Produktdetails
  • Verlag: Steidl
  • 2000.
  • Seitenzahl: 672
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 830g
  • ISBN-13: 9783882437331
  • ISBN-10: 3882437332
  • Artikelnr.: 08916788
Autorenporträt
Jürgen Lodemann, geboren in Essen, Studium der Germanistik und Geographie in Freiburg. Ab 1965 beim SWF-Fernsehen in Baden-Baden, 143 Mal Literaturmagazin, ab 1975 in der Jury der SWF-Bestenliste. Dokumentarfilme. Mitglied des PEN-Zentrums. Lehrtätigkeit an den Universitäten Stuttgart, Frankfurt, Marburg und Freiburg. Lebt in Freiburg, Essen und im irischen Galway. 1978 Kerr-Preis für Literaturkritik.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.02.2001

Udines Retter
Jürgen Lodemanns Biografie von
Albert Lortzing – leider nur zu hören
Offensichtlich hat der Romancier Jürgen Lodemann, ganz ohne es zu wissen, ein Marktlücke geschlossen, und jetzt wird man erst einmal sehen müssen, wohin das noch führt. Lodemann hat dem Romantiker Albert Lortzing zum 200. Geburtstag im Oktober eine Biografie gewidmet, einen mächtigen Schinken noch dazu. Er schildert den „Wildschütz”-Komponisten als „Gaukler und Musiker”, als unermüdlichen Arbeiter, der sich durch alle deutsche Provinzen hat wirbeln lassen, der Pazifist war und im übrigen Opern für den „reinsten Unsinn” hielt. Dass er selbst mit einigen seiner 16 Bühnenwerke ziemlichen Erfolg hatte, dass er sich mit „Zar und Zimmermann” einen Namen machte und mit der „Undine” die romantische Oper aus den Niederungen der damals üblichen Zauber-Spielchen rettete, hat an seiner Überzeugung nicht rütteln können: Bettelarm ist Lortzing gestorben, während seine Stücke eifrig gespielt wurden.
Nun stellt Jürgen Lodemann, der Fechter für einen Unzeitgemäßen, die Biografie in der Autorenbuchhandlung (Wilhelmstraße 41) vor. Heute, Mittwoch, um 19. 30 Uhr unterhält er sich mit dem Bielefelder Literatur-Professor Jörg Drews über den Musiker, führt Musik vor, liest, und vielleicht singt er auch; Lodemann liebt Multimediales. Der Ortstermin ist insofern erfreulich, als er die einzige Möglichkeit bietet, mit Lodemanns Werk Bekanntschaft zu schließen: Die erste Auflage ist restlos verkauft, aber der Verlag hadert noch, ob er eine zweite wagen soll. Was, wenn nun Lortzings Renaissance einzig an Verleger-Ängstlichkeit scheiterte?
CLEMENS PROKOP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2001

Auch er war ein Jüngling im lockigen Haar
Der Achtundsechziger Jürgen Lodemann preist den Achtundvierziger Albert Lortzing, der am Sonntag vor hundertfünfzig Jahren starb

Wer die Jahrhundertfigur Wagner und ihre epochemachende Lebensbeschreibung durch Martin Gregor-Dellin oder Hildesheimers legendäres Mozart-Buch kennt, mag verwundert sein, daß nun eine fast ebenso umfangreiche Biographie über den älteren Zeitgenossen Wagners, Albert Lortzing, erscheint, verfaßt von dem literarischen Multitalent Jürgen Lodemann. Der Gemeinsamkeiten zwischen diesen Musikerbiographien sind viele: Sie sind von Literaten, nicht von Musikwissenschaftlern verfaßt, gleichwohl ebenso wissenschaftlich stichhaltig wie literarisch beeindruckend, sie nutzen die jeweils neueste Quellenlage - hier die Cosima-Tagebücher und die Bäsle-Briefe, dort die erste unzensierte Briefsammlung Lortzings. Der sich aufdrängende Unterschied liegt in der Bedeutung des Objekts: Wagners (und erst recht Mozarts) Rang in der Musikgeschichte ist unbestritten - aber Lortzing, der Autodidakt, der Buffotenor, der nebenbei lustige, aber harmlose Opern komponierte? Paßt dieser Tingeltangel-Komödiant in die würdige Reihe ernst zu nehmender Tondichter? Genau solche Vorurteile auszuräumen tritt Jürgen Lodemann an, und er macht seine Sache sehr gut.

