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City das ist kein modischer Anglizismus zur Benennung dessen, was einmal Altstadt oder Innenstadt hieß. City ist ein Lebensstil. Er hat sich in der Nachkriegszeit, vor allem aber in den letzten dreißig Jahren, im Zentrum der deutschen Städte ausgebildet. Hier wird er stoßweise erfahrbar: durch Pendler- und Besucherströme aus dem Umland, Anwohner sind kaum noch zu finden.Die Resultate einer verfehlten Baupolitik vor Augen, wenden Stadtplaner sich wieder dem Zentrum zu. Gegenwärtige Abhandlungen u ber die Stadt beschäftigen sich deshalb auch eingehend mit der Frage, wie urbanes Leben…mehr

Produktbeschreibung
City das ist kein modischer Anglizismus zur Benennung dessen, was einmal Altstadt oder Innenstadt hieß. City ist ein Lebensstil. Er hat sich in der Nachkriegszeit, vor allem aber in den letzten dreißig Jahren, im Zentrum der deutschen Städte ausgebildet. Hier wird er stoßweise erfahrbar: durch Pendler- und Besucherströme aus dem Umland, Anwohner sind kaum noch zu finden.Die Resultate einer verfehlten Baupolitik vor Augen, wenden Stadtplaner sich wieder dem Zentrum zu. Gegenwärtige Abhandlungen u ber die Stadt beschäftigen sich deshalb auch eingehend mit der Frage, wie urbanes Leben wiederherzustellen und zu lenken sei.Hannelore Schlaffer, Liebhaberin und Chronistin städtischen Straßenlebens, hat über Jahre hin beobachtet, wie die "gelenkten" Bürger mit Häusern, Plätzen und Gastlichkeiten in der City umgehen. Pointiert beschreibt sie, wie sie sich bewegen, sich fu r den Stadtbesuch herrichten, sich miteinander gehaben, und liefert damit zugleich eine Theorie moderner Lebensformen.
Autorenporträt
Schlaffer, Hannelore
Hannelore Schlaffer, Jahrgang 1939, lebt als freie Schriftstellerin und Publizistin in Stuttgart. Von 1976-1978 war sie Lektorin in Paris, seit 1982 hat sie eine außerplanmäßige Professur für Neuere deutsche Literatur an den Universitäten Freiburg und München inne. Seit 1980 schreibt sie regelmäßig für Tageszeitungen und Rundfunkanstalten. Sie hat Bücher und zahlreiche Aufsätze vor allem zur Literatur der deutschen Klassik und Romantik sowie mehrere Essaybände vorgelegt. 2014 erhielt sie von der Friedrich-Ebert-Stiftung den Preis »Das politische Buch des Jahres« für »Die City«. Bei zu Klampen veröffentlichte sie neben »Die City« (2013) »Alle meine Kleider« (2015) und »Rüpel und Rebell« (2018).

Hamilton, Anne
Anne Hamilton arbeitet als Lektorin und Herausgeberin für den zu Klampen Verlag. Dort gab sie »Lufthunde« (2008), »Zur Zukunft des Abendlandes« (2009), »Finderglück« (2010), »Islam und Toleranz« (2011), »Das Elend des Kulturalismus« (2011), »Faulheit« (2012), »Verehrte Denker« (2012), "Wie sich das Bürgertum in Form hält« (2012), »Goethes Autorität« (2013), »Gegen den Strom« (2013), »Die City« (2013), »Humor« (2014), »Beckett bei Karl Valentin« (2014), »Architektur« (2014), »Die Invasion der Barbaren« (2014), »Beschädigte Schönheit« (2014), »Im Reformhaus« (2015), »Sinnliche Vernunft« (2015), »Alle meine Kleider« (2015), »Am Zauberfluss« (2015), »Regisseurstheater« (2016), »Fälschungen, Verwandlungen« (2016), »Der Oligarch« (2016), »Die Niederlage der politischen Vernunft« (2017), »Scham« (2017), »Der Scheich« (2018), »Rüpel und Rebell« (2018), »Was vom Adel blieb« (2018), »Kulturpessimismus« (2018), »Der Osten« (2019) und »Unsere Wünsche« (2019) heraus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2013

Kunden, wollt ihr ewig sparen?

Unsere Innenstädte liegen im ästhetischen Dämmerlicht: Hannelore Schlaffer inspiziert die City und findet statt Anwohnern nur Lebensstile.

Von Hannes Hintermeier

Der Wiener Kaffeehausliterat Anton Kuh übersiedelte 1926 nach Berlin mit der Begründung, er wolle lieber "in Berlin unter Wienern statt in Wien unter Kremsern" leben. Krems, siebzig Kilometer donauaufwärts vor Wien gelegen, galt als Provinz, und unter Provinzlern wollte der Intellektuelle nicht sein. Das war die Zeit, als man in Wien noch in die Innere Stadt, anderswo in die Altstadt ging. Das neunzehnte Jahrhundert mit seiner Hauptstadt Paris lebte noch fort in den Köpfen, die Vorstellung von der Straße als Roman, die Balzac und Dickens populär gemacht hatten, war nicht vergessen.

Heute heißt die Stadt City, sie ist ein "Tummelplatz mit Großstadtgefühl für den Großraum der Region", Vororte und Kleinstädte in ihrer Umgebung werden zu "Zonen der Regeneration" herabgestuft, weil die City kein Leben neben sich duldet. Von diesem steilen Ausgangsbefund startet Hannelore Schlaffer ihre essayistische Ortsbegehung der City. Sie trifft dort auf das, was Investoren, Stadtplaner und Marketing-Leute entworfen haben, und es gefällt ihr nicht.

Das Treiben in diesem ohne allzu viel Gegenwehr durch die Bürger entstandenen Typus der neuen deutschen Innenstadt hat die Autorin offenkundig genau beobachtet. Sie wählt als Waffe das Florett, und sie versteht es zu führen: Ihr Versuch über das "Straßenleben in der geplanten Stadt" ist ein Buch, das in Pendlerzügen und an Ampelstaus verteilt werden sollte.

Es mag stimmen, dass so viel wie nie zuvor über Stadtplanung veröffentlicht wird - im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit spielt das Thema aber nur dann eine Rolle, wenn sich Wutbürger an Platanen ketten oder Attac-Anhänger ihre Zelte im Bankenviertel aufschlagen. Der Mehrheit der City-Nutzer ist es gleichgültig, sie konsumiert die Stadt, wie man sie ihr vorsetzt: als Glanzpapier-Inszenierung. Die Simulationen der Architekturbüros sind perfekte Illusionen in sanften Farben, menschenleer zumeist. Dass hinterher die Gebäude mitnichten so aussehen, dass sie schnell und schlecht altern, wird immer erst bemerkt, wenn die Investorenlyrik Glas und Stahl geworden ist.

Es geht Schlaffer nicht um Wohnquartiere, es geht ihr nicht um Suburbia: Den schleichenden Umbau-Prozess von einer gewachsenen, historischen Stadt zu einer Verkaufsmeile arbeitet Schlaffer schön heraus. Sie unterscheidet den "Reisenden" und den "Konsumenten" und deren jeweils eigentümliche Art, sich eine Stadt zu erschließen, in ihrer Geschichte zu lesen - oder es eben auch bleiben zu lassen. "Die Sünde ist aus der Stadt verbannt, die Schönheit auch, und das Interessante ging mit beidem verloren." Stattdessen Nutzfläche, kein Sitzplatz mehr, der nichts kosten würde, und eine epidemische "Fresslust". Essen und Trinken im öffentlichen Raum gilt längst nicht mehr als unschicklich. Diese "Nahrungskommunion" deutet Schlaffer als eines von mehreren Elementen, die am Ende zum demokratischen (Schein-) Frieden der City beitragen.

Analog zu den dicken Stammstrecken der Untergrundbahnen haben die neuen Citys unter und über der horizontalen Kampfzone der Einkaufsstraßen vertikale Strukturen, die bei den Versorgungsebenen in Tiefbahnhöfen beginnen und bei den Kuppeln der Spas auf den Einkaufszentren enden - dem Himmel so nah. Jeden Morgen schaufeln Busse, Bahnen und Privatfahrzeuge ein Millionenheer von Angestellten und Konsumenten in die City, um sie am Abend wieder abzutransportieren.

Diese Szenerie festzuhalten wäre nicht weiter bemerkenswert. Aber Schlaffer hat es eine Nummer kleiner: Die Klage vom immergleichen Konsumangebot in der globalisierten Welt lässt sie links liegen. Sie definiert sogenannte Metropolen neu als "global vernetzte Provinzstädte", mit dem Argument des Einzugsgebietes. Stuttgart rangiert demnach - ähnlich wie das Rhein-Main-Gebiet - auf Augenhöhe mit Berlin, Hamburg und München. Zum Preis der völligen Abhängigkeit von der Provinz. Ohne deren ungebremsten Zustrom könnte die City nicht existieren.

Die Autorin liefert feine mikrosoziologische Studien. So ergreift sie Partei für pensionierte Männer, die hinter ihren Frauen als Tütenträger durch die Läden ziehen müssen. Das wird nicht zur Karikatur, weil Hannelore Schlaffer den richtigen Ton trifft und diese Beobachtungen mit der Geschichte des männlichen Einkaufens abfedert. Um Männer von ihren traditionell entlegenen Konsumorten am Stadtrand (Autos, High Fidelity, Baumärkte) in die City zu locken, hat sich der Einzelhandel allerhand einfallen lassen.

So viele Paare, so viele Passanten: Dennoch kennt die City keine Einzelgänger mehr. Die übliche Erscheinungsform ist das Paar, die Gruppe oder der Trupp - wer allein ist, kommuniziert via Handy mit seiner Innenwelt aus dem Bekanntenkreis, "er ist in der Stadt, ohne in ihr zu sein". Der elegische Ton ist wohl nicht durchgehend zu vermeiden, bei diesem Abgesang auf die gebaute Stadt, deren Planungsziele sich aus Herrschaftsinteressen und Jenseitsglauben speisten. "Die Andachtsorte der alten Stadt, vor und in denen man stumm, still und staunend verharren konnte", seufzt Hannelore Schlaffer, "sind abgelöst durch den Lustort Einkaufscenter."

Im Gehäuse des Centers, das dort aufragt, wo einst Markt und Kirche ihren Platz hatten, vergisst der Konsument endgültig, dass er überhaupt in einer Stadt ist. Die City hat die Stadt auf Erdgeschosshöhe komplett vernichtet und durch Schaufensterfronten ersetzt. Was von der Urbanität noch übrig ist: Schlaffer empfiehlt als einzige Ausnahme eine Stadtrundfahrt durch London, auf dem Oberdeck eines Doppeldeckerbusses - auf Augenhöhe mit der Beletage.

Im letzten Drittel geht der Autorin der zivilisationskritische Gaul durch, nachvollziehbar, aber nicht notwendig im Lichte der Befunde, die bis dahin ausgebreitet sind. Wie etwa jener, dass sich die City, durch wachsenden Online-Handel bedrängt, in Zugzwang befindet. Sie muss ihre Kunden bespaßen. "Wo City ist, jagt ein Fest das andere." Und zwar, weil Fläche hier Nutzfläche ist und nur Rendite bringt, wenn etwas los ist: "Von der Stadtverwaltung verordnete Turbulenzen" dominieren - neben der zunehmenden Zahl verkaufsoffener Sonntage - den Veranstaltungskalender.

Schlaffers zentrale politische These besagt, im Verlauf der Rock'n'Roll-Ära und ihrer Pop-Nachkommenschaft sei die City mit Hilfe der "Niederfrequenzkultur" zu einem Befriedunginstrument geworden. Von der Masse, die noch Canetti und Ortega y Gasset als unkalkulierbares, bedrohliches Wesen schilderten, ist heute nur noch die friedliche, demokratische Menge geblieben. Dahinter verbirgt sich bei Schlaffer nicht die Sehnsucht nach Straßenschlachten, sondern das Gefühl, der Konsumismus sei mit dem Weichkochen seiner Kundschaft weit fortgeschritten.

Dass man diesen Essay nicht als Levitenleserei empfindet, liegt auch an der kühlen Eleganz der Formulierungskunst und dem Verzicht auf marktschreierische Kulturkritik. Und der nächste Schritt, den Hannelore Schlaffer noch nicht erwähnt, ist schon getan. Die Speckgürtelgemeinden haben den Kampf gegen die City aufgenommen und erfinden sich, mangels Menge, eine eigene City. Die hört dann auf den Namen "Neue Mitte".

Hannelore Schlaffer: "Die City". Straßenleben in der geplanten Stadt.

Hrsg. v. Anne Hamilton. Verlag zu Klampen, Springe 2013. 176 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Auf beißenden Sarkasmus trifft Kristina Maidt-Zinke in diesem Essayband der Literaturwissenschftlerin Hannelore Schlaffer. Dass Schlaffer sich traut, trotz Kulturpessimismus-Verdacht und nach Wolf Jobst Siedler und allerhand neuem Gerede über die Stadt noch einmal den ganz großen Hammer zu schwingen gegen die Provinz in den Städten, gegen Shoppingmalls und Ödarchitektur, findet die Rezensentin mutig. Und gelungen, weil Schlaffer von der Stadt als Ort der Literatur ausgeht, um festzustellen, dass sich aus Gastro- und Eventkultur in der City kein müder literarischer Funke schlagen lässt. Dabei muss Maidt-Zinke auch oft schmunzeln, derart detailliert und wiedererkennungswertig schreibt die Autorin, derart klug analysiert sie auch, zum Beispiel wie alles Aufrührerische, Aufregende in der Shoppingcity im Keim erstickt wird - ein kultureller Umbruch sondergleichen, meint die Rezensentin erschrocken.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.03.2014

Leben auf Schaufensterhöhe
Die Innenstädte verkommen zur Mischung aus Shoppingparadies und Büro-Tristesse –
Dagegen polemisiert die Literaturwissenschaftlerin Hannelore Schlaffer
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Als Wolf Jobst Siedler vor fünfzig Jahren seinen Dokumentar- und Essayband „Die gemordete Stadt“ veröffentlichte, war die Resonanz enorm. Wie aus tiefer Umnachtung erwachte damals das Bewusstsein, dass der Wiederaufbau den deutschen Städten womöglich schlimmere Wunden zufügte, als der Bombenkrieg es vermocht hatte. Das Buch sollte, so der Autor, der „Einübung in ironische Melancholie“ dienen, und in diesem Sinn wollte er auch den Untertitel „Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum“ verstanden wissen.
  Das Fotomaterial, oft im Vorher-Nachher-Vergleich entstanden, sprach für sich, doch wer es heute betrachtet, wird feststellen, dass nicht wenige der Bauten, die empfindsame Gemüter einst mit Ödnis und Kälte, Brutalität und Aufräumwahn assoziierten, inzwischen unter Denkmalschutz stehen (oder stehen sollten), weil die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ längst ganz andere Dimensionen angenommen hat.
  Alexander Mitscherlichs berühmter Essay fügte dem Mord-Befund 1965 die soziologisch-politische Analyse hinzu. Da er für einen aufgeklärt-modernen Städtebau plädierte statt für die Rückkehr zu alten Strukturen, steht er bis heute für die fortschrittliche Stadtkritik, Siedler eher für nostalgischen Konservatismus. Dabei ging auch seine Diagnose weit hinaus über die Trauer um abgeschlagenen Stuck und totsanierte Hinterhöfe, um historische Straßenleuchten und die dem Autoverkehr geopferten Lebensräume: Er konstatierte eine schon seit dem Fin de Siècle in Deutschland grassierende „widerstädtische Mentalität“, einen prinzipiellen Vorbehalt gegen die Stadt als bürgerliche Lebensform, wie sie im Paris des 19. Jahrhunderts zur idealer Blüte gelangt war, und eine Affinität zum Provinziellen, die in den Planungen der Nachkriegsjahrzehnte ihren betongewordenen Ausdruck fand.
  Bemerkenswert ist, wie gut sich diese These zu Hannelore Schlaffers Buch „Die City“ in Beziehung setzen lässt, das ein halbes Jahrhundert nach den oft zitierten, doch in der Praxis wirkungslos gebliebenen Klassikern von Siedler und Mitscherlich abermals eine Stadtkritik als polemischen Rundumschlag riskiert. Zwar mangelt es nicht an neueren und neuesten Theorien über die Stadt und noch nie wurde über Stadtplanung so viel geredet und geschrieben wie heute. Wer jedoch ein General-Lamento über herrschende Zustände und historische Verluste im urbanen Lebensraum anstimmt, begibt sich in gefährliche Nähe zu jenen „Wutbürgern“, denen der Ruch des Ewiggestrigen anhaftet, oder macht sich gar des „Kulturpessimismus“ verdächtig, einer Haltung, die kurioserweise als eine Art intellektuelles Sittlichkeitsdelikt in Verruf geraten ist.
  Die Literaturwissenschaftlerin Hannelore Schlaffer ficht das nicht an, so wenig wie der immerhin denkbare Einwand, sie wildere auf fremdem Terrain. Allerdings sind ihr Thema nicht, wie bei der klassischen Stadtkritik, die Wohngebiete, das Elend von Suburbia oder die Problemzonen der Gentrifizierung: Sie beschränkt ihre Untersuchung auf die Innenstädte, neudeutsch „City“ genannt, also die landesweit und international zunehmend verwechselbare Mischung aus Shoppingparadies und Büro-Tristesse, aus gerasterter Investoren-Architektur, historischen Restfassaden und, immer häufiger, spektakulären „Signature Buildings“. In diesen Zentren mit standardisiertem Warensortiment und breitgefächertem Gastronomie- und Eventangebot, in denen die Konsumkraft der umgebenden Region zusammenschießt, hat sich die Globalgesellschaft des dritten Jahrtausends so klaglos wie komfortabel eingerichtet.
  Den Anlass zu ihrer Klage leitet Schlaffer, darin ganz ihrem Fachgebiet verpflichtet, von den großen literarischen Erzählungen her, die zwischen dem späten 18. und dem frühen 20. Jahrhundert die Stadt als sozialen Kosmos, pulsierenden Organismus und synästhetisches Ereignis schilderten. Die heutige „City“, das tendenziell weltumspannende Resultat einer vom Primat der Ökonomie geleiteten Planung, lässt sich – sieht man von den kurzlebigen Versuchen der Popliteratur mit ihrer Marken-Euphorie ab - nicht mehr „erzählen“, überwiegend auch nicht mehr bewohnen, sondern nur noch „nutzen“.
  Das Erscheinungsbild dieser tagsüber von Einkaufstouristen und Angestellten bevölkerten, abends entweder ausgestorbenen oder durch organisierte Bespaßung künstlich belebten Innenstädte, das seinem Wesen nach nicht urban, sondern zutiefst provinziell ist, beschreibt Hannelore Schlaffer in amüsanten bis bedrückenden Details von hohem Wiedererkennungswert. Ihr Blick gilt ebenso der architektonischen Phänomenologie der City wie dem Habitus und den Gewohnheiten ihrer Nutzer, mithin dem „Straßenleben in der geplanten Stadt“, wie der Untertitel des Essays lautet. Zu den Symptomen der Provinzialisierung gehören die Ablösung des intellektuell wachen Flaneurs durch den passiven Konsumenten, das Verschwinden von Eleganz und sozialer Distinktion zugunsten uniformer Freizeitkleidung, die unablässige öffentliche Nahrungszufuhr, die saisonal verordneten Feier- und Fressmeilen. Es geht Schlaffer darum, die Aufmerksamkeit auf eine „zweite Stadtplanung“ zu lenken, die unter der baulich sichtbaren herläuft, die „geheime Steuerung“ von Verhaltensweisen, Gefühlen und Sinnesreizen derer, die sich in der Stadt aufhalten.
  Das klingt nach einer Verschwörungstheorie, ist aber nichts anderes als die kluge Analyse eines Tatbestands, von dem man euphemistisch behaupten könnte, er diene dem sozialen Frieden. Die Stadtzentren sind übersichtlich geworden, Fanatiker haben sich in Fans verwandelt, und die „Masse“, die noch bis ins 20. Jahrhundert hinein Schreckensvisionen auslösen konnte, ist zur „demokratischen Menge“ in permanenter Kauf- und Festlaune mutiert, mit unersättlichem Appetit, aber ohne aufrührerisches Potential. Ihr Abenteuerspielplatz ist die auf solche Bedürfnisse perfekt zugeschnittene „City“, die mit vorfabrizierten Attraktionen am Leben erhalten wird.
Die Tatsache, dass dieses Stadtgebilde „keinen Weg mehr in die Sprache“ findet, also für die Literatur nicht mehr interessant ist, wird nur eine Minderheit als Verlust erleben. Aber es gibt Kollateralschäden: „Die City“, weiß Hannelore Schlaffer, „respektiert keine Aura.“ Das bedeutet, dass die „Andachtsorte der alten Stadt, vor denen man stumm, still und staunend verharren konnte“, abgelöst worden sind durch den „Lustort Einkaufscenter“. Und dass die Stadt ihre Ausstrahlung als sinnliches Faszinosum und Quelle geistiger Anregung verloren hat.
  In diesen Kontext hätte ein weiterer Aspekt gepasst: Wo das Verlangen nach Aura und Andacht fortlebt, wird es an den Tourismus delegiert, den durch Dumping-Flugpreise zum Volkssport angeheizten Ansturm auf Metropolen, die sich eine natürlich gewachsene, vielgestaltige Urbanität zumindest teilweise bewahrt haben. Aber der Blick des mobilen City-Nutzers ist schon so konditioniert, dass er auch in Paris oder Prag, Rom oder Wien vornehmlich auf Schaufensterhöhe bleibt und das erfasst, was konsumierbar ist. So verwandeln seine Ansprüche und Attitüden nach und nach auch die Zentren der geschichtsträchtigen Sehnsuchtsstädte in historisch möblierte Shopping Malls. Vor diesem Hintergrund, der einen kulturellen Umbruch von unerhörten Ausmaßen markiert, lässt sich Schlaffers Fazit, dass „in solch ästhetischer Dämmerung das Glück der demokratischen Gleichheit“ beginne, nicht mehr als melancholische Ironie, sondern nur noch als beißender Sarkasmus deuten.
Die City lässt sich nicht mehr
bewohnen, nur noch nutzen
In diesem kulturellen Umbruch
hilft nur beißender Sarkasmus
  
  
  
  
Hannelore Schlaffer:
Die City. Straßenleben in der geplanten Stadt.
Zu Klampen Verlag,
Springe 2013. 170 Seiten,
18 Euro.
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