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Vom helfenden Berater zum »Produktmanager«: Ute Schneider entwirft die spannende Berufsgeschichte des Lektors.Literaturkulis, geistige Geburtshelfer, graue Eminenzen. Diese und ähnlich plakative Begriffe werden gerne zur Beschreibung des Lektors im literarischen Verlag herangezogen. Die Anonymität der Lektoren, diffuse Vorstellungen von ihrer Tätigkeit und ein nicht definierter beruflicher Qualifikationsweg werfen die Frage auf: Handelt es sich überhaupt um einen Beruf? Um 1900 stellten literarische Verleger erstmals Lektoren ein, die ihnen als Berater zur Seite standen und Autoren im…mehr

Produktbeschreibung
Vom helfenden Berater zum »Produktmanager«: Ute Schneider entwirft die spannende Berufsgeschichte des Lektors.Literaturkulis, geistige Geburtshelfer, graue Eminenzen. Diese und ähnlich plakative Begriffe werden gerne zur Beschreibung des Lektors im literarischen Verlag herangezogen. Die Anonymität der Lektoren, diffuse Vorstellungen von ihrer Tätigkeit und ein nicht definierter beruflicher Qualifikationsweg werfen die Frage auf: Handelt es sich überhaupt um einen Beruf? Um 1900 stellten literarische Verleger erstmals Lektoren ein, die ihnen als Berater zur Seite standen und Autoren im Schreibprozeß begleiteten, aber erst 50 Jahre später übernahmen Lektoren auch Programmverantwortung. Neben der Arbeit am Manuskript wurde die Planung und die Profilierung des Verlagsprogramms zu einem charakteristischen Merkmal. Ute Schneider analysiert die Kontinuität und die Wandlungen der komplexen Funktion des Lektors im Verlagsalltag vor dem Hintergrund der Buchmarktentwicklung und des dynamischen Literaturbetriebs im 20. Jahrhundert. Besonderen Reiz gewinnt die Studie aus einer Vielzahl von Fallbeispielen, die teilweise aus unveröffentlichten Materialien gewonnen sind und durch die man legendären Lektoren wie Moritz Heimann, Oskar Loerke, Hermann Kasack, Friedo Lampe oder Christian Morgenstern gleichsam über die Schulter schaut. Verschiedene Phasen der Berufsgeschichte lassen sich sowohl im Anforderungsprofil als auch im subjektiven Rollenverständnis des Lektors gegeneinander abgrenzen. Vom klassischen Brotberuf für Schriftsteller avancierte der Lektor zum »Produktmanager«, ohne die Ambivalenz der Rolle zwischen Geist und Ware, zwischen ästhetisch-literarischen Werten und Marketingkonzepten, zwischen Autor und Verleger auflösen zu können.
Autorenporträt
Ute Schneider, geb. 1960, Studium der Buchwissenschaft, Germanistik und Soziologie, Promotion 1994 ('Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik, Wiesbaden 1995'), Habilitation 2001, Hochschuldozentin am Institut für Buchwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Herausgeberin von 'Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde (2002ff.)'.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2005

Traumjob ohne Berufsbild
Ute Schneiders Studie über die Geschichte der Literaturlektoren

Fragt man Studierende geisteswissenschaftlicher Fächer nach ihrem Berufsziel, so nennen viele die Position des Lektors in einem Verlag. Warum das so ist, bleibt ein Geheimnis. Allein die Zahl der Stellen zeigt, daß nur eine ganz kleine Zahl von Bewerbern Chancen hat: Nach manchen Schätzungen gibt es nicht mehr als 200 bis 250 Lektoren in literarischen Verlagen, und die Zahl der Lektoren in wissenschaftlichen Verlagen dürfte kaum größer sein. Die angebliche Gesamtzahl von 2500 bis 3000 Lektoren ist wahrscheinlich nur zustande gekommen, weil jeder Verlagsangestellte, der gelegentlich auch Autoren gewinnt oder Bücher redigiert, diese Berufsbezeichnung allen anderen vorzieht. Man könnte sich fragen, ob es wissenschaftlich überhaupt sinnvoll ist, die Geschichte der kleinen Gruppe der Lektoren in belletristischen Verlagen zu schreiben. Ute Schneider, Hochschuldozentin für Buchwissenschaft in Mainz, beseitigt jeden Zweifel daran durch ihre Darstellung.

