, lernt am 8. September 1913 im Wiener Café Imperial die schöne Baronesse Sidonie Nádherny kennen. Das Zusammentreffen verändert beider Leben. Er erwägt, ihr zuliebe seine Zeitschrift aufzugeben. Sie kommt von der Verpflichtung gegenüber…mehr

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Produktbeschreibung
Die Neuausgabe der lange vergriffenen Briefe Karl Kraus' an Sidonie Nádherny - mit neuen Dokumenten, die auch die Stimme Sidonie Nádhernys deutlicher erkennen lassen, sowie einer Vielzahl unbekannter Abbildungen. Der vierzigjährige Karl Kraus, Herausgeber der satirischen Zeitschrift »Die Fackel«, gefürchtet von seinen Feinden, gefeiert von seinen Anhängern, lernt am 8. September 1913 im Wiener Café Imperial die schöne Baronesse Sidonie Nádherny kennen. Das Zusammentreffen verändert beider Leben. Er erwägt, ihr zuliebe seine Zeitschrift aufzugeben. Sie kommt von der Verpflichtung gegenüber ihrer Familie nicht los, eine standesgemäße Heirat einzugehen. Die »Liebestodesangst«, die Karl Kraus erlebt, reicht über sein Grab hinaus.Der »Neue Karl Kraus«, den Elias Canetti nach Erscheinen dieser Briefe vor dreißig Jahren in einem Essay, der auch in dieser Ausgabe abgedruckt ist, enthusiastisch feierte, war für seine Leser eine Entdeckung; für jene, die Kraus' Werk nicht kannten, war es die Einladung, sich mit dem Autor der »Fackel« und der »Letzten Tage der Menschheit« endlich bekannt zu machen.Die neue Ausgabe bietet neben den 1065 Briefen, Karten und Telegrammen von Karl Kraus und über 40 faksimilierten Briefbeilagen erstmals auch 40 Mitteilungen von Sidonie Nádhernys Hand. Der größte Teil ihrer Briefe ist bis heute verschollen. In einem Essay aus dem Jahre 1934 erzählt sie von Schloß und Park Janowitz, von ihrer Familie und den Vorbesitzern. Dazu kommen Auszüge aus ihren unveröffentlichten Tagebüchern, die ihre Stimme deutlicher erkennen lassen als bisher. Der zweite Band enthält zahlreiche, neu aufgefundene Abbildungen und einen ausführlichen Anmerkungsteil, der die umfangreiche Literatur zum Thema berücksichtigt.
Autorenporträt
Karl Kraus (1874-1936) war als Herausgeber und fast alleiniger Verfasser der »Fackel« einer der meistverehrten und zugleich meistgehassten Kritiker seiner Zeit.

Friedrich Pfäfflin, geb. 1935, hat nach zwanzigjähriger Tätigkeit als Verlagsbuchhändler ein Vierteljahrhundert die Museumsabteilung des Schiller-Nationalmuseums in Marbach geleitet. In den Jahren 1968 bis 1973 erschien der von ihm initiierte, von Heinrich Fischer herausgegebene Reprint der »Fackel« von Karl Kraus in über 35.000 Exemplaren. Veröffentlichungen u. a.: Karl Kraus: Briefe an Sidonie Nádhern? von Borutin 1913-1936 (Hg., 2005); Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten von Weggefährten und Widersachern (Hg., 2008); Das Werk der Photographin Charlotte Joel (Hg., 2019).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005

Im Zweifel entscheide man sich für die Richtige
Sie hielt die "Fackel" am Leuchten: Karl Kraus schreibt Briefe an Sidonie Nádherný von Borutin / Von Hannes Hintermeier

