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Produktdetails
  • Verlag: Argon
  • Originaltitel: Bye Bye Baby. My Tragic Love Affair with the Bay City Rollers
  • Seitenzahl: 331
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 466g
  • ISBN-13: 9783870245320
  • ISBN-10: 3870245328
  • Artikelnr.: 09343797
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2001

Sag zum Abschied leise ach
O Gott, nimm mich, ich bin dein: Caroline Sullivan erforscht die Groupieseele, aber wagt sich doch nicht auf die Bad-Taste-Party

Bekanntlich erhöht jeder Zuwachs an Rationalität und Effizienz zugleich das Bedürfnis nach Mythologie. Wissenschaft, Technologie und Politik produzieren daher täglich Sirenenklänge, aber die Gefühle der Menschen erreichen sie nicht. In der Popmusik dagegen geht der Mythos noch unter die Haut, nur hier gibt es wie eh und je Götter- und Heldengesänge, die an das Geheimnis der menschlichen Existenz rühren. Wir gewöhnlichen Sterblichen erfahren es aber nur als Schein und Klang. An den Mast unseres Alltagsschiffchens gefesselt, vernehmen wir die Verlockung zum anderen, aber wir können ihr nicht folgen. Nur das Groupie wehrt sich gegen die aufgeklärte Bindung und will leibhaftig besitzen, was die Bilder und Klänge versprechen. Gelingt das Vordringen in den innersten Bezirk, so erfährt es die Schönheit des Lebens und der Welt, aber auch deren Tiefe und Qual.

Massenhaft trat das Groupiewesen als mythischer Ausnahmezustand in den sechziger Jahren im Anblick der Beatles hervor. Die Symptome befielen ausschließlich pubertierende Mädchen und bestanden in studenlangem Kreischen, Ohnmachtsanfällen und feuchten Höschen. Während die Beatles vor diesen archaischen Ausbrüchen so erschraken, daß sie auf Live-Auftritte bald verzichteten, beruhigten Psychologen die verstörten Eltern: Mädchen himmelten Rock-Bands an, weil das eine gefahrlose Möglichkeit sei, ihre Sexualität zu erfahren; den Liebesgöttern wirklich zu begegnen sei gar nicht beabsichtigt. Diese Erklärung mag für das naive Zeitalter der Jugendkultur zugetroffen haben, für das gereifte Groupiewesen der siebziger Jahre galt sie nicht mehr, wie Caroline Sullivan in ihrem Erinnerungsbuch definitiv klarstellt: "Wir wollten sie treffen, wollten mit ihnen schlafen", sie "besitzen um jeden Preis". Das Ziel aller Wünsche der Groupies ist daher der ekstatische Moment der Anbetung und Hingabe: "O Gott, nimm mich, ich bin dein."

Der Preis der Plötzlichkeit

Näher zu dir, mein Gott, lautet also die Maxime - gleichzeitig aber müssen andere Mädchen von ihm abgehalten werden. Dafür reicht Kreischen nicht hin, vielmehr bedarf es einer höchst komplexen Strategie der Vermittlung des Heiligen und des Profanen, die Gottesdienst und scharfsinnige Logistik vereint. So berichtet Caroline Sullivan von den Jahren der Vorbereitung der Seele in kultischen Handlungen. An jedem Geburtstag der Götter werden die Preisopfer dargebracht, die Musikzeitschriften wollen gelesen und gedeutet sein wie heilige Schriften, während die Nähe durch das Sammeln von Devotionalien eingeübt werden muß. Erhaben der Moment, wo man einen Zigarettenstummel zum Munde führt, den die göttlichen Lippen des Idols berührt haben. Auf der anderen Seite aber sind rationales und geistesgegenwärtiges Handeln und körperliche Fitneß erforderlich. Tausend Meilen auf dem Tacho ohne Schlaf muß man vertragen können, Angestellte von Fluglinien und Agenturen müssen ausgehorcht, Roadies bestochen oder betört werden, die Anmietung des richtigen Hotelzimmers ist so unumgänglich wie die Wortfindung zur rechten Zeit. So müssen Groupies über odysseische Listen verfügen, vor allem über die Gabe der Verstellung. Es geht darum, mit Körper, Geist und Seele ein Fan zu sein, ohne als solcher zu erscheinen.

