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Hanns Zischler über eine Stadt, die so rasend wuchs, so oft zerstört und wiederaufgebaut wurde wie keine andere.Von Havarien, Architekturgeheimnissen, von Spaziergängern wider Willen und von der Eroberung des Grunewalds durch eine Herde WildschweineSeit gut vierzig Jahren bewegt sich Hanns Zischler fast ausschließlich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der S-Bahn durch Berlin. Kein Wunder, dass er einen ganz eigenen Blick auf die Stadt und ihre Geschichte entwickelt hat.Da ist vor allem eine Beobachtung: Zu der Stadt, die einst auf Sand und Sumpf gebaut wurde, gehört seit je eine gewisse Mischung…mehr

Produktbeschreibung
Hanns Zischler über eine Stadt, die so rasend wuchs, so oft zerstört und wiederaufgebaut wurde wie keine andere.Von Havarien, Architekturgeheimnissen, von Spaziergängern wider Willen und von der Eroberung des Grunewalds durch eine Herde WildschweineSeit gut vierzig Jahren bewegt sich Hanns Zischler fast ausschließlich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der S-Bahn durch Berlin. Kein Wunder, dass er einen ganz eigenen Blick auf die Stadt und ihre Geschichte entwickelt hat.Da ist vor allem eine Beobachtung: Zu der Stadt, die einst auf Sand und Sumpf gebaut wurde, gehört seit je eine gewisse Mischung aus Ausdehnungshunger, Größenwahn und Lust an der Selbstzerstörung.Oder wie anders soll man es bezeichnen, wenn den Plänen des Architekten Schinkel fast alle vorhandenen barocken Ensembles Unter den Linden zum Opfer fallen?Oder die Bürogemeinschaft Hitler/Speer und der Germania-Plan: Wäre der Krieg den beiden nicht zuvorgekommen, hätte in ihrem Auftrag die Abrissbirne fast genauso schlimm gewütet.Hanns Zischler entführt seine Leser in ein weniger bekanntes Berlin, wenn er seine Spaziergänge mit denen des Stadtgeografen Friedrich Leyden, der Dichterin Gertrud Kolmar und des Passfälschers Oskar Huth verschränkt und dank der Aufzeichnungen der drei Stadtwanderer ein untergegangenes Berlin aufspürt. Er macht den Geist und die Geschichte der Stadt spürbar, wenn er auf den Teufelsberg im Grunewald wandert, an dessen Erde man nur leicht graben muss, um auf Scherben, Zinkblech und Klinker zu stoßen - Reste von Berliner Mietshäusern. Wer weiß schon, dass im Inneren des Teufelsbergs ein noch viel größeres Geheimnis schlummert?
Autorenporträt
Zischler, Hanns§
Hanns Zischler, Jahrgang 1947, Schriftsteller, Fotograf und Schauspieler.
Seine Forschungsarbeit Kafka geht ins Kino (1996) wurde in viele Sprachen übersetzt und 2017 bei Galiani neu aufgelegt. Bei Galiani erschienen außerdem Der Schmetterlingskoffer (2010, gemeinsam mit Hanna Zeckau), Berlin ist zu groß für Berlin (2013), Die Erkundung Brasiliens (2013, gemeinsam mit Sabine Hackethal und Carsten Eckert), Das Mädchen mit den Orangenpapieren (2014) und 2020 Zischlers erster Roman Der zerrissene Brief.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2013

Es mangelt ihr am Mangel
"Berlin ist zu groß für Berlin", sagt Hanns Zischler, erkennt im Ausdehnungshunger die Abrisslust und hat auch eine charmante Utopie

Wenn man schon so lange in dieser Stadt lebt, ohne dort geboren worden zu sein, wenn man außerdem an mehr als 150 Filmsets erlebt hat, mit welchem Aufwand Welten gebaut werden, um gleich wieder neuen Bauten und Welten Platz zu machen, wenn man also so erfahren, belesen, neugierig und vielseitig ist wie Hanns Zischler, dann können einem Berlin und dessen Geschichte wohl nur als ein großes Paradox erscheinen.