Es war ziemlich ekelhaft, was sich der Dichterfürst Rainer Maria Rilke da erlaubte. Am 21. Februar 1914 schreibt er aus Paris an die Baronesse, mit der ihn acht Jahre schon eine Freundschaft verbindet, einen Brandbrief in Sachen Karl Kraus. Rilke war durchaus nicht verborgen geblieben, daß sich zwischen Sidonie Nádherný von Borutin und dem Herausgeber der "Fackel" eine Romanze entwickelt hatte, seit sie einander am 8. September 1913 im Wiener Café Imperial vorgestellt worden waren. Und das paßte ihm gar nicht. Also versuchte er, der seit dem Freitod ihres Bruders Johannes durchaus orientierungslosen jungen Adeligen, sehr subtil und um so perfider, Kraus auszureden. Es sei ihm selbst widerfahren, "daß ich über geistige Wege (Umwege, wenn man so will) einen Menschen, ohne es zu merken, näher in mein Leben einbezog, als ich eigentlich meinte . . ." Karl Kraus aber, so argumentiert Rilke trickreich und verlogen weiter, könne der Baronesse "nicht anders als fremd sein, ein fremder Mensch".

Ob er mit dem "letzten unaustilgbaren Unterschied" auf den Umstand hinwies, daß Kraus Jude war oder ob er vor einer Künstlerehe warnen wollte: Im einen wie im anderen Fall war es ein Meisterstück der Hintertriebenheit. Und Rilke verfehlte seine Wirkung nicht: Sidonies Zwillingsbruder Karl, nach dem frühen Tod der Eltern Herr im Hause und damit Mitentscheider über das Leben der Schwester, war Kraus weder geheuer noch angenehm. Sidonie nahm Rilkes Einwände ernst und unterdrückte ihre Absichten, sich fester an Kraus zu binden, ihn womöglich zu heiraten. Der Abgewiesene, der wohl wußte, wem er diese Entwicklung zu danken hatte, schrieb, er ahne nun, "wie einem zum Tod Verurtheilten ist".

Wer solche Freunde hat, braucht keine Therapeuten mehr. Franz Werfel, von Rilke umworben, hat sich später so an den Autor des "Cornet" erinnert: "Seine Sphäre hatte etwas Fremdes für mich, etwas Saftlos-Verfeinertes, das mich anstrengte und müde machte. Ich war sehr jung, und mein Temperament wehrte sich dagegen, stundenlang nur ,im Wort zu leben'. Ich sehnte mich nach irgendeiner Derbheit."

Karl Kraus ist neununddreißig Jahre alt und ein allseits ebenso gefürchteter wie angebeteter Zeitgeistgeißler, als er sich unsterblich in die um elf Jahre jüngere Baronesse verliebt. Vielleicht müßte man sagen, er habe sich sterblich in sie verliebt, denn von Stund' an kämpft er an der Liebesfront mit dem gleichen Einsatz wie an der publizistischen - mit nichts anderem als dem Absoluten kann er sich zufriedengeben. Wenn, dann schreibt und liebt er um sein Leben. "Es gibt in der Welt von Karl Kraus nichts, das gleichgültig wäre. Es gibt das Verächtliche und das Hohe, dazwischen ist nichts. Das Matte und Mittlere, aus dem die Welt der meisten besteht, ist ihm unbekannt", schreibt Elias Canetti, der sich selbst nur mit Mühe aus dem Banne seines geistigen Ziehvaters befreit hat.

Beide haben ein Vorleben mit dem anderen Geschlecht, bei Kraus ist es unter anderem die Affäre mit der Schauspielerin Annie Kalmar, bei Sidonie Nádherný die kurze, heftige Beziehung mit dem polnischen Grafen Josef Rzyszczewski-Stadion. Die Baronesse kurvt auf Brautschau durch halb Europa, der Junggeselle Kraus ist mit seiner Zeitschrift liiert. Wenn er also in mittleren Jahren zu lieben beginnt, tut er das nicht wie jeder Normalsterbliche, in dem er vorübergehend durchdreht - Kraus dreht auf höchsten Niveau durch. Anfangs scheint er nur noch zu existieren, um auf Post von der Angebeteten zu warten: "Über zwanzigmal lief ich ins Vorzimmer, wenn ich die Klappe fallen zu hören glaubte." Oft genug wartet er vergeblich. "Ich verbrenne (. . .) Ich hätte nie geglaubt, daß es so über mich hereinbrechen kann. Es ist Anfang und Ende."