Die Zeiterfahrung der Groupies ist die Erwartung der frühromantischen Tradition, deren Stimmung sich zuweilen im kosmischen Geschehen spiegelt: "Wir entschieden uns zu warten. Und das taten wir - die ganze Nacht. Sie tauchten nicht wieder auf, aber wir saßen da wie festgewachsen, sahen den Mond auf- und wieder untergehen und viele Stunden später den Anbruch eines wolkenlosen Sommermorgens." Im Zustande der transzendentalen Überwachheit wird dann die Analogie der Befindlichkeit der Götter und der Menschen ersichtlich: "Die Gruppe sah so erschöpft aus, wie wir uns fühlten." Die Erfüllung als Einheit von Ahnung und Gegenwart in der Realpräsenz aber ist nicht repräsentierbar. Wenn der Gott ins Zimmer tritt, der Schleier vor dem Geheimnis sich hebt, versagt die gewöhnliche Erfahrung, und das Heilige scheidet sich für immer von den profanen Regungen des konventionellen Selbst: "Das war der Moment, auf den ich gehofft hatte, seit ich ihn zum ersten Mal sah, und dieser Moment war so überwältigend, daß mein Bewußtsein - tja, einfach gefühllos wurde, man kann es nicht anders beschreiben. Ich sog die Tatsache seiner Gegenwart in mich auf . . ., aber eine undurchdringliche Membran hatte sich zwischen mich und meine Emotionen geschoben."

Die Liebesnacht Alkmenes mit Zeus soll drei Tage gedauert haben, die Caroline Sullivans mit ihrem "saftigen Liebesgott" vergeht wie "drei Sekunden". Während jedoch Alkmene den Herkules gebar, bleiben die Groupies der Chronistin zufolge für gewöhnlich kinderlos. Überhaupt sind sie nach der Erfahrung des Göttlichen für die gewöhnliche Welt verdorben. Angesichts einer "geheiligten Erinnerung" erfahren Groupies tragisch den "Schrecken des realen Lebens". Die Nemesis bringt eine mythische "Angst und Leere", der kein irdischer Psychologe abhelfen kann. So erfährt das erfolgreiche Groupie in ältester Dualität die höchste Elevation und ganze Tiefe zugleich.

Die geschichtliche Stunde, in der sich die "im schmählichen Jahr 1978" kulminierenden Erfahrungen Caroline Sullivans abspielen, stellt sich als Krisen- und Schwellenzeit dar, die von einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen gekennzeichnet ist. Die Zeit der langatmigen Gitarrenquäler ist abgelaufen, doch treibt Peter Frampton noch geisterhaft sein Unwesen. Während die einen in ihren Schlaghosen weiterhin bekifft Led Zeppelins Himmelsleiter besteigen, trinken die anderen schon Bier und Schnaps, stecken sich Sicherheitsnadeln in die Ohrlappen und zappeln in ihren zerrissenen Röhren zu den drei Akkorden von The Clash und The Damned. Nach der goldenen Zeit der Beatles und der Rolling Stones, der silbernen von Pink Floyd und Cream und der bronzenen Zeit von Police und Supertramp kommen die Gründungsmythen zu ihrem Ende. Abba stürmt die Charts, und in den Retortenbands herrscht reges Kommen und Gehen. Mit nie gekannter Betriebsamkeit zehrt der objektive Geist der Popindustrie alle Romantik auf und bereitet sich zur ewigen Wiederkehr des gleichen.

Die archaische Gefühlssicherheit des Zwischenwesens in zerrissener Zeit zeigt sich gleichwohl darin, daß es das Numinose nicht verkennt. Denn der Gott offenbart sich zuzeiten in sonderbarer Gestalt. Das obskure Objekt der tragischen Begierde der Caroline Sullivan und ihrer Gefährtinnen bildeten nämlich ausgerechnet die Bay City Rollers (später Rollers und New Rollers), eine Teenrock-Band aus Edinburgh in schnell wechselnder Standardbesetzung, an deren Anblick sich außer der Chronistin und Gerd Büskins, der ihnen eine aufwendige Homepage eingerichtet hat, niemand gern erinnert. Die hühnerbrüstigen Apolliniker trugen wadenlange Schottenkarohosen, Ringelsocken und quergestreifte T-Shirts, den sogenannten Rollergear, und benötigten pro Gig und Nase eine Dose Allwettertaft zur Stabilisierung der Frisur.

