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Carl Schmitt (1888-1985), Erfinder der Freund-Feind-Theorie und Denker des Ausnahmezustands, ist einer der berühmtesten und umstrittensten Theoretiker des Politischen im 20. Jahrhundert. Eine Vielzahl unveröffentlichter Dokumente und Bilder machen das vorliegende Buch zur bislang umfangreichsten Darstellung von Leben und Werk des »Ungeheuers«.Christian Linder nähert sich in dieser umfassend recherchierten und literarisch erzählten Großreportage dem geheimnisumwitterten Lebens-, Denk- und Schreibzentrum eines Mannes, der, wegen seiner zeitweisen Nähe zu den Nationalsozialisten als deren…mehr

Produktbeschreibung
Carl Schmitt (1888-1985), Erfinder der Freund-Feind-Theorie und Denker des Ausnahmezustands, ist einer der berühmtesten und umstrittensten Theoretiker des Politischen im 20. Jahrhundert. Eine Vielzahl unveröffentlichter Dokumente und Bilder machen das vorliegende Buch zur bislang umfangreichsten Darstellung von Leben und Werk des »Ungeheuers«.Christian Linder nähert sich in dieser umfassend recherchierten und literarisch erzählten Großreportage dem geheimnisumwitterten Lebens-, Denk- und Schreibzentrum eines Mannes, der, wegen seiner zeitweisen Nähe zu den Nationalsozialisten als deren »Kronjurist« nach 1945 lange tabuisiert, heute der weltweit meistdiskutierte deutsche Denker geworden ist.Der Bahnhof von Finnentrop ist ein intimes Porträt Carl Schmitts, aus dem das »Ungeheuer« mit einer der abenteuerlichsten intellektuellen Biographien des 20. Jahrhunderts in all seinen Klarheiten und Unklarheiten plastisch hervortritt.
Autorenporträt
Christian Linder, 1949 in Lüdenscheid geboren, studierte in Bonn Philosophie und Literaturwissenschaft. Seit 1974 Autor des Deutschlandfunks, arbeitete er von Köln aus auch für das Feuilleton der »Süddeutschen Zeitung«, schrieb Reisereportagen für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« und Hörspiele für den WDR. Zuletzt veröffentlichte er einen Band mit Reiseerzählungen, »Die Burg in den Wolken« (Dumont). Er lebt zur Zeit in der Eifel und arbeitet an einer Biographie über Heinrich Böll, die im Herbst 2009 bei Matthes & Seitz Berlin erscheinen wird.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.08.2008

Geheimnisse von Verbrechen
Christian Linder reist ins Carl-Schmitt-Land
Die Zeiten, da das Werk Carl Schmitts das Geheimwissen der Wenigen war und ansonsten in den Giftschrank gesperrt wurde, sind lange vorbei. Von einem Bann, der über ihm waltet, kann keine Rede mehr sein. Für einen Geächteten sitzt Schmitt seit einigen Jahren ziemlich auffällig in der ersten Reihe des intellektuellen Diskurs-Theaters. Nichts hat zur Zeit einen so hohen Ausstoß wie die Schmitt-Industrie. Kann das dem sich stets geheimnisvoll inszenierenden Mephisto aus Plettenberg Recht sein?
Von ihm stammt neben vielen anderen ungeheuerlichen Sätzen auch dieser: „Ich sterbe nicht, denn mein Feind lebt noch.” Ist Schmitt vielleicht nun, zwanzig Jahre nachdem er in die Ewigkeit eingegangen ist, tot, weil er keine Feindschaft mehr zu mobilisieren vermag? Dass seine Freund-Feind-Theorie ihrem Verfasser so erbitterte Feindschaft eingetragen hat, wertete Schmitt stets als Beleg für die Triftigkeit seiner Formel, die er für die einzige existentiell-konkrete des Politischen hielt. Er suchte die Feindschaft wie einen Ritterschlag: „Man stuft sich ein durch das, was man als Feindschaft anerkennt.”
Heute ist die Feindschaft einer Art Gänsehaut-Faszination gewichen für die brillante Dämonologie, die dieser Rhetoriker des Bürgerkriegs in Szene zu setzen wusste. „Ich sterbe nicht, denn mein Feind lebt noch” – dieser Satz kann einem auch heute noch den Atem verschlagen. Man täuscht sich, wenn man meint, es sei der kalte Blick des unsentimentalen Analytikers der Macht, der an Schmitt beeindrucke. Dann wäre er einfach nur der unbestechliche Diagnostiker der natura corrupta des Menschen, ein typischer Bote der schlechten Nachricht, der für diese geprügelt wird.
