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Die Bedeutung Elisabeth Langgässers gründet heute weniger in ihrem Werk, sondern vielmehr in der Stellung, die sie im intellektuellen Milieu von derWeimarer Republik bis in die Nachkriegszeit hatte. Die Namen ihrer Freunde, Bekannten und Briefpartner sind ein Who s Who der zeitgenössischen literarischen Szene: Als junge Frau war sie eingebunden in linkskatholische Kreise um die Frankfurter Rhein-Mainische Zeitung. In Berlin befreundete sie sich mit Alfred Kantorowicz, Peter Huchel, Ina Seidel und Emanuel Bin Gorion. Sie führte intensive Briefwechsel mit Kollegen innerhalb Deutschlands wie…mehr

Produktbeschreibung
Die Bedeutung Elisabeth Langgässers gründet heute weniger in ihrem Werk, sondern vielmehr in der Stellung, die sie im intellektuellen Milieu von derWeimarer Republik bis in die Nachkriegszeit hatte. Die Namen ihrer Freunde, Bekannten und Briefpartner sind ein Who s Who der zeitgenössischen literarischen Szene: Als junge Frau war sie eingebunden in linkskatholische Kreise um die Frankfurter Rhein-Mainische Zeitung. In Berlin befreundete sie sich mit Alfred Kantorowicz, Peter Huchel, Ina Seidel und Emanuel Bin Gorion. Sie führte intensive Briefwechsel mit Kollegen innerhalb Deutschlands wie Wilhelm Lehmann und im Exil wie WaldemarGurian,Werner Milch, Erich Fried und anderen. Nach dem Krieg nahm sie an Schriftstellerkongressen in Deutschland und Frankreich teil, begegnete Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, Paul Celan und Manès Sperber und traf erneut mit Anna Seghers und Alfred Döblin, Marieluise Kaschnitz und Hermann Kasack zusammen.Sonja Hilzinger legt die erste umfassende Biografie Elisabeth Langgässers vor. Sie schöpft ihr Material einerseits aus Briefen und anderen Dokumenten, andererseits aus den zeit- und kulturgeschichtlichen Kontexten, die für Langgässers Lebensgeschichte bedeutsam waren.
Autorenporträt
Dr. Sonja Hilzinger ist Autorin, Lektorin und Wissenschaftsberaterin in Berlin und hat unter anderem Biografien von Anna Seghers (Stuttgart 2000), Inge Müller (Berlin 2005) und Christa Wolf (Frankfurt/M. 2007) veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2010

Diese armen, armen Hühner
Komplex und abgründig: Die Biographie der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer zeigt eine Frau zwischen allen Stühlen

"Wir könnten ruhig 99 Prozent dieser Mädchen in ihre Kindergärten zurückschicken, denn das geistige Niveau der meisten geht nicht über die ,Tante' hinaus. Wenn man doch nur all diese Mädels verheiraten könnte - vielleicht fänden sie dann ihr inneres Gleichgewicht wieder und gäben den Ehrgeiz auf, ,geistige Frauen' zu sein, diese armen, armen Hühner."

Diese dezidierte Ablehnung weiblicher Bildung, dieses Plädoyer für eine Beschränkung der Frau auf ihre traditionelle Rolle stammt nicht aus männlicher Feder, sondern von Elisabeth Langgässer, die in den zwanziger Jahren als Dozentin am Sozialpädagogischen Seminar in Berlin arbeitete und Kindergärtnerinnen unterrichtete. Dass sie als berufstätige Frau, die ihre uneheliche Tochter von anderen erziehen lässt, ihrem eigenen Standpunkt diametral zuwiderhandelt, ist typisch für ihr Leben voller Widersprüche.

Ihre Biographin Sonja Hilzinger zeigt einige Konstanten ihres Lebens und literarischen Werks auf. Prägenden Einfluss gewannen etwa ihre rheinhessische Heimat - Elisabeth Langgässer wurde 1899 in Alzey geboren -, der frühe Tod des Vaters oder ihr entschiedener Katholizismus, der ihr Weltbild bestimmte. Wichtiger aber noch sind ihre Ansichten über die Rolle der Frau und die Verdrängung ihrer jüdischen Herkunft - ihr Vater war erst am Hochzeitstag vom Judentum zum Katholizismus konvertiert. Äußerlich das Leben einer emanzipierten Frau führend, fast schon mit bohemehaften Neigungen, vertritt sie gleichzeitig die Ideale der Mutterschaft und der weiblichen Unterordnung unter den Mann. Sie sehnt sich nach einer Vaterfigur, die zugleich die geistige Stütze ihrer literarischen Arbeit bilden soll, und lebt ihre latenten homoerotischen Neigungen nicht aus. Immer wieder hat sie Gewissensbisse, da sie ihrem weiblichen Ideal selbst so wenig entspricht.

Komplexer und abgründiger ist Elisabeth Langgässers Umgang mit ihren jüdischen Wurzeln. Als überzeugte Katholikin musste sie sich ihnen erst stellen, als es unter den Nationalsozialisten auf einmal auf die Rasse und das Blut und nicht mehr die Religion ankam. Zwar heiratete sie als "Halbjüdin" 1935, kurz vor den Nürnberger Gesetzen, den "Arier" Wilhelm Hoffmann und genoss damit den Schutz einer privilegierten Mischehe, aber ihre älteste Tochter Cordelia, die aus einer kurzen Affäre mit dem Hochschuldozenten Hermann Heller hervorging, galt als "Dreivierteljüdin" und war damit hochgradig gefährdet. Cordelia Edvardsson hat das, was sie in Auschwitz erlebte, später in dem berühmt gewordenen Buch "Gebranntes Kind sucht das Feuer" beschrieben. Es ist beklemmend zu lesen, wie die Mutter Elisabeth Langgässer einerseits alle möglichen Projekte zur Rettung ihrer Tochter verfolgte, aber diese andererseits in die Rolle eines Opfers drängte, das den Rest der Familie vor weiteren Verfolgungen bewahren sollte.

Damit das eigene Wohnhaus nicht mit dem Judenstern markiert wird, muss die vierzehnjährige Cordelia 1943 in das jüdische Krankenhaus Berlins umziehen. 1944 in die Mühlen der Deportation geraten, überlebt sie wie durch ein Wunder das Konzentrationslager Auschwitz und landet nach der Befreiung in Schweden. Die Beziehung zur Mutter indes war nachhaltig gestört. Fordernd-ermahnende Briefe belegen die Unfähigkeit, dem erlebten Schrecken Cordelias gerecht zu werden.

Als Schriftstellerin debütierte Elisabeth Langgässer in den zwanziger Jahren mit Gedichten und Kurzgeschichten, ihr Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer beendete 1936 die noch junge literarische Karriere. Unermüdlich arbeitete sie auch in den Folgejahren unter widrigsten Bedingungen an ihrem Werk, sich weder von den chronischen materiellen Sorgen noch von der ausbrechenden Multiplen Sklerose beirren lassend. In der Nachkriegszeit stieg sie vor allem mit ihrem während des Kriegs verfassten Roman "Das unauslöschliche Siegel" zu kurzzeitiger Berühmtheit auf, wenige Monate nach ihrem Tod wurde ihr 1950 postum der Büchner-Preis verliehen. Eine Renaissance ihres Werks indes dürfte es schwer haben: Der mythologische und theologische Anspielungsreichtum ihrer Texte, ihr emphatisch-pathetischer Ton und ihr atavistisches Weltbild, in dem das Schicksal und die göttliche Gnade regieren, nicht aber Selbstbestimmung und Vernunft, sind hohe Hürden einer breiten Rezeption.

Sonja Hilzinger hat eine bewundernswert akribische Studie vorgelegt, die vor dezidierten Urteilen nicht zurückschreckt. Als Fallbeispiel für Verhaltensmuster im "Dritten Reich", als Auslotung der Bedingungen weiblichen Schreibens und schließlich als Beitrag zur Geschichte der unmittelbaren Nachkriegsliteratur - Elisabeth Langgässer sah sich als Prototyp der inneren Emigrantin und blickte von dieser Warte aus auf Exilanten wie Thomas Mann herab - besitzt sie bleibenden Wert. Trotzdem hätte man dem Buch manche Raffung gewünscht: Das rein chronikalische Durchlaufen dieses Lebens führt nicht nur zu Wiederholungen, sondern auch zum Verschwimmen einiger bewusst gesetzter Leitlinien.

THOMAS MEISSNER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr angetan ist Thomas Meissner von Sonja Hilzingers Biografie der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer. In lobenswerter Akribie hat die Autorin die Zerrissenheit und die inneren Widersprüche der Schriftstellerin herausgearbeitet und zeigt sich dabei zudem urteilsfreudig, so der Rezensent angetan. So kann man viel über den Umgang der Katholikin mit ihren jüdischen Wurzeln, ihre widersprüchliche Haltung zur Frauenrolle - als alleinerziehende, berufstätige Frau vertrat sie gleichzeitig Ideale von Mutterschaft und Unterordnung der Frau gegenüber dem Mann, liest Meissner mit Befremden - und ihren verdrängten "homoerotischen Neigungen" lesen, lobt der Rezensent. Manche Wiederholung, die Meissner vor allem der strengen chronologischen Erzählung zur Last legt, hätte er gern gekürzt gesehen, und er findet, dass deshalb auch die "Leitlinien" dieser durchaus erhellenden Biografie mitunter aus dem Blick geraten.

© Perlentaucher Medien GmbH