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Biografien sind immer auch Geschichten aus einer bestimmten Zeit. Im Fall von Alfred Andersch hat dessen Leben im "Dritten Reich" und während des Zweiten Weltkriegs in den letzten Jahren zu Debatten geführt. Doch Anderschs Biografie erzählt viel mehr: Sie ist zum Beispiel auch eine Geschichte der europäischen Kunst und Intelligenz der 1950er bis 1970er Jahre. Das Netz der Intellektuellen spann sich weit über Europa und darüber hinaus. In besonderem Maße streckte Alfred Andersch seine Fühler aus, erkundete, förderte und pflegte internationalen Austausch mit Schriftstellern und Künstlern: von…mehr

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Produktbeschreibung
Biografien sind immer auch Geschichten aus einer bestimmten Zeit. Im Fall von Alfred Andersch hat dessen Leben im "Dritten Reich" und während des Zweiten Weltkriegs in den letzten Jahren zu Debatten geführt. Doch Anderschs Biografie erzählt viel mehr: Sie ist zum Beispiel auch eine Geschichte der europäischen Kunst und Intelligenz der 1950er bis 1970er Jahre. Das Netz der Intellektuellen spann sich weit über Europa und darüber hinaus. In besonderem Maße streckte Alfred Andersch seine Fühler aus, erkundete, förderte und pflegte internationalen Austausch mit Schriftstellern und Künstlern: von Giorgio Bassani, über Heinrich Böll, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Luigi Nono und Arno Schmidt bis zu Italo Valenti und Emilio Vedova. Die hier vorgenommene fundierte Analyse von Alfred Anderschs Zeit zwischen 1941 und 1943 macht den Weg wieder frei für eine AuseinanderSetzung mit seinem Wirken als Kulturvermittler und -förderer und vor allem für eine Wiederbegegnung mit seinem literarischen Werk. Beispielsweise führt Hans Magnus Enzensberger ein fiktives Gespräch über Andersch, Michael Augustin lässt einen Hemingway zurückreisen, Roland Berbig sieht sich zwei Autoren in einem Dorf an, Daniele Scuto, ein junger Schriftsteller, verSetzt sich ins Café Rosati im römischen Winter, Arturo Larcati findet Anzeichen einer nicht geschriebenen Oper. Die Textbeiträge werden begleitet von einer einzigartigen Mischung aus bisher unveröffentlichten Dokumenten zu Anderschs Leben, aus Briefen, Fotos und Bildern. Und immer wieder wird seinen eigenen Texten Raum gegeben, um für sich zu sprechen. Unverstellt und unmittelbar stehen uns in diesem Buch Alfred Andersch und seine Welt gegenüber.
Autorenporträt
Korolnik, Marcel
Marcel Korolnik, geb. 1945 in Zürich. Nach der Handelsschule stieg er in die Handelsbranche ein. Es folgten Tätigkeiten als Autor und Regisseur. 1976 - 2002 eigene Werbeagentur in Zürich. Er war Mitglied des Art Directors Club und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Heute Fotograf und Kulturmanager.

Korolnik-Andersch, Annette
Annette Korolnik-Andersch, geb. 1950 als Tochter von Alfred und gisela Andersch. Besuch von Kunstschulen in Basel, Zürich und London. Seit 1971 freie Tätigkeit als Malerin und Objektkünstlerin. Ca. 50 Einzelausstellungen in ganz Europa. Zuletzt zusammen mit ihrem Mann Kuratorin der Anderausstellung "Golo Mann. Geschichte und Geschichten".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2009

Die blassbeigen Jahre
Ein opulenter Bild- und Materialienband über Alfred Andersch
Als Erstes fallen die Fotos auf, die Briefe und die Buchumschläge. Sie sind farbig, mit viel Raum und Weiß umgeben und erscheinen dadurch als Artefakte. Alfred Andersch ist ein Schriftsteller, den man gemeinhin eher mit Schwarzweiß assoziiert und mit Textlastigkeit – die Anmutung dieses Buches ist eine Irritation. Anderschs Tochter hat zusammen mit ihrem Mann bisher unbekannte Materialien über ihren Vater zusammengetragen. Natürlich kommt dabei auch vor, was das Andersch-Bild im Wesentlichen geprägt hat: die Rundfunktätigkeit in den fünfziger Jahren, mit der Andersch zu einem der Protagonisten der nachgetragenen Moderne in der Adenauerrepublik wurde, die von 1955 – 1957 erschienene Zeitschrift Texte und Zeichen. Auch die Verbindung von marxistischer Rigorosität und einzelgängerischem, auf keine Partei Rücksicht nehmendem Denken. Sein Gedicht „Artikel 3,3”, mit dem er 1975 plakativ gegen die Berufsverbote Stellung bezog und das damals oft in Universitätsfluren und Wohngemeinschaften aushing, ist auch in diesem Band unvermeidlich, „Sansibar ist überall”.