"Berlin ist zu groß für Berlin" hat der Schauspieler-Autor-Übersetzer-Fotograf Zischler, 65, daher sein wunderbares kleines Buch genannt, in dem die Bilder mit den Texten sprechen und vice versa. Und wohin er bei seinen "verstreuten Wahrnehmungen" auch schaut, in die Gründerzeit oder aus dem Fenster der Buslinie 104, in die Tagträume der Kunst oder auf den "Germania"-Wahn der Nazis, auf leicht verwahrloste Parkanlagen oder öffentliche Plätze, welche oft kaum mehr sind als "Straßenzusammenstöße", da zeigt sich ein Muster, mal schwächer, mal ausgeprägter. Es ist der "Ausdehnungshunger" Berlins, welcher Funktion ist für eine "geradezu habituelle Zerstörungslust". Das hat natürlich sehr viel mit Politik zu tun und mit Stadtplanung, mit Architektur und Ideologie, aber eben auch, sagt Zischler, mit Geologie, mit Sand, Schlick, Wasser, Sumpf und Morast in jenem Urstromtal, welches Berlin beherbergt.

Was in den märkischen Sand gesetzt wird, ist halt nicht auf Fels gebaut, aber es ist immerhin reichlich Platz da, was allerdings auch nie ein Segen war. "An Raum war ja nie Mangel, und es war der Mangel, der fehlte", schreibt Zischler seine paradoxen Befunde fort; denn was es an Ausdehnung hat, das fehlt Berlin an urbaner Verdichtung; es ist nicht groß, es ist weitläufig, es hat, verschärft noch durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, kein Zentrum.

Statt jedoch an diesem Fehlen einer Mitte zu leiden, statt den imaginären Mangel um jeden Preis architektonisch kompensieren zu wollen, sollte die Stadt sich mit ihrem "Polyzentrismus" anfreunden. Dem Stadtwanderer Zischler, der am liebsten zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs ist, geht es dabei nicht um hochfliegende Masterpläne oder urbanistische Großtheorien, sondern ums Gelingen im Detail; das kann das Neue Museum sein oder der Gleisdreieckpark. Entscheidend ist die Abkehr vom Willen zur Größe, der historisch sowieso meist ins Pathologische wucherte: zur Megalomanie, zur Monstrosität.

Und damit meint Zischler nicht bloß die brutale Nord-Süd-Achse in Hitlers "Germania"-Plänen, zu welcher der Flughafen Tempelhof gepasst hätte wie ein "Faustschlag", der von der Seite kommt. Der Alexanderplatz ist Zischler ein "Leistenbruch" im Stadtkörper; alle energischen Verdichtungsversuche sind seit Mies van der Rohes Entwurf aus dem Jahr 1928 am jeweiligen Status quo abgeprallt - wobei die Krankheitsmetapher immerhin auf Heilbarkeit deutet, auf die beim Fernsehturm längst keine Hoffnung mehr besteht. Heilung könnte liegen in einer Ostanbindung des Platzes an die nicht weit entfernte Frankfurter Allee, deren Bebauung durch die DDR-Moderne der fünfziger Jahre für Zischler eines der wenigen Exemplare geglückter Monumentalisierung ist.

Natürlich ist ihm auch das Investoren-Lego der zahllosen Bürohäuser, die keiner braucht, ein Greuel, oder die steinernen Imponiergesten am Potsdamer Platz, und fast wehmütig erinnert er an den Entwurf des portugiesischen Architekten Álvaro Siza aus den frühen achtziger Jahren, in dem sich das Areal um Kulturforum, Philharmonie und Staatsbibliothek in ein Forum verwandelte, das diesen Namen verdiente, autofrei und großzügig.

Aber Zischler bleibt, und das ist angesichts seiner Generaldiagnose nur konsequent, zurückhaltend. Er arrangiert behutsam die Ergebnisse seiner Beobachtungen aus mehr als vier Jahrzehnten, und weil seine Neugier entschieden größer ist als das Interesse an einem Konzept, weil er lieber staunt über die merkwürdigen, entlegenen Spuren aus dem Gestern, als dass er sie zugunsten eines vermeintlichen Morgen tilgen wollte, sind seine Vorschläge und Überlegungen moderat und von utopischem Charme.

