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Nirgendwo auf der Welt erfreut sich revolutionäres Pathos einer so ungebrochenen Konjunktur wie in Lateinamerika, wo es mit rhetorischer Kraftmeierei, Eros, Exotismus und Folklore eine schier unwiderstehliche Verbindung einzugehen scheint: divenhafte Diktatorengattinnen werden zu Nationalheiligen verklärt, gefallene Guerilleros genießen Popstar-Status. Die politischen Szenarien in den betreffenden Ländern ähneln einander. Volksbefreier linker und rechter Provenienz treten auf die politische Bühne, verkünden das Ende von Armut und Korruption. Einmal an die Macht geputscht oder ins Amt gewählt,…mehr

Produktbeschreibung
Nirgendwo auf der Welt erfreut sich revolutionäres Pathos einer so ungebrochenen Konjunktur wie in Lateinamerika, wo es mit rhetorischer Kraftmeierei, Eros, Exotismus und Folklore eine schier unwiderstehliche Verbindung einzugehen scheint: divenhafte Diktatorengattinnen werden zu Nationalheiligen verklärt, gefallene Guerilleros genießen Popstar-Status. Die politischen Szenarien in den betreffenden Ländern ähneln einander. Volksbefreier linker und rechter Provenienz treten auf die politische Bühne, verkünden das Ende von Armut und Korruption. Einmal an die Macht geputscht oder ins Amt gewählt, werden Hoffnungsträger zu Diktatoren oder deren Bewunderer. Buchs Reiseberichte und Reportagen, Analysen und politische Kommentare erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Seine außerordentliche Beobachtungsgabe, seine intime Kenntnis der politischen Zustände und kulturellen Verfaßtheit gewähren dem Leser einen privilegierten Einblick in die lateinamerikanische Realität.
Autorenporträt
Buch, Hans ChristophHans Christoph Buch, Jahrgang 1944, Literaturtheoretiker, Essayist, Publizist und Erzähler, lehrte u. a. an den Universitäten von San Diego, Qingdao, New York, Austin, Frankfurt Hongkong, Havanna und Buenos Aires. Bei zu Klampen veröffentlichte er »Ungestraft unter Palmen« (2017), »Standort Bananenrepublik» (2004), »Black Box Afrika« (2006), »Das rollende R der Revolution« (2008) und »Der Landvermesser« (1999).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.08.2008

Mehr Chaos als Hoffnung
Hans Christoph Buchs respektloser Blick auf revolutionäre Latinos
Nichts ist einfacher, als irgendwo auf der Welt dem Schriftsteller Hans Christoph Buch zu begegnen. Wer sich zufällig während eines Massakers in Islamabad aufhält, wird ihn am späten Abend mit etwas Glück im dortigen United Nations Club vorfinden: dem einzigen Lokal der pakistanischen Hauptstadt, wo ein Ausländer zum Essen auch ein Glas Wein erhalten kann. Auf der karibischen Insel Hispaniola hingegen trifft man Hans Christoph Buch – sollte der Luftraum über Port-au-Prince gerade wegen der Landung von US-Truppen gesperrt sein – in dem klapprigen Kleinbus an, der von Santo Domingo aus die Hauptstadt Haitis ansteuert. „Nebenberuf: Reporter” könnte auf der Visitenkarte dieses weltläufigen Literaten stehen, der 1963 – fast noch minderjährig – in der Gruppe 47 debütierte, bei Walter Höllerer promoviert hat, in Paris zum Chevalier des Arts et de la Littérature erhoben wurde und an die vierzig Buchtitel vorweisen kann.
Daneben treibt er sich für Zeitschriften und Zeitungen in Krisengebieten herum. Sein jüngstes Buch, „Das rollende R der Revolution”, trägt den Untertitel „Lateinamerikanische Litanei”. Von der Monotonie einer Litanei kann allerdings nicht die Rede sein in dieser Sammlung von Reportagen, Rezensionen, Tagebuchnotizen und Berichtssplittern, in der Buch seine jüngsten Erfahrungen mit Lateinamerika bündelt. Er versucht dabei weder als Meisterstilist zu blenden noch als profunder Analytiker aufzutrumpfen; was den Reiz seiner eilig hingehämmerten Impressionen ausmacht, ist die treffende Anekdote, die mutige Verallgemeinerung, der respektlose Durchblick.
„Selbst das gröbste Klischee enthält Spurenelemente der Wahrheit”, schreibt Buch vorsichtshalber in seinen Betrachtungen über die mexikanische Revolution. Diese ging der russischen um sieben Jahre voraus und hielt ihre Partei noch länger als jene – bis zum Jahr 2000 – an der Macht. Dass nicht erst die Spätzeit korrumpierend wirkt, bezeugt ein Zitat des deutschen Botschafters Paul von Hintze, der vor dem Ersten Weltkrieg aus Mexiko nach Berlin zu berichten wusste: „Ein mir vorliegender Vertrag über die Lieferung von Schnellfeuergeschützen beläuft sich auf zehn Millionen Reichsmark, von denen 7,5 Millionen für Bestechungsgelder und nur 2,5 Millionen für die Kostendeckung vorgesehen sind.” An solchen Proportionen gemessen, erscheinen die jüngsten Aufmerksamkeiten des Siemens-Konzerns im überseeischen Wettbewerb als quantité négligeable, um nicht zu sagen peanuts. Proudhons Devise, „Eigentum ist Diebstahl”, sei unter Mexikos Revolutionsherrschaft wörtlich zu nehmen gewesen, meint Hans Christoph Buch.
Das verheißungsvoll rollende Zungen-R, mit dem Fidel Castro beim Wort Revolución einst die Lautsprecher vibrieren ließ, gibt dem Büchlein sein Leitmotiv. Nur rollt dieses R, wie der Autor mit schöner Drastik verdeutlicht, längst nicht mehr Richtung Sieg. Zwar waren in Lateinamerika noch nie so viele Regime an der Macht, die ihrem Partei-Fußvolk das Unterhemd mit dem Heldenhaupt des Ché Guevara überstreifen und mit dessen verbrauchten Parolen um sich werfen – doch gerade in jenen Ländern (Venezuela, Nicaragua, Ecuador, Bolivien, womöglich bald auch Argentinien) sind die Aussichten für rationale Reformen besonders trübe: Demagogie erzeugt mehr Chaos als Hoffnung.
Nicht einmal der unerschöpfliche Milliardenhort an Petrodollars, aus dem der venezolanische Fallschirmjäger-Oberstleutnant Hugo Chávez sich bedienen kann, scheint seinem Volk irgendwelche Vorzüge zu bringen, die sich als nachhaltig erweisen könnten. Revolutionsexport mit dem Scheckbuch, zappelige Improvisation, die Medienpräsenz eines TV-Evangelisten und der Unterhaltungswert eines „Politclowns” (Buch) machen Chávez zu einer surrealen Erscheinung, einer Romangestalt wie von Gabriel García Márquez. An der früheren Wirkungsstätte des Letzteren übrigens, im kolumbianischen Cartagena, begegnete Buch einem jüngeren Bruder des Literatur-Nobelpreisträgers, der sich prominenten Besuchern als Fremdenführer nützlich machte: „Cartagena ist die Heimat des magischen Realismus. Vor Ihnen liegt das Museum der Inquisition, schräg gegenüber das in der Autobiographie meines Bruders erwähnte Bordell, mit einem Hintereingang für katholische Priester.”
CARLOS WIDMANN
HANS CHRISTOPH BUCH: Das rollende R der Revolution. Lateinamerikanische Litanei. Zu Klampen, Springe 2008. 159 Seiten, 16 Euro.
H. C. Buch Foto: Doris Poklekowski
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Angetan zeigt sich Carlos Widmann von Hans Christoph Buchs Reportagen, Berichten, Tagebucheinträgen über Lateinamerika. Er attestiert dem weltläufigen Schriftsteller und Reporter einen "respektlosen Blick auf revolutionäre Latinos". Die bissigen Texte über die mexikanische Revolution, über sozialistisch regierte Länder wie Venezuela, Nicaragua oder Ecuador und besonders über den venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chavez machen für ihn deutlich: die Revolution hat endgültig abgewirtschaftet. Die Stärken des Buchs sieht er weniger in einem brillanten Stil oder der tiefgehenden, sachlichen Analyse. Er empfindet die Texte vielmehr als "eilig hingehämmerte Impressionen", deren Reiz für ihn in der "treffenden Anekdote", der "mutigen Verallgemeinerung" und dem "respektlosen Durchblick" liegt.

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