Die ersten Lektoren, mit deren Einstellung die Verleger um 1900 auf einen sich differenzierenden und zugleich rasch ausbreitenden Markt reagierten, übten ihre Tätigkeit zumeist im Nebenberuf aus. Viele waren Schriftsteller, Journalisten oder Literaturkritiker. Ihre Verlagsarbeit beschränkte sich auf die Beratung des Verlegers und manchmal auch auf die (redaktionelle) Betreuung der Autoren. Ute Schneider analysiert die Stadien der Entwicklung des Berufs bis hin zu der viel umfassenderen Tätigkeit, die heute Programmplanung, Suche der Autoren, Vertragsverhandlungen (auch mit Agenten), Autorenbetreuung, die Redaktion ihrer Manuskripte, aber auch die Mitwirkung an Werbung und Vertrieb einschließt.

Trotz solcher starken Veränderungen der Berufspraxis gibt es Konstanten. Eine ist das nicht selten spannungsreiche Verhältnis von Lektor und Verleger. Bis heute ist es den Lektoren nicht gelungen, Spielregeln für ihre Beteiligung an den Programmentscheidungen durchzusetzen, von Einzelfällen abgesehen. Eine andere Konstante ist die Spannung zwischen literarischen Wertvorstellungen und Marktzwängen. Der Druck des Markts ist allerdings in den letzten Jahrzehnten zunehmend gewachsen. In den meisten Fällen muß der Lektor die Rolle eines Produktmanagers übernehmen, wenn er sich überhaupt noch behaupten will. Trotz solcher Anpassungen kann er oft nicht verhindern, daß er an Entscheidungsmacht verliert und sie zunehmend mit dem Vertriebsleiter teilen, wenn nicht gar an ihn abgeben muß.

Aus diesen Dilemmata, so Ute Schneider, hätten die Lektoren nie einen Ausweg gefunden, unter anderem weil es ihnen nicht gelungen sei, ein allgemein akzeptiertes Berufsbild zu entwerfen. Den besten Lektoren gelingt es freilich dennoch, viele ihrer Ziele durchzusetzen: durch Bündnisse mit dem Verleger, durch Allianzen mit Vertrieb und Werbung, aber auch durch die Wirkung, die von der Freundschaft mit bedeutenden Autoren und durch die Anerkennung der Presse ausgeht. Daß sie ihre "Rezepte" nicht mit anderen teilen wollen, also gleichsam ein Arkanwissen hüten, hat gewiß etwas "Gestriges", aber die Frage ist, ob nicht eben diese Haltung es möglich macht, daß einzelne belletristische Verlage immer wieder Trends brechen und zukunftsfähig bleiben. Sollte das ein kleiner Einwand sein, so schmälerte er nicht die Leistung der Autorin. Gestützt auf eine große Quellenkenntnis bietet sie eine Geschichte des Berufs von seinen Anfängen um 1900 bis heute und leistet damit zugleich einen lesenswerten Beitrag zur Geschichte der deutschen belletristischen Verlage.

ERNST-PETER WIECKENBERG

Ute Schneider: "Der unsichtbare Zweite". Die Berufsgeschichte des Lektors im literarischen Verlag. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 400 S., br., 45,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2005

