Marktplatzangebote
8 Angebote ab € 11,61 €
  • Gebundenes Buch

Schon kurze Zeit nachdem Karl Kraus (1874-1936) den Berliner Komponisten und Schriftsteller Herwarth Walden (1878-1941) kennengelernt hatte, entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden. Als Walden Anfang 1910 im Streit die Redaktion der Halbmonatsschrift "Das Theater" verließ, ermöglichte ihm Kraus durch finanzielle Unterstützung die Gründung einer eigenen Zeitschrift: Am 10. März 1910 erschien die erste Nummer des "Sturm", die sich schon bald zum publizistischen Zentrum der damals jüngsten Literatur und Kunst in Deutschland entwickelte. In den über 650 Briefen, Postkarten und…mehr

Produktbeschreibung
Schon kurze Zeit nachdem Karl Kraus (1874-1936) den Berliner Komponisten und Schriftsteller Herwarth Walden (1878-1941) kennengelernt hatte, entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden. Als Walden Anfang 1910 im Streit die Redaktion der Halbmonatsschrift "Das Theater" verließ, ermöglichte ihm Kraus durch finanzielle Unterstützung die Gründung einer eigenen Zeitschrift: Am 10. März 1910 erschien die erste Nummer des "Sturm", die sich schon bald zum publizistischen Zentrum der damals jüngsten Literatur und Kunst in Deutschland entwickelte.
In den über 650 Briefen, Postkarten und Telegrammen wird Kraus´ bisher unbekannter Anteil an der Entwicklung der Zeitschrift deutlich, der von praktischer und moralischer Unterstützung Waldens bei dessen verschiedenen Entschädigungsprozessen und Ehrbeleidigungsklagen über Spenden und Zuschüsse bis zur Veröffentlichung eigener Beiträge in der jungen Zeitschrift reichte.
Autorenporträt
Karl Kraus (1874-1936) war als Herausgeber und fast alleiniger Verfasser der »Fackel« einer der meistverehrten und zugleich meistgehassten Kritiker seiner Zeit.

Leider ist derzeit keine AutorInnenbiographie vorhanden.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.11.2002

