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Der Revolution beim Wachsen zusehen.Ai Weiweis verbotener Blog erstmals auf Deutsch: einer der spannendsten Texte über das moderne China - und das ergreifende Dokument wachsender Wut und wachsenden Widerstands.
Nicht erst seit seiner Verhaftung wurde Ai Weiwei zur Ikone des Kampfes für Meinungsfreiheit, Menschenwürde und das Recht des Einzelnen auf individuelle Selbstentfaltung. Fast vier Jahre lang dokumentierte er im Internet, was er in seiner Heimat erlebte und was er sich dazu dachte - ein Glücksfall allein schon dies, liest man doch endlich einmal nicht die Analyse eines westlichen…mehr

Produktbeschreibung
Der Revolution beim Wachsen zusehen.Ai Weiweis verbotener Blog erstmals auf Deutsch: einer der spannendsten Texte über das moderne China - und das ergreifende Dokument wachsender Wut und wachsenden Widerstands.

Nicht erst seit seiner Verhaftung wurde Ai Weiwei zur Ikone des Kampfes für Meinungsfreiheit, Menschenwürde und das Recht des Einzelnen auf individuelle Selbstentfaltung. Fast vier Jahre lang dokumentierte er im Internet, was er in seiner Heimat erlebte und was er sich dazu dachte - ein Glücksfall allein schon dies, liest man doch endlich einmal nicht die Analyse eines westlichen Experten, sondern den Bericht eines Chinesen, der sein Land liebt, viele Entwicklungen aber mit immer größerer Skepsis beobachtet: SARS, Milchpulverskandal, Olympische Spiele, Korruption, Organhandel, der Umgang mit dem Gedenken an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens - zuviel stößt ihm auf. Nach einem großen Erdbeben, bei dem 20.000 Menschen zum Teil deshalb starben, weil aus minderwertigem Material gebaute öffentliche Gebäude zusammenfielen wie Kartenhäuser, beginnt er - öffentlich und mit der Kamera in der Hand - nach den Verantwortlichen zu fragen. Und die Bevölkerung dazu aufzurufen, sich zu organisieren. Zweimal wird er bei seinen Recherchen zusammengeschlagen. Sein Blog gewinnt an Wut - 2009 schreiten die Behörden ein, die Seite wird gesperrt, alle Einträge werden gelöscht. Eine in Vorbereitung befindliche chinesische Buchausgabe wird zurückgezogen. Ai Weiwei twittert weiter, mit je 120 chinesischen Zeichen pro Nachricht. 2011 verhaftet man ihn unter fadenscheinigen Gründen.

Ein amerikanischer Verlag erarbeitete mit Ai Weiwei eine Buchausgabe, jetzt gibt es sie erstmals auf Deutsch. Der Kampf um Ai Weiweis Blog steht beispielhaft für den Kampf ums Internet in China. In seinen Texten sieht man einer Revolution beim Wachsen zu. Sie sind spannende persönliche Zeugnisse und haben das Zeug zum Klassiker der engagierten Literatur.
Autorenporträt
Ai Weiwei, geb. 1957, wuchs in der Provinz Xinjiang auf. 1981-93 lebte er vor allem in New York, 1993 kehrte er nach Peking zurück.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2011

Der verbotene Blog, die Kunst und die Suche nach der Wahrheit

Im Jahr 2006 begann der chinesische Künstler Ai Weiwei, einen Blog im Internet zu schreiben, den Millionen lasen. Ai schrieb über seinen Alltag - und über politische Skandale; so wuchs im Netz ein Grundlagentext über das neue China. 2009 schloss das Regime den Blog. Jetzt ist er als Buch erhältlich.

Es war am 3. April, vor fast vier Monaten, als der chinesische Künstler Ai Weiwei am Flughafen festgenommen und mit unbekanntem Ziel verschleppt wurde. Danach wusste man für mehrere Wochen, genau bis zum 23. Juni, nicht, was mit ihm passiert war. Viele befürchteten das Schlimmste, denn vor zwei Jahren war Ai, kurz bevor er in München eine Ausstellung eröffnete, von chinesischen Polizisten so brutal verprügelt worden, dass er sich in einer Klinik am Kopf notoperieren lassen musste. Erst im Januar dieses Jahres ließen die Behörden sein neues Atelier in Schanghai mit Bulldozern einreißen, jetzt steht der mittlerweile immerhin wieder aus der Haft entlassene - Ai unter Hausarrest.