Der Roman „Sansibar oder Der letzte Grund” (1957) gibt dem Titel dieses Buchs die Vorlage. „Sansibar” ist ein imaginärer Sehnsuchtsort für den Jungen im Ostseebad Rerik des Jahres 1937, dem Jan Bürger einen kenntnisreichen Aufsatz widmet. Und Sansibar ist eine generelle Chiffre für Leben und Werk von Andersch: er suchte immer nach Möglichkeiten des Verschwindens und Orten der Sehnsucht, die sich literarisch bannen lassen. Auf dem Höhepunkt seines Ruhms, im Jahr 1958, entschloss er sich, freier Schriftsteller zu werden und die Bundesrepublik zu verlassen.
Die Entwicklung von der unmittelbaren Nachkriegszeit, als der Horizont noch sehr eng war und sich von demjenigen der „inneren Emigranten” kaum unterschied, bis hin zu diesem emphatischen Anschluss an die Moderne ist ein bisher wenig erforschtes literaturgeschichtliches Thema. Texte und Zeichen war eine Insel inmitten all jener bigott-klerikalen und ressentimentgeladenen Strömungen, die mittlerweile fast völlig vergessen sind. Arno Schmidt erhielt 1955 wegen der im ersten Heft von Texte und Zeichen erstveröffentlichten Erzählung „Seelandschaft mit Pocahontas” eine Anklage wegen Pornographie und Gotteslästerung – Andersch hatte bereits 1950 Schmidts Debüt im Rundfunk unter der durchaus wagemutigen Überschrift besprochen: „Ein Genie!”
Die Atmosphäre in „Sansibar ist überall” bestimmen die Buchcover, die Gisela Andersch für ihren Mann entworfen hat, Bilder, etwa die des Malers Italo Valenti oder Fotos, die Andersch auf seinen Weltfluchten, sei es nach Spitzbergen, Providence oder Süditalien, machte. Geradezu auratisch wirken die Widmungsexemplare von Michelangelo Antonioni, mit dem blassbeige-verhauchten Einbandpapier der frühen sechziger Jahre und dem Gesicht von Monica Vitti. Die Landschaften des Tessins werden eingefangen, ebenso die Beziehungen zu Tessin-Bewohnern wie Max Frisch, denen Roland Berbig einen schönen Essay widmet. Dass Andersch in einem Brief an Frisch einmal „Freundschaftlichkeit” durchstrich und „Nachbarschaft” daraus machte, ist eines der Indizien für zeitbedingte Schwierigkeiten.
Das Charakteristische an Andersch, der schroff und abweisend sein konnte, wird im einleitenden Interview mit Hans Magnus Enzensberger auf den Punkt gebrach: „Die Gespenster von 1933 haben ihn sein Leben lang heimgesucht.” Andersch war 1933 in der kommunistischen Jugend und litt an der „kampflosen” Machtübergabe an die Nazis; er wurde damals für einige Wochen im KZ Dachau interniert. Das Verhalten von Andersch im Nationalsozialismus muss man auch angesichts dieses Traumas diskutieren.
Johannes Tuchel, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, stellt detailliert dar, wie Anderschs Biographie zum ersten Mal von W.G. Sebald im Jahr 1993 skandalisiert wurde. 1943 drängte Andersch auf die Scheidung von seiner „halbjüdischen” Ehefrau – als Voraussetzung dafür, die Schreiberlaubnis im NS-Regime zu bekommen. In amerikanischer Kriegsgefangenschaft ein Jahr später will er sich dann die Ehe mit einer halbjüdischen Frau als Verdienst anrechnen lassen. Dies brandmarkte Sebald als „strategische Instrumentalisierung des jüdischen Hintergrunds seiner Frau”. Zwei Germanisten aus Siegen, Jörg Döring und Rolf Seubert, sind 2008, im Sebald-Sog, mit einem neuen Fund an die Öffentlichkeit getreten. Bereits 1941 habe Andersch seine vorübergehende Entlassung aus der Wehrmacht nicht, wie man bisher annahm, unter Berufung auf seinen KZ-Aufenthalt erwirkt, sondern durch den Hinweis auf seine „jüdische Versippung”. Die Siegener stellen fest: „also auch hier schon der strategische Umgang mit der jüdischen Herkunft seiner Frau.”