Moderat, weil sie für "Verdichtung" statt Ausdehnung und Abriss plädieren, für "Mieterschutz in den Kernbereichen, massive Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und eine Garantie für den Erhalt zweckfreier Räume"; utopisch charmant, weil Zischler sich fürs Tempelhofer Feld den ungebauten Turm des russischen Künstlers Wladimir Tatlin aus dem Jahr 1920 wünscht (und ihn in einer Computersimulation dort auch schon mal hat errichten lassen): 400 Meter hoch, eine Art Astrolabium aus Stahl, "eine ironische, eine erhabene und erhebende Pointe". Man wird ihn nicht bauen, das weiß Hanns Zischler natürlich auch - aber nur mal mit diesem Gedanken zu spielen, das würde die Köpfe ganzer Stadtentwicklungsbehörden durchlüften.

PETER KÖRTE

Hanns Zischler: "Berlin ist zu groß für Berlin". Galiani Berlin, 176 Seiten, 24,99 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine Berliner Konstante ist Gustav Seibt bei der Lektüre von Hanns Zischlers "Berlin ist zu groß für Berlin" aufgegangen: Berlin hatte schon immer die "dümmsten Planer und die intelligentesten Essayisten". Wenigstens Zischler ist ein Paradebeispiel der letzteren Gattung, ist Seibt sich sicher. In dem bildreichen Band schildert der Autor aber nicht nur das flanierend Erkundete, sondern lässt sich von ihm zu allerlei Gedanken und Exkursen anstacheln, über die Spuren der Eiszeit ebenso wie über Berliner Kinderspiele kurz nach dem Zweiten Weltkrieg oder die "berlinische Sprachgeschichte" der jüdischen Sprachwissenschaftlerin Agathe Lasch, die 1923 als erste Frau einen Lehrstuhl für Germanistik in Hamburg erhalten hatte, bevor sie 1942 nach Riga deportiert und ermordet wurde, berichtet der Rezensent. Mit "lakonischer Beiläufigkeit" lässt Zischler immer wieder kleine, persönliche Geschichten einfließen und verstärkt sie häufig noch durch Fotografien, Briefe und andere Fundstücke, erklärt Seibt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2013