Mit Haut und Haarausfall

Mit ihren piepsigen Stimmen, dem dünnen Sound und Texten von edler Einfalt und stiller Größe ("Oh, you're a woman, und you know what love is for") erreichten sie zwischen 1975 und 1978 mehrmals Spitzenplätze in den Hitparaden, so mit "Bye Bye Baby", "Saturday Night", "Money Honey" oder "I Only Wanna Be With You". Das Album "Dedication" von 1976 aber birgt die ergreifenden Takte "We don't wanna be yesterday's hero, yesterday's hero" - Caroline Sullivan zufolge "der einzige für die Nachwelt festgehaltene Fall", in dem Götter sich eingestehen, daß ihr Ruhm vergänglich ist: "Man muß sie dafür bewundern, wie unerschrocken sie sich der Tatsache stellten, daß die Zeit irgendwann über sie hinweggehen würde." Aber obwohl sie vom Seventies Revival nicht profitieren konnten, sind auch die Bay City Rollers unsterblich, an besonderen Samstagabenden hört man sie plötzlich im Autoradio, und im Internet finden sich über achthundert Einträge.

Für Caroline Sullivan, das zu Höherem bestimmte Mädchen aus der jüdischen Mittelklasse von Millburn, New Jersey, repräsentierten diese "Schotten mit ihrem unverständlichen Dialekt und ihrem katzenhaften Charme" die "zum Verrücktwerden hinreißende Andersartigkeit", die im begehrenden und gläubigen Subjekt eine Erlebnisweise erzeugt, die noch im schlichtesten Werk der Bay City Rollers "Schönheit und Inspiration" entdeckt, in den behosten Protagonisten aber unvergleichlichen "Zauber". Der besteht keineswegs in der Aura der wesenhaften Ferne - das wahre Groupie ist ein einsamer Jäger, der nach der ultimativen Nähe, ja nach Einverleibung des göttlichen Wilds strebt: "Das hier war meine wunderbar aufregende Rollerbeute, mein Schwarm, an dessen warmer Haut der Duft von Limonen-Aftershave hing. Er roch eßbar. Er war eßbar." Solche Erfahrung des absoluten Begehrens aber rächt sich fürderhin im "Grauen der Normalität".

Mit ihren tiefen Einsichten aber ist das Rollergroupie zur Rockkritik entlaufen. Das muß sich notwendig auf die Erinnerung auswirken. So ummantelt Caroline Sullivan die Erforschung der Groupieseele mit ironisch vorgetragener Sachkunde, und ihr Buch ist daher auch ein instruktiver Beitrag zur peinlichen Rockgeschichte der siebziger Jahre. Ihre geheiligten Erinnerungen aber stilisiert die Autorin bei aller melancholischen Bekundung von "Bedauern und Verlust" nachträglich zu einer Erlebnisweise, die Susan Sontag als "Liebe zum Unnatürlichen" bezeichnet hat, welche es erlaube, das Schreckliche gut zu finden, um sich dabei seiner guten Nerven zu rühmen. In ihrer reinen Form ist diese Erlebnisweise wahrhaftig, so stellt sie sich auch in den alten Tagebuchauszügen dar, in die Caroline Sullivan gelegentlich Einblick gewährt. In ihrer reflektierten Form aber zielt diese Stilisierung auf Distanz und tendiert zu zynischen Gemeinheiten. Unstimmigkeiten in der späten Chronologie der Ereignisse nähren weitere Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Rückblicks. Daß der gealterte Rollergott im Epilog als unauffälliger Typ mit Haarausfall erscheint, den die Rockkritikerin auf der Straße nicht erkennen würde, ist eine Mythenaustreibung der billigen Sorte. Etwas wie das berühmte "Ach . . ." der Alkmene Kleists hätte dem Beschluß dieser tragikomischen Recherche nach der verlorenen Tonspur des Lebens besser angestanden.

FRIEDMAR APEL

Caroline Sullivan: "Bye Bye Baby". Meine tragische Liebesaffäre mit den Bay City Rollers. Aus dem Englischen von Clara Drechsler. Argon Verlag, Berlin 2001. 336 S., br., 29,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.12.2001

