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Die berühmten 1920er Jahre waren keine "goldenen" wie oft behauptet. Aber es waren wichtige und überaus tolle Zeiten des deutschen Theaters, dem es immer wieder gelang, in allen Gattungen und Genres mit unüblichen Glanzleistungen aus dem Rahmen zu fallen. Die wesentlichen Spielleiter, Direktoren und Dirigenten sorgten dafür, dass die Grenzen zwischen Schauspiel, Musiktheater, Revue, Varieté, Tanz, Pantomime und Kabarett fließend blieben und dass Kunst immer auch wunderbare Unterhaltung war. In Deutschland sind viele Bücher zur Geschichte des deutschen Kabaretts und Erinnerungsbücher namhafter…mehr

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Produktbeschreibung
Die berühmten 1920er Jahre waren keine "goldenen" wie oft behauptet. Aber es waren wichtige und überaus tolle Zeiten des deutschen Theaters, dem es immer wieder gelang, in allen Gattungen und Genres mit unüblichen Glanzleistungen aus dem Rahmen zu fallen. Die wesentlichen Spielleiter, Direktoren und Dirigenten sorgten dafür, dass die Grenzen zwischen Schauspiel, Musiktheater, Revue, Varieté, Tanz, Pantomime und Kabarett fließend blieben und dass Kunst immer auch wunderbare Unterhaltung war. In Deutschland sind viele Bücher zur Geschichte des deutschen Kabaretts und Erinnerungsbücher namhafter Kabarettisten sowie auch mehrere Sammlungen von Texten fürs Kabarett erschienen. Desiderat blieb eine Geschichte des größten Berliner Kabaretts, das Theater, Operette, Varieté und literarisch-politisches Kabarett erfolgreich mischte, das von seinem artistischen jüdischen Stammkapital auch in der Nazizeit noch reichlich zu zehren verstand, es aber geistig mit zu biederer Kleinkunst verspielteund schließlich nur noch wenig zündende Tingeltangeleien bieten konnte. Der Band des Dramaturgen, Theaterhistorikers und langjährigen Rektor der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Klaus Völker erzählt die Geschichte des "Kabarett der Komiker".
Autorenporträt
Völker, KlausKlaus Völker, geb. 1938 in Frankfurt am Main. Studium in Frankfurt und in Berlin. Literatur und Theaterkritiker. Von 1969 bis 1985 leitender Dramaturg an Theatern in Zürich, Basel, Bremen und am Schiller-Theater Berlin. 1992 Berufung zum Professor für Theatergeschichte und Dramaturgie an die Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin, deren Rektor er von 1993 bis 2005 war.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.10.2010

Wird der Kreuzberg ohne Haken bleiben?
Nur nicht unterkriegen lassen: Ein überfälliges Buch über das legendäre Berliner „Kabarett der Komiker“ zwischen Anpassung und Widerstand
Die Männer, fordert Claire Waldoff mit emanzipatorischer Entschiedenheit, sollten endlich „raus aus dem Reichstag“, ja „raus mit den Männern aus dem Bau, und rein in die Dinger mit der Frau!“. Ein biegsamer Bengel mit Namen Curt Bois mahnt ebenso streng: „Guck doch nicht immer nach dem Tangogeiger hin! Was ist schon dran an Argentinien?“ Wenig später fragt Willi Schaeffers singend, zögernd, frohgemut: „Wenn ich wüsste, was der Adolf mit uns vorhat, wenn er erst die Macht am Brandenburger Tor hat? Wird das Tageblatt Fraktur nur schreiben, wird der Kreuzberg ohne Haken bleiben?“ Waldoff, Bois, Schaeffers traf man dort, wo Erik Ode, Peter Frankenfeld und Heinz Erhardt sich ihre ersten Sporen verdienten, wo Karl Valentin und Jacques Tati gastierten und Helmut Käutner als Kabarettist und Egon Erwin Kisch als Dramatiker reüssierten: im „Kabarett der Komiker“ zu Berlin.
