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Aus der Reihe "Deutsche Reise nach Plovdiv"

Produktbeschreibung
Aus der Reihe "Deutsche Reise nach Plovdiv"
Autorenporträt
Brigitte Oleschinski, geboren 1955 in Köln, Studium der Politischen Wissenschaften, Arbeit als Zeithistorikerin. Lebt heute als Lyrikerin und Essayistin in Berlin. Veröffentlichungen. Ausgezeichnet 1998 mit dem Peter-Huchel-Preis, 2001 mit dem Ernst-Meister-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.06.2004

Im Lyrikdschungel
Brigitte Oleschinski sucht nach der Macht der Poesie
Ob Orpheus an einer Sinnkrise litt? Die heldenhaften Argonauten hatten den Sänger mitgenommen, als sie lossegelten, das Goldene Vlies zu rauben; er war dabei, als Feuer speiende Stiere bezwungen und feindliche Heere hingemetzelt wurden - doch war der sentimentale Schöngeist nicht einmal zum Rudern so recht zu gebrauchen. Wozu aber nahm man ihn dann überhaupt mit? Das fragte sich nicht Orpheus, das fragt sich Brigitte Oleschinski in ihrem schmalen, zwischen Prosagedicht und literaturtheoretischem Essay angesiedeltem Text „Argo Cargo”.
Ihre Frage zielt auf den Nutzen der Dichtung, die Macht der Worte. Auch sie ist unterwegs. Eine Lesereise bringt sie und einige andere Dichter nach Indonesien, wo sie von Festival zu Festival, auf Deutsch und Englisch ihre Gedichte vorträgt und mit Händen und Füßen kommuniziert. Doch ist Oleschinski in diesem Buch weniger in Indonesien unterwegs als in ihren eigenen Gedankenwelten. Vom Inselstaat sieht und hört man, trotz der untergelegten Gesänge auf der Begleit-CD, wenig, die geografische Beschreibung weicht einer Seelenlandschaft, in der Indonesien mit dem Bulgarien aus Oleschinskis Jugend verschmilzt und das Fremde nur als verinnerlichtes Gefühl existiert. Manches klingt, als wolle die fließende Schönheit des asiatischen Gesangs auf der CD mit besonders hässlichen, besonders deutschen Wortungetümen geradezu anspringen: Begriffsmonster wie „Absaugstutzen” oder „Knautschlackzonen” pirschen durch ihren Lyrikdschungel.
Doch genau nach dieser Sperrigkeit, dieser physischen Gewalt des Wortes sucht Oleschinski. Wenn sie in Indonesien auf Deutsch vorträgt, dann versagt das Wort als Mittel der Verständigung. Da aber, wo nur sein Klang bleibt, wird aus Lyrik wieder Gesang, aus dem Dichter wieder ein Sänger – die Autorin aus dem Westen erweist sich als Dichterin ungeschriebener Lyrik, geradezu sentimentalisch sucht sie die Rückkehr zur mündlichen Tradition, zum Gedicht als Lauterlebnis. In immer neuen essayistischen Anläufen sehnt sie sich zurück in eine Zeit, in der Dichtung einer Gemeinschaft noch Stimme und Identität verlieh, in der der Platz des Poeten noch inmitten der Gesellschaft war.
Doch ist ihre eigene eingestreute poe-sia interrupta zu kurz, um selbst Klang und Körperlichkeit zu entfalten. Ge-dichtrudimente wie „ich ist der Vogel-/ darm, durch den sie reisen müssen, schlafende Keime” verpuffen in ihrer kryptischen Kürze, noch ehe sie Dynamik entwickeln. So bleibt dem Leser das Gefühl, viel von der archaischen Kraft des gesprochenen Wortes gelesen zu haben, ihr auf Oleschinskis Reise aber kaum einmal begegnet zu sein.
RALF HERTEL
BRIGITTE OLESCHINSKI: Argo Cargo. Verlag Wunderhorn, Heidelberg, 2003. 48 Seiten, mit CD, 15,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2004

Überland nimmt überhand
Hin zum Körperklang: Brigitte Oleschinskis neue Gedichte

Brigitte Oleschinski gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Lyrikerinnen. Die promovierte Zeithistorikerin hat in den Neunzigern durch ihre beiden Gedichtbände "Mental Heat Control" und "Your Passport is not guilty" auf sich aufmerksam gemacht. In den letzten Jahren hat sie dann ihre eigene Schreibpraxis verstärkt reflektiert, eine Tendenz, die in der Komplementärstruktur ihrer beiden jüngsten Veröffentlichungen einen vorläufigen Höhepunkt findet.