ChristianSeidl
Ein Fußtritt – und doch war es, als habe er mich geküsst
Bye Bye Baby – Wie ein kleines Mädchen aus der amerikanischen Provinz alles für die Bay City Rollers aufgab
Es kam der Tag, da musste das Zeug endlich raus: all die Platten mit ihren schäbigen Klappcovern, die Sammelalben, in denen sie sogar gebrauchte Teebeutel ihrer Idole aufbewahrt, und auch die roten Tagebuch-Kladden, in denen sie über Jahre jede Gefühlsregung festgehalten hatte. Caroline Sullivan war schon über dreißig damals, vor vier Jahren, und weit weg von den Stätten ihrer Jugend und der damit verbundenen Tragödie. Doch davon losgekommen war sie nie. Die Tragödie trug den Namen der Popband The Bay City Rollers.
Die Geschichte begann im Herbst 1975 in New York, mit dem Auftritt einer in den USA seinerzeit eher unbekannten schottischen Band in einer eher unbedeutenden Fernsehshow. Und wuchs zu
einer Obsession, die sich Caroline Sullivan auch heute nicht richtig erklären kann: „Mir war stets klar, dass die Band fake und die Musik lausig war”, sagt sie. Doch das änderte nichts an der „mysterischen Macht”, die diese fünf Jungs über sie hatten. Lange, sehr lange. Und auch, nachdem sie endlich ihre Erinnerungen entrümpelt hatte, war es noch nicht vorbei. Sie musste ihre Seele entrümpeln. Und beschloss, ein Buch zu schreiben.
Das Buch heißt „Bye Bye Baby”. In England ist es vor einem runden Jahr erschienen und wurde ein Kritiker-Erfolg und Überraschungs-Bestseller. Seit kurzem ist es nun auch in Deutschland auf dem Markt, wo ihm die Aufmerksamkeit schon deshalb gewiss sein dürfte, weil Courtney Love die Kinorechte erworben hat; die „Trainspotting”-Leute um den Regisseur Danny Boyle und den Schauspieler Ewan McGregor sind als Filmteam im Gespräch. Caroline Sullivan, Kulturredakteurin beim Londoner Guardian, ist mit diesem Buch reich geworden. Aber das ist ihr eher im übertragenen Sinne wichtig. Der Titel „Bye Bye Baby” verweist ja nicht nur auf einen der größten Hits der Bay City Rollers; er ist durchaus auch kathartisch gemeint.
Caroline Sullivans Geschichte mag in vielem der Teenager-Hysterie um heute populäre Bands ähneln. So wie sie sich zutrug, konnte sie jedoch nur im Amerika der Siebzigerjahre spielen. Genauer: In Millburn, New Jersey, nur eine Autostunde, aber doch Lichtjahre weg von New York – in der Ödnis des gehobenen suburbanen Mittelstands, wo die Fluchtmöglichkeiten meist schon an der Theke des örtlichen McDonalds endeten.
Die populäre Musik bestand damals aus melodiefreien langen Songs mit quengeligem Gesang und ausufernden Gitarrensoli und wurde gemacht von gammeligen langhaarigen Männern. „Wir kannten gar nichts anderes”, erinnert sich Caroline Sullivan. „Alles, was nicht mindestens so aussah und klang wie Peter Frampton, hat es nie nach Millburn geschafft.” Wenn überhaupt über den Atlantik: Glamrock war unerhört an Amerika vorübergezogen, die aufkeimende Punk-Bewegung nie ein Thema. Die USA waren eine Pop-freie Zone.
Kein Wunder, dass die fünf Schotten mit ihrer netten Bubblegum-Musik und ihren Texten voll Melancholie und jugendlicher Unbekümmertheit „wie eine unerwartete, fast märchenhafte Erscheinung” auf ein 14-jähriges Mädchen wirkten: „Sie waren jung, kaum älter als ich, sahen gut aus, und ihre Songs schafften es, Gefühle und Emotionen, von denen ich teilweise gar nicht wusste, dass ich sie hatte, in Worte und Melodie zu fassen.” Was ja tendenziell eine vornehme Aufgabe ist. Heute gibt es eine ganze Industrie, die genau darauf abzielt. Damals gab es nur die Bay City Rollers. Umso größer und nachhaltiger ihr Effekt.