Der Himmel
hüpft zur Hölle
Hanns Zischler wandert durch Berlin, liest
die Spuren der Erdgeschichte und entziffert
die Kinderspiele – ein wunderbarer Essay
VON GUSTAV SEIBT
Zum Wesen Berlins, so hört man oft, gehört das schnelle Vergessen, die Traditionslosigkeit, das ununterbrochene Einreißen und Wiederaufbauen. Hanns Zischler, der ganz im Heute beheimatete Essayist, reagiert darauf, indem er den Blick auf die Ferne von Erdgeschichte und Völkerwanderung einstellt.
  Die erste Abbildung seines ebenso schönen wie klugen Berlin-Buchs ist eine Scherbe, die zweite zeigt eine Rekonstruktion der mittelalterlichen Stadt, die dritte eine Karte mit den Spuren der Eiszeit: Berlin liegt in einem von Warschau herrüberreichenden Urstromtal, und wer mit dem Rad von der Spree aus den Prenzlauer Berg erklimmt, gelangt auf eine Hochfläche aus Geschiebelehm.
  Die Scherbe ist ein Kachelstück aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs, die den Teufelsberg bei Grunewald bilden und unter sich den Riesentorso von Albert Speers „Wehrtechnischer Fakultät“ begraben. Er erhebt sich über der sandigen Nauener Platte und diente den Amerikanern im Kalten Krieg als Funkhorchposten bis zum Ural. Wer eine Busfahrt von Grunewald nach Stralau macht, kommt über die Teltower Hochfläche. Am Agathe-Lasch-Platz erinnert Zischler an die jüdische Sprachwissenschaftlerin, die 1928 das Buch „Berlinisch - Eine berlinische Sprachgeschichte“ veröffentlichte.
  Das Idiom der Stadt erweist sich als zusammengesetzt aus dem Schwemmgut fremder Sprachen: Pete – Leihhaus aus mons pietatis; knallbise – unfein, aus hebräisch bizjâ, verächtlicher Mensch; duse - sachte, aus französisch douce; Besinge - Beeren - aus niederländisch bes, besje; Pachulke, ein Bursche, ein ungeschlachter Mensch - aus wendisch bacholk. Agathe Lasch, die 1923 als erste Frau einen Lehrstuhl für Germanistik in Hamburg erhalten hatte, wurde 1942 nach Riga deportiert und ermordet. 1917 war sie aus Heimatverbundenheit ins kriegsgeplagte Deutschland zurückgekehrt, obwohl sie sich damals schon als Wissenschaftlerin in den Vereinigten Staaten etabliert hatte.
  Zischler streut diese Geschichten aus dem zwanzigsten Jahrhundert mit lakonischer Beiläufigkeit in seinen aus Bildern, Zitaten, Fundstücken und knappen Erörterungen zusammengesetzten Text. Dieser Autor hat eine Kunst daraus gemacht, seine Bücher zu solchen wie aus Spolien gewonnenen Gebilden zu machen. Die Bilder haben keine Legenden (Quellen bietet der Anhang), und das stärkt sie.
  Ein Porträt der als Jüdin ins Bayerische Viertel verbannten Gertrud Kolmar gewinnt Zischler, in dem er von einem Ausflug der Dichterin zu ihrem einstigen Haus, den Raum eines früheren, besseren Lebens erzählt – nämlich sie selbst berichten lässt, durch ein langes Briefzitat, und dazu eine verwackelte Fotografie des unterdessen von der Polizei bezogenen Gebäudes stellt. Zurecht beschreibt Zischler den Bericht vom Betreten dieser Polizeistation als Traumprotokoll. Wie gebrechlich das Dasein in der Verfolgung wird, zeigen Text und Bild zusammen herzeinschnürend.
  Die Methode der Verknüpfung von Erdgeschichte, Siedlungskunde und Tiefenpsychologie erweitert das Buch durch einen volkskundlichen Exkurs zu Berliner Kinderspielen nach dem Zweiten Weltkrieg. Straßenkinder vergnügten sich durch Hüpf- und Figurenspiele von erstaunlicher Vielfalt: Was in Lichtenberg geläufig war, konnte schon in Tempelhof unbekannt sein, allerdings in Wilmersdorf wieder kurz auftauchen („Räuber und Prinzessin“).
  „Berlin-Stettin“ ist komplexer als „Himmel und Hölle“, das heute wieder auf die Bürgersteige von Prenzlauer Berg gemalt wird. Auch hier kommt immer wieder der Straßenbegeher vorbei, der selbst kleinste Schäden auf formalisierten Zetteln verzeichnet: Was für ein Wunder sind wohlerhaltene Straßen, wenn man vom Schlamm früherer Jahrhunderte liest!
  Zischlers stadtindianischer Blick bietet den Hintergrund für die urbanistischen Hauptessays über Berliner Plätze und Parke, den fatalen Abriss des Berliner Doms und den aufwendig bebilderten Vorschlag, auf dem Tempelhofer Feld den Turm des russischen Avantgardisten Tatlin zu errichten, wo er zusammen mit Funkturm und Fernsehturm das dritte Stadtraumzeichen quer übers Urstromtal bilden würde.
  Wenn man Zischlers Zitate aus Karl Schefflers vernichtender Kritik der wilhelminischen Architektur liest, wird man einer weiteren Berliner Konstante gewahr: Berlin hatte seit jeher die dümmsten Planer und die intelligentesten Essayisten.
Hanns Zischler: Berlin ist zu groß für Berlin. Galiani Verlag, Berlin 2013. 176 Seiten, Abb., 24,99 Euro.
Sprung in die Zukunft: Sonderausgabe der „Berliner Illustrirten“ zur
700-Jahrfeier der Reichshauptstadt.

Die Trümmer des Zweiten Weltkriegs bilden den Teufelsberg bei Grunewald, der den Amerikanern im Kalten Krieg als Funkhorchposten diente.
FOTOS: AUS DEM BESPR. BAND
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