Amphibienwesen
Die Lektoren: Geschichte eines Berufsstandes
Das Lesen gehört wie das Feuermachen oder Kochen zu den ältesten Kulturtechniken überhaupt. Und in seiner langen Geschichte haben sich unzählige Arten von Lektüren entwickelt. In Buchverlagen unterscheidet sie ganz grob nach ihrem Richtungssinn. Dabei sind die vertikalen Leser die Kaufleute. Sie addieren Zahlenkolonnen, gewöhnlich in der Hoffnung, dass sich unter dem Strich zumindest eine schwarze Null ergibt. Auf die Frage, wie man an ein kleines Vermögen kommt, lautet die klassische Antwort ja nicht umsonst, dass man am besten mit einem großen beginnt, einen Verlag gründet und am Ende ein kleines erwirtschaftet. Es gab und gibt also handfeste Gründe dafür, dass die Verlegerei lange Zeit als ein gentlemen’s business galt.
Den vertikalen Lesern stehen im Alltag des Verlagsgeschäfts die horizontalen gegenüber. Sie heißen „Lektoren”. Ihnen wird nachgesagt, zur privilegierten Gruppe derer zu zählen, die nur fürs Lesen bezahlt werden. Deshalb preist man den Lektor, wenn seine normalerweise unsichtbare Tätigkeit überhaupt gewürdigt wird, gerne als einen Autor, der nicht schreibt. Bildet sich seine Handschrift doch nicht in Texten, sondern im Gesamtprogramm eines Verlages ab.
Dieses Programm sollte, wie eine der seltenen Lichtgestalten dieser Profession gesagt hat, nach dem „Prinzip der guten Nachbarschaft” gestaltet werden. Jedenfalls vertrat Günther Busch, der tausend Bände aus der „edition suhrkamp” als Lektor betreut hatte, diese Auffassung. Er meinte, dass sich im Profil eines ordentlichen Verlages ein übergreifender Diskussionszusammenhang manifestieren müsse, der die Autoren untereinander und mit ihren Lesern ins Gespräch bringt: der Verlag als ein durch den Lektor moderierter, vielstimmiger Diskurs.
Solche Visionen hält Ute Schneider, die eine voluminöse, aber gut lesbare Berufsgeschichte des Lektors vorgelegt hat, für Idealisierungen. Denn die Rolle des Lektors changiert im Zwielicht. Gerade die horizontalen Leser müssen mittlerweile auch die Vertikale im Auge behalten. Die Lektoren sind zu Amphibienwesen geworden, die Geist und Markt, symbolisches wie materielles Kapital, gleichermaßen zu bewirtschaften haben.
Dabei ist die selbstbewusste Schizophrenie, zu der die Arbeit nötigt, auch schon zur Zeit der Geburt des Lektors prägend gewesen. Schneider datiert diesen Augenblick auf den Winter des Jahres 1895. Damals stellte Samuel Fischer, der seinen Verlag gut zehn Jahre zuvor in Berlin gegründet hatte, einen Mann namens Moritz Heimann an. Der junge Schriftsteller hatte Philosophie und Literatur studiert und wurde dank seiner Tätigkeit mit gerade 27 Jahren zum ersten Lektor in der Geschichte des deutschsprachigen Verlagswesens.
Viele Schriftsteller werden in Heimanns Spur ihr Dasein zumindest zeitweise als Lektoren bestreiten. Dessen Berufsauffassung blieb lange prägend für die Rollendefinition. „Fand er sich von einer Arbeit berührt”, konstatiert Jakob Wassermann im Nachruf auf den berühmt gewordenen Fischer-Lektor, „so schrieb er dem Autor ausführlich oder bestellte ihn zu sich, sprach stundenlang mit ihm, setzte ihm die Fehler seines Werkes auseinander, wies auf zeitgenössische Muster hin, schlug Verbesserungen vor, und häufig trat er dann auch in den privaten Bereich helfend und fördernd ein.”
