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'Mare o terra?' - 'Meer oder Festland?' - in Italien muss man sich nicht entscheiden. Auch wer mitten im Land lebt, ist immer irgendwie Küstenbewohner auf dem frech ins Mittelmeer gestreckten Stiefel, der zwar mit dem Kontinent verbunden ist, doch so weit in die See ausschreitet, dass er über einen ganz eigenen Blutkreislauf verfügt.Dieter Bachmann hat vor langer Zeit seine Schweizer Heimat verlassen, die Alpen überquert und sich auf dieser Halbinsel ein Stück Land gekauft und ein Haus gebaut. Es dauerte nicht lang, und er machte Bekanntschaft mit wilden Kühen, die seine Wiesen zertrampelten,…mehr

Produktbeschreibung
'Mare o terra?' - 'Meer oder Festland?' - in Italien muss man sich nicht entscheiden. Auch wer mitten im Land lebt, ist immer irgendwie Küstenbewohner auf dem frech ins Mittelmeer gestreckten Stiefel, der zwar mit dem Kontinent verbunden ist, doch so weit in die See ausschreitet, dass er über einen ganz eigenen Blutkreislauf verfügt.Dieter Bachmann hat vor langer Zeit seine Schweizer Heimat verlassen, die Alpen überquert und sich auf dieser Halbinsel ein Stück Land gekauft und ein Haus gebaut. Es dauerte nicht lang, und er machte Bekanntschaft mit wilden Kühen, die seine Wiesen zertrampelten, Wilderern, die nachts mit Äxten durch die Felder streiften, Jägern, Brandstiftern und Einbrechern - und eines Morgens lagen seine beiden Hunde vergiftet vor der Tür. Doch Dieter Bachmann blieb. Denn Italien, halb Wunderland, halb Höllenschlund, hatte ihn längst in seinen Bann geschlagen. In diesem Buch durchmisst Bachmann seine schrecklich schöne Wahlheimat und liefert mit unbestechlichem Blick Momentaufnahmen von einem Landstreifen im Meer. ''Das ist die Menschheit', sagte einer auf dem Hügel. 'Man kann sie nicht lieben. Aber man muss sich eingestehen, dass man dazu gehört.''
Autorenporträt
Dieter Bachmann, 1940 in Basel geboren, leitete lange Jahre die Zeitschrift du und stand dem Istituto Svizzero in Rom als Direktor vor. Für seine Arbeit wurde er unter anderem mit dem Zürcher Journalistenpreis und dem Preis der Schweizer Schillerstiftung ausgezeichnet. Er ist Autor der Romane Rab, Der kürzere Atem und Grimsels Zeit und hat mehrere Bücher herausgegeben, zuletzt Im ganzen Land schön. Die Schweiz mit der Tageskarte (Limmat). Dieter Bachmann lebt heute in Umbrien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.06.2008

Werden wie die anderen auch
Italienvergiftung: Dieter Bachmann sucht die Vorzüge der Halbinsel
Es ist in diesen Tagen leicht, schlecht über Italien zu reden. Im Land herrscht ein kulturelles Klima, das von Konfusion gekennzeichnet ist. In einem Akt vorgeblicher Selbstjustiz werden in Rom Geschäfte von Ausländern zerstört, in Neapel flammen immer wieder Straßenkämpfe zwischen der Bevölkerung und der Polizei um den Standort von Mülldeponien auf, in Genua erschüttert ein Korruptionsskandal die linke Kommunalverwaltung, und die Kleinbürgerpartei Lega Nord glaubt die Probleme bei der Ansiedlung von Roma-Gruppen durch Abschiebung lösen zu können. Ausgerechnet die Berlusconi-Regierung, die öffentliche Strukturen durch private ersetzen will, möchte das marode Unternehmen Alitalia durch Verstaatlichung retten. In der Logik des Neoliberalismus dünnt dagegen die Mailänder Stadtverwaltung weiter die lokale Kulturszene aus. Sie will die traditionsreiche Kunstbuchhandlung Bocca (gegründet 1775) aus ihrem seit 100 Jahren angestammten Sitz in der Galleria zwischen Domplatz und Scala vertreiben, um von der nächstbesten Bekleidungskette eine höhere Miete kassieren zu können.
Nachrichten wie diese erhöhen im Ausland den Frust vieler enttäuschter Italienliebhaber, die sich wortreich von ihrer Geliebten nach dem Motto trennen: Du bist nicht mehr die, die ich gekannt hatte. Der Maler Markus Lüpertz hatte es vor Jahresfrist in einer Rede zum 100. Jahrestag der Villa Romana vorausgesehen: „Aus dem Zwang, dieses Land zu begreifen, suchen wir es heim und belästigen es mit Liebe.”
Der Schweizer Schriftsteller Dieter Bachmann hat jetzt einen erzählerischen Essay über das Land veröffentlicht, „das ebenso zu verzaubern wie zu verstören vermag”. Der Titel „Die Vorzüge der Halbinsel” könnte auf eine Hymne schließen lassen, die aber nicht folgt. Zu nüchtern ist der Blick des langjährigen Chefredakteurs der Zeitschrift du, der in Umbrien und Zürich lebt. Ein Pendler also zwischen den Welten. Um die Beziehung gleich klarzumachen: „Es ist gewiss weiter von Parma nach Zürich als von Zürich nach Parma.”
Man kann das bestätigen: Das Verhältnis zwischen dem deutschen Sprachraum und Italien gleicht oft einer Einbahnstraße. Die italienischen Zeitungen zum Beispiel interessieren sich von Skandalen und Katastrophen abgesehen eigentlich für Deutschland nur dann, wenn dort von Italien selbst die Rede ist. Der italienische Botschafter in Berlin verteidigte sein Land (SZ vom 24.5.) mit dem Argument, so schlecht könne die Stimmung doch nicht sein, wenn im Jahre 2007 Italien als Lieblingsland der deutschen Urlauber Spanien überholt habe.
Viel Stahl, viel Verkehr
Wer jetzt einen weniger aufgeregten Zugang zu Italien sucht, ist mit Dieter Bachmanns Buch gut bedient. Erlebnisse, Beobachtungen, Stimmungen, Briefe, Kommentare und Träume setzen sich zu einem Mosaik zusammen, das von Sympathie für Land und Leute getragen wird, aber Kritik aushält. Kritik an kleingeistigen Bürokraten, an individualistischen Verhaltensweisen, an verbrecherischen Brandrodungen oder an Freizeitjägern, die das Abschlachten von Kleintieren für Sport halten. In dieser Art von Italien möchte der Neubewohner eines Hauses in Umbrien Fremder bleiben.
Merkwürdig jedoch, dass „man kommt und wiederkommt” und eines Tages bleiben will. „Wir haben ein Dach über dem Kopf. Unter diesem fühlen wir uns zu Hause.” Der Autor nennt das „Italienvergiftung”. Antike Spuren und modernes Denken, Sehnsucht nach blauem Himmel, einer tiefen Menschlichkeit und Kreativität. Es ist wie eine Droge. Dagegen helfen auch keine Berlusconi-Kuren, keine Ausbrüche spätmoderner Fremdenfeindlichkeit. Vorerst nicht.
Am Ende des Buches führt Dieter Bachmann ein Gespräch mit einem Freund, Peter Kammerer, der seit Jahrzehnten in Italien lebt und an der Universität Urbino Soziologie unterrichtet. Das Gespräch liest sich wie ein Kommentar zur gegenwärtigen Italiendebatte. Es geht um die Frage, was ist in dem Land, das von den sechziger Jahren an wegen des Zweiten Vatikanischen Konzils, der Kommunistischen Partei, des inneren Nord-Süd-Konflikts einmal „das interessanteste der Welt” gewesen war, kaputtgegangen? Kammerers These ist: Europa konnte mit diesem Italien nichts anfangen, die „von hier ausgehenden Impulse wurden vom Mainstream in Europa nicht aufgenommen”.
Italien wurde dagegen „europäisiert”, und damit sei eine Entwicklung eingetreten, die das Land nicht ausgehalten habe: „Die Italiener wollten irgendwann auch werden wie die anderen Europäer, wollten viel Zement, viel Stahl, viel Verkehr, viel Energie, viel Müll und konnten nicht mehr mit ihren eigenen Instrumenten und Mitteln umgehen.”
Die beiden Gesprächspartner setzen aber bald ihrem Pessimismus eine optimistischere Sicht gegenüber. Denn die Wiege Europas, mehr als Griechenland, ist Italien. Wenn wir glauben, dass unsere Identität damit zusammenhängt, was wir in den letzten zweitausend Jahren gemacht haben, wenn also Geschichte wichtig ist, „dann wird Italien unverzichtbar”. Italien, ein altes Wunderland in neuer Unvertrautheit. HENNING KLÜVER
DIETER BACHMANN: Die Vorzüge der Halbinsel. Auf der Suche nach Italien. Mare-Buchverlag, Hamburg 2008. 256 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Henning Klüver meint, es sei leicht, momentan schlecht über Italien zu reden. Dieter Bachmanns aus Briefen, Kommentaren und Erlebnissen gespeisten Essay liest er allerdings weder als Schmährede noch als Apologie. Sondern als beherzten Anlauf eines Italienkenners, nüchtern Kritik zu üben an Berlusconi, Bürokratie und Bandenkriminalität, ohne dabei die Wunder Italiens aus dem Blick zu verlieren. Nein, die Sympathie für dieses Land will sich der Autor nicht austreiben lassen. Klüver übrigens auch nicht. Lieber will er es mit Bachmann "in neuer Unvertrautheit" sehen. Zumal ein im Buch enthaltenes Gespräch mit dem Soziologen Peter Kammerer das Land als Opfer einer Europäisierung zeigt, der die italienische Lebensart nicht gewachsen war.

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