Der umstrittene Deserteur
Johannes Tuchel weist nun wie schon der Andersch-Biograph Stephan Reinhardt darauf hin, dass die Ehe bereits 1940 gescheitert war. 1940 lernte Andersch zudem seine spätere zweite Frau Gisela kennen. Gewiss, im Nachhinein bleibt der Makel, dass Andersch sich ausgerechnet 1943 von seiner „halbjüdischen” Frau lossagte. Tuchel fügt aber hinzu, dass es rein spekulativ ist, zu insinuieren, was Andersch zu diesem Zeitpunkt über eine konkrete Bedrohung seiner ersten Frau wissen konnte. Er argumentiert skrupulös und belegt zum Teil falsche Darstellungen von Andersch. Die „Suggestionen” Sebalds allerdings weist Tuchel zurück, vor allem die, es habe sich bei der Desertion von Andersch aus der Wehrmacht, die dieser 1952 in seinem vieldiskutierten Buch „Die Kirschen der Freiheit” beschrieb, nicht gerade um eine Heldentat gehandelt.
Die Siegener Germanisten geben vor, es gehe ihnen darum, „das Maß der biographischen Selbststilisierung eines bedeutenden Autors zu bestimmen”. Das klingt nach wissenschaftlicher Objektivität, doch drängt sich der Verdacht auf, dass es sich hier um einen mit viel moralischem Aplomb betriebenen Ritus akademischer Kniebeugen handelt, mit der Erwartung entsprechender Haltungsnoten. Im Vergleich zu dem Großteil derer, die sich nach 1945 als „innere Emigranten” rühmten, bietet Andersch kaum Anlass, ihn moralisch zu diskreditieren. Vermutlich war schon bei Sebald der Hauptantrieb, Anderschs literarische und politische Rolle in der Bundesrepublik in Frage zu stellen. Das allerdings steht auf einem ganz anderen Blatt.
Ein bisschen davon wird in einem Brief Wolfgang Koeppens vom 30. Januar 1979 an Andersch deutlich: „Sie fingen mich in Hamburg auf der Straße ein. Es veränderte mein Leben. Das sollte berichtet werden. Wie Sie stets ein Kamerad waren, ein Kollege, ein Genosse, Texte und Zeichen machten, das Radio in Stuttgart, für uns, Sie gaben uns Erwerb und Reisen, offene Horizonte. (. . . ) Ihr Haus in Hamburg. In meinem Gedächtnis eine feine Bauhütte. Holzbau. Ebenerdig. Ein weiter Raum. Arbeit und vielleicht Pfeifenrauch. Klarheit auch von Gisela bestimmt. Ingeborg Bachmann war da. Von Ihnen gefördert. Ich lernte sie kennen. Wir tranken viel. An einem Vormittag. Es war schön! Wartesaal im Bahnhof Stuttgart, Abendbrot mit Arno Schmidt. Sie hatten ihn ermuntert, im Radio-Essay seine imaginäre Bibliothek zu entdecken. Er sagte, seine Hoffnung sei eine Portierstelle in einem mittleren Betrieb. Wir waren sehr ernst.” Es war genauso ernst wie heute.HELMUT BÖTTIGER
MARCEL KOROLNIK, ANNETTE KOROLNIK-ANDERSCH (Hrsg.): Sansibar ist überall. Alfred Andersch. Seine Welt in Texten, Bildern, Dokumenten. edition text + kritik, München. 253 S., 36 Euro.
Alfred Andersch Foto: Brigitte Friedrich
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Helmut Böttiger hat mit gespannter Aufmerksamkeit diesen Materialienband zu Alfred Andersch in die Hand genommen, den die Tochter des Schriftstellers, Annette Korolnik-Andersch, zusammen mit ihrem Mann Marcel Korolnik herausgegeben hat. Zunächst zeigt sich der Rezensent von der Farbigkeit des Bandes, der neben Buch-Umschlagbildern viele Fotos enthält, überrascht, ist sein inneres Andersch-Bild doch eher schwarz-weiß geprägt, wie er bekennt. Böttiger hebt lobend den Beitrag von Jan Bürger zu Anderschs wohl berühmtestem Roman "Sansibar oder Der letzte Grund" von 1957 hervor. Auch den Aufsatz von Roland Berbig zu Schweizer Freund- und Bekanntschaften ist ihm eine positive Erwähnung wert. Und Johannes Tuchels Untersuchung zu Anderschs Verhalten während der Nazizeit, das in den 90er Jahren von W. G. Sebald mit ernsten Vorwürfen belegt wurde, rehabilitiert in den Augen des Rezensenten den Schriftsteller zu Recht.

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