Mitte der 1920er Jahre waren die Startbedingungen nicht ideal für zeitkritische Kleinkunst. Die materiellen Sorgen lasteten schwer auf den Deutschen, die Politik radikalisierte sich, die Republik verlor ihre Republikaner. Dennoch gründeten die beiden Wiener Komödianten Paul Morgan und Kurt Robitschek am 1. Dezember 1924 das „Kabarett der Komiker“. Robitschek führte durch das alle zwei Monate wechselnde Programm, in dem die Auftritte Morgans fester Bestandteil wurden. Morgan schrieb sich das gemeinsame Lebensmotto auf den langen Leib: „Nur nicht unterkriegen lassen!“. Von Anfang an war das Markenzeichen des „KadeKo“ – im Unterschied zu Trude Hesterbergs „Wilder Bühne“ und dem „Kakadu“, die politisch schärfer auftraten – die Mischung. Der Theaterwissenschaftler Klaus Völker beschreibt diese Melange jetzt in der ersten, wahrlich überfälligen Monographie über das „Kabarett der Komiker“: Robitschek und Morgan sei es gelungen, „die Traditionen jüdischen Humors, den sinnlichen Schwung und erotischen Esprit französisch-wienerischen Operettentreibens und die Beinartistik amerikanischer Revuen varietéartig mit der Angriffslust literarisch-politischer Kabarettistik wirkungsvoll zu vermischen“.
Die Geschichte der bis 1950 fast ununterbrochen bestehenden Unterhaltungsunternehmung – im „Palmenhaus“ am oberen Kurfürstendamm, dann, ab 1928, im prachtvollen Neubau Erich Mendelsohns am Lehniner Platz – ist Kulturhistorie, Mentalitätsgeschichte und ein bezeichnendes Kapitel aus düsterer Zeit zwischen Anpassung und Widerstand. Zunächst waren die „Zugeständnisse an das oberflächliche Amüsement und das Zirzensische“ rein ökonomisch begründet: Die Kasse musste stimmen. Das erste Programm „Quo vadis“ mit der Musik von Willy Rosen war eine Parodie auf die Sandalenfilme und den Antikefimmel; Paul Morgan spielte Nero, Curt Bois den Römer Gojus, „jung, aber schon sehr blutrünstig“, mit Hakenkreuz vor der Brust. Parodien auf den Krimi und aufs rheinromantische Volksstück sollten folgen. Wein und Bier flossen bei den Aufführungen reichlich, die selten unter drei Stunden dauerten. Nachmittags gab es Kaffee und Kuchen bei verbilligtem Eintritt.
Ein Fiasko wurde die erste Premiere im neuen 1000 Plätze fassenden Domizil. Großspurig von Robitschek angekündigt als „ein neuer Weg der Operette, aber auch ein neuer Weg der Revue, (. . .) mit vielen Girls aus allen Weltgegenden dieser Erde“, fiel „Kitty macht Karriere“ Ende September 1928 komplett durch. Zu sehen war, so Völker, nur eine „dürftige Persiflage auf das Justiz- und Tingeltangelstück amerikanischer Machart“. Kurt Gerron, Paul Morgan, Hans Moser konnten die Flickschusterei nicht retten. Robitschek war über die schlechte Aufnahme derart erbost, dass er den leidenschaftlichsten Chronisten des Weimarer Kabaretts überhaupt, Max Herrmann-Neiße, öffentlich angriff, ihm plump vorwarf, alles zu negieren, was andere unterhalte. Der bucklige Dichter ließ sich seine große Liebe aber nicht nehmen. Für Herrmann-Neiße blieb das zeitkritische Kabarett ein „lebenswichtiger Betrieb“, weil und sofern es eine Abrechnung ist „mit allem, was heute hemmt, blufft, die Macht missbraucht, schwindelt, mordet“.
Klaus Völker lobt in seinem Buch Robitscheks „beachtlichen politischen Mut“. Noch Ende 1932 sang Willi Kollo am Klavier des „KadeKo“ über Reichskanzler Papen, der „dem Adolf Herzen und die Türen“ öffne, „ei, warum, ei, darum“. Die Braunhemden saßen im Publikum, johlten und buhten. Nach Hitlers Regierungsübernahme ließ Robitschek sich im April 1933 für das Programmheft eine Solidaritätsadresse diktieren: Die „nationale Revolution“ sei von „integren Männern im Dienste einer großen Idee gemacht worden“. Kein halbes Jahr später war er, als Jude hochgefährdet, nach Paris emigriert. Die USA wurden ihm schließlich zur Heimat. Er nannte sich jetzt Ken Robey.
In der alten Heimat erklärte derweil ein neuer Dramaturg, man wolle das „Destruktive“ überwinden, „die Frechheit verbrennen“ und an deren Stelle „unsere ureigene zusammengebraute Gesundheitsmischung aus Optimismus und Mut setzen, den Optimut“. Die Anbiederung misslang, das Publikum blieb aus. Anfang 1934 übernahm Hanns Schindler die Leitung, „ein geschickter, tüchtiger und viel riskierender Direktor, der sich von Scharfmachern und ,Blut und Boden‘-Ideologen nicht einschüchtern ließ“. Er band den großen Werner Finck vom durch Joseph Goebbels zwangsaufgelösten „Kakadu“ ans Haus. Dank dessen feiner Ironie – er fragte einmal einen mitschreibenden Parteigenossen von der Bühne herab, „Kommen Sie mit? Oder muss ich mitkommen?“ – wurde das „Kabarett der Komiker“ zwar kein Zentrum des Widerstands. Aber „man reizte immerhin alle Möglichkeiten subtiler Widerständigkeit aus“.
