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Ein ungewöhnliches Zeugnis von Lebensbejahung und Lebensmut aus dem deutschsprachigen Exil nach 1933.Wo immer bis heute der Name Th. Th. Heines (1867-1948) fällt, wird sein künstlerischer Anteil an der von ihm und dem Verleger Albert Langen 1896 gegründeten satirischen Wochenschrift »Simplicissimus« in Erinnerung gebracht. Nach der Machtübernahme hatte sich die nationalsozialistische Führung unverzüglich gegen Heine gerichtet, ihn verfemt und verfolgt. Noch im April 1933 verließ Heine München und gelangte zunächst in die Tschechoslowakei, wo er bis 1938 lebte und arbeitete, dann floh er weiter…mehr

Produktbeschreibung
Ein ungewöhnliches Zeugnis von Lebensbejahung und Lebensmut aus dem deutschsprachigen Exil nach 1933.Wo immer bis heute der Name Th. Th. Heines (1867-1948) fällt, wird sein künstlerischer Anteil an der von ihm und dem Verleger Albert Langen 1896 gegründeten satirischen Wochenschrift »Simplicissimus« in Erinnerung gebracht. Nach der Machtübernahme hatte sich die nationalsozialistische Führung unverzüglich gegen Heine gerichtet, ihn verfemt und verfolgt. Noch im April 1933 verließ Heine München und gelangte zunächst in die Tschechoslowakei, wo er bis 1938 lebte und arbeitete, dann floh er weiter nach Oslo. Während der deutschen Besetzung Norwegens erneut verfolgt und durch die SS verhört, floh Heine in einem organisierten Flüchtlingstransport nach Schweden. Über seine bislang so gut wie nicht erforschten Exiljahre unterrichten Heines vollständig erhaltenen 125 Briefe und Karten an Franz Schoenberner (1892-1970). Schoenberner war der letzte Redakteur des »Simplicissimus« vor HitlersMachtübernahme. Als radikaler Liberaler und deutlicher Gegner des Nationalsozialismus war er bereits im März 1933 über die Schweiz nach Frankreich geflohen, von wo er 1942 die Erlaubnis zur Ausreise in die USA erhielt. Wie schon in seiner Autobiographie erweist sich der Karikaturist Heine in seinen Briefen als amüsanter Erzähler, was auffallend mit den bedrückenden Bedingungen des Exils kontrastiert. In ihrer Lebensbejahung und mit ihrem Lebensmut bilden seine Briefe ein ungewöhnliches Zeugnis des deutschsprachigen Exils nach 1933.
Autorenporträt
Thomas Theodor Heine (1867-1948) arbeitete als Zeichner und Karikaturist. Seine Titelzeichnung der roten Bulldogge für den »Simplicissimus« wurde zum Symbol der anti-wilhelminischen und sozialkritischen Richtung der Zeitschrift.

Thomas Raff ist Kunsthistoriker an der Universität Augsburg mit den Schwerpunkten Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts in Deutschland und Materialikonologie. Veröffentlichung u.a.: »Thomas Theodor Heine. Der Biss des Simplicissimus«. Bd. I., Das künstlerische Werk. Katalog zur Ausstellung im Lenbachhaus, München und im Bröhan-Museum, Berlin (Leipzig 2000).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.12.2004

Tragik ist Privatsache
Exilbriefe des Karikaturisten Thomas Theodor Heine nach der Selbstgleichschaltung der Satirezeitschrift „Simplizissimus”
Ende März 1933 spielten sich in der Münchner Redaktion des „Simplicissimus” Szenen ab, die die bedeutendste deutsche satirische Zeitschrift bisher so nie erlebt hatte. Ein Beschluss wurde gefasst, dass das Blatt künftig in „streng nationalem Geiste” geführt werden sollte und dass „Faktoren”, die mit der „heutigen Bewegung in Zusammenhang stehen”, künftig nicht mehr „verächtlich” gemacht werden sollten. Die Selbstgleichschaltung der Redaktion erschien den Beteiligten notwendig, denn der „Simplicissimus” hatte mit Karikaturen gegen den Nationalsozialismus zuvor nicht gegeizt.