Da wird jemand drangsaliert und eingeschüchtert von einem Regime, dessen progressivere Vertreter vor einigen Jahren noch versucht hatten, Ais Popularität für sich zu nutzen. Aus europäischer Sicht ist es kaum erklärlich, wie man Ai noch 2008 offiziell bitten konnte, am Bau des Olympiastadions in Peking mitzuwirken. Der Umgang mit Ai verrät vor allem viel über die inneren Kämpfe, die in Chinas Machtapparat toben müssen zwischen dem Reformflügel, der auch um ein aufgeklärtes Image bemüht ist und daher in dem im Westen schon fast kultisch verehrten Ai eine willkommene Galionsfigur erkannte, und den Hardlinern unter Chinas Apparatschiks, die ein Jahr vor dem achtzehnten Parteikongress zum neunzigsten Jahrestag der Gründung ihrer Partei die bange Frage stellten, ob es noch eine Hundertjahrfeier geben werde.

Während in der chinesischen Führung offenbar zuletzt die Frage lautete, ob und in welchem Maß Regimekritik durch Künstler als Ausweis der Souveränität der chinesischen Regierung zugelassen werden kann oder als potentiell gefährliche Aufwiegelung der Massen eingedämmt werden muss (was Ais Verschleppung klar beantwortete), entbrannte in der sogenannten westlichen Welt ein bizarrer Streit. Zwar forderten alle einstimmig die Freilassung Ais, aber mit der Diskussion um seine Kunst tauchte eine Bewegung auf, die Ai - ganz im Sinne einer ultramaoistischen Kulturkritik - als reine Projektionsfigur des Westens kritisierte. Dass Ai mit einer gewissen Nostalgie Stühle und Türen aus abgerissenen Hutongs zu Kunstwerken verarbeite, müsse, so die neomaoistische Sicht der Dinge, dem antiquitätensüchtigen, verängstigt am alten Wert- und Formsystem sich festklammernden Westen natürlich gefallen; darauf spekuliere Ai. Die zynischste Unterstellung lautete, die Kunstwelt des Westens setze sich vor allem deshalb so energisch für Ai ein, weil er eine kommerziell wichtige Figur des euro-amerikanischen Kunstmarkts sei. Ein ganzer Haufen unbedeutender Vertreter der chinesischen Kunstwelt nahm den Fall zum Anlass, sich selbst mit einer als "Differenzierung" angekündigten deftigen Ai-Beschimpfung in jenes internationale Rampenlicht zu schummeln, das bisher nur auf die raumgreifende Figur Ai Weiweis fiel.

Der Kurator Hou Hanru gab soeben in der Zeitschrift "Monopol" zu Protokoll, Ai sei als Künstler völlig uninteressant und "Menschenrechte" das beste Argument, um "neue Märkte zu eröffnen und Machtinteressen durchzusetzen"; er finde es fragwürdig, dass Ai "für Menschenrechte eintritt und dann eine Kamera nimmt und fotografiert, wie er von der Polizei verprügelt wird, und dieses Bild zum Hauptwerk einer Ausstellung im Westen macht". Es bleibt Hous Geheimnis, was daran illegitim sein soll.

Die Debatte zeigt, wie unterschiedlich die Begriffe von Kunst und Politik und ihrer Verbindung sind, die im Streit um Ai Weiweis Aktionen aufgerufen werden. Dass gerade in der untrennbaren Einheit von Werk und Person ein Charakteristikum der Figur Ai Weiwei liegt, zeigen gleich zwei soeben erschienene Bücher: Der Kurator Hans-Ulrich Obrist hat seit Mitte der neunziger Jahre Gespräche mit Ai geführt und diese Interviews jetzt in einem lesenswerten Sammelband unter dem Titel "Ai Weiwei spricht" herausgegeben, in dem man erstaunliche Details aus dem Leben Ais erfährt - über seine Jugend in der Wüste Gobi, in die sein Vater, der Lyriker Ai Qing, zur Strafe für seine angeblich revisionistischen Schriften mit seiner Familie verbannt worden war, aber auch über den Beginn seines Blog-Projekts, das Ai einem Millionenpublikum jenseits der Kunstwelt bekannt machen sollte.