Der frühe Tod Schindlers brachte den letzten Intendanten auf die Kommandobrücke. Von 1938 bis 1950 stand Willi Schaeffers dem „KadeKo“ vor. In jener Schicksalszeit, als ein Volk bitter lernte, „was der Adolf mit uns vorhat“, schwenkte die ungebrochen beliebte Bühne auf seichtere Unterhaltung und märchenhafte Fabeln um. Goebbels ließ im Februar 1939 keine Zweifel an den kulturpolitischen Vorgaben: Deutscher Humor müsse „gutmütig, anständig und sauber“ sein. Besonders Werner Finck und Claire Waldoff missfielen dem Propagandaminister. Intendant Schaeffers erhielt darum eine Abmahnung, blieb aber unverzagt. Er spielte selbst weiter, machte sich singend über die verordnete Verdunklung lustig, „jetzt sieht man erst, wie schön ein Abendhimmel ist, der sonst von Lichtreklamen überblendet war“, und organisierte, improvisierte, kämpfte um seine Künstler. Rückblickend schrieb er: „Man betäubte sich mit Arbeit, um nicht nachdenken zu müssen.“ Georg Thomalla fand für denselben Bewusstseinsvorgang deutlichere Worte: „Die Theater operetteten sich durch. Narren in schlimmer Zeit sind wir alle gewesen und Hofnarren noch dazu.“
Dass Klaus Völker ebendiese schlimme Zeit nur hie und da skizziert, sie als Kulisse voraussetzt, nimmt seiner akribischen Darstellung etwas die historische Schärfe. Nicht fehl am Platz gewesen wäre es, den Kriegsschauplatz Berlin stärker in den Blick nehmen. Man liest, fast unverbunden, von Bombenangriffen und Dispositionsschwierigkeiten, von Todesurteil und Tingeltangel und vermisst eine überwölbende Gesamtschau.
Eine Pioniertat ist das Buch gleichwohl – als Panoptikum eines vielschichtigen künstlerischen Behauptungswillens, errichtet auf einem gewaltigen Epitaph und somit recht eigentlich gewidmet „denen, die den Nazischergen nicht entkamen und in Konzentrationslagern umgebracht wurden, Robert Dorsay, Max Ehrlich, Kurt Gerron, Fritz Grünbaum, Kurt Lilien, Paul O’Montis, Willy Rosen, Otto Wallburg und Paul Morgan“. ALEXANDER KISSLER
KLAUS VÖLKER: Kabarett der Komiker. Berlin 1924 bis 1950. Edition Text + Kritik, München 2010. 280 Seiten, 39,80 Euro.
Jüdischer Humor, Wiener Operette,
amerikanische Revue – die
Mischung war das Markenzeichen
Im „Kabarett der Komiker“ am Lehniner Platz in Berlin (großes Foto, um 1940; im selben Baukomplex von Erich Mendelsohn ist heute die Schaubühne untergebracht) traten unter vielen anderen Claire Waldoff, Paul Morgan und Willi Schaeffers auf (kleine Fotos, von links). Morgan wurde im KZ umgebracht. Fotos: bpk (2), AKG (2)
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Über eine längst fällige Monografie freut sich Alexander Kissler. Die von Klaus Völker verfasste Geschichte des Berliner "Kabaretts der Komiker" lässt für ihn die für diese Institution spezifische Mischung aus jüdischem Humor, sinnlichem Schwung und erotischem Esprit wiederaufleben, die Vereinigung von Variete und politischem Kabarett. Kultur- und mentalitätsgeschichtlich ergibt sich für Kissler mitunter das Bild einer finsteren Zeit zwischen Anpassung und subtilem Widerstand. Allerdings hätte er sich gerade für die Zeit des letzten Intendanten Willi Schaeffers von 1938 bis 1950 vom Autor mehr historische Schärfe, mehr Gesamtschau der Verhältnisse zwischen Krieg und Kabarett gewünscht. Als Panoptikum künstlerischen Behauptungswillens taugt das Buch seiner Meinung nach dennoch ausgezeichnet.

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