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Die Wandlungsfähigkeit des Bürgertums überrascht. Im 20. Jahrhundertschien es durch die von ihm mit erzeugten Katastrophen dem Unterganggeweiht. Doch allen Untergangserwartungen zum Trotz dominiertes heute - nach den großen gesellschaftlichen Umbrüchen - die Weltgesellschaft.Joachim Fischer wirft einen distanzierten soziologischen Blick aufdiese enorm wandlungsfähige Klasse - darauf, wie sie sich 'in Form'hält. Er benennt die Strategie, mit der das Bürgertum in den westlichenGesellschaften erneut zum Stichwortgeber und Motor der Entwicklunggeworden ist: jene Mischung aus Innovationsvermögen,…mehr

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Produktbeschreibung
Die Wandlungsfähigkeit des Bürgertums überrascht. Im 20. Jahrhundertschien es durch die von ihm mit erzeugten Katastrophen dem Unterganggeweiht. Doch allen Untergangserwartungen zum Trotz dominiertes heute - nach den großen gesellschaftlichen Umbrüchen - die Weltgesellschaft.Joachim Fischer wirft einen distanzierten soziologischen Blick aufdiese enorm wandlungsfähige Klasse - darauf, wie sie sich 'in Form'hält. Er benennt die Strategie, mit der das Bürgertum in den westlichenGesellschaften erneut zum Stichwortgeber und Motor der Entwicklunggeworden ist: jene Mischung aus Innovationsvermögen, Risikobereitschaft,Individualismus, aber auch Konformismus, Beharrungsvermögenund Rückbesinnung.Die Auseinandersetzung mit der modernen Kunst, der Flirt mit derAvantgarde, hat sich dabei für die Herausbildung eines neuen bürgerlichen Selbstverständnisses als ebenso prägend erwiesen wie ihr Gegenpol, der Rekonstruktivismus der 'europäischen Stadt'.Joachim Fischer gelingt es, die soziologische Betrachtung des Bürgertums als Klasse von der Erkenntnisfessel einer wiederaufgelegten Kapitalismustheorie zu lösen.
Autorenporträt
Joachim Fischer, Jahrgang 1951, ist habilitierter Soziologe. Er lehrt seit 2009 als Gastprofessor an verschiedenen Universitäten (Erlangen-Nürnberg, Halle-Wittenberg, Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder, Innsbruck) und seit 2012 als Honorarprofessor an der TU Dresden. Er ist Mitgründer und seit 2011 Präsident der Helmuth Plessner Gesellschaft. Bei zu Klampen veröffentlichte er »Wie sich das Bürgertum in Form hält« (2012).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2012

Am Ende ist eben doch alles eine Frage der Form
Aber davor bitte zum Workout ins Kunstmuseum: Joachim Fischer fasst sein Lob des Bürgers in soziologische Begrifflichkeit - aber auch inhaltlich bleiben Ärgernisse

Vor einigen Jahren gab es bei uns diese etwas putzige Debatte um die Neue Bürgerlichkeit, bei der man nie genau wusste, ob es sich dabei um Kleidervorschriften, die Wahl des richtigen Restaurants in der Hauptstadt (Borchardt: "Essen zwischen Tradition und Weltoffenheit"), die Wahl der richtigen Schule oder um einen Kampfbegriff gegen die gleichzeitig erfundene "Neue Unterschicht" handelte. Diese Diskussion ist inzwischen glücklicherweise verdampft, und mit ihr hat Joachim Fischers Buch auch eigentlich nichts zu tun - und entkommt ihr doch nicht ganz.

Zunächst einmal hat es einen Geburtsfehler. Es handelt sich um die Überarbeitung, Kompilation, Kombination und Erweiterung von vier Aufsätzen, die bereits in verschiedenen Sammelbänden und Zeitschriften erschienen sind. Das führt zu erheblichen Redundanzen und damit beim Leser hier und da zu Ermüdung.