Aber so leicht liegt sein Fall nicht. Für ein bloß deskriptives Verhältnis zum Nihilismus ist zuviel Triumphgefühl und innerer Reichsparteitag in seinen Sätzen. In seinem Denken selbst liegt etwas – ja, sagen wir: Unheimliches, Böses, das über bloße Charakterlosigkeit hinausgeht, und von dem man vermutet, dass es eine metaphysische Wahrheit bergen könnte, wenn man diesem Geheimnis nur näher käme. Auch der Grusel ist ein redliches intellektuelles Motiv. Wie kein zweiter Denker verbindet Schmitt Transparenz mit Geheimnis. Worum es ihm im Letzten gegangen ist, das hat er nie ausgesprochen, das lässt sich auch nicht rekonstruieren. Es bleibt eine faszinierende Leerstelle, in die man allenfalls das Psychogramm seines Lebens projizieren kann.
Keine Spur von Unterholz
Nun hat ein weithin unbekannter Mann, Christian Linder, Jahrgang 1949, ein Buch geschrieben, das genau dies tut. „Der Bahnhof von Finnentrop. Eine Reise ins Carl Schmitt Land” tut dies aber auf eine so behutsam kluge Weise, dass Linder damit geradezu eine neue geistesgeschichtliche Textgattung gelungen ist. Er legt Schmitt nicht auf die Freud-Couch (die ist allenfalls gut für bürgerliche Neurosen, bei Schmitt aber liegt der Fall schlimmer). Sondern er orchestriert ein imaginäres Gespräch, das er mit größtem Geschick und Gespür für innere Korrespondenzen aus den Texten von und über Carl Schmitt kollagiert.
Linder hatte Ende der siebziger Jahre in einem Brief um eine Audienz bei Schmitt gebeten. Dieser antwortete, wie es in diesen Dingen seine Art war, ausgesprochen freundlich und aufgeschlossen. Die Begegnung kam trotzdem nicht zustande – vermutlich war Linder einfach zu zurückhaltend und schüchtern.
Nun, zwei Jahrzehnte später, macht sich Christian Linder auf den Weg ins Sauerland und lässt die Stimme Carl Schmitts und die seiner Zeitgenossen wie seiner Interpreten vor der Kulisse dieser Landschaft wieder zu Wort kommen. Er arrangiert imaginäre Gespräche zwischen ihm und dem Alten, ja stellt ein ganzes Gerichtstribunal über Schmitts Rolle im Dritten Reich auf die Bühne seines Geister-Theaters. In allen diesen Szenen kommt Schmitt stets mit seinen eigenen Sätzen, die durch Fußnoten penibel ausgewiesen sind, zu Wort. Das hat den doppelten Effekt, dass man als Leser noch einmal die ganze Spannbreite seines Werkes vorgeführt bekommt, dieses aber zugleich bezogen wird auf die Biographie Schmitts, die Linder aus den Tagebüchern und Briefen zur Anschauung bringt. Das Ganze wirkt in keinem Moment künstlich, ist nie anklägerisch in jenem Verstande, der mit gar keinen überraschenden Einsichten mehr rechnet, ist aber, bei aller Anschmiegsamkeit an die Person des alten, isolierten Schmitt, auch keineswegs apologetisch. Linder erspart Schmitt nicht einen seinen schrecklichsten Sätze.
Der Nachteil dieses Verfahrens ist, dass es ein Argument nie mit äußerster Konsequenz bis zum Ende denkt, weil die eine Einsicht vorher längst durch eine andere kontrastiert worden ist. Der Stimmenchor ist von großer Vielfalt und Lebendigkeit, seine einzelnen Aussagen aber werden nicht auf die Streckbank der Belastungsprobe gezwängt, um dort peinlich untersucht zu werden.
In einer dieser imaginären Szenen sitzt der Autor mit Carl Schmitt auf dem Gipfel des Schwarzenbergs, wohin diesen seine Spaziergänge gerne führten, und sie schauen herab auf die Landschaft vor ihnen. Und Schmitt sagt: „Sehen Sie sich das an! Eine Parklandschaft. Nichts ist ursprüngliche Natur mehr, keine Spur von Unterholz. Und beachten Sie die Grenzen, wie sie an den Rändern von Feldern und Wäldern scheinbar willkürlich verlaufen. Dahinter verbergen sich unendlich viele Geschichten. Lauter Kriminalgeschichten von versetzten Grenzsteinen, gefälschten und verschwundenen Testamenten, von Betrug und Mord und Totschlag. Dieses Land steckt voller Geheimnisse. Es sind Geheimnisse von Verbrechen.”