Aber mit der Post ist das so eine Sache, nie ist man sicher, wer mitliest, viel zu langsam geht ihm das alles, daß ein Brief zwischen Wien und dem gut sechzig Kilometer südlich vor Prag gelegenen Landgut Janowitz, vierundzwanzig Stunden braucht, das will ihm nicht einleuchten. Nicht auszudenken, wenn ihm E-Mail und Mobiltelefon zur Verfügung gestanden wären.

Daß Sidi, wie er sie liebevoll abkürzte, manchmal lieber allein auf Schloß Janowitz blieb, kann man nachvollziehen. Sie war am Anfang schwer beschäftigt, den anbrandenden Liebhaber, der sich obendrein gleich noch ein Opel-Cabrio mit fünfundzwanzig Pferdestärken nebst Chauffeur zugelegt hatte, auf Distanz zu halten. Der Superpathetiker Kraus stilisierte das Anwesen, die Hunde und Pferde, die Bediensteten, die Wiese im Park, die fünfhundertjährige Pappel zu seinem ganz privaten Elysium. Nur dumm, daß er zeitweise in diesem Paradies Hausverbot hatte, weil ihn Karl Nádherný dort nicht mehr sehen wollte.

Das "Saftlos-Verfeinerte", das für Rilke galt, entsprach auch der Baronesse: Die große Müdigkeit, die Unfähigkeit, sich zu entscheiden - dies alles sind Attribute, die man nicht nur aus heutiger Sicht der Umworbenen zuschreiben würde. Aber man darf nicht allzu schnell mit solchen Urteilen sein, denn zu unterschiedlich ist dieses Paar, das zu den großen Liebespaaren der Literatur gehört, gerade weil es in den dreiundzwanzig Jahren seiner Existenz alle Höhen und Tiefen erlebt hat; bis auf jene, die eine bürgerliche Ehe bereithält.

Eine solche Verbindung wäre aber - wir sind noch in der Kaiserzeit, der Erste Weltkrieg steht vor der Tür -, nicht standesgemäß gewesen. Und so erwägt Sidonie zweimal, sich in ihren Kreisen zu vermählen: 1915 mit dem italienischen Grafen Guicciardini (die Hochzeit platzt, Widmungsgedichte bei Kraus und Rilke waren pikanterweise schon angefordert); einen zweiten Anlauf unternimmt sie 1920 mit Maximilian Graf von Thun und Hohenstein, ausgerechnet mit jenem Mann, der sie Kraus vorgestellt hat und der im Briefwechsel wegen seiner weltanschaulichen Verdrehtheiten von Kraus nur als der "Biolog" oder der "(philosophische) Trottel" tituliert wird. Diese Ehe hält kein halbes Jahr, in beiden Fällen sollte sie als Fassade dienen, denn Sidonie war nicht gewillt, ihr Reiseleben aufzugeben - worunter auch ihre Beziehung zu Kraus zu zählen wäre. Daß es zu Brüchen und teilweise jahrelangen Pausen kam, mag nicht verwundern. Eher schon die Unausweichlichkeit, mit der sie nicht voneinander lassen konnten.

Da ihre Antworten auf die mehr als tausendundfünfundsechzig erhaltenen Telegramme, Briefe und Karten bis heute als verschollen gelten, ist man auf Sidonies in englischer Sprache verfaßtes Tagebuch, Aufsätze über ihr heimatliches Schloß, vierzig hier erstmals abgedruckte Karten und jenen kurzen Rückblick angewiesen, den sie anfertigte, nachdem sie alle Briefe kopiert hatte. Beide waren sich demnach einig, daß die Nachwelt dereinst Einblick in das Konvolut erhalten sollte. Den hat diese längst genommen: 1974 ist eine zweibändige Ausgabe bei Kösel erschienen, herausgegeben von Heinrich Fischer und Michael Lazarus, Redaktion Walter Methlagl und Friedrich Pfäfflin. Daß der in solchen Wagnissen versierte Wallstein Verlag jetzt eine erweiterte Neuauflage riskiert, verdient Respekt. Der Anmerkungsband hatte seinerzeit 440 Seiten, heute ist er auf stattliche 830 Seiten angeschwollen. Daß die Edition damals hundertfünfzig Mark kostete und heute für weniger Geld zu haben ist, wirft ein Licht auf die (Nicht-)Entwicklung der Preise in dieser Kategorie von Büchern.