Schnelle Post
Der Briefwechsel zwischen Karl Kraus und Herwarth Walden
Um 1910 schlug im deutschen Sprachraum die Stunde der Zeitschriften; sie vor allem waren es, die den großen Schub der kulturellen Modernisierung trugen. Wie nur wenige Jahre später die Staaten im Krieg bildeten sie miteinander Bündnisse und Achsen, und die wichtigste davon verlief natürlich zwischen Berlin und Wien. In Wien gab es schon seit 1899 die „Fackel” des Satirikers Karl Kraus. Ihm schien es nunmehr wünschenswert, seine Basis ins „Reich” hinein zu verbreitern, und so ließ er sich auf eine strategische Allianz mit Herwarth Walden ein, der im Begriff stand, sein eigenes Organ zu gründen – „Komet” sollte es heißen, aber da ihm dieser Titel vor der Nase weggeschnappt wurde, musste er sich mit „Der Sturm” begnügen. Der Briefwechsel beider zwischen 1909 und 1912, über 600 Einzelstücke, ist jetzt im Wallstein-Verlag erschienen.
Wer sich eine gepflegte literarische Korrespondenz erwartet hat, wird enttäuscht sein; stattdessen trifft er auf das Archiv zweier verbündeter Mächte, abgefasst jedoch ohne die Bedachtsamkeit des Diplomaten. Immer wieder heißt es „in Eile”, „in größter Eile”, selbst „in tödlicher Hast”. Die Anrede schreitet fort vom sehr geehrten Herrn zu „M. l. Fr.”, was „mein lieber Freund” bedeutet. Angesichts der permanenten Überlastung dieser beiden Ein- Mann-Betriebe (Kraus gibt einmal an, in 14 Tagen nicht mehr als 40 Stunden geschlafen zu haben) erstaunt die ungeheuer dichte Frequenz der Schreiben – und nebenbei die Geschwindigkeit der Post, die mehrmals täglich ausliefert und Verdruss auslöst, wenn sie sich um S t u n d e n verspätet. „Dort hätte (der Brief) M i t t a g s zugestellt werden müssen. Es ist unerhört!” (Er kommt um neun Uhr abends.) Lässt einer einmal drei oder vier Tage nichts von sich hören, ist sofort der andere zur Stelle: „Was ist los? Warum schreiben Sie nicht?”
Atemlose Obsessionen
Man erlebt das alte Medium des Briefs einschließlich der Postkarte an dem Punkt, wo es sich seiner Ablösung durch eine effizientere, raschere Technik entgegenneigt; da aber diese vorerst aussteht, spannt es seine Möglichkeiten noch einmal aufs äußerste an (vergleichbar den Handschriften des späten Mittelalters, die unmittelbar vor Erfindung des Buchdrucks sich in ein immer eiligeres Geschmier verwandeln). Das Telefon, das hier eigentlich vonnöten wäre, bleibt offenbar zunächst eine Angelegenheit örtlicher Netze. Immer wieder schiebt sich das Telegramm dazwischen, dessen lakonischer Ausdrucksvorrat indes nur fürs Allergröbste und Allerdringlichste taugt. Der gesamte Duktus dieser Botschaften, ihr Stil, ihre meist knappe Länge, ihre Vertieftheit in aktuelle Details, vor allem die extrem niedrige Schwelle, die zu ihrer Abfassung überschritten werden muss, erinnert an nichts so sehr wie an heutige e-mails, einschließlich der überaus häufigen Schreibfehler, welche vom Herausgeber sorgfältig vermerkt werden. Heute sind wir dank einer neuen Rapid-Schriftlichkeit ziemlich genau dort angelangt, wo man neunzig Jahre zuvor schon einmal gestanden hat.
Und was haben die beiden einander mitzuteilen? Vieles, was damals drängte und darum heute eher langweilt; in seiner Gesamtheit aber doch ein Bild der Zeit und der Personen gibt. Walden besorgt eine Berliner Ausgabe der „Fackel”; Kraus jagt in atemloser Obsession den Druckfehlern hinterher, die, begabt mit teuflischer Bosheit, schneller reisen als die Post, die sie eliminieren soll. „M. l Fr.”, schreibt Kraus, „es ist d a s l e t z t e M a l – alles, was Sie wollen, mögen Sie verlangen. Nachdrucke kann ich Ihnen ni c h t m e h r geben. Auf den e r s t e n Blick bemerke ich ein Komma, das einen Gedanken vollständig kaputt macht. (...) E s g e h t also nicht!!” Der Bruch wird knapp vermieden. Aber Walden muss, und noch öfters, einen Teil seiner gehetzt knappen Zeit dafür verwenden, in den Berliner Kaffeehäusern herumzuziehen, um eigenhändig den Fehler in den ausliegenden Exemplaren zu beheben, wobei ihm vorgeschrieben wird, ob er zu streichen oder zu radieren hat. Kraus selbst ist sich nicht zu schade, dasselbe in Wien zu tun. Es war, so scheint es, im öffentlichen Raum genügend Platz für höchstpersönliche Handarbeit.
Die Hauptsorge Waldens hingegen ist das Geld. Immer steht er wegen lächerlicher Summen vor der Pfändung; und Kraus hilft so gut er kann. Selbst wenn man die damalige Reichs- und Goldmark mal zwanzig nimmt, muss man erstaunen vor der Geringfügigkeit der Beträge, die ihm zum Fallstrick werden – oder umgekehrt vor der Größe der Verwegenheit, die sich manchmal keine 10- Pfennig-Briefmarke leisten kann, aber stets den Einfluss auf die Nation vor Augen hat.