Nehmen, Teilen, Weiden
Das ist Carl Schmitt vom Feinsten: Noch in der Natur-Kontemplation zeigt sich ihm die gewalttätige Natur des Menschen. Schmitt hat das griechische Wort für Gesetz, Nomos, zurückgeführt auf dessen etymologische Wurzel, wonach es die drei Bedeutungen Nehmen, Teilen und Weiden umfasse. Alle menschliche Ordnung konstituiert sich für Schmitt aus diesen drei Momenten: der Landnahme, der Landaufteilung und ihrer anschließenden Bewirtschaftung.
Das sind aber noch die gewissermaßen freundlichen Seiten seines Scharfsinns, bei denen man sich erkenntnismäßig gerne beruhigt. Auch mit seinem Dezisionismus kann man bis zu einem gewissen Grade mitgehen, aber dann kommt stets ein Moment der metaphysischen Unheimlichkeit. Schmitt war überzeugt, dass jede Entscheidung über dem Abgrund des Nichts getroffen wird und kein Naturrecht diese Entscheidung normativ orientieren kann: „Nur die Aufstellung einer Norm begründet den Unterschied von Recht und Unrecht, nicht aber die Natur. Die Sonne scheint über Gerechte und Ungerechte.” Das ganze Rechtssystem ist dann nur die Ausfaltung einer Verfahrensform, an deren Anfang eine kontingente, ordnungsstiftende Dezision steht.
Wie aber passt zu diesem nihilistischen Ordnungsverständnis Schmitts metaphysischer Totalitarismus? Er, dieser manchmal selbst fröstelnde Bewunderer des Staats-Leviathan, hat sein großes Vorbild, den Staatsphilosophen Thomas Hobbes ausgerechnet in einem Punkte korrigieren wollen: dass der Glaube Privatsache der Bürger bleiben muss und der Staat in diesem Punkte keine Gleichschaltung der Bekenntnisse anstreben soll.
Schmitt, der seine Freund-Feind-Unterscheidung immer als eine rein politische verstanden haben wollte, die frei sei von moralischen, wirtschaftlichen, ästhetischen und religiösen Beimischungen, bettete sein ganzes Denken zugleich ein in eine große eschatologische Linie, in der es nie um weniger als um den Kampf gegen den Antichristen ging. War er also gar nicht so sehr Nihilist, sondern militanter Christ? Zum Unheimlichen Schmitts gehört, dass er irgendwie beides für sich zu verbinden wusste. Er sei „so katholisch wie der Baum grün ist”, hat er einmal gesagt. Auch dieser Satz ist von diabolischer Zweideutigkeit. Denn die Grünheit des Baumes hat ja mit einem Bekenntnis gerade gar nichts zu tun. Und tatsächlich spricht vieles dafür, dass Schmitts Katholizismus vor allem dadurch gekennzeichnet war, dass er die Figur Jesus aus seinem christlichen Selbstverständnis außen vorließ.
Vermutlich hängt mit dieser katholischen Jesus-Feindschaft auch Carl Schmitts Antisemitismus zusammen. Aber befriedigend ist die Erklärung nicht. Nach der Machtergreifung hat Schmitt wirklich alles getan, um sich als bedingungsloser Gefolgsmann Hitlers zu empfehlen. Doch die SS traute ihm nicht über den Weg. Sie hielt ihn, der im nämlichen Monat in die NSDAP eintrat, für einen „Märzgefallenen”, einen Opportunisten, und seinen Antisemitismus für vorgespielt. Da tat die SS ihm Unrecht. Schmitts Judenhass kam von Herzen. War rasend, immer schon gewesen, und blieb es auch nach 1945. So vieles an Schmitt ist widerlich, anderes geradezu operettenhaft lächerlich, aber alles faszinierend, denn es ist, mit Hegel zu sprechen, „doch Geist”. IJOMA MANGOLD
CHRISTIAN LINDER: Der Bahnhof von Finnentrop. Eine Reise ins Carl Schmitt Land. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2008. 478 Seiten, 34,90 Euro.
Carl Schmitt mit Ernst Jünger 1941 in Rambouillet Foto: Hauptstaatsarchiv NRW
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ein Buch nicht nur für Schmittianer, meint Ulrich Teusch. Das Urteil des Rezensenten beruht zum einen auf der Feststellung, dass der Autor Christian Linder Schmitt zwar als Klassiker begreift, aber nicht angetreten ist, dies plausibel zu machen. Zum anderen erscheint Teusch der "virtuose" Mix aus historischer Reportage, Zitaten und Fotomaterial "frisch" genug, um auch andere Leser als nur die Freunde des umstrittenen Denkers für die Zusammenhänge seines Lebens und Denkens zu interessieren. So wenig Teusch die Empathie des Autors mit seinem Gegenstand entgeht, so wenig möchte er das Buch als unkritisch bezeichnen.

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