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Intimes Fresko aus dem wilhelminischen Deutschland und der Weimarer RepublikJürgen von der Wense (geboren 1894 in Ostpreußen, 1966 in Göttingen gestorben), war Dichter, Komponist und Gelehrter. Als Kriegsgegner von Beginn an, war er zeitweilig Student, Buchhandelsverkäufer in Berlin, im Kontakt mit dem literarischen Expressionismus, Teilnehmer an der Revolution 1918/19, gefeierter Avangardist auf dem Musikfest in Donaueschingen, zog sich überraschend nach Warnemünde an die Ostsee zurück und begann ein intensives Forscher- und Wanderleben.

Produktbeschreibung
Intimes Fresko aus dem wilhelminischen Deutschland und der Weimarer RepublikJürgen von der Wense (geboren 1894 in Ostpreußen, 1966 in Göttingen gestorben), war Dichter, Komponist und Gelehrter. Als Kriegsgegner von Beginn an, war er zeitweilig Student, Buchhandelsverkäufer in Berlin, im Kontakt mit dem literarischen Expressionismus, Teilnehmer an der Revolution 1918/19, gefeierter Avangardist auf dem Musikfest in Donaueschingen, zog sich überraschend nach Warnemünde an die Ostsee zurück und begann ein intensives Forscher- und Wanderleben.
Autorenporträt
Jürgen von der Wense (geboren 1894 in Ostpreußen, 1966 in Göttingen gestorben) war "ein Genie des Findens und Formulierens, neben dem literarische Stars der Nachkriegszeit alt aussehen" (Der Spiegel), ein "großer Einzelgänger der deutschen geistigen Überlieferung" (Merkur). Er "singt das Lied des Lebens, begeht, wenn man seinen Briefen glauben darf, eine tägliche Schöpfungs- und Daseinsfeier" (Wespennest).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2000

