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"Man schrieb den 15. November 1923. Adolf Hitlers Münchener Marsch auf die Feldherrnhalle hatte sich sechs Tage zuvor im Kugelhagel verlaufen, und der Höhepunkt der Inflation war erreicht. Um 12.30 Uhr kam ich zur Welt. Mein arbeitsloser Vater rasierte sich gerade. Hilfe bei der Geburt gewährte eine Hebamme. Die kostete zwanzig Billionen Mark." Rüdiger von Wechmar, der in jenen bewegten Tagen der Weimarer Republik das Licht der Welt erblickte, sollte später eine erstaunliche Karriere machen und vielen Persönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte begegnen - von Churchill und Adenauer über…mehr

Produktbeschreibung
"Man schrieb den 15. November 1923. Adolf Hitlers Münchener Marsch auf die Feldherrnhalle hatte sich sechs Tage zuvor im Kugelhagel verlaufen, und der Höhepunkt der Inflation war erreicht. Um 12.30 Uhr kam ich zur Welt. Mein arbeitsloser Vater rasierte sich gerade. Hilfe bei der Geburt gewährte eine Hebamme. Die kostete zwanzig Billionen Mark." Rüdiger von Wechmar, der in jenen bewegten Tagen der Weimarer Republik das Licht der Welt erblickte, sollte später eine erstaunliche Karriere machen und vielen Persönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte begegnen - von Churchill und Adenauer über Chrutschow und Kennedy bis hin zu Nixon und Breschnew. Im zweiten Weltkrieg war Rüdiger von Wechmar Soldat im Afrikakorps Rommels und nahm an der legendären Schlacht von El Alamein teil. Zurückgekehrt aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft, wurde er Journalist der ersten Stunde, berichtete vom Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß, begleitete Adenauer nach Moskau und war bei so gut wie allen Viermächtekonferenzen dabei, bevor die Teilung Deutschlands endgültig besiegelt wurde. 1958 ging von Wechmar als Pressereferent an das Generalkonsulat in New York, fünf Jahre darauf als ZDF-Korrespondent nach Wien, bis ihn das Auswärtige Amt später erneut nach New York berief. Er war 1974 der erste Deutsche, der Präsident der Vollversammlung der Vereinigten Nationen war. Nach dem Wahlsieg Willy Brandts wurde von Wechmar Sprecher der Bundesregierung und stand fünf Jahre lang im Zentrum der neuen Ostpolitik. Dann folgte eine Karriere als Botschafter in den wichtigsten Metropolen des Westens, wo die Berühmtheiten der Zeit zu seinen Gästen zählten. Der Autor bekennt, eigentlich immer Reporter geblieben zu sein, auch als Botschafter seines Landes. Tatsächlich erweist sich von Wechmar in seinem stilistisch brillanten Bericht als ein präziser Beobachter und amüsanter Schilderer, der die oft anekdotenreiche Bilanz der wichtigsten Stationen seines eigenen Lebens zieht und damit zugleich ein höchst lebendiges Panorama der Nachkriegszeit entfaltet.
Autorenporträt
Rüdiger von Wechmar lebt heute in München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2000

Klare Sätze über ein ungeschriebenes Kapitel
Rüdiger von Wechmar, einst Regierungssprecher und Diplomat, berichtet ungewohnt offen über seine Jugend in einer NS-Eliteschule
RÜDIGER VON WECHMAR: Akteur in der Loge, Weltläufige Erinnerungen, Siedler Verlag, München 2000. 352 Seiten, 48 Mark.
Es gehört zum Glanzbild des Journalisten, dass seine Leser und Zuschauer glauben, er sei überall hautnah dabei und habe das Ohr direkt am Mund der Großen seiner Zeit. Die Büchereien sind voll mit Biografien von Berufsschreibern, die dieses Bild vom allgegenwärtigen Chronisten vor den Sesseln der Mächtigen verstärken. Bei Rüdiger von Wechmar, einst Regierungssprecher des Kanzlers Willy Brandt, liest sich das anders.