Der Essay "Argo Cargo" ist das Dokument eines tiefgreifenden Wandels in ihrer Poetik unter dem Einfluß mehrerer Reisen nach Bulgarien und Indonesien, und die Gedichtsammlung "Geisterströmung" ist dessen Ergebnis. Vor allem in Südostasien erfuhr sie, bedingt durch die Sprachbarrieren zwischen ihr und dem Publikum, ihre eigene Dichtung in nie gekanntem Ausmaß als stimmlich-lautliches Ereignis. Man versteht, welche Bedeutung dies für sie gehabt haben muß, wenn sie gesteht: "Ursprünglich habe ich mir nicht einmal vorstellen können, daß Gedichte überhaupt gesprochen werden." Alle klanglichen Vorstellungen richteten sich für Oleschinski an einer inneren Stimme aus, und diese "war nicht verknüpft mit einer realen Stimme, es war ein Klang, der ausschließlich aus den geschriebenen Zeilen entstand".

Ging es ihr 2002 in ihrem Poetik-Projekt "Reizstrom in Aspik" noch darum, "Wie Gedichte denken", möchte die CD, die sie mit Hilfe von Künstlern aus Bulgarien und Indonesien produziert hat, zeigen, "Wie Gedichte singen". Die CD ist, neben den vielen inhaltlichen Bezugspunkten, ganz konkret das verbindende Element beider Bücher, da sie beiden beigefügt wurde. Schon das zeigt, daß sie nicht einfach nur ein weiteres Gimmick aus der Vorstellungswelt der Marketingstrategen ist, die meinen, ein einfacher Gedichtband könne heute keine Käufer mehr locken. Sie ist einerseits Ausdruck eines veränderten Verständnisses von Dichtung und andererseits eine Rezeptionsanweisung. Damit ist sie in gewisser Weise allerdings auch das Eingeständnis einer Niederlage, zumindest was den gedruckten Text angeht.

Auf der Buchseite hat Oleschinski kein Gestaltungsmittel mehr, außer der graphischen Anordnung der Wörter auf der Seite. Nachdem alle Regeln der Lyriktradition von ihr außer Kraft gesetzt werden, sind auch die Mittel der Leserlenkung eingeschränkt. Wo andere Dichter ihre Leser noch mit Metrum, Versform und Reim dazu zwingen konnten, den Text mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Betonungen zu lesen, bedarf es mittlerweile der Regieanweisung des Layouts beziehungsweise der konkret performativen Realisierung des Textes durch die Autorin. Wer wissen will, wie Gedichte singen, kann auf den gedruckten Text allein nicht mehr vertrauen, der muß ihn ergänzen durch die dichtgewebte Klangcollage aus osteuropäischen Gesangstimmen und südostasiatischen Musikfragmenten, über denen die Dichterinnenstimme manchmal dominant schwebt und in denen sie manchmal verhallend untergeht.

Wieviel ist davon technischer Aufwand und wieviel sprachliches Potential? Auf jeden Fall ist "Geisterströmung" vor allem ein Strom der Sprache. Brigitte Oleschinski hat sich von allen Begrenzungsvorgaben gelöst, es gibt keine voneinander abgegrenzten Gedichte mehr, sondern einen Teppich mehr oder weniger lose miteinander verwobener Fragmente, Fetzen fast, manchmal nicht mehr als sieben Wörter auf einer Seite. Selbst auf der syntaktischen Ebene lassen sich kaum noch Grenzen ausmachen, fast alle Einzelfragmente bestehen nur noch aus unvollständigen Sätzen, die teils unvollendet bleiben, teils ihren Anfang ungehört lassen.

Schon in "Argo Cargo" tauchen, eingefügt zwischen die essayistischen Passagen, Schnipsel des Textes auf, der dann zu "Gedankenströmung" wurde, doch zeigt sich hier, daß man die Reduktion auch zu weit treiben kann. Die knappen, abgerissenen Zeilen gehen hier keine Verbindung ein mit den Überlegungen, die sie unterbrechen, und haben zuwenig Substanz, um für sich selbst zu stehen. Erst mit der Perspektive des eigentlichen Gedichtbandes versteht man sie als eine Art Vorschau und Werkstattbericht.

