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Während einer Geschäftsreise in seine Geburtsstadt Budapest begegnet Robert Singer, der als Exilungar in Wien lebt und dort stellvertretender Direktor des Instituts für Jugendstil ist, einem ärmlich gekleideten älteren Mann, der ihn anspricht. Robert kann den »Fremden« zunächst nicht identifizieren und lädt ihn aus Verlegenheit ins Restaurant ein, wo er sich als sein alter Schulkamerad Feri K. entpuppt. Das flüchtige Wiedersehen nach 40 Jahren lässt in Robert eine tiefverwurzelte Geschichte wiederaufleben, Bilder aus einer längst vergangenen Zeit werden wieder lebendig Robert Singer sieht sich…mehr

Produktbeschreibung
Während einer Geschäftsreise in seine Geburtsstadt Budapest begegnet Robert Singer, der als Exilungar in Wien lebt und dort stellvertretender Direktor des Instituts für Jugendstil ist, einem ärmlich gekleideten älteren Mann, der ihn anspricht. Robert kann den »Fremden« zunächst nicht identifizieren und lädt ihn aus Verlegenheit ins Restaurant ein, wo er sich als sein alter Schulkamerad Feri K. entpuppt. Das flüchtige Wiedersehen nach 40 Jahren lässt in Robert eine tiefverwurzelte Geschichte wiederaufleben, Bilder aus einer längst vergangenen Zeit werden wieder lebendig Robert Singer sieht sich zurückversetzt in den Herbst 1961: In die kleinbürgerliche Enge und Armut seiner Familie, der er entfliehen will. Der Traum von seiner großen Liebe zu dem Mädchen Ilona wird wieder fühlbar ebenso wie der Konflikt mit seinem Schulkameraden Feri K. und dessen Worte bei dem letzten Gespräch, bevor sich ihre Wege trennten: »Merkwürdig hätte ich dich als Juden und Kommunisten nicht gehasst, könnten wir als Menschen sogar Freunde sein.«
Autorenporträt
György Dalos, geb. 1943 in Budapest in einer jüdischen Familie, gehörte zur demokratischen Opposition Ungarns und lebte in den achtziger Jahren nach Aufenthalten in Berlin in Wien und Budapest. György Dalos wurde vielfach in Deutschland und Ungarn ausgezeichnet und war bis 1999 der Direktor des ungarischen Kulturinstituts in Berlin und im selben Jahr literarischer Leiter des Ungarn-Schwerpunkts während der Frankfurter Buchmesse. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 1995 der "Adelbert-von-Chamisso-Preis", 2000 die "Goldene Plakette der Republik Ungarn" und 2010 der "Preis der Leipziger Buchmesse für Europäische Verständigung".
György Dalos lebt als Autor in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.12.2007

In der Dunkelkammer
Budapest, Sommer 1961: György Dalos’ Roman „Jugendstil”
György Dalos nennt sein neues Buch einen Roman. Der Untertitel Novelle hätte ebenso gut gepasst: Handelt es sich doch um ein knappes, streng komponiertes Stück Prosa, in dem der jugendliche, meist verliebte Held vor seinem Gewissen manch komplizierte Entscheidung zu verantworten hat, bis sich nach einer unerwarteten Wendung die Handlung in einem höchst ambivalenten Schluss auflöst. Das klingt nach Kunsthandwerk, bei Dalos jedoch verbirgt sich hinter diesem Rückgriff auf traditionelle Erzählweisen eine eminent politische Geste.
Denn die Geschichte spielt in Budapest, Anfang der Sechzigerjahre. Nach dem gescheiterten Aufstand von 1956 kennt das kommunistische Establishment keine Rücksichten mehr. Wer sich gegen die Sowjetisierung des Landes sträubt, bekommt es mit Partei und Staat zu tun. Sowjetisierung bedeutet auch, alle Überlieferungen der bürgerlichen Kultur zu kappen – und Budapest ist reich an solchen Überlieferungen. Dazu gehören bestimmte Formen urbaner Geselligkeit genauso wie die Jugendstilfassaden, hinter denen dieses Bürgertum lebt. Überhaupt der Jugendstil: Ihm gehört die große Leidenschaft des Helden, Robert Singer. Dass er mit einer solch bürgerlichen Vorliebe im Jahre 1961 nicht eben den ästhetischen und politischen Präferenzen des sowjetischen Brudervolks entspricht, kommt ihm erstaunlicherweise nicht zu Bewusstsein.
Mantelschwund und Mathematik
Naiv und idealistisch zugleich, hat sich Robert Singer als Oberstufenschüler dem Kommunismus verschrieben. Die marxistischen Klassiker hat er wohl wenig gelesen, Dalos stellt ihn als im Grunde unpolitischen Charakter dar, der zwar vage meint, auf der richtigen Seite zu stehen, aber auch nüchtern kalkuliert, ein frühes Engagement für die Partei könne irgendwann durch handfeste materielle Vorteile belohnt werden. Aber im Moment ist ihm nur eines wichtig: Auf dem Schulball den Mädchen mit einer Ordnerbinde des kommunistischen Jugendverbands zu imponieren, was nicht ausschließt, dass man sich in einem unbeobachteten Moment mit seiner Freundin in ein dunkles Klassenzimmer zurückzieht.
Doch in diesem Moment nimmt das Unglück seinen Lauf. Plötzlich gehen in der ganzen Schule die Lichter aus, es kommt zum Tumult, und als es wieder hell wird, stellt sich heraus, dass im Schutz der Dunkelheit Wintermäntel gestohlen wurden. Die Justiz nimmt sich der Sache an, interessiert sich aber für den Diebstahl weniger als für seine politischen Implikationen. Robert Singer ist offenbar seinen Ordnerpflichten nicht nachgekommen – denn ausgerechnet, als er sich mit seiner Freundin im Dunkeln vergnügte, machte sich der Täter an der Hauptsicherung zu schaffen. Eine gute Gelegenheit, ihn loszuwerden, denn als Jude war er den Genossen ja ohnehin nicht geheuer. Seit seinem Engagement in der Jugendorganisation wurde er auf Schritt und Tritt observiert, da kann es an belastendem Material nicht mangeln.
Schließlich wird Roberts mathematisch begabter Klassenkamerad Feri als der technisch versierte Täter identifiziert. Für seine Tat hat er mindestens ein einleuchtendes Motiv: Er wollte sich an Robert rächen, der ihm wegen mangelnder Linientreue eine Eintrittskarte zum Schulball verweigert hatte. Und er wollte wohl überhaupt seine Wut loswerden über Verhältnisse, in denen er aus seiner Begabung nichts machen konnte, weil er als politisch unzuverlässig galt. Die Rache ist ihm gründlicher gelungen, als er es sich hätte träumen lassen können. Für Robert ist die Parteikarriere zu Ende, noch ehe sie überhaupt begonnen hat, und seine Freundin hat endlich einen Grund, sich von ihm zu trennen, denn eigentlich hatten ihre Eltern ja schon immer etwas gegen Juden. Robert wird Budapest verlassen, in Wien als Jugendstilspezialist Karriere machen und dort auf der Straße vierzig Jahre später Feri treffen. Und in diesem Moment steigt die Erinnerung wieder hoch an jenen Sommer 1961 in Budapest mit all seinen Verwirrungen und Bedrohungen.
Was hier als Handlung nur skizziert ist, wirft so viele grundsätzliche Fragen nach Verantwortung und Schuld, Ideologie und freiem Urteil auf, dass man sich Sorgen machen muss, dieses Buch könne eines Tages einer moralischen Texterörterung in der gymnasialen Oberstufe zum Opfer fallen. Aber selbst dann wird sich die literarische Kraft dieser Geschichte nicht brechen lassen. Denn ihre Pointe liegt ja gerade in der Strenge und Disziplin ihrer Form, die das Wissen und die Geschichte der Literatur gegen den zerstörerischen Gegenwartswahn der kommunistischen Ideologie stellt.
Sicher: diese Schlachten sind geschlagen, nicht von ungefähr rückt Dalos seine dunkle Sommergeschichte in die Rahmenhandlung einer zufälligen Begegnung Jahrzehnte nach dem Untergang des kommunistischen Europa. Das mindert die Bedeutung des kurzen Romans aber nicht. Denn nach der Überwindung der Teilung Europas droht die Erinnerung an die Nachkriegszeit verlorenzugehen. Was sich damals in Budapest, Bukarest oder Prag abspielte, kann die Literatur so dicht und sinnlich festhalten wie kaum ein anderes Medium. Am Ende sind es vielleicht Bücher wie dieses, die auch jene Schauplätze und Protagonisten der europäischen Tragödie in Erinnerung halten, die sich dem Blick der Historiker entziehen. TOBIAS HEYL
GYÖRGY DALOS: Jugendstil. Roman. Aus dem Ungarischen von György Dalos und Elsbeth Zylla. Rotbuch Verlag, Berlin 2007. 173 Seiten, Euro 17,90.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Tobias Heyl ist von diesem kurzen Roman, der im Budapest der frühen 60er Jahre spielt, höchst angetan und spricht ihm gleichermaßen moralische Tiefgründigkeit wie große "literarische Kraft" zu. Es geht um den jüdischen Oberschüler Robert Singer, der sich als eher opportunistischer Kommunist trotzdem dem als bürgerlich geächteten Jugendstil verschrieben hat. Eine Aufsichtsverletzung als Ordner auf einem Schulfest ruiniert seine Parteikarriere und lässt ihn zudem die ganze antisemitische Ablehnung des Systems spüren. Dalos verlässt sich in seinem Buch auf die traditionelle Novellenform und der Rezensent erkennt darin auch eine "eminent politische Geste". Es wirft Fragen nach Schuld und Verantwortung auf und hält nicht zuletzt die Erinnerung an Orte und Menschen fest, die in der Geschichtsschreibung keinen Widerhall finden, lobt Heyl.

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