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Ausgezeichnet mit dem Premio Campiello 2004 für das beste Debüt, wurden die Erzählungen der jungen Neapolitanerin Valeria Parrella in Italien als die literarische Entdeckung des Jahres gefeiert. Ihre Heldinnen sind selbstbewußte, sensible junge Frauen, die sich in der Stadt behaupten müssen, die für alle außerhalb Kult ist.

Produktbeschreibung
Ausgezeichnet mit dem Premio Campiello 2004 für das beste Debüt, wurden die Erzählungen der jungen Neapolitanerin Valeria Parrella in Italien als die literarische Entdeckung des Jahres gefeiert. Ihre Heldinnen sind selbstbewußte, sensible junge Frauen, die sich in der Stadt behaupten müssen, die für alle außerhalb Kult ist.
Autorenporträt
Valeria Parrella, 1974 in Neapel geboren, studierte Sprachwissenschaften, arbeitete als Buchhändlerin, lebt in Neapel.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.07.2005

Mit beiden Beinen in der Gosse
Valeria Parrella: Italiens neues Erzähltalent
In Italien tut sich was. Nachdem jahrzehntelang Mailand die Hauptstadt der Verlage war, und die Macht über den Buchmarkt renaissancemäßig in den Händen einiger alteingesessener Häuser lag, kommt nun verstärkter Widerstand aus dem Süden. Aus Rom genauer gesagt, wo ja nach Meinung des distinguierten Oberitalieners bereits Afrika beginnt. Hier haben in jüngster Zeit unabhängige Verlagshäuser wie Edizioni e/o, Fandango, oder Minimum fax unerwartete Erfolge landen können. Und siehe da, plötzlich tauchen auch neue Autorentalente aus der jüngeren Generation auf, an denen Italien, verglichen mit anderen europäischen Ländern, in der Wahrnehmung eher arm zu sein schien.
An der Spitze der Jungautoren steht derzeit die von Minimum fax entdeckte 30-jährige Neapolitanerin Valeria Parrella, deren Debüt soeben bei SchirmerGraf in deutscher Übersetzung erschienen ist. Sechs Erzählungen enthält der Band, mit dem Parrella in ihrer Heimat zum Star der Literaturszene avancierte. Böse Zungen behaupten zwar, das sei keine Kunst, da es keine ernst zu nehmende Konkurrenz gebe. Doch Valeria Parrella muss den europäischen Vergleich nicht scheuen. Sie kann schreiben. Und sie lässt sich, das ist den Erzählungen auch in der Übersetzung von Constanze Neumann deutlich anzumerken, von der Sprache herausfordern. „Entweder stürzt du ab, oder du fliegst” heißt es einmal nach einem Song von Enzo Avitabile, und das ist nicht nur das unausgesprochene Motto all ihrer Heldinnen, sondern kann auch für die Autorin selbst gelten. Ihre Geschichten sind eigenwillig, herb im Ton und eine gelungene Abrechnung mit der Frauenprosa der letzten Jahre. Die Titel gebende Erzählung „Die Signora, die ich werden wollte” handelt von einer neapolitanischen Gossengöre, die eben genau das will: raus aus dem Dreck. Dafür lässt sie sich von einem mäßig smarten Drogenkurier aushalten und vermietet anschließend die dabei abgestaubte Wohnung an Töchter aus gutem Hause, von denen sie sich nicht bloß Geld, sondern auch Bildung erhofft. So kommt sie zur Lektüre von Susanna Tamaro: „Ich fand das Buch absurd. Wenn ich dorthin gegangen wäre, wohin mein Herz mich trägt, hätte ich mich mit dreizehn im Lieferwagen von Totonno schwängern lassen.”
Parrellas Protagonistinnen sind nicht auf Rosen gebettet, selbst wenn sie aus besseren Verhältnissen stammen als die wilde Möchtegern-Signora. Vielleicht liegt es daran, dass sie in Neapel leben. Dieser Stadt, die selbst den Italienern auf immer ein Rätsel bleiben wird; die so chaotisch, archaisch, arm, rau und sexy ist. Mitten drin planen Parrellas Heldinnen die Zukunft und versuchen, mit beiden Beinen auf der Erde zu bleiben. Im Herzen aber folgen sie der Botschaft von Enzo Avitabile: „Entweder stürzt du ab, oder du fliegst.”
SILJA UKENA
VALERIA PARRELLA: Die Signora, die ich sein wollte. Erzählungen. Aus dem Italienischen von Constanze Neumann. SchirmerGraf Verlag, München 2005. 178 Seiten, 17,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rolf Vollmann hatte sich eigentlich bei den Erzählungen der italienischen Autorin Valeria Parrella so etwas wie die Texte von Cesare Pavese vorgestellt, nur eben aus weiblicher Sicht. Er gibt zu, dass die Geschichten, in denen sich die Autorin in "verschiedenste Frauenrollen" hineinversetzt, durchaus "locker, lässig und cool" sind und mitunter auch durch unerwartbare Wendungen und "romantisch-poetische" Formulierungen zu "überraschen