Doch semantisch überladen sind die Sprachbrocken, aus denen sie ihr Gedicht montiert, ohnehin nicht. Das ist Teil des poetischen Programms, das auf Reduktion und Eindringlichkeit setzt und auf ein aktives Lesen. "Ich kann über meine Gedichte nicht in der Weise sprechen, daß ich anderen bei ihrer Lektüre sozusagen auf die Sprünge helfe", erklärte sie in einem Interview. Doch wie wenig semantisch dekodierbares Material reicht aus, um im Kopf des Lesers Bilder entstehen zu lassen? Oleschinski will auf jeden Fall die Mitarbeit ihres Lesers, sie zeichnet vor seinen Augen keine realistischen Gemälde oder gar Genreszenen, sondern verteilt rätselhafte Zeichen in einem, wie es auf den ersten Blick scheint, sprachlichen Chaos.

In "Reizstrom in Aspik" war sich Oleschinski der Gefahr durchaus bewußt, daß zuviel Vertrauen auf die aktive Rezeption des Lesers die Gefahr von Beliebigkeit birgt, verwahrt sich aber vehement gegen den Verdacht, ihre Gedichte könnten lediglich "gestaltlose Projektionsfläche" sein. Und tatsächlich, je mehr man sich auf das Angebot ihres Textes einläßt, um so reichhaltiger wird es.

Als Erfahrungsraum für ihre von Genazino gelobte Umsetzung in lyrische Bilder dienen ihr diesmal vor allem die Tropen mit ihrer klimatischen Eindringlichkeit und der lautlichen wie bildlichen Exotik. Hatte Körperlichkeit schon immer für sie eine besondere Rolle gespielt, entdeckt sie nun, daß der Körper in den Tropen eine ganz andere Verbindung mit seiner Umwelt eingeht. In "Argo Cargo" schreibt sie über ihre Ankunft auf Java, "die Grenze zwischen Körperinnen und Körperaußen von einer Sekunde zur anderen durchlässig, flutende Reize von überallher". Später liest sich das dann so: "atmende Flechtwand, und wir / wie eingesickert in die Tropenlaken, ineinander tätowiert vor dem aufdämmernden Morgenruf". Dieses Fließende setzt sich auch in der Beschreibung der Landschaft fort: "das Gras / läuft überland, hügelan, hügelab, wird Reis / und Tee und wieder Gras".

Nur hin und wieder blitzen Irritationen auf, Ahnungen von Unterdrückung und Gewalt, doch gleich wieder relativiert durch eine die ganze Evolution umfassende, fast kosmische Perspektive ("durch das Tunnelgras sickernde Evolutionsarmee, Überlebensgene / auf ihrem leuchtenden / Pfad zum Unsterblichkeitswahn"). "Geisterströmung" ist eine Herausforderung an den Leser, der manchmal das Gefühl hat, er müsse ganz neu lesen lernen. Dafür bekommt er dann aber auch zwei Stützräder montiert, zur einen Seite die CD und zur anderen der Essay, die beide viel dazu beitragen, den Reichtum des Textes aufzuschließen.

SEBASTIAN DOMSCH

Brigitte Oleschinski: "Geisterströmung". Gedichte. DuMont Buchverlag, Köln 2004. 116 S., geb., 24,90 [Euro].

Brigitte Oleschinski: "Argo Cargo". Wie Gedichte singen. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2003. 46 S., geb., 15,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ralf Hertel hat dieses Buch nebst CD, in dem Autorin Brigitte Oleschinski von ihrer Lesereise durch Indonesien berichtet, durchaus mit Interesse zur Hand genommen. Die Autorin hat auf verschiedenen indonesischen Festivals Gedichte auf Deutsch und Englisch vorgetragen, wobei die Sprachbarriere ihre Lyrik zu reinem "Gesang" verwandelt, erklärt der Rezensent. In ihrem Buch gehe es der Autorin dann auch vor allem um die "Macht" der Poesie und um eine "Rückkehr zur mündlichen Tradition", so der Rezensent weiter. In ihrem zwischen Prosagedicht und Essay changierenden Text wird trotz der begleitenden CD, auf der unter anderem indonesische Gesänge zu hören sind, wenig über Indonesien erzählt, dafür umso mehr von der "Seelenlandschaft" Oleschinskis, stellt Hertel fest. Viel ist in den essayistischen Passagen über die "archaische Kraft" des gesprochenen Worts zu lesen, doch gelingt es der Autorin nicht, diese auch in ihren knappen Gedichten, ihren "poesia interrupta" zu demonstrieren, so der Rezensent etwas enttäuscht. Das liegt seiner Ansicht nach vor allem an der "kryptischen Kürze" der Gedichte, die kaum "Dynamik" entwickelt und wenig von der Macht der Poesie spüren lassen, kritisiert Hertel.

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