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Produktdetails
  • Verlag: Stroemfeld
  • Seitenzahl: 244
  • Deutsch
  • Abmessung: 230mm
  • Gewicht: 464g
  • ISBN-13: 9783878778721
  • ISBN-10: 3878778724
  • Artikelnr.: 12006194
Autorenporträt
Klaus Heinrich Kohrs, geb. 1944 in Düsseldorf, Studium der Musikwissenschaft, Philosophie und Literaturwissenschaft, 1973 Promotion in Heidelberg über Gattungsentstehung im frühen Mittelalter. Stellv. Generalsekretär der Studienstiftung des deutschen Volkes und Leiter des Wissenschaftlichen Programms sowie der Künstlerförderung der Studienstiftung bis 2009. Publikationen zur zeitgenössischen Bildenden Kunst und zur Musik des 19. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2004

Romantischer Lebensentwurf mit lautem Chor und rasendem Orchester
Mit philologischer Zucht an den Abgründen des künstlerischen Wahns entlang: Klaus Heinrich Kohrs Biographie über den exzentrischen Hector Berlioz

Wenn Hector Berlioz (1803 bis 1869) nicht komponierte, schrieb er: Briefe, Feuilletons, Kritiken, Reiseberichte, Abhandlungen, Memoiren. Unentwegt schilderte er seine Empfindungen, Ansichten und Überzeugungen. Egozentrisch und humorlos suchte er sich und sein Künstlertum machtvoll, "babylonisch" (wie er gern sagte) in Szene zu setzen, stilisierte er sich zu Hamlet, Romeo und Faust, zum Pilger und zum Liebhaber, zum Entdecker von Kunstwelten und zum Napoleon riesiger Chöre und Orchester. Kurz: er war unausstehlich. Wie seine romantischen Zeitgenossen litt Berlioz daran, zu spät zu kommen. Er verehrte Beethoven und Carl Maria von Weber - und haßte sie, weil sie ihm nichts zu tun übriggelassen hätten. Trotzig suchte er sich diese Vorbilder vom Halse zu schaffen, indem er sich einredete, ihre besten Erfindungen - Kantilenen wie die der späten Quartette, Effekte wie das Tremolo der "Freischütz"-Ouvertüre - selbst entdeckt zu haben, und indem er diese zu steigern und zu überbieten trachtete. Daraus entstand, was ältere Konzertführer "Programmusik" nennen.

Dem Bonner Musikwissenschaftler Klaus Heinrich Kohrs ist das zu dürftig. In fünf spannenden Essays erkundet er, wie Berlioz arbeitete, wie er seine Motive fand und gestaltete. Programmatisch betrachtet er das musikalische und literarische Werk als Einheit und beide als den Versuch, erlebte Träume, Visionen und Obsessionen zu erfahrbarer Realität zu konkretisieren. Mit philologischer Zucht folgt er seinem exzentrischen Helden entlang den Abgründen produktiven Wahns. Detektivisch rekonstruiert er Berlioz' Hör-, Lese- und Lebenserinnerungen - von den Messen seines Musiklehrers Le Sueur zu den Eis-Experimenten seines Physiklehrers Gay-Lussac, von Victor Hugos programmatischen Vorreden bis zu Alexander von Humboldts Anden-Schilderungen. Detailliert bis in die Finessen der Partituren und Texte zeigt er, wie der Künstler sie alle aufgriff, entwickelte, kombinierte, wie er schrille Gegensätze - Karneval und Jüngstes Gericht, einen Kindergottesdienst in St. Paul's und Miltons Satan vor seinen höllischen Heerscharen - miteinander verschmolz, wie er sich eine Privatmythologie schuf, die er zu suggestiven Szenen und dramatischen Tableaus verdichtete, wie er solche Visionen in die reale Wirklichkeit zu überblenden, im Taumel zwischen schöpferischer Emphase und "Sturz" letztgültige ästhetische Formen zu erzwingen suchte. Gerade weil Kohrs es wagt, Berlioz' Selbststilisierungen als Archetypen einer Pathologie der Moderne ernst zu nehmen, kann er aufweisen, mit welch psychologischem Kalkül der erklärte Ekstatiker das eigene Ich zum Versuchsobjekt machte, wie konsequent er die "Fiktionalisierung von erlebtem Leben" zum Prinzip avantgardistischen Künstlertums erhob.

Kohrs Werk ist keine leichte Lektüre. Wer erst einmal wissen will, wer Berlioz war und was er komponiert hat, wird wenig Freude daran finden. Stolz weist es populäre Leser ab - durch seine dichte Argumentation wie durch die professionellen Kenntnisse der romantischen Musik, Literatur und Kunst, die es voraussetzt. Aber auch akademische Spezialisten könnten verwirrt sein. Es beginnt - sein Thema formal spiegelnd - genialisch unvermittelt und endet ebenso abrupt. Es fördert keine aufzählbaren Ergebnisse zutage, sondern saugt seine Leser ein in die Strudel Berliozscher Imagination, zwingt sie zum Mitkomponieren, macht sie zu mitschaffenden Zeugen künstlerischen Handelns. Weder ein Buch für Laien noch eines für Fachleute - ein Buch für Kenner: für jene absoluten Leser und Hörer, die schon für Berlioz' Selbstinszenierungen das erträumte Publikum gewesen sind.

GERRIT WALTHER

Klaus Heinrich Kohrs: "Hector Berlioz". Autobiographie als Kunstentwurf. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main, Basel 2003. 245 S., geb., 22,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Klaus Heinrich Kohrs Buch über Hector Berlioz (1803-1868), die anlässlich des 200. Geburtstages erschienen ist, versucht das Leben und Werk des französischen Komponisten, Dirigenten und Musikschriftstellers von den autobiografischen Zeugnissen her zu erschließen, berichtet der "ab." zeichnende Rezensent. Neben Berlioz' "Memoiren", mehreren Sammlungen von Feuilletons, Briefen und Kritiken, seiner Instrumentationslehre, den Studien über Beethoven, Gluck und Weber Priorität werden auch abgelegenere Texte wie Berlioz' "Diagnose vom Tod der Kunst in Italien" untersucht. Kohrs gehe es insbesondere um die Interaktionen zwischen Kunst und Leben, Musik, bildender Kunst und Literatur sowie zwischen weltlicher und geistlicher Kompositionssphäre. Bedauerlich findet der Rezensent einige Lücken, etwa das Fehlen von Dante als Inspirationshintergrund der Symphonie fantastique. Hier hätte der Berlioz-Werkkatalog dem Autor in seinem Bestreben, "ein Ganzes" zu schaffen, sicher gute Dienste geleistet.

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