Thomas Theodor Heine, seit dem ersten Heft im Jahr 1896 der wichtigste Mitarbeiter, Erfinder des Signets der roten Bulldogge und seit dem frühen Tod des Gründungsverlegers Albert Langen der Doyen der Redaktion, musste unter Androhung der Verhaftung durch zwei Beamte des bayerischen Innenministeriums zusätzlich eine Erklärung unterschreiben, dass er künftig im nationalen Geiste wirken und der Redaktion nicht mehr angehören werde.
Mit Heine und mit dem bereits entmachteten Chefredakteur Franz Schoenberner waren so die beiden einzigen Mitarbeiter kaltgestellt, die sich heftig gegen die Anpassung an die neuen Machthaber gewehrt hatten und ihre Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus nicht aufgeben wollten. Für beide begann damit die Emigration. Heine reiste über Hamburg nach Prag, Schoenberner nach Südfrankreich. Heine blieb bis zuletzt der Meinung, dass seine Kollegen Eduard Thöny und Olaf Gulbransson bei seiner Ausschaltung eine unrühmliche Rolle gespielt hatten. Das wurde immer wieder in Frage gestellt, aber nicht abzustreiten ist, dass beide Zeichner in der NS-Phase des „Simplicissimus” keine gute Figur gemacht haben. 1946 blitzte beim alten Heine - er lebte in Stockholm, der letzten Station seiner Odyssee - der alte Witz auf. Als Gulbransson nach Kriegsende alles abstritt und im Gegenzug behauptete, Heine habe ihn damals als Anti-Nazi bei der Partei denunziert, replizierte er öffentlich: „Niemals habe ich Gulbransson beschuldigt, Antinazist zu sein. Das tue ich auch heute noch nicht.”
Die Briefe Heines an Franz Schoenberner, nun von Thomas Raff kundig ediert und kommentiert, sind vollständig erhalten, die Gegenbriefe Schoenberners scheinen verloren; wahrscheinlich hat Heine sie bei seiner Flucht aus Prag nach Norwegen verbrannt. Heines Briefe reichen vom Mai 1933 bis zum Februar 1940, setzen dann im April 1945 wieder ein und enden im Oktober 1947. Im Januar 1948 ist Heine kurz vor seinem 81. Geburtstag gestorben. Diese Korrespondenz bietet ein ungewöhnlich dichtes Bild einer durchaus nicht gewöhnlichen Emigrationsexistenz; sie war vom Alter her ungewöhnlich, denn Heine war 1933 bereits 66 Jahre alt, und sie war es von den Stationen her: Prag und Brünn, Oslo, Stockholm. Der jüngere Schoenberner ging den häufiger beschrittenen Weg über Südfrankreich in die USA und hat diesen Weg in seiner dreibändigen Autobiographie beschrieben.
Ist das Unpolitische schändlich?
Thomas Theodor Heine war vor 1933 keineswegs „politischer” in seinen Karikaturen als seine Kollegen. Gegen wilhelminisches Spießertum, gegen Militarismus und Bürokratismus waren sie alle. Aber Heine war 1933 der einzige „Simplicissimus”-Mitarbeiter, der aus einer jüdischen Familie stammte, auch wenn er sich selbst keineswegs als Juden sah und auch bereits früh zum Protestantismus konvertiert war. Schoenberner war politisch deutlich engagierter - seine fehlenden Briefe würden das beweisen können. Wer also bei der Lektüre dieser Briefe ein scharfes Licht auf die politische Dimension der Emigration erwartet, wird enttäuscht werden. Heine, der wie alle Emigranten sich auf das Postgeheimnis nicht verlassen wollte, war gehemmt durch die Rücksicht auf Frau und Tochter, die in Bayern zurückgeblieben waren, auch wenn er zu beiden nicht viel Positives zu berichten weiß - man hat den Eindruck, die Emigration habe ihm die Scheidung erspart: „Ich könnte nicht wieder en famille leben, auch wenn ich die Mittel dazu hätte. Ein langweiliges Problem und sehr traurig.”