Vor einunddreißig Jahren waren die Briefe als Sensation gewertet worden, zeichneten sie doch ein völlig neues Bild des menschenfressenden Satirikers als eines großen Liebenden. Elias Canetti schrieb damals seinen leuchtend klaren Essay "Der Neue Karl Kraus" (der in Band 2 dokumentiert ist), und der nichts von seiner Hellsichtigkeit eingebüßt hat. Die nun neu hinzugekommenen Schriftfunde der Baronesse sind leider wenig erhellend, kurze Botschaften im Stile von Allerweltsansichtskarten. So schreibt sie etwa im Juni 1915 von einer gemeinsamen Schweizreise mit ihrer irischen Gesellschafterin Mary Cooney und in Begleitung von Kraus an ihren daheim gebliebenen Bruder: "Our life here is too lovely, we drive from spot to spot in the mountains. K.K. pays the expensis & I chauffier; I passed the exam very well in Zürich."

Sehr viel erhellender sind vielmehr die Anmerkungen des an seinem Gegenstand nie ermüdenden Friedrich Pfäfflin. Der Ko-Kurator der Marbacher Kraus-Ausstellung des Jahres 1999 hat sich noch tiefer ins Universum von Karl Kraus hineingegraben. Seiner Leidenschaft, allen Personen ihre exakten Geburts- und Sterbetage, Geburts- und Sterbeorte beizufügen, ist er treu geblieben. So treten auch vermeintliche Nebenfiguren in jenen Kosmos ein, aus dem sich die "Fackel" speiste. Da Karl Kraus in seinen Briefen an Sidonie vergleichsweise wenig von der Arbeit an seiner Zeitschrift schreibt - Sidonie stand dieser Arbeit wohl auch distanziert gegenüber -, sucht der Kommentar regelmäßig den Weg in die dreiundzwanzigtausend "Fackel"-Seiten, die bis zum Tod von Kraus im Juni 1936 erschienen sind.

Pfäfflin zieht Schlüsse aus der um drei Jahrzehnte fortgeschrittenen Kraus-Forschung; er schält die Rolle der Baronesse von Borutin für das Werk des Satirikers noch deutlicher heraus: Ohne sie, die er für den einzig wahren Zuhörer hielt, hätte seine Produktivität schwer gelitten. Noch aus der Demütigung durch Zurückweisung zog er Energie. Die Frau selbst aber, die Kraus im Alter von vierzig Jahren zur Wiedergeburt verholfen und ihn erst zum Dichter gemacht hat, wird erst erkannt werden können, wenn ihre Briefe auftauchen. Noch gibt es Hoffnung, daß dies eines Tages geschieht.

Karl Kraus: "Briefe an Sidonie Nádherný von Borutin 1913-1936". Hrsg. Von Friedrich Pfäfflin. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 2 Bde., 1616 S., 181 Abb., geb., 68,- [Euro]

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Friedrich Rothe entdeckt ganz neue Seiten an Sidonie Nadherny, wenn er die Briefe von Karl Kraus an seine Geliebte liest. Die Neuausgabe von Friedrich Pfäfflin berichtige das Urteil von Elias Canetti, der in der Siebzigern in der Baronin eine "passive" und "intentionslose" Muse sah. Nein, meint der Rezensent, nun werde durch ihre Tagebucheinträge deutlich, wie weit ihr Horizont über den einer "kultivierten Schlossbesitzerin in der böhmischen Provinz" hinausreicht. In der neuen Ausgabe sind auch die "Beilagen" berücksichtigt, mit denen Karl Kraus seine Briefe versah, informiert Rothe. Die Prospekte, Anzeigen und Zeitungsauschnitte gäben dem Werk eine "zeitgeschichtliche Dimension", freut sich Rothe, die gut zu Karl Kraus passt. Der Rezensent weist zudem auf den umfangreichen Kommentarband des Herausgebers hin, der "an eine untergegangene Welt europäischen Geistes "erinnern" möchte. Wie der Leser aber damit umgehe, sei ihm überlassen, und wie Rothe das nun alles findet, uns.

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