Altenberg im Grabenkiosk
Lehrreich ist der Band besonders für alle, die Kraus ausschließlich von seinem eigentlichen „Fackel”-Werk her kennen und darum zum Glauben erzogen sind, hier kämpfe der Große Einzelne gegen den klüngelhaften Rest der Welt. Das stimmt ja auch in einem höheren Sinn; aber eben nicht buchstäblich. Kraus und Walden sind die ganze Zeit am verschwörerischen Fackeln. Alles in dieser Welt geschieht durch Freundschaften. Walden erklärt es für destruktive Bescheidenheit, sich an etwas anderes zu halten. „Im Gegenteil: ich stelle fest, dass ich v o r A l l e n meine Freunde drucke. Denn zum Teufel, man sucht sich doch keine Idioten zu Freunden aus.” „Geben Sie es dem Jüngling recht deutlich!” verlangt er. Und der Briefpartner umreißt seine Taktik: „Natürlich würde ich den Namen des Schmocks nicht nennen. (.. .) Den Wisch selbst sende ich zurück und schreibe darauf: ,nicht angenommen!‘” Dies von einem Mann, den das Totschweigeverfahren der Zeitungen aufs äußerste erbittert hat, und zu Recht. Der bessere Zweck muss hier das schlechte Mittel heilen; er tut es; aber nicht ohne dass den Leser doch ein leises Missgefühl befiele.
Sehr wenig kommt der Tratsch auf seine Rechnung, der doch – seien wir ehrlich – einen ganz erheblichen Teil unseres historischen Bedürfnisses abdeckt. Ein Stichwort allerdings gibt es, bei dem die Hast der täglichen Verrichtungen auf einmal dornröschenhaft entschlummert und die Anekdote erblüht: Peter Altenberg. „Neues von P. A.: Er sitzt mit Helga im Grabenkiosk. Kokoschka geht auf dem Trottoir vorüber und grüßt. P. A. dankt; erhebt sich und geht mit Helga schnell nachhause. Im Hotel London angelangt, v e r p r ü g e l t er sie und spricht: ,Du hast den Teufel gesehen – so, jetzt hab’ ich dir ihn ausgetrieben!‘ (Die arme Helga hatte wahrscheinlich den Teufel übersehen, war aber für die Prügel jedenfalls dankbar.)” Zu guter Letzt fasst die „Fackel” dann doch keine Wurzel in Preußen. Die Freundschaft von Walden und Kraus überlebt es nicht; und ein Wunder wäre es gewesen, hätte es sich anders verhalten.
Wer Kraus und was die „Fackel” ist, braucht man heute nicht mehr eingehend darzustellen. Der größte Teil der Leser dürfte von dieser Seite her zu dem Briefwechsel finden, dankbar für die Perspektivierung von Kraus’ Werk. Umso wichtiger wäre es gewesen, die Figur des Herwarth Walden im Nachwort deutlicher zu entwickeln. Die Anmerkungen sind gewissenhaft, gehen aber den Fragen, die man sich bei der Lektüre der Briefe wirklich stellt, nicht selten aus dem Weg. Man erfährt nicht, was es mit dem „Hörkasten” auf sich hat, um den Walden Kraus beneidet, noch auch, wie es mit den mehrfach im Zusammenhang von Reklame und Theater erwähnten „Ausbrüllern” steht. Völlig in der Luft hängt ein Satz Waldens wie: „Das Unglück bleibt, dass ich nun mal verheiratet bin. Sonst wüsste ich in einer viertel Minute, was ich zu tun habe.” Der Mann ist immerhin mit Else Lasker-Schüler verheiratet. Hier ein bisschen mehr zu verraten, wäre nicht indiskret gewesen, sondern von höchstem literarhistorischen Interesse!
BURKHARD MÜLLER
KARL KRAUS / HERWARTH WALDEN: „Feinde in Scharen. Ein wahres Vergnügen dazusein.” Briefwechsel 1909-1912. Herausgegeben von George C. Avery. Wallstein Verlag, Göttingen 2002. 675 Seiten, 49 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ein umfangreicher Anmerkungsapparat, zahlreiche Abbildungen, ein kommentiertes Personenregister, und trotzdem alles für die Katz, findet Yaak Karsunke; denn der eigentliche Text - der Briefwechsel zwischen Karl Kraus und Herwarth Walden - gebe keinerlei Anlass für einen solchen editorischen Aufwand. Karsunke kann darin nicht mehr erkennen als einen größtenteils banalen Austausch zwischen dem schon prominenten Herausgeber der "Fackel" und einem jungen Bewunderer, der sich Förderung für sein eigenes Projekt, die expressionistische Zeitschrift "Der Sturm", versprach. Das Verhältnis der beiden sei schnell wieder abgekühlt und der "Briefwechsel" bestehe größtenteils aus Telegrammen ohne Aussagewert. Auch die "die detailliert ausgebreiteten Intrigen, Misshelligkeiten und Hahnenkämpfe zwischen den diversen literarischen Lagern und Cliquen" findet Karsunke heute nicht mehr interessant und urteilt: "Eine schmale Spezialstudie mit ein paar ausführlichen Zitaten, vielleicht auch einem Dutzend Briefe im Anhang, hätte völlig ausgereicht."

© Perlentaucher Medien GmbH