Was den Lektor zu „Herz und Mitte” eines Verlages macht, ist offenbar sein Vermögen, die Belange des Hauses gegenüber den Autoren zu vertreten, andererseits aber doch ein überzeugter Advokat der Autoreninteressen zu sein - nicht nur gegenüber Verlag und Verleger, sondern auch gegenüber der Kritik und den Medien. Zwar bleibt der Verleger die entscheidende Figur in der Beziehung zwischen Verlag und Autor, doch bahnt sich diese Beziehung gewöhnlich durch die Urteilskraft des Lektors an. Er sichtet die Manuskripte und fällt aufgrund seiner Lektüre in aller Regel jenes Urteil, das über den weiteren Verkehr zwischen Autor und Verlag entscheidet. Unangefochten ist die Macht des Lektors eigentlich nur in Gestalt des wohlüberlegten Neins, mit der er kraft seines Amtes eine Buchveröffentlichung verhindert.
Asterix und Augustinus
Schneiders historische Analyse legt überzeugend dar, dass solche Kompetenz erst wichtig wurde, nachdem der literarische Kanon, wie zur Zeit der Jahrhundertwende, seine Selbstverständlichkeit eingebüßt hatte und Verlage entstanden, deren Ambition nicht mehr die Publikation einzelner, womöglich gut verkäuflicher Bücher war, sondern die kontinuierliche Betreuung von Autoren und deren Lebenswerken. Genau diesem Ehrgeiz hatte sich Samuel Fischer verschrieben, der insofern tatsächlich der führende, namentlich für die Durchsetzung des Naturalismus engagierte, literarische Verleger seiner Zeit war. Fischers Verlagspolitik wollte nicht bestehende Lesebedürfnisse beliefern, ihm ging es darum, derartige Bedürfnisse zu wecken.
Inzwischen pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass die Epoche der „wilden Leser” angebrochen ist. Sie lassen sich nicht mehr bevormunden, lesen Asterix und Augustinus, Enzensberger und Simmel, Bücher über Steuertricks und in Gottes Namen auch Harold Pinter. Und so schlägt der Amphibienspezies die Stunde. Dass die Lektorate in den neunziger Jahren massiv ausgedünnt wurden, betont Schneiders Rückblick zu Recht. Mittlerweile besetzen die Marketingabteilungen die organisatorische Mitte der meisten Verlage. Hier entstehen die entscheidenden Strategien. Um das Wohl und Wehe der Autoren kümmern sich umtriebige Agenten, womit der Verlagslektor zum Auslaufmodell zu werden droht. Es ist kein Zufall, dass wir jetzt seine fast hundertjährige Geschichte nachlesen können. Lektorendämmerung nicht nur in Frankfurt, nein, allüberall.
MARTIN BAUER
UTE SCHNEIDER: Der unsichtbare Zweite. Die Berufsgeschichte des Lektors im literarischen Verlag, Wallstein Verlag 2005. 399 Seiten, 44 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Recht instruktiv findet Martin Bauer diese "voluminöse, aber gut lesbare" Berufsgeschichte des Lektors, die Ute Schneider vorgelegt hat. Die Autorin zeichne die Entwicklung des Berufs nach, von seiner Geburt 1895, als Samuel Fischer mit Moritz Heimann den ersten Lektor in der Geschichte des deutschsprachigen Verlagswesens einstellte, bis in die Gegenwart. Deutlich wird für Bauer dabei, dass die Lektoren mehr und mehr zu "Amphibienwesen" wurden, "die Geist und Markt, symbolisches wie materielles Kapital, gleichermaßen zu bewirtschaften haben". Schneiders historische Analyse lege zudem "überzeugend" dar, dass die Kompetenzen des Lektors erst wichtig wurden, nachdem Verlage entstanden, die eine kontinuierliche Betreuung von Autoren und deren Lebenswerken anstrebten. Die gegenwärtige Situation sieht Bauer von einer massiven Ausdünnung der Lektorate geprägt, wie Schneider zu Recht betone. Marketingabteilungen, in denen die entscheidenden Strategien entstehen, besetzten die organisatorische Mitte der meisten Verlage, während sich umtriebige Agenten um die Autoren kümmerten, womit der Verlagslektor zum Auslaufmodell zu werden drohe. "Es ist kein Zufall", resümiert der Rezensent, "dass wir jetzt seine fast hundertjährige Geschichte nachlesen können. Lektorendämmerung nicht nur in Frankfurt, nein, allüberall".

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