Lodemanns jahrzehntelange Beschäftigung mit Lortzing (er wurde in den sechziger Jahren mit einer Arbeit über dessen Opernlibretti promoviert) hat einen sehr persönlichen Hintergrund, den er gleich auf den ersten Seiten seines Werkes preisgibt: Sein alter Musiklehrer war ein Urenkel Philipp Regers, des besten Freundes Lortzings, und so hat der Verfasser eine nahezu familiäre Beziehung zu seinem Objekt. Lodemanns Ansatz für die Analyse von Leben und Werk geht über die bisher erschienenen Biographien von Hoffmann, Worbs und selbst Schirmag hinaus: Er nimmt Lortzings Operntexte - die dieser ebenso wie später Wagner stets selbst verfaßte - "bis in die Wörter, ja bis in die Silben des Librettos hinein" ernst und entwirft auf dieser Grundlage ein beeindruckendes und mitunter erschütterndes Panorama nicht nur dieses erbarmungswürdigen Komponistenlebens, sondern der gesamten Epoche des sogenannten Biedermeier, das so bieder gar nicht war. Welche fäkalischen und sexuellen Kraftausdrücke schon damals zum aktiven Wortschatz eines Komponisten gehörten, kann man erst der unzensierten Briefausgabe von Irmlind Capelle entnehmen: "Vom niedlichen Nippes-Lortzing sollte man sich endlich trennen", fordert Lodemann.

Albert Lortzings Todestag jährt sich am morgigen Sonntag zum hundertfünfzigsten Mal. Im Oktober dieses Jahres ist außerdem sein zweihundertster Geburtstag zu begehen. Sein Leben begann und endete in Berlin, und dazwischen lag ein unstetes Wanderleben als Schauspieler, Sänger, Regisseur, Kapellmeister, Autor - und eben Komponist. Der Sohn eines Handwerker- und Hobbyschauspielerpaares begann seine Bühnenkarriere mit elf Jahren bei einer Wanderschauspieltruppe, die den begabten und bald sehr beliebten Jüngling - Grabbe verspottete ihn als "Zierbengel" und "Liebling der Damenwelt" - quer durch ganz Deutschland führte. Den deutschsprachigen Raum hat er jedoch niemals verlassen, und dies gilt auch für seine Werke. Längere Engagements nahm er später in Detmold, Leipzig und Wien wahr. Er reüssierte besonders in seichten Lustspielen als "komische Person" und Liebhaber, doch seine eigene Liebhaberei, das Opernkomponieren, wurde zu seinen Lebzeiten nie ernsthaft anerkannt. Zwar spielten nahezu alle deutschen Bühnen bald regelmäßig "Zar und Zimmermann", "Wildschütz", "Waffenschmied" und "Undine", doch Tantiemen gab es noch nicht, und so mußte der Schöpfer dieser Werke oft seufzen: "Wenn ich nur was davon hätt'!" Gegen Ende seines Lebens mußte er für einen Hungerlohn in Berlin Vaudevilles (eine Vorform der Musicals) dirigieren. Ein Schlaganfall setzte 1851 dem Leben des völlig aus- und abgebrannten Neunundvierzigjährigen ein Ende.

Soweit das dürre Faktengerüst, das auch die früheren Biographen bieten. Lodemann entdeckt nun, so überraschend es klingen mag, in Lortzing den Revolutionär. Die erwachsene Lebenszeit des Komponisten deckt sich fast genau mit der Epoche des Vormärz, als Metternich in den sechsunddreißig deutschen Staaten ein Spitzelsystem installierte, das gelegentlich schon an die Stasi denken läßt. Nicht nur ausführliche Zitate aus Lortzings Briefen weisen ihn als überzeugten Demokraten aus, der lebenslang mit Zensur und Polizeikontrolle zu kämpfen hatte. "Selbst die einfältigsten Leute fangen an zu begreifen, daß man auch ohne Kaiser fertig werden kann." Auch die Operntexte selbst können als - allerdings sehr subtil verpackte - Satiren auf Gesinnungsschnüffelei und Spießertum gelesen werden.