Ein Reisender des Lebens
Signale vom genialen Eigenbrötler Jürgen von der Wense
Ein geheimnisvoller Mensch, eine Rätselfigur der deutschen Kultur im 20. Jahrhundert wird zur Besichtigung frei gegeben. Wer war und was war Jürgen von der Wense? Eine Aufzählung seiner „Berufe” muss beeindrucken: Komponist, Dichter, Übersetzer, Geograf, Privatgelehrter (Mineralogie, Sprachkunde, Astronomie, Geologie, Wetter- und Erdbebenforschung). Ein Universalgelehrter? Auf jeden Fall auch besessener Reisender, konzentrierter Wanderer, der sich selbst als „Landschaftmystagoge” bezeichnete. Erfahrungen und Beobachtungen, seinen kreativen Drang vertraute Jürgen von der Wense, dieser Einsamkeitsmystiker des Lebens, Tagebüchern und Briefpartnern an. Und kümmerte sich keinen Deut um das, was andere Geister tun, wenn sie an einem „Lebenswerk” arbeiten, indem sie „Werke” hervorbringen. Wense wusste es im Grunde selbst: „Ich habe eigentlich nichts in mir als eine ungeheuerliche Sehnsucht. Das ist mein einziger Beruf. Wo aber finde ich Raum in eurem Leben?”
Es scheint, als wolle diese qualvolle Frage heute ein einziger Verleger beantworten – mit einem entschiedenen „Bei mir!”. Seit Jahren nimmt sich Axel Matthes des fragmentarischen Nachlasses Jürgen von der Wenses an, der bei ihm tatsächlich den Raum findet – für das in glühenden Worten und kantigen Sätzen niedergelegte Denken einer zerrissenen Künstler-Existenz im Deutschland der ersten Jahrhunderthälfte. Schließlich hatte Matthes mit Epidot, dem Bändchen mit Sprüchen, Aphorismen, Fragmenten, 1987 zum erstenmal auf das Phänomen Wense aufmerksam gemacht.
Geheime deutsche Literatur
Man erfuhr damals staunend, dass nach Jürgen von der Wenses Tod Tausende von Seiten beschriebenen Papiers in einer Göttinger Dachkammer gefunden worden waren. Lernte, dass der 1894 in Ostpreußen geborene Wense in seiner avantgardistischen Jugend zu den Hoffnungen des deutschen Expressionismus in Musik und Sprache gezählt hatte, dass er in einer Art anti-intellektuellem Furor aber den ganzen Kulturbetrieb drangab, hinwarf, um Einsamkeit, um die Natur zu finden – die Laufbahn der Nicht-Karriere einzuschlagen, ohne „geregelte” Arbeit und Einkommen. Heute gilt ohne Abstriche das Urteil von Botho Strauß: „Der erstaunliche Sonderling, dieser absolute Nicht-Literat gehört an hervorragende Stelle in jener überfälligen Geschichte der geheimen deutschen Literatur, von der ich immer träume. ”
Die liebevollen Charakterzüge der vorliegenden Auswahl aus Tagebüchern und Briefen haben mit der Person des Herausgebers zu tun: Dieter Heim nennt sich in dem 50-Seiten-Exkurs über Jürgen von der Wense und sein Werk zunächst dessen „Partner”, Heim darf sogar von Freundschaft sprechen. 1944 lernte er als junger Mann den fünfzigjährigen Wense kennen und blieb in Verbindung mit ihm. Einfühlsam, von poetischem Verständnis gezeichnet ist Dieter Heims Herausgeberschaft. Er hat ein Sensorium für die Gemengelage der Wenseschen Texte, Materialsammlungen, Empfindsamkeiten, den Geist der unzähligen Notizen und Fragmenten, Kommentare, Erläuterungen, Übersichten aus einer abgeschiedenen Gegenwelt.
Diese Tagebücher und Briefe aus den Jahren zwischen 1906 und 1927 – dem Wilhelminischen Deutschland, der Weimarer Republik – zeugen von einer wild verzweifelten Jugend, sie sind eigentlich nur Überbleibsel der Aktionskunst „Leben”. Da blitzen, schäumen und donnern die Wogen des Enthusiasmus, der Enttäuschung, des Zorns, funkeln giftig die betrogenen Ideale. Und da wirbeln die Lebensfiguren durcheinander, die Wense über den Weg laufen, die er aufsucht, mit Bewunderung oder abschätziger Kritik bedenkt, die oft in Selbstkritik kulminiert. Der spontane Reflexionsstrom, mit Leidenschaft vorangetrieben, reißt alles mit sich: Zivilisation und Kunst, Natur und Philosophie, Seele und Literatur, und immer wieder klingen in den Texten Werke der Tonkunst auf – von Haydn zu Bruckner, von Beethoven zu Mahler, von Schubert zu Schönberg.
Kein Wunder, dass die Musik, die flüchtige Klang- und Zeitkunst, für den jungen Wense eine besonders ernste Rolle spielte. Er komponiert, er reflektiert pausenlos Musik, er streitet sich mit jungen Komponisten, bewundert Interpreten, besucht anscheinend zwanghaft Konzerte und reist zu Festivals. Im Bildteil des Buchs wird das berühmte Foto vom Donaueschinger Kammermusikfest 1922 gezeigt, das zwischen salopp posierenden Komponistengrößen wie Hindemith und Krenek einen sehr streng blickenden, gravitätisch-seriösen jungen Mann zeigt: Jürgen von der Wense. Hermann Scherchen, der Dirigent, permanent heiß laufender (Pro)Motor für die Neue Musik, war der Mentor („Dämon”, „Genie” nennt ihn Wense). Ihm verdankte er viel, und ihm schuldet die musikalische Moderne des 20.  Jahrhunderts sozusagen ihr Leben.
Wense wurde zeitweise Scherchens Mitarbeiter. Aber die Enttäuschung folgt auf dem Fuße, in einem Brief: „So sei es denn gesagt: die Musik ist abgeschafft. Der Mensch hat die Musik verraten. Sie war Kultus, er verkultivierte sie, was sie ist – eine tönende Weltfahrtstraße der Leidenschaften – er verfronte sie zu Freundschaften . . . Stimmungsmaschinerie . . . abendliche Seelenhygiene – sie diese Sturmflut am Gefühl erniedrigt zum Gepäcknetz aller bürgerlichen Gemüts-Mobs, zum Warenhaus bourgeoiser Sentiments, Medium schematischen Menschentums! O Ehrfurchtslosigkeit des Bürgers – Musik ist eine ,Angelegenheit’ geworden. ”
Jahrzehnte später: „Völlig aus meinem Leben geworfen. Ohne Arbeit, Werk, weil mich die Menschen nicht einsam lassen, o fliehn bis ans Weltende. ” Dieter Heim zitiert aus dem Tagebuch 1940 – so andeutend, dass er als Herausgeber auch an dem älteren Jürgen von der Wense und dessen Lebenswerk festhalten wird? Das Wort Lebenswerk erhält bei Wense einen ungewohnten Sinn – das Leben als ein großes Werk, schon in den jungen Jahren. Aber immerhin wurde Wense 72 Jahre alt.
WOLFGANG SCHREIBER
JÜRGEN VON DER WENSE: Geschichte einer Jugend. Tagebücher und Briefe. Ausgewählt, erläutert und mit einem Nachwort versehen von Dieter Heim. Matthes & Seitz Verlag, München 1999. 486 Seiten, 40 Abbildungen, 68 Mark.
Jürgen von der Wense, eine der großen Hoffnungen des deutschen Expressionismus in Musik und Literatur, wählte die Einsamkeit.
Foto: Matthes & Seitz
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999

