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Alles ist wahr: 2004 wurde Emmanuel Carrère Zeuge der Tsunami-Katastrophe. In den Trümmern des Desasters lernte er ein junges Paar kennen, dessen Tochter von der Welle fortgerissen wurde. Carrère kümmert sich um die verwaisten Eltern - und beginnt ihre Geschichte zu schreiben. Zurück in Paris, umlagert das Unglück weiter Carrères Leben: Seine Schwägerin stirbt und lässt drei Kinder zurück. In der Trauer blitzen Erinnerungen auf, fließen Erzählungen von Freunden und Verwandten zusammen, die Hoffnung und Stärkung verheißen.Carrère gibt den großen und kleinen Katastrophen ein Gesicht und zeichnet…mehr

Produktbeschreibung
Alles ist wahr: 2004 wurde Emmanuel Carrère Zeuge der Tsunami-Katastrophe. In den Trümmern des Desasters lernte er ein junges Paar kennen, dessen Tochter von der Welle fortgerissen wurde. Carrère kümmert sich um die verwaisten Eltern - und beginnt ihre Geschichte zu schreiben. Zurück in Paris, umlagert das Unglück weiter Carrères Leben: Seine Schwägerin stirbt und lässt drei Kinder zurück. In der Trauer blitzen Erinnerungen auf, fließen Erzählungen von Freunden und Verwandten zusammen, die Hoffnung und Stärkung verheißen.Carrère gibt den großen und kleinen Katastrophen ein Gesicht und zeichnet das Schicksal anonymer Helden nach. Dabei ist sein Schreiben immer präzise und ergreifend, ohne rührselig zu werden. Voller Menschlichkeit führt er verschiedene Ereignisse zusammen und gibt ihnen Bedeutung und Tiefe. Dieses Buch, in dem »alles wahr« ist, handelt von Leben und Tod, Krankheit, extremer Armut, Gerechtigkeit, vor allem aber von Liebe. Es erreicht das, wonach Literatur sucht: Eserschafft Realität neu.
Autorenporträt
Emmanuel Carrère, 1957 in Paris geboren, lebt als Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmregisseur in Paris. Seine genresprengende Prosa wird in über 20 Sprachen übersetzt und wurde vielfach international ausgezeichnet, z.B. mit dem Prix Renaudot 2011, dem Europäischen Literaturpreis 2013, dem Premio FIL 2017 oder dem Prinzessin-von-Asturien-Preis 2021. Bei Matthes & Seitz Berlin erschienen die Dokumentarromane Der Widersacher, Alles ist wahr, Ein russischer Roman , Limonow und Das Reich Gottes sowie mehrere Essays.  
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Thomas Laux ist schwer gelangweilt von diesem Roman von Emmanuel Carrère. Von erzählerischer Ökonomie, meint er, will der Autor nichts wissen und quält den Leser so mit einer nervtötenden, weil unverständlichen Mixtur aus autobiografischem Material, nämlich traumatischen Erfahrungen mit dem Tsunami auf Sri Lanka, den Spitzfindigkeiten des französischen Strafrechts und der Leidensgeschichte einer Krebskranken. Für Laux fügt sich das alles nicht zusammen, auch nicht unter der Rubrik "Flüchtigkeit allen Seins", die ihm der Autor offenbar mit auf den Lektüreweg gibt. Ein außerordentlicher, ein zwingender Text, findet Laux, sieht anders aus.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2014