Schon als junger Journalist ist er zwar den Weltenlenkern begegnet, so etwa 1955 in Genf bei der letzten großen Deutschland-Konferenz der Siegermächte. Dort traf er auf US-Präsident Eisenhower nebst Außenminister John Foster Dulles, zudem auf Sir Anthony Eden, den britischen Premierminister. Nikita Chruschtschow, der sowjetische Parteichef nach Stalin, war ebenso anwesend, begleitet von Marschall Schukow, dem Eroberer Berlins, in großer Uniform. Doch Glanz, in dem sich der Berichterstatter sonnen konnte, gab es wenig.
„Warten” und kurze Blicke aus der Ferne seien vor 45 Jahren bei der bedeutenden Konferenz in Genf die „tägliche Hauptbeschäftigung” der Journalisten gewesen, schreibt von Wechmar. „Denn im Grunde passierte ja nichts weiter, als dass bedeutend dreinblickende Herren aus blank polierten Limousinen stiegen, denen aus den nächsten Wagen umtriebige junge Männer mit Aktenkoffern folgten” - alles also genauso wie heute, nur dass inzwischen Fernsehbilder solchen Ereignissen eine zusätzliche Schein-Bedeutung verleihen.
Es ehrt den Journalisten und späteren Diplomaten von Wechmar, dass er in seinen „weltläufigen Erinnerungen” der Versuchung widersteht, auf der Basis der eigenen Erfahrungen harsche Kritik an den Schein-Nachrichten der modernen Medien zu üben. Was durchaus berechtigt wäre, aber gemeinhin in der ungerechten Erkenntnis mündet, dass die Schreiber der Nachkriegszeit, verglichen mit ihren Nachfolgern von heute, die besseren Journalisten waren.
Bonner Journalisten, die den FDP-Mann Rüdiger von Wechmar als gemäßigt farblosen Chef des Bundespresseamts erlebten, werden sich erstaunt die Augen reiben, dass „der Freiherr”, wie er damals in Bonn hieß, in den Memoiren seine hölzernen Verweise auf die Regeln des Berufsstands unterlässt. In seiner Amtsfunktion hatte er sich das oft erlaubt, sogar unter Hinweis auf einzelne Paragrafen der Bundespressekonferenz, die er einst mitbegründet hatte – einen Verein, bei dem die Regierung auf Einladung der Journalisten auftreten darf.
Aber auch alte Bonner Hasen werden nach Lektüre der Wechmar-Erinnerungen verstehen, warum der Autor journalistische Einordnungen vermeidet und die Form der Erlebnis-Schilderung wählt, scheinbar unreflektiert und beinahe chronologisch. Denn sein Buch liefert auch so genügend Sprengstoff über die frühe Geschichte der Republik.
Der Sprengstoff steckt nicht in der Karriere des Diplomaten von Wechmar, die seinem Bonner Sprecheramt folgte. Diese Stationen sind eher anekdotisch geschildert, etwa, wenn Dennis Thatcher, Ehemann der Eisernen Lady, den deutschen Botschafter vormittags zum Whisky nötigt, und die britische Premierministerin keineswegs mit Ginger-Ale vorlieb nimmt. Oder wenn der steife Antrittsbesuch des deutschen Vertreters beim italienischen Staatspräsidenten Sandro Pertini in einer lockeren Qualm-Orgie unter Pfeifenrauchern endet.
Lukrative Beziehungsgeflechte
Umso detailgetreuer und ungeschminkter fallen hingegen die Schilderungen über Jugend, Krieg und Berufswahl aus. Das gesamte Themenpaket berührt immer wieder intensiv ein weitgehend ungeschriebenes Kapitel der westdeutschen Geschichte, beschreibt eines jener besonderen Beziehungsgeflechte, die seinerzeit die junge Republik zum Laufen brachten. Es handelt sich um das Bonner Zusammenspiel der Absolventen der Napolas, der „Nationalpolitischen Erziehungsanstalten”, wie die Eliteschulen des Dritten Reichs hießen. Diese NS-Kaderschmieden waren vielfach an die Stelle früherer preußischer Kadettenanstalten getreten, weshalb die traditionsbewusste Familie von Wechmar ihren Sprössling auch dort aufnehmen ließ, vor allem wohl wegen der üblichen vormilitärischen Ausbildung.