Fischer geht von drei miteinander gekoppelten Grundthesen aus, die er anhand verschiedener Teilsysteme immer wieder neu auflegt und illustriert. Die erste Grundthese lautet, dass das Bürgertum, historisch eigentlich schon dem Untergang geweiht, im Bewusstsein der eigenen Kontingenz überlebt hat, also "nicht unbedingt notwendig für die Lebensform der Moderne, aber umgekehrt auch nicht notwendig" verschwindend ist. Diese "unwahrscheinliche Sozialfigur" Bürger ist sogar nach 1989 zur "Prägnanzgestalt der sozialen Gegenwart" geworden, unter anderem auch deshalb, "weil hier nicht traditionale und feudale Gesellschaften, also nicht vormoderne, sich in moderne verwandeln (. . .), sondern bereits moderne Gesellschaften sich in bürgerliche Gesellschaften transformieren". Und drittens verbindet der Bürger heute aufs schönste den Bourgeois (risikobereites Unternehmertum, Kommerz), den Citoyen (Selbstbestimmung und -verwaltung, gesellige Assoziation, ganz allgemein: soziales Kapital) und den Kulturbürger ("ein Bildungsbürgertum, das die erreichten Idiosynkrasien, Leiden und Individualisierungen einander gesellig kommuniziert") - das Ganze also "im Sinne einer commercial-civil-society". Soziologen schreiben so, Fischer steht da nicht allein.

Das versucht er nun anhand des Bereichs der Kunst, der "Rückkehr der okzidentalen Stadt" und der "Verbürgerlichung der Weltgesellschaft" vorzuführen. Dabei ist der erstgenannte Essay bei weitem der erhellendste. Sein voller Titel ist "Nonkonformismus. Moderne bildende Kunst als Herrschaftsmedium". Das ist wichtig, denn der Nonkonformismus (als Sprache der modernen Kunst) ist nach Fischer "soziologisch gesehen in erster Linie eine Frage der Form - und zwar im Sinne von: Wie bleibt wer in Form, nämlich in Kondition, in einer Leistungs-Verfassung - sodass er geschichtlich unter wechselnden Umständen durchhält, die Gegner in Schach hält?" Eine Fragestellung, die dem Band seinen Titel gibt und die für eine "unwahrscheinliche Sozialfigur" in der Tat überlebenswichtig ist. An dieser Stelle merkt man, nebenher gesagt, dass der Autor auch ironiefähig ist. Leider zeigt sich das zu selten.

Der Aufsatz führt vor, warum es die abstrakte Avantgardekunst war, die nach dem Zweiten Weltkrieg beim Bürgertum gewonnen hat: weil sie den Strukturprinzipien bürgerlicher Vergesellschaftung entspricht. "Diese Kunst mit ihren Collage- und Konstruktionsprinzipien ist die Anschauungsschule für die Individualisierung der Lebensverhältnisse und Lebensstile geworden, das Bezugsfeld selbstentworfener Leitbilder." Fischer weist darauf hin, dass es selbstverständlich in nichtbürgerlichen Gesellschaften auch eine gegenständliche Avantgarde gab, deren Akzent auf der Bildwürdigkeit bisher nicht bildwürdiger Figuren und Gegenstände lag, siehe Tübkes Bauernkriegspanorama.

Er bringt diese beiden Avantgarden auf die Formeln "Form des Lebens" (die "sozialistische" Avantgarde) und "Leben der Form" (die "bürgerliche" Avantgarde). Die Vielfalt, auch zunächst Unverständlichkeit des Lebens der Form ist es, die den Bürger dazu zwingt, darüber zu sprechen, sich zu verständigen. "Diese moderne bildende Kunst wird zur Kunstreligion, zum Koinzidenzpunkt der Selbstverständigung einer globalen bürgerlichen Klasse", egal, ob sich das im Sammeln von Kunst, in ihrer Interpretation oder in der Verteidigung ihrer Freiheit äußere.

Wobei, sollte man hinzufügen, die Ironie gerade darin besteht, dass viele Künstler selbst diesen Glauben an die Kunstreligion längst verloren haben. Aber hier geht es ja nicht um die Macher, sondern um die Rezipienten, und für die gilt: "Alles scheint für das Bürgertum mit Blick auf seine Herrschaft nur darauf anzukommen, dass es sich in Form hält, und es hält sich in Form durch den geförderten und zugelassenen Nonkonformismus."

So weit, so schön, so klug. Es bleiben jedoch Ärgernisse. Zum einen ist bei weitem nicht jeder Satz in diesen Essays so schön wie der zuletzt zitierte. Sie werden vielmehr geprägt von einem Begriffe kumulierenden Stil, der sich nach allen Seiten gern absichern möchte und in äußerster Ballung alles verdichten will. Sodann ist natürlich jener unternehmerische Bourgeois, der sich so glücklich mit dem Citoyen und dem Kulturbürger verbindet, eher ein Konstrukt als eine gesellschaftlich dominierende Figur.

Von der Dominanz und Verformung des modernen Finanzkapitals und seiner aberwitzigen Folgen ist in diesem Buch nicht die Rede, obwohl drei der vier Aufsätze nicht älter sind als zwei Jahre. Das erleichtert es dann auch, im letzten Essay von einer verbürgerlichten Weltgesellschaft zu sprechen, einer globalen Klasse auf allen Kontinenten, deren Konstruktion nur unter der Bedingung erheblicher Unschärfen gelingt, zumindest, wenn der Begriff der Klasse überhaupt noch einen Sinn haben soll.

Noch ärgerlicher aber ist, dass Fischer seine Argumentationen durch die "kontrastscharfe" Abgrenzung "von zwei anderen Theoriekandidaten" stark machen muss. Theoriekandidat Luhmann kommt dabei noch ganz gut weg, aber "alle neuaufgelegten Kapitalismustheorien in der Nachfolge von Marx-Bourdieu oder Marx-Foucault" würden "diagnostisch unterkomplex" bleiben. Wer immer das auch sein soll: Für Fischer ist das damit erledigt (zumal Bourdieu ist für ihn der Pappkamerad). Seine eigene Definition des Bürgers ist dagegen eher diagnostisch überkomplex. Kontrastscharfe Abgrenzung ist in der Soziologie nichts Neues, das Bedürfnis nach eigenen Autoritäten auch nicht. Bei Fischer, Präsident der Helmuth-Plessner-Gesellschaft, ist das neben Plessner selbst Arnold Gehlen.

Und schließlich heißt es im Vorwort: "Man findet hier keine Apologie des Bürgertums." Das kann nicht ernst gemeint sein, denn bei aller punktuellen Ironie ist es Fischer fast in jedem Satz anzumerken, wie sehr er das Bürgertum dafür bewundert, wie es sich in Form hält. Und das hat dann doch wieder etwas mit der Wahl des richtigen Restaurants zu tun.

JOCHEN SCHIMMANG

Joachim Fischer: "Wie sich das Bürgertum in Form hält".

Zu Klampen Verlag, Springe 2012. 140 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass der Autor keine Apologie des Bürgertums vorlegt, wie er betont, nimmt Jochen Schimmang ihm nicht ab. Zu punktuell die Ironie in diesem Buch, zu stark sei die Bewunderung des Autors für den fitten Bürger spürbar. Problematisch scheint ihm der Band des Soziologen Joachim Fischer allerdings noch aus anderen Gründen. Der Versuch der Abgrenzung gegen Kollegen, vom Autor mit allzu großer Nonchalance betrieben, gefällt Schimmang nicht, ebenso wenig die sich einschleichenden Unschärfen in Fischers Klassenbegriff. Ein Grund für letzteres liegt für Schimmang in dem Mangel an Aktualität des vorliegenden Bands. Nicht nur, dass er eine bloß überarbeitete Kompilation aus bereits veröffentlichten Essays darstellt, wie Schimmang feststellt, auch die Finanzkrise und ihre Folgen kommen nicht vor, obgleich die meisten der enthaltenen Aufsätze nicht älter sind als zwei Jahre.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Glänzend geschrieben" Peter Fischer in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 2013 'Vorbildliche Modellstudien' Elmar Koenen in: Sociologia Internationalis, 51/2013