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Das Tagebuch Kurt Biedenkopfs - eines Politikers von großer Integrität, zupackender politischer Kraft und visionärem Intellekt Seit vielen Jahren führt Kurt Biedenkopf Tagebuch. Er notiert seine Eindrücke und Begegnungen, analysiert Entwicklungen, formuliert Prognosen und entwirft Zukunftsaufgaben und mögliche Lösungen. Seine Aufzeichnungen beginnen im Juni 1989, als Michail Gorbatschow zu einem Staatsbesuch nach Bonn reist, während zu gleicher Zeit die Grundfesten des sowjetischen Imperiums ins Wanken geraten. Tag für Tag verfolgt Kurt Biedenkopf die entscheidenden Ereignisse des…mehr

Produktbeschreibung
Das Tagebuch Kurt Biedenkopfs - eines Politikers von großer Integrität, zupackender politischer Kraft und visionärem Intellekt Seit vielen Jahren führt Kurt Biedenkopf Tagebuch. Er notiert seine Eindrücke und Begegnungen, analysiert Entwicklungen, formuliert Prognosen und entwirft Zukunftsaufgaben und mögliche Lösungen. Seine Aufzeichnungen beginnen im Juni 1989, als Michail Gorbatschow zu einem Staatsbesuch nach Bonn reist, während zu gleicher Zeit die Grundfesten des sowjetischen Imperiums ins Wanken geraten. Tag für Tag verfolgt Kurt Biedenkopf die entscheidenden Ereignisse des europäischen, des deutschen Umbruchs, die Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze, die Montagsdemonstrationen in Leipzig, den 4. November 1989 mit der großen Demonstration »Für unser Land« auf dem Alexanderplatz in Berlin, die Öffnung der Grenzen am 9. November, schließlich die erste demokratische Wahl der Volkskammer am 18. März 1990. Biedenkopf reist immer wieder in die DDR, er wird Gastprofessor in Leipzig. Der Politiker begegnet Kurt Masur, Friedrich Magirius und anderen Bürgerrechtlern. Er trifft Ministerpräsident Hans Modrow, aber vor allem kommt er mit unzähligen Menschen in der damaligen DDR zusammen, besichtigt Kombinate, Unternehmen und besucht Redaktionen. Er lernt den anderen deutschen Staat immer mehr kennen. Parallel dazu geht der Bonner politische Alltag, an dem er aus skeptischer Distanz teilhat, weiter: der CDU-Parteitag vom Sommer 1989, als sich das Ende der Kanzlerschaft Helmut Kohls abzuzeichnen schien, Sitzungen der Parteigremien und des Bundestags. Der wachsende Druck und die Dynamik, beide deutsche Staaten zu vereinen, zeigen das Ungenügen der politischen Klasse und ihrer Lösungen. Als einer der ganz wenigen Politiker sieht Biedenkopf die großen wirtschaftlichen Belastungen der Vereinigung voraus, aber auch die Möglichkeiten, die sie birgt. Biedenkopf unterliegt Irrtümern, doch seine Hoffnungen und sein Optimismus überwiegen. Mehr und mehr zeigt sich, dass die Menschen in der Noch-DDR auf ihn bauen. In den letzten Monaten ihrer staatlichen Existenz wird Kurt Biedenkopf Bürger der DDR und - gegen den anfänglichen Widerstand von Helmut Kohl - Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Sachsen; schließlich wird er im Oktober 1990 mit absoluter Mehrheit zum sächsischen Ministerpräsidenten gewählt. Das Tagebuch endet am 9. November 1990, als zum ersten Mal der Bundesrat aus allen 16 deutschen Ländern zusammentritt.
Autorenporträt
Kurt Biedenkopf, geboren 1930 in Ludwigshafen. In den 60er Jahren Rektor der Ruhr-Universität Bochum. Von 1973-1977 CDU-Generalsekretär, 1977 Mitbegründer des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn. 1990-2002 Ministerpräsident des Freistaats Sachsen. 2006 erhält er den Corine Preis für Wirtschaftsbücher.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2000

Noch'n Tagebuch
Kurt Biedenkopf 1989/90: Vom Hinterbänkler in Bonn zum Ministerpräsidenten in Dresden

Kurt H. Biedenkopf: 1989-1990. Ein deutsches Tagebuch. Siedler Verlag, Berlin 2000. 456 Seiten, 49,90 Mark.

Politikerbücher taugen meistens wenig: Ist der Autor noch im Geschäft, kauft man eine gedruckte Wahlkampfrede, die man kürzer und billiger im nächsten Wahlkreisbüro bekäme. Hat er sein Amt verloren, liest man Rechtfertigungsprosa und Zeugnisse einer Beschäftigungstherapie, die dem Entmachteten helfen sollte, nicht seinen Lesern. Das Tagebuch von Kurt Biedenkopf gehört zu den Ausnahmen, denn es erzählt die märchenhafte Geschichte eines gescheiterten Politikers, der die späte Chance seines Lebens ergreift.

Zunächst lesen wir die Aufzeichnungen eines Bonner Hinterbänklers: Der König- ohne-Land im Reiche seiner Gedanken. Ein Abgehalfterter spielt mit sich selbst den Weltpolitiker. Im Frühsommer 1989 hockt der 59 Jahre alte Abgeordnete Biedenkopf im Bonner Bundestag und weiß nicht recht, was er noch anfangen soll. Hier ein Aufsichtsratsmandat, dort eine Parlamentarierreise nach Vilnius, Ehrenredner beim Kreisparteitag in Mannheim - das Leben des Abgestiegenen dümpelt dahin. Selbst kleinste Erfolge werden notiert, etwa eine Wortmeldung in der Fraktion: "Ich melde mich später zu Wort, als viele bereits gegangen waren . . . Meine Ausführungen führten zu einer außerordentlichen Reaktion: Viel Beifall, schon während ich sprach, und am Schluß Lob von Dregger, Nachfragen der Kollegen nach dem Text." So salbt einer seine Wunden, die ihm politische Freunde geschlagen hatten, Helmut Kohl und Norbert Blüm vor allen.

Die Interessengemeinschaft Kohl-Blüm hatte Biedenkopf in Nordrhein-Westfalen aus seinen Ämtern gedrängt. Parteivorsitz, Fraktionsführung, Spitzenkandidatur - tempi passati, alles vorbei. "Wir versinken immer tiefer im Provinzialismus", notiert er Ende August 1989. Am nächsten Tag, dem fünfzigsten Jahrestag des Kriegsbeginns: "Die Feierstunde heute im Bundestag war eine beschämende Veranstaltung. Kohls Rede war ohne Ausblick und weiterführenden Gedanken . . . Wie Mehltau legt sich Mittelmäßigkeit übers Land. Macht und die Pfründe sind zum alles bestimmenden Kriterium geworden." Nachmittags ist er bei einer Sitzung der Parteifreunde aus Nordrhein-Westfalen und trifft auf Norbert Blüm: "Wenn NRW in diese Hände fällt, dann geht es dem Land um nichts besser als unter Rau. Der hat wenigstens Stil. Auch das fehlt Blüm."

Doch dann beginnt der Blütentraum von einem vereinten Deutschland zu blühen. In den verdorrenden Biedenkopf strömt ein neuer Saft. Tatendrang mischt sich in das böse Blut, allmählich wird es ganz darin aufgelöst. Zum Auftritt Kohls an der Berliner Gedächtniskirche einen Tag nach dem Mauerfall notiert Biedenkopf noch: "Kohl sprach zu lange, war voller Wiederholungen und Platitüden. Er verfehlte die Gefühle der Menschen und brachte den Staatsmann nicht rüber."

Das wäre Biedenkopf natürlich nicht passiert. Er wäre der bessere Bundeskanzler, findet er. "Wäre ich an seiner Stelle gewesen", so schreibt er einmal und zwischen den Zeilen hundertmal: "Die handwerkliche Unfähigkeit der Bundesregierung, die komplexe Situation zu beherrschen, ist erschreckend." Kohl macht in Biedenkopfs Augen Fehler um Fehler, im März 1990 notiert er: "Ich habe den Bundeskanzler selten so unsympathisch erlebt wie an diesem Nachmittag." Zwei Tage später: "Die Art, wie Kohl auftritt, erinnert viele an das Auftreten Wilhelms II. vor dem Ersten Weltkrieg. Kohl muß aufpassen, daß er bei seinem Streben, ein neuer Bismarck zu werden, nicht als neuer Wilhelm II. endet."

Aber Kohl setzt sich durch, während Biedenkopf sich in sein Tagebuch grämt: Die Währungsunion, die Anerkennung der Westgrenze Polens, die rasche Vereinigung nach Artikel 23 des Grundgesetzes, der Einigungsvertrag - Biedenkopf ist fast immer anderer Meinung, und fast jedes Mal gibt der Erfolg Kohl recht. Immerhin hat der heimliche Staatsmann die Größe, das anzuerkennen. Je öfter er in die DDR reist, desto klarer wird ihm, wenn schon nicht Staatsmann, dann wenigstens "Anwalt der Menschen" in der DDR sein zu wollen.

Biedenkopf, frei von Ämtern und im Bonner Parlament nur bei wichtigen Abstimmungen unentbehrlich, reist umher, besucht Kongresse und Kombinate, spricht mit DDR-Politikern und Professoren, lernt die Politiker Diestel, de Maizière und Stolpe kennen, knüpft freundschaftliche Kontakte zum Leipziger Dirigenten Masur, aber auch zum SED/PDS-Oberbürgermeister von Dresden. So gewinnt er allmählich ein differenziertes Bild von der deutsch-deutschen Lage. Gleichzeitig beginnt er, den Aufbau in Sachsen zu befördern, hilft beispielsweise seinem alten Freund Heinz Barth, der in Leipzig investieren will.

Analytischer Scharfsinn und rasch wachsende Kenntnisse der ostdeutschen Realität machen ihn bald zum gefragten Berater in der DDR. Hier endlich wird der Prophet gehört. Schon Ende November 1989 notiert er: "Der Gedanke läßt mich nicht mehr los, in die DDR zu gehen und dort mit meinen Erfahrungen am Aufbau einer politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur mitzuwirken . . . Nachts schlafe ich nicht gut, das DDR-Projekt geht mir ständig im Kopf herum. Soll ich für längere Zeit nach Leipzig gehen oder sogar ganz?" Ein paar Wochen später bricht Biedenkopf auf. Er geht als Gastprofessor an die Leipziger Universität. Minister der neugewählten DDR-Regierung suchen seinen Beistand, Biedenkopf leiht ihnen seinen Sachverstand. Immer wieder denkt er über Ämter nach, die ihm angetragen werden, über Posten, nach denen er streben könnte.

Als ein amerikanischer Professor ihn im Juni 1990 daran erinnert, gewettet zu haben, daß Biedenkopf einmal Bundeskanzler werde, notiert er mit einem seltenen Anflug von Selbstironie: "Ich bereite ihn schonend darauf vor, daß er diese Wette wahrscheinlich verlieren werde." Doch ein anderes Amt nähert sich dem Manne: Schon im Juni 1990 berichtet er von Freunden, die sagten, er solle Ministerpräsident in Sachsen werden. "Aber noch kann ich mich mit dem Gedanken nicht anfreunden, mich um dieses Amt in der DDR zu bewerben." Bald darauf ändert sich seine Haltung. Im Juli notiert er: "Ich fürchte, ich habe schon einen Teil meines Herzens an Sachsen verloren."

Sondierungen politischer Freunde bei Kohl scheitern, der Bundeskanzler erhebe "entschiedene Einwände" gegen Biedenkopf. Doch als Heiner Geißler, dessen Kandidatur für das Amt er unterstützt, absagt, wird er vom damaligen Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, Lothar Späth, und einigen Reformern aus der sächsischen CDU gefragt, ob er zur Verfügung stehe. Am 25. August, um ein Uhr in der Nacht, ruft Späth ihn an und will wissen, ob Biedenkopf antritt. Der erbittet Bedenkzeit bis zum Morgengrauen, dann sagt er zu. Am Abend nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur notiert er glücklich: "Eine Genugtuung habe ich. Ich werde nun wohl doch Ministerpräsident werden, wenn auch nicht in NRW."

In Sachsen wird seine Partei mit 56 Prozent der Stimmen gewählt. Zwei Wochen später, am 27. Oktober 1990, wählt der Landtag in der Dresdner Dreikönigskirche den 60 Jahre alten Biedenkopf zum Ministerpräsidenten. Mit 65, so hatte er dem damaligen CDU-Vorsitzenden Reichenbach gesagt, wolle er sich auf seine wissenschaftliche und schriftstellerische Tätigkeit und auf Fragen der Außenpolitik konzentrieren. Da hat er sich etwas verschätzt - mit 70 regiert er immer noch.

Biedenkopfs verbirgt die beträchtliche Hochachtung vor seiner eigenen Kompetenz nicht durch nachträgliche Glättungen - das macht den Wert und auch den Charme seiner Aufzeichnungen aus. Hier will nicht einer seine Unfehlbarkeit beweisen, sondern seiner Chronistenpflicht genügen - zunächst nur gegenüber seinen Kindern und einigen engen Freunden. Die drängten Biedenkopf dann zur Veröffentlichung.

Wenn man in seinem Rückblick liest, welche Aufgaben vor ihm und den Sachsen lagen und was sie in zehn Jahren geschafft haben, darf bei mancher Kritik im Detail doch festgestellt werden: Hier hat ein großer Theoretiker bewiesen, daß er beim Aufbau eines Landes aus dem administrativen Nichts, bei der Umgestaltung einer sozialistischen Planwirtschaft auch als Praktiker Großes leisten konnte. Biedenkopfs Tagebuch verleiht dem äußerlich so beherrschten und kühlen Mann die Züge eines Veränderers aus Leidenschaft. Trotz mancher Ausflüge ins Himmelreich der Theorie liest sich das Tagebuch wie ein politischer Roman.

PETER CARSTENS

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Natürlich erfreuen sich ältere Politiker oder Päpste gern an ihrer Lebensleistung. Aber am meisten freut sich immer Jan Ross. Bei Kurt Biedenkopfs Tagebücher aus den beiden Wendejahren zum Beispiel darüber, wie eine `brachliegende oder fruchtlos sich verzehrende Hochbegabung` mit dem Umzug in den Osten einen neuen Daseinszweck bekommt! Auch Wirklichkeitslust und Überraschungsbereitschaft, die sich in Biedenkopfs Tagebücher zeigten, imponieren ihm mächtig. In einigen Passagen sieht er zwar ein bisschen viel der `biografisch-historischen Gesamtsinnstiftung`. Aber trotzdem: `Irgendwie freut man sich mit.` Weil sich alles so schön gefügt hat in Biedenkopfs Leben.

© Perlentaucher Medien GmbH