Morgens Revolution, abends Oper
Das Glas zerschreien: Jürgen von der Wense in Briefen und Tagebüchern / Von Lorenz Jäger

Mittwochs fischt man nicht: die Mädchen sitzen in den Lauben und klöppeln und die Burschen auf der Brink putzen ihre Netze. Oder die Windmühle hinter meinem Haus an der dänischen Straße. Oder an den Strand und gerade in den Wind, wo in langen Strähnen der Sand in die Brandung raucht, die sich grün vor dir übergibt und ihre Kämme wie Fahnen schwingt, daß der Sturm sie zerstäubt und die Sonne sich in ihren Prismen bricht. Oder die Matrosen, so böse und schön. Jeder ist wie eine Offenbarung. Ja, jetzt ist mir wohl."

Spricht aus dieser Notiz der zwanziger Jahre die Ruhe? Man könnte meinen, da habe jemand zu Stifter und den Stillen im Lande gefunden - aber es kommt anders: In den Männern ist die Erinnerung wach, dass es gefährlich werden kann, leidenschaftlich und erotisch; die Beschreibung selbst springt unruhig von einem der dichten Bilder zum nächsten. Jürgen von der Wense hatte sich 1920 nach Warnemünde zurückgezogen, um einen geistigen Neuanfang als Komponist und Schriftsteller zu versuchen. Von Maschinenbau über Philosophie bis Jura hatte er fast alles studiert, und was ihm bis zu seinem Tod 1966 blieb, war nicht weniger als ein dichterisch-musikalisch-gedankliches Inventar der Schöpfung, ihrer Rhythmen und Riten. Wer für den absoluten Solitär nach literarischen Vergleichen sucht, könnte auf eine Mischung aus Brechts Baal und Thomas Manns Komponisten Adrian Leverkühn kommen.

"Ich kroch in die Sümpfe. Über Felder von Dotter und Flocken. Ins Riedgras der Höckerschwäne. Diese Landschaft ist beweglich. Alluvionen der Warnow, die sich vertorfen." Ein Einsamer schreibt so, der in der Landschaft die Bilder seiner Sinnlichkeit erkennt. Betrachtet man Tizians "Venus" in der Berliner Gemäldegalerie, dann sieht man, wie das An- und Abschwellen der Rundungen im Vordergrund und die Landschaft im Hintergrund einander entsprechen. Am Erdkörper wirken die gleichen Kräfte, die auch den Körper der Göttin gestaltet haben. Von dieser Art war Wenses Blick auf die Landschaft und den Himmel, genährt von einer Sehnsucht, die sich in der irdischen Liebe zu Männern und Frauen nicht erfüllen konnte. Sie brauchte andere Maße, als sie der Alltag zu geben vermochte. Auf den Zeitraum weniger Tage zusammengezogen, ein Wirbel der Verschmelzung, auf den die ebenso jähe Trennung folgte - so erfuhr Wense seine Liebesbeziehungen. In der Landschaft wurden die Bilder der Körper bewahrt. "Geträumt, wir reizten die Berge und neckten sie, da rückten sie auseinander und besprangen sich", heißt es einmal. Wenig später wird das Verhältnis zu einem Freund geschildert: "Wir wußten uns wie Berge einander verbunden und lobten die stille Vollkommenheit unserer Herzen." Man kann eine Notiz vom November 1914 dagegen halten: "Jeden Abend im Theater. Viel Wedekind. Aber das Geschlechtliche ist nichts. Der menschliche Körper hat eine zu geringe Ausdehnung . . ."

Seit 1921 kommen Himmelsbeobachtungen zu den Landschaftsstudien. Witterungsverhältnisse und Wolkenformen werden notiert, dann beginnt von der Wense, der für kurze Zeit auch Astronomie studiert hatte, mit der Sterndeutung. "Die Augen zu schließen und an die Sterne zu denken - das Asozialste, was der Mensch heute tun kann." Gerade weil er ein Mensch der Revolte war, der sein Maß nicht im bürgerlichen Leben finden konnte, wurde er für den Mythos empfänglich. Die Jahre 1914 bis 1918 überstand er in Schreibstuben; nur einmal erreicht ihn die Brutalität: Er wird bei der Ausbildung Zeuge, wie ein gerade gewonnener Freund sich erschiesst. In der relativen äußeren Ruhe wächst die innere Unruhe. Wense ist von der Revolution besessen, ja er betet sie herbei. Einmal träumt er davon, das Herz des Kaisers zu essen, ein anderes Mal trifft er - schon 1915! - auf einen Geistesgestörten, der prophezeit, der Kaiser werde in der Verbannung sterben. Erst die letzten Kriegswochen ziehen ihn an die Westfront, wo er zum Zeugen des chaotischen Rückzugs wird.

Es sind die Mitteilungen zwischen Oktober 1918 und Mitte 1919, die das Buch zum großen Zeitdokument der Revolution machen, des messianischen Gerechtigkeitsverlangens und der äußersten Brutalisierung, des Ordnungsverlustes und der grotesken Überreste der Bürgerlichkeit, des Führerkults und der Räteidee. Noch nie ist diese Zeit so eindringlich beschrieben worden: Man treibt Revolution, aber geht abends in die Oper. Ins Ballett klingen Maschinengewehre hinein. Was Wense in Berlin erlebt, gleicht einem Fiebertraum. Für kurze Zeit wird er Mitglied des Soldatenrats. Zum Jahreswechsel 1918/19 wird er aus der Armee entlassen. Es folgt die Zeit der revolutionären Putschversuche und der Gegenrevolution. Kaum glaublich scheint, was er aus dem Spartakus-Aufstand berichtet: "Ich ging Zeitungen lesen ins Café. Eine Bombe knallte herein. Glas, Marmor und Blut. Drei Tote. Die meisten blieben sitzen." Abends findet man ihn wieder in Konzerten. Am 11. Januar notiert er: "Morgens 1 1/2stündiger Versuch in die innere Stadt zu gelangen. In vielen Gefechten. Flucht in das Offiziersheim, das beschossen wird. Postscheckamt Dorotheenstraße auch im Feuer. Renne endlich mittendurch. Riegelte mich 3 Studen in der Bibliothek ab und grub mein Gehirn in Rameau, Berliozpartituren, Madrigale . . ." Wenses musikalische Entwicklung ist ein Abbild der Radikalisierung. Nach Bruckner, Mahler und Schönberg entdeckt er Bartók. Geräusche werden in die Musik aufgenommen, einmal träumt er davon, "Glas zu zerschrein". Über einen anderen Komponisten erfährt er von einem russischen Freund: "Er erzählte rasend von Moskau, Lenin, Scriabin." Wense selbst komponiert eine zerfetzte, dadaistische Version des Liedes "Ich hatt' einen Kameraden". Als der Aufstand niedergeschlagen ist, gelingt es ihm, das noch gesperrte Schlachtfeld zu sehen: "Die ganze Lindenstraße ist tot. Wie nach einem Mord. Ohne Lichter. Absoluter Dostojewsky."

Aber es sind nicht nur die literarisch vollendeten, der Lage adäquaten Schilderungen der Revolution, die von der Wenses Berichte schätzbar machen - es ist auch das Bild der geistigen Gemengelage, in der die Revolution entstand. Der Weltkrieg hatte die Menschen europamüde gemacht, Gebiete jenseits der modernen Zivilisation wurden zu Wunschlandschaften. "Ich lese Gogol und grönländische Sagen", heißt es in einem Brief: "Die isländischen Sagen sind keine Kriegsabenteuer wie das wabbliche Nibelungenlied, sie sind Revolutionsmanifeste. Der erste Bolschewist, der erste Liebknecht war Grettir, war Egil . . ." Die Saga-Welt mit ihren lakonischen Reden und jähen Zornesausbrüchen gab dem Revolutionär die Möglichkeit einer deutschen Selbstverfremdung. Ein Verwandt-Nordisches war angesprochen, das einen ausreichenden Abstand zur bürgerlichen Kultur zu bieten schien. Später folgten Studien zu Irland und China; schließlich waren es die Stämme und Völker aller Erdteile, mit denen sich Wense als Übersetzer und Ausleger beschäftigte.

Durch die Extreme ging er mit dem Stolz des Aristokraten, misstrauisch gegen die Revolutionsrhetorik. Die radikale Zeitschrift "Aktion", für die er selbst geschrieben hatte, bestellt er noch im Krieg wieder ab: "Besser sein Vaterland berühmt machen als es wegphantasieren." 1919 besuchte er die siebzigjährige Clara Zetkin, die von der linkssozialistischen USPD zur KPD wechselte: "Ich will diesen letzten Menschen noch sehn, ehe er von Pharisäern ermordet wird. Ich werde Clara viel vorspielen, Bruckner vor allem, denn den liebte Rosa Luxemburg sehr, die selbst außerordentlich gespielt haben soll." Als er sie trifft, mischt sich Bewunderung mit Skepsis: "Sie ist unerbittlich konsequent. Aber sie sagte mir: ,Wenn ich hier alles erreicht habe, dann wandere ich aus.' Sie sind heimatlos wie der Sturm. Sie wissen nur, was sie wollen, und das improvisieren sie." Revolutionshoffnung und -enttäuschung sind die engsten Nachbarn.

Von einem "Werk" zu sprechen fällt angesichts des fragmentarischen Zustands seiner Schriften nicht leicht. Aber selbst die Umrisse des Geplanten, die der Kommentar von Dieter Heim vorstellt, lassen einen großen Beobachter erkennen. Wenses Vater hatte ihm eine Maxime mitgegeben: "Sei immer energisch, mein Sohn". Niemand wird bestreiten, dass er ihr auf eine ungewöhnliche, bewundernswerte Weise gefolgt ist.

Jürgen von der Wense: "Geschichte einer Jugend. Tagebücher und Briefe". Ausgewählt, erläutert und mit einem Nachwort von Dieter Heim. Verlag Matthes & Seitz, München 1999. 486 S., geb., zahlreiche Abb., 68,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Bereits 1987 hatte der Verlag Matthes & Seitz mit einer Herausgabe aus dem Nachlass auf "das Phönomen Wense" hingewiesen, schreibt Wolfgang Schreiber. Mit diesem Band von Briefen und Tagebuchnotizen aus der Jugendzeit " (zw. 1906 und 1927) hat der einfühlsame Herausgeber Dieter Heim einen weiteren Mosaikstein zum Verständnis des "Sonderlings" (Botho Strauß) geliefert. An den "glühenden Worten und kantigen Sätzen" des Autors, der sich auch als Komponist, Übersetzer und Geograf versuchte, ist nachvollziehbar, warum von der Wense einmal als "Hoffnung des deutschen Expressionismus" gegolten hat - besonders deutlich wird, so Schreiber, warum ein so kompromissloser Mensch, der sich später dem Kulturbetrieb völlig entzog und die Einsamkeit suchte, mit der Musik verbunden fühlte. Er besuchte "zwanghaft" Konzerte und befreundete sich mit dem Dirigenten Hermann Scherchen, dem die Durchsetzung der modernen Musik des 20.Jahrhunderts (Hindemith und Krenek beispielsweise) zu verdanken ist. Von der Wenses Wut und Enttäuschung gilt dem Bürgertum, das sich die Musik als "Stimmungsmaschinerie" und "Gepäcknetz aller bürgerlichen Gemüts-Mobs" unterworfen hat. Der "von poetischem Verständnis gezeichnete" 50-seitige Exkurs des Herausgebers über Jürgen von der Wense lässt Schreiber hoffen, dass dieser nach der Sammlung aus der Jugend noch mehr vom Lebenswerk des "genialen Eigenbrötlers" zugänglich macht.

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"Dieser erstaunliche Sonderling, dieser absolute Nicht-Literat gehört an hervorragende Stelle in jener überfälligen Geschichte der geheimen deutschen Literatur, von der ich immer träume." (Botho Strauß über Jürgen von der Wense)

"Funkelnde Sprachbilder. Eine der erstaunlichsten Biographien des Jahrhunderts: ein Wünschelrutengänger des Geistes, an dem alle Spießbürgerlichkeit abperlte." (DER SPIEGEL)