Zudem fühlte er sich durch den Anspruch geniert, als Emigrant Stellung gegen seine einstige Heimat nehmen zu müssen. Daran hinderten ihn Vor- und Rücksicht, aber auch sein nun deutlich zu Tage tretendes unpolitisches Naturell: „Offenbar gilt es für eine Schande, wenn ein Emigrant etwas Unpolitisches von sich gibt, sie halten mich sicher für einen halben Nazi” - und: „Es reizt mich nicht einmal sehr, für ein Blatt mit rein politischer Tendenz etwas zu zeichnen. Ich finde es besser, wenn das Künstlerische die Hauptsache ist und das Zweckvolle ganz von selbst dazu kommt.”
So sitzt Thomas Theodor Heine, der alte Herr und Emigrant, zwischen vielen Stühlen. Für eine Hinwendung zur Sowjetunion ist er, der in einem Leipziger gutbürgerlichen, assimilierten jüdischen Haus aufwuchs, bei weitem nicht links genug (und er streitet sich darüber mit Oskar Maria Graf), für Amerika fühlt er sich zu alt. Seine geistige Heimat war die „Simplicissimus”-Redaktion gewesen, die ihn schmählich im Stich gelassen und sich angepasst hatte.
Für die Aktivitäten der politischen Emigration hatte Heine nichts übrig: Die „übelste Emigraille” heißt das bei ihm, und er gesteht, dass er deutsche Emigranten fast nie sehe und sie auch nicht vermisse. Der alte Mann hält sich nur mühsam über Wasser; er versucht, als Entwerfer von Exlibris und als Porträtmaler zu reüssieren und nennt sich mit leicht gequältem Witz einen „Judenmaler”, weil er Aufträge vor allem von jüdischen Fabrikanten und Großbürgern bekommt. Der gewohnte Lebensstandard mit einem Haus am Ammersee ist weit entfernt.
Bescheidener Zuschnitt
Der einst bekannteste Karikaturist Deutschlands lebt also auf bescheidenstem Niveau, aber es gibt in diesen Briefen keinen Ton der jammernden Klage. Selbst als die letzte Liebe seines Lebens, die junge Prager Malerin Olly Deutsch, auf einer Reise mit Heine Selbstmord begeht, bleibt sein Bericht an Schoenberner gefasst. „Tragik ist Privatsache” war Heines Devise, und er ist ihr mit bewundernswertem Gleichmut gefolgt, der ihn auch nicht verließ, als der 73jährige auf einer abenteuerlichen Flucht von Oslo nach Stockholm gebracht wurde. Im Gepäck hatte Heine das Manuskript seines satirisch-autobiographischen Romans „Ich warte auf Wunder”. Zu diesem Roman sind seine Briefe an Franz Schoenberner eine gute Ergänzung.
Heines Briefe gehören nicht zu den großen Dokumenten des Exils; ihren intellektuellen und zeithistorischen Ertrag darf man nicht mit dem der Briefe Thomas und Klaus Manns, Benjamins und Adornos vergleichen. Thomas Theodor Heine war, abgesehen von seiner karikaturistischen Spezialbegabung, eine Persönlichkeit bescheideneren Zuschnitts, was die Begrenzung dieses Briefkorpus markiert.
JENS MALTE FISCHER
THOMAS RAFF (Hrsg.): Die Wahrheit ist oft unwahrscheinlich. Thomas Theodor Heines Briefe an Franz Schoenberner aus dem Exil. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 467 Seiten, 32 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Fritz J. Raddatz lobt die editorische Arbeit an den Briefen von Thomas Theodor Heine an Franz Schoenberner, die mit "höchst kenntnisreichen" Kommentaren versehen sind. Die Person des ehemaligen Simplicissimus-Zeichners und Briefautors aber ist ihm unheimlich. Heine sei als Jude zwar emigriert, habe sich aber im Exil politisch so sehr enthalten, dass Raddatz nur verstört daneben stehen und zusehen kann. Hier werde das "Exil als Blümchentapete" geschildert, Berichte über Badeausflüge, schlecht bezahlende Auftraggeber und andere Nebensächlichkeiten dominieren nicht nur das Bild, sondern füllen es aus. Der Nationalsozialismus tropft an Heine ab, registriert Raddatz fassungslos, diese "Teilnahmslosigkeit" hinterlässt bei ihm einen "faden Nachgeschmack". Und so wirkt dieses Buch auf ihn als auf seine Weise "einmalig" und "unerwartet", aber und vor allem auch "erschreckend".

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