Besonderes Gewicht liegt dabei auf der heute zu Unrecht vergessenen Oper "Regina", die bereits im Revolutionsjahr 1848 - Lortzing nahm, wie Wagner, regen Anteil an den "März-Errungenschaften" - die Ereignisse des gescheiterten deutschen Aufstandes aufgreift und in eine nur vordergründig sentimentale Dreiecksgeschichte einbettet. Zum ersten Mal in der Geschichte der Oper sollte hier ein Streik in einer Fabrik auf der Bühne dargestellt werden, und der Schlußchor ist eine Hymne auf die Demokratie. Natürlich hatte ein solches Sujet keine Chance bei den bald wieder die Oberhand gewinnenden reaktionären Kräften: Die ungekürzte Uraufführung des Werkes fand erst 1998 in Gelsenkirchen statt, hundertfünfzig Jahre nach den dargestellten Ereignissen. Hier wie bei allen anderen ausführlichen Werkbesprechungen dieses Bandes drängt sich dem durchschnittlichen Leser, der die meisten nie aufgeführten und auch nicht auf CD erhältlichen Opern gar nicht kennen kann, die Frage auf, ob denn der mangelnde Erfolg dieser Werke ausschließlich auf politischer Repression beruht - oder ob der unleugbar von 1968 beeinflußte Biograph hier in revolutionärer Begeisterung die musikalische Substanz von Lortzings Elaboraten nicht doch zu hoch einschätzt.

Die verdienstvolle, bisweilen allzu detailverliebte Beschäftigung mit Lortzings Texten (und dazu zählt für Lodemann auch der "Subtext" der Musik) ist um so lohnender, als frühere Aufführungen der Werke, auch die auf Schallplatte erhältlichen, zum Teil groteske Kürzungen und Textveränderungen enthalten, was man sich etwa bei Mozart oder gar Wagner nie erlauben würde. Der Geschichte von Lortzing-Verhunzungen nachzugehen wäre durchaus auch ein spannendes Unterfangen, das sich Lodemann in nobler Selbstbeschränkung erspart.

Jürgen Lodemann, dessen Vielseitigkeit als Autor, Journalist, Fernsehmoderator, Filmemacher und Kritiker durchaus mit der seines Forschungsobjekts konkurrieren kann, schreibt "gar nicht schwülstig, ganz natürlich, und der Stilus so ausführlich" (Zar und Zimmermann), was gelegentlich sogar an den großen Arno Schmidt gemahnt: Wie in dessen Meisterwerk "Sitara und der Weg dorthin" über Karl May, einen anderen großen Verkannten des neunzehnten Jahrhunderts, gehen auch in der vorliegenden Biographie dieser persönliche "Stilus" des Autors und die ausgedehnten Zitate des Biographierten eine untrennbare, mit großem Vergnügen und Gewinn zu lesende Einheit ein. So haben wir es also mit einer literarischen Biographie zu tun, die als intimer Einblick in ein exemplarisches Leben des "Biedermeier" nahezu uneingeschränkt empfohlen werden kann - abgesehen von der fehlenden Biblio- und Diskographie! Vom Wert Lortzingscher Kompositionskunst hat das Werk den sich als Wagnerianer bekennenden Rezensenten jedoch nicht überzeugen können, der Bewunderung Lortzingscher Komik durch Wagner selbst, Hans Pfitzner und Gustav Mahler zum Trotz: Wer je einer Gralsenthüllung beigewohnt hat, kann den Holzschuhtanz aus "Zar und Zimmermann" wohl nur als Katzenjammer empfinden.

THOMAS FISCHER

Jürgen Lodemann: "Lortzing". Steidl Verlag, Göttingen 2000. 672 S., 18 Abb., br., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Frieder Reinighaus freut sich sehr über die "umfangreiche Darstellung von Leben und Schaffen des Komödianten und Komponisten" Albert Lortzing. Grund hierfür ist nicht zuletzt, dass mit dieser Biografie an einen Komponisten des 19. Jahrhunderts erinnert werde, dessen Stern immer mehr im Sinken begriffen sei. Besonders faszinierend findet der Rezensent den Werdegang des Komponisten, der von ganz unten kommend sich nach oben arbeitete, um am Ende als überzeugter Demokrat auf der Flucht in absoluter Armut zu sterben. Dies alles sei mit "Herzblut" vom Biografen beschrieben, sodass ein "lebendiges Bild" von Lortzings Leben entstehe. Jedoch tendiere Biograf Lodemann gelegentlich dazu, seinen "Antihelden politisch überzustrapazieren." Ganz und gar nicht gefällt dem Rezensent, dass der Autor keine Quellen nennt und damit die bereits 1987 im Droste Verlag erschienene Biografie von Hans Hoffmann "Albert Lortzing. Libretto eines Komponisten-Lebens" unerwähnt bleibt. Dies ist um so bedauerlicher, da sich der Autor offensichtlich großzügig hieraus bedient. Gemeinsam jedoch warten Rezensent und Autor am Ende auf die Stadt, die sich 2001 des 150. Todestags des Komponisten annimmt. Viel Hoffnung, dass dies noch geschieht, haben wohl beide nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH