Produktdetails
  • editions phi
  • Verlag: editions phi
  • Seitenzahl: 136
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 170g
  • ISBN-13: 9783888652028
  • ISBN-10: 3888652022
  • Artikelnr.: 10663627
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wie "Miniszenarien" für Filme von David Lynch sind Rezensent Stefan Weidner diese ersten Erzählungen des deutsch schreibenden Luxemburger Lyrikers vorgekommen. Was Wahn und was Wirklichkeit sei, wisse man als Leser bald nicht mehr zu unterscheiden, merkt Weidner mit wohligem Schaudern an und skizziert ein paar Plots, um zu verdeutlichen, was er meint. Gewalt spielt in diesen Erzählungen augenscheinlich eine wichtige Rolle, und die abrupte Art, wie sie plötzlich in den Alltag dringt. Als "Psychogramm unseres Alltags" findet der Rezensent diese Geschichten aussagekräftiger "als die meisten kürzeren Erzählungen der letzten Jahre". Nicht "Simple Stories", sondern die Kurzprosa der Expressionisten sei die Schule, die diesen Autor hervorgebracht habe: auch für den jetzigen Jahrhundertanfang immer noch eine gute Schule, findet unser hochzufriedener Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2002

Kurz und gut
Guy Helmingers Geschichten

Die Gewalt kommt plötzlich und unmotiviert. Der Junge in der Straßenbahn schießt einem Schulmädchen neben ihm ins Gesicht. Es hat über ihn gekichert, weil er Pickel hat oder vielleicht nur, weil er zu laut ausgesprochen hat, was er denkt: "Ich bin berühmt." Er schießt, und dann ist die Geschichte zu Ende, abrupt wie ein Traum, folgenlos. Man kann darüber die Achseln zucken oder aber versuchen, sie zu deuten. Der Gedanke liegt nahe, daß Gewalt ein Versprechen ist, das Versprechen, dem Alltag zu entkommen; oder das Versprechen, die Kurzgeschichte noch einmal neu zu erfinden, wie es Guy Helminger, der auf deutsch schreibende Luxemburger Lyriker und Hörspielautor (Jahrgang 1963) in seiner ersten Sammlung mit Erzählungen tut.

Helmingers Kurzgeschichten sind Miniszenarien wie für Filme von David Lynch. Was Wahn ist, und was Realität, weiß der Leser bald nicht mehr zu unterscheiden. Ein Mann scheint um Mitternacht auf dem frisch gestrichenen Stuhl in Blaskys Garten zu sitzen. Blasky braucht lange, bis er sich traut, hinunterzugehen und den Mann anzusprechen. Als er wagt, die Tür zu öffnen, fällt ihm auf, daß er völlig nackt ist. Dennoch geht er hinaus, aber in dem Moment, wo er den Mann auf dem Stuhl berühren will, stellt er fest, daß am Stuhlbein schon die Farbe abbröckelt. Ende. Wieder so ein Traum. War da ein Mann, war da keiner?

So geht es in einem fort. Braller schläft auf der Parkbank ein. Als er aufwacht, bemerkt er, wie ein anderer ihn in einem Verband einwickelt, als wollte er ihn lebendig mumifizieren. Fünf Seiten lang wird Braller eingewickelt, bis er nichts mehr sieht, kaum noch atmen kann, nur noch ein Rauschen hört. Solch ein Einwickler ist heutzutage ein passenderes Bild für den Tod als der Sensenmann. Aber Helmingers surreale Plots würden ihre unheimliche Kraft nicht entwickeln, wenn die Sprache, von der sie getragen werden, nicht so realistisch wäre. "Für einen Moment, eine Woge von Gesichtern tänzelte hinter ihnen, verloren die Schülerinnen den Jungen aus dem Blick. Ein feuchter Geruch schwappte auf sie zu. Irgendwo dahinter war der Junge. Sie waren sich nicht sicher, was sie erwarteten, aber etwas würde passieren." Helmingers Sätzen wohnt Unheil inne. Als Psychogramm unseres Alltags sind diese Geschichten aussagekräftiger als die meisten kürzeren Erzählungen der letzten Jahre. Nicht simple Stories, sondern die Kurzprosa der Expressionisten bilden die Schule, die diesen Erzähler hervorgebracht hat. Auch für unseren Jahrhundertanfang ist sie eine gute Schule.

STEFAN WEIDNER

Guy Helminger: "Rost". editions phi, Echternach 2002. 136 S., br., 12,95 [Euro].

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