Die Stille nach dem Tsunami
Der französische Autor Emmanuel Carrère machte im Dezember 2004 Urlaub auf Sri Lanka:
Sein Buch „Alles ist wahr“ ist Protokoll und Hymnus auf das Weiterleben nach der Katastrophe
VON JOSEPH HANIMANN
Wäre der Titel nicht schon vergeben, hätte dieses Buch auch einfach „Die Welle“ heißen können. Wellen sind Phänomene des Instabilen, die orkanartig oder unmerklich sanft die Stabilität einer Wasseroberfläche, eines Magnetfelds oder einer Empfindungswelt durcheinanderbringen. Die Welle des Tsunami an Weihnachten 2004 in Südostasien brach vom Meer her über die Menschen herein, sprang in die Medien über, löste weltweite Bestürzung aus und verschwand dann wieder. Was danach und daneben im Bereich der Langzeitempfindung geschah, gehört ins Ressort der Literatur.
  Der Franzose Emmanuel Carrère, der mit „Amok“, „Ein russischer Roman“ oder unlängst „Limonow“ sein eigenes Leben in fremde projizierte und fremde sich zu eigen machte, ist ein Kenner dieses Fachs. Während des Tsunamis hielt er sich mit seiner Lebensgefährtin Hélène in Sri Lanka auf. Er registriert in diesem Buch mit seiner Methode des hypnotischen Realismus, wie die Katastrophe sich bei einem französischen Touristenpaar auswirkte, das dabei seine vierjährige Tochter verlor, und lässt die Beobachtungen dann später zu Hause mit anderen Schicksalsschlägen in seiner Umgebung kollidieren.
  Das fast deckungsgleiche Erzähler- und Autoren-Ich erscheint zunächst im ironisch distanzierten Licht, das so manche Werke der zeitgenössischen Selbstdarstellungsliteratur auszeichnet. Es kriselt in der Beziehung, der Urlaub mit Hélène und den Kindern ist mühsam, „auf eine laue Weise missglückt, ohne Tragik und ohne Risiko“. Denn das Paar wird sich wohl ohnehin bald trennen. Dann aber kann ein Hotelgast plötzlich aus obskuren Gründen sein Fax nicht mehr verschicken, Gerüchte kommen auf, es sei etwas Seltsames im Gang, die Vögel sind verstummt und das Meer am Strand hat sich ungewöhnlich weit zurückgezogen.
  Die Verheerung ist dann bald sichtbar, nicht dort, wo die Familie Urlaub macht, aber wenige Kilometer weiter. Mit der Flut ist auch die subjektive Befindlichkeit der Urlauber weggeschwemmt worden. Zurück bleibt eine surreal zweigeteilte Landschaft aus blut- und schmutzverschmiert herumirrenden Gestalten im verwüsteten Teil unten am Strand und dem nach wie vor paradiesischen Ambiente weiter oben, wo die Welle nicht hinkam. Hélène will sofort helfen, dem Paar, das sein Kind verlor, und den übrigen Opfern. Der Erzähler verlegt sich aufs „Schauen, nur schauen“ und Aufschreiben, Rekonstruieren, Ausdenken, wie das Vorher und Nachher in den zerrissenen Leben wieder zusammenkommt. Und mit dem Hin und Her an der scharfen Trennlinie zwischen verschontem und verwüstetem Landschaftsteil beginnt nun auch der Reigen der Konjunktivformen „hätte“ und „wäre“ entlang der konditionalen „Wenn“-Satzgrenze, an der das gerade noch vollkommene Glück in dauerhaftes Unglück oder ins schlechte Gewissen des Davongekommenseins zersplitterte.
  Kein Detail aus der Vorgeschichte der Personen ist dem Autor zu geringfügig, um nicht erwähnt zu werden. Carrère ist ein Beobachter, der der Realität mittels seiner Vorstellung noch mehr Realität abzutrotzen versteht – und damit unerwartete Verknüpfungen zustande bringt. Kaum sind die Urlauber nach Frankreich zurückgekehrt, erfahren sie, dass Hélènes krebskranke Schwester im Sterben liegt. In Sri Lanka „hatte ich auf einen Schlag sehr viele Tote gesehen“, notiert der Autor, „aber ich hatte noch nie jemanden sterben gesehen“. Da jedoch die Wellenbewegung der beobachtenden Einfühlung auch vor diesem Schicksalsschlag nicht zur Ruhe kommt, springt sie weiter auf einen Arbeitskollegen der Verstorbenen über.
  Er ist Richter, wie sie es war, war in seiner Jugend ebenfalls an Krebs erkrankt und musste sich ein Bein amputieren lassen. Seinen Erzählungen spürt der Beobachter nun nach, seiner jugendlichen Unvernunft, seinen Schmerzen im Bein, seinen Krankenhausaufenthalten, seinem normalen Berufs- und Familienleben, seiner diskreten Komplizenschaft mit der gerade Verstorbenen.
  Es mag wie ein leicht perverses Kreisen um fremdes Unglück anmuten, was da zelebriert wird. „D’autres vies que la mienne“ lautete denn auch der Originaltitel des Buchs: Andere Leben als meines. Dank der Ausbalancierung von Einfühlung, Ausmalung und Sachpräzision kommt aber keine Spur von Sentimentalität oder voyeuristischem Mitgefühl auf. Das Vorhaben, die Geschichte des einbeinigen Richters aufzuschreiben, „in der ersten Person, ohne Fiktion und ohne literarische Effekte“, drängt sich dem Autor schnell auf, er sieht es zunächst als Gegenstück zu seinem früheren Buch „Amok“. Dort ging es um einen Mann, der das Unglück seiner inneren Leere mit Lügen und zuletzt Mord kompensierte, hier um jemanden, der sein teilamputiertes Lebensglück mit Wahrheitsfindung und Gefühl für die anderen wettmacht.
  Leser der früheren Werke Carrères werden an diesem Buch Gefallen finden. Andere dürfen sich zu Recht fragen, wohin diese Welle zwischen überschwemmtem Sri Lanka und französischen Individualschicksalen sie tragen soll. Vielleicht wäre ein Band mit Einzelberichten angemessener gewesen. Dass „alles wahr ist“, wie der deutsche Titel des von Claudia Hamm vorzüglich übersetzten Buchs behauptet, bedeutet nicht, dass alles auch wichtig sei. Die gewachsenen Brüste der auf den letzten Seiten schwanger gewordenen Hélène mögen Anlass zur Freude sein oder zur Angst für den werdenden Vater, wie der Autor gesteht. Seine Erzählung geht das nichts mehr an. Der beobachtende Realitätsmagier Carrère beginnt hier zu schielen.   
„D’autres vies que la mienne“
lautet der Originaltitel des
Buches: Andere Leben als meines
    
  
  
  
Emmanuel Carrère: Alles
ist wahr. Aus dem Französischen von Claudia Hamm. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2014. 247 Seiten, 19,90 Euro.
Trauer um die Opfer des Seebebens: Am Strand von Awal Nadi auf Sri Lanka, 6. Januar 2005.
Foto: AFP
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