„Eine nachhaltige NS-Schulung – heute würde man sagen „Indoktrination” – war eigentlich gar nicht nötig”, schreibt der ehrliche Wechmar, „wir waren auch so begeisterte „Jungmannen””. Den Napola-Absolventen führte die Ausbildung erst zu Rommels Afrika-Korps und dann, als Leutnant, 1943 in amerikanische Gefangenschaft, wo er sich in Fernkursen ein Grundwissen über den Journalismus verschaffte.
Mit dieser Basis wurde Wechmar einer der Journalisten der ersten Stunde im neuen Deutschland, Zeitzeuge der Gründung einer Republik, der von seiner Napola-Erziehung nur einmal negativ eingeholt wurde. Das war im Herbst 1947, als er auf Drängen der britischen Aufseher die Vorläuferin der Deutschen Presse-Agentur wegen seiner NS-Schulvergangenheit verlassen musste. Aber schon tags drauf machte er bei der Agentur United Press (UP) weiter, die „mit dem Thema Napola keine Probleme” hatte.
Der britische Presse-Aufseher blieb die Ausnahme, denn schon bei der Gründung der BRD und auch in den folgenden Jahren traf Wechmar immer wieder alte Napola-Kameraden in immer höheren Positionen in Parlamenten und Regierungen, als Journalisten und Bundeswehr-Obere – so wie Günter Kießling, den General, über den später Verteidigungsminister Manfred Wörner stolperte. Und mancher, der nicht selbst Absolvent war, hatte auf andere Weise mit den NS-Kaderschmieden zu tun gehabt, so wie Felix von Eckardt, Adenauers Vertrauter und erster Sprecher, der im Dritten Reich unter Pseudonym für das Propagandaministerium das Drehbuch eines Napola-Jubel-Films geschrieben hatte, zu dessen Dreharbeiten der Napola-Zögling von Wechmar abkommandiert worden war.
Dass man sich als Absolventen kannte und gelegentlich gegenseitig nutzte, stellt Wechmar nüchtern dar, viel zu nüchtern. Wie gern würde der Leser erfahren, wie die ersten Begegnungen in der neuen Republik verliefen, welche Erkenntnisse den früheren NS-Schülern zugewachsen waren, welche Häutungen sie durchlaufen hatten. Aber über derlei Persönliches redet Wechmars Generation nicht gern, das muss erst noch geschrieben werden.
ULRICH MANZ
Der Rezensent ist freier Journalist in Frankfurt und Jerusalem.
Immer das Ohr am Mund der Mächtigen, ohne ihnen nach diesem zu reden: Rüdiger von Wechmar.
Foto: SZ-Archiv
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr respektvoll würdigt Ulrich Manz diese Erinnerungen des Journalisten, Regierungssprechers (unter Willy Brandt), Chef des Bundespresseamts und Diplomaten. Vorbeugend nimmt er Wechmar gegen mögliche Vorwürfe in Schutz, dieser habe die Stationen seiner Karriere nur anekdotisch und unreflektiert erzählt. Denn der "Sprengsatz" des Buchs liegt nach Manz woanders: nämlich in den Schilderungen über Jugend, Krieg und Berufswahl. Wechmar war auf eine Napola erzogen worden, einer "Nationalpolitischen Erziehungsanstalt". So hießen die Eliteschulen im Dritten Reich. "Der ehrliche Wechmar" berichte detailgetreu und ungeschminkt über diese Zeit und auch darüber, wie er später im Laufe seiner Karriere immer wieder anderen Absolventen der Napola über den Weg gelaufen sei, die nach Gründung der Bundesrepublik "in immer höheren Positionen in Parlamenten und Regierungen" auftauchten. Nur die Nüchternheit der Darstellung beklagt Manz. Gern hätte er erfahren, wie die ersten Begegnungen der Napola-Zöglinge in der neuen Bundesrepublik verliefen: "Aber über derlei Persönliches redet Wechmars Generation nicht gern, das muss erst noch geschrieben werden".

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