„Ich war in der Blüte meiner Jugend, ohne darauf bis dahin auch nur einen Gedanken verwandt zu haben”, sagt Caroline Sullivan. „Stattdessen analysierte ich nächtelang die Plattencovers von Led Zeppelin und die Songstrukturen von Emerson, Lake & Palmer. Das änderte sich mit einem Schlag.” Die Band wurde zu Carolines Focus. Und alles, aber wirklich alles in ihrem Leben dem Ziel untergeordnet, den Jungs irgendwie nah zu sein. Dafür ließ sie nicht nur die Schule sausen, sondern alles, was ihr bis dahin heilig war. Sie opferte Freund- und Liebschaften, jeden Pfennig, den sie besaß, und auch noch den letzten Rest an Selbstrespekt. Und wurde von der Band nur ignoriert, gedemütigt und wie Müll behandelt – es ist wirklich nicht lustig von einem Mädchen zu lesen, das eine im Hotelzimmer von Sänger Leslie McCeown zurückgelassene angebissene Scheibe Toast wie einen Fetisch verehrt. Und ein harsches „Piss off” vom pummeligen Gitarristen Eric Faulkner aufnahm, „als habe er mich geküsst”.
Mit erbarmungsloser Hartnäckigkeit folgt sie ihren Idolen um die halbe Welt. Und jede Begegnung, schreibt sie „war schmerzhaft intensiv”. Je intensiver die Begegnung,desto deprimierender endete sie jedoch auch. Denn: „Was sagst du zu jemandem, den du so sehr liebst, dass du sogar seinen Aschenbecher leerst und die Zigarettenkippen in dein Sammelalbum klebst?” Sogar als sich die Karriere der Bay City Rollers rapide dem Ende zuneigte und sie immer schmerzhafter erkannte, dass ihre Helden nichts Verehrenswürdiges hatten – selbst dann nahm sie noch achtstündige nächtliche Autofahrten und sündteure Business-Flüge auf sich für einen kurzen Blick an irgendeiner schäbigen einsamen Hotel-Bar. Als die Band endgültig aus ihrem Blickwinkel und im Mülleimer der Rock-Geschichte verschwand, war Caroline Anfang zwanzig und ein emotionales Wrack; bis heute leidet sie unter Beziehungsangst und therapieresistenten Panik-Attacken.
„By Bye Baby” wurde in England mit „Fever Pitch” von Nick Hornby verglichen, wegen dessen ähnlich blinder, an Stumpfsinn grenzender Obsession für den Fußballclub Arsenal London. Doch im Grunde ist es ein Lehrstück über die Jugend und wohin es führt,wenn es ihr an Selbstäußerungsformen und Ausbruchsmöglichkeiten fehlt – so wie der Jugend in Millburn, New Jersey, oder anderswo im Amerika der Siebzigerjahre. Caroline Sullivan jedenfalls ist sicher, dass „die Band nur deshalb so unvermittelt in mein Leben einbrechen und zu dessen einzigem Fixpunkt werden konnte, weil diesem Leben etwas Wichtiges gefehlt hat”. Und natürlich weiß sie auch, was: „Das Gefühl, jung zu sein.” – Wir sollten den Britneys und Backstreet Boys dieser Welt dankbar sein, dass es sie gibt.
Caroline Sullivan: „Bye Bye Baby”, Argon Verlag. 331 Seiten, 29.89 Mark.
In England wurde Caroline Sullivans Geschichte einer verqueren Liebe ein Erfolg bei Publikum und Kritik
Abb.: Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Was für eine Kritik! Friedmar Apel gelingt es bewundernswert, sich in die Seele eines Groupies zu versetzen. Zwar nimmt er dafür reichlich Beispiele aus der griechischen Mythologie zu Hilfe - "Die Nemesis bringt eine mythische `Angst und Leere`, der kein irdischer Psychologe abhelfen kann. So erfährt das erfolgreiche Groupie in ältester Dualität die höchste Elevation und ganze Tiefe zugleich", schreibt er. Dazu muss man wissen, dass ein "erfolgreiches Groupie" eines ist, dass den vergötterten Star endlich ins Bett gekriegt hat und danach, da diese Ereignis meist ein einmaliges bleibt, eine Depression angesichts des wiederkehrenden öden Alltags erfährt - doch zärtlicher hat man das gierige Verlangen nach Sex mit einem Pop-Idol wohl noch nie beschrieben gefunden. Doch auch für das Objekt der Begierde Caroline Sullivans, die grässlichen Bay City Rollers, findet Apel gerechte Worte: "hühnerbrüstige Apolliniker", die "pro Gig und Nase eine Dose Allwettertaft zur Stabilisierung der Frisur" benötigten. Apel haben die Erinnerungen Sullivans vor allem dann berührt, wenn sie "in ihrer reinen Form", das heißt in Form alter Tagebuchauszüge daherkommen. Die Reflektionen der Autorin, inzwischen eine Musikjournalistin, empfindet er dagegen fast als Entweihung eines heiligen Gefühls: "Mythenaustreibung der billigen Sorte."

© Perlentaucher Medien GmbH"