Für ihn, sagt Ai im Gespräch mit Obrist, sei der Blog schnell so etwas wie "die moderne Zeichnung" geworden. "Alles, was ich dort sage, kann als Teil meines Werks gelten. Der Blog vermittelt die meiste Information: Er zeigt meine komplette Umgebung." Der Eintrag als Skizze, das Netz als öffentliches Notizbuch: Was früher als das Intimste des Künstlers galt, das spontane Arsenal aus Notizen, Skizzen und Tagebucheinträgen, wurde mit dem Blog nach außen gestülpt, das Leben des Künstlers zu einer Art Dauerperformance. Seit 2006 schrieb Ai über die Dinge, die das neue China prägten - über die trostlose aktuelle Architektur, die "mit Müh und Not das Grundbedürfnis eines Dachs über dem Kopf befriedigt"; über die "notorischen Lügen des Apparats" beim Ausbruch von Sars; über die Panik, zu der es wegen der Desinformationspolitik kam; über die Dorfbewohner, die, "mit Stöcken bewehrt, die Dorfeingänge" bewachten "und herablassend die sonst so stolzen Pekinger" taxierten; über die korrupten Beamten und das selbstherrliche Verhalten der Polizei ("Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass diese Leute Gangster sein müssen"), und er verteidigt den Kopfstoß Zidanes im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft ("weil er mit seiner Aktion seinen Stolz und seine Würde schützen wollte").

Zu diesen Texten kommen die Bilder. Zwischen hundert und fünfhundert Aufnahmen, sagt Ai, mache er täglich. Die Ergebnisse dieses visuellen stream of consciousness könnte man auf den ersten Blick kunsthistorisch in der Tradition der amerikanischen street photography sehen, die Ai während seiner Zeit in New York kennenlernte. Sie sind - auch - subjektive Blicke auf nebensächliche Details des Alltags, Selbstverortungen in Hotelzimmern - aber vor allem Dokumentationsmaterial, das die Partei in der gedruckten Presse verhindert und auch aus dem Internet zu verbannen versucht: zum Beispiel Bilder von Müttern, die vor der Schule stehen, in der ihre Kinder starben, nachdem das Gebäude während eines Erdbebens zusammenbrach, weil korrupte Funktionäre die vorgeschriebenen Baustoffe durch minderwertige Materialien ersetzen ließen und den Gewinn einstrichen.

Ai hat diese Fälle recherchiert und öffentlich gemacht; er hat Verantwortliche vor die Kamera gebracht und mit den Menschen nach den Verursachern gesucht. Sein Blog war auch eine Aufklärungsinstanz, sein Vorgehen im besten Sinne journalistisch; er entlarvte das, was die Behörden als Naturereignis und Schicksalsschlag verkaufen wollten, als Folge eines politischen Verbrechens, als Tat benennbarer Individuen. Diese Wahrnehmungsschärfung dafür, dass das, was als Natur erscheint, Politik sein könnte, das Gemachte am scheinbar alternativlos Gewachsenen ist ein wesentlicher Aspekt in den Arbeiten wie im politischen Aktivismus Ai Weiweis. Eine solche Kunst, die sich nicht in folgenlosen ästhetischen Provokationen erschöpft, musste dem Regime bedrohlich erscheinen. Am 28. Mai 2009 wurde Ais Blog von den Behörden geschlossen, alle Einträge wurden gelöscht. Seine Leser wurden über Twitter weiter informiert; sie fanden Wege, den sogenannten "großen Firewall" zu übertreten.

Ja, es stimmt: Es gibt im Westen eine starke Fixierung auf die Figur Ai Weiwei; es stimmt, keiner redet von den anderen 130 Aktivisten, Bloggern und Menschenrechtlern, die die Partei laut Amnesty International seit Jahresbeginn verhaften ließ; es stimmt, es gibt neben Ai auch andere Blogger, Fotografen und Literaten, die ein Bild vom neuen China vermitteln und die es vermutlich verdienen würden, übersetzt zu werden. Aber für alle, die sich damit beschäftigen wollen, was in China gerade wirklich passiert, ist Ais Blog ein sehr guter Anfang.

NIKLAS MAAK

"Ai Weiwei spricht". Interviews mit Hans Ulrich Obrist.

Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C. Hanser Verlag, München 2011. 144 S., geb., 14,90 [Euro].

Ai Weiwei: "Macht euch keine Illusionen über mich". Der verbotene Blog.

Hrsg. v. Lee Ambrozy. Galiani Verlag, Berlin 2011. 480 S., Abb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Angela Köckritz findet das veröffentlichte Blog des chinesischen Künstlers Ai Weiwei aus den Jahren 2006 bis 2009 nach wie vor spannend und lesenswert - auch wenn sie die Übersetzung etwas enttäuscht hat. Die musste aufgrund der Verhaftung Ais allerdings auch sehr schnell fertig werden, erklärt die Rezensentin, außerdem wurde das Blog (und damit der Originaltext) von der Regierung gesperrt. Angetan schildert Köckritz wie der Künstler die chinesische Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Westen "seziert". So liest die Rezensentin zum Beispiel von der Unmöglichkeit, mit westlichen Lebensweisen auch das entsprechende Bewusstsein zu importieren und andererseits vom Unvermögen des Westens, chinesische Kunst wirklich zu verstehen.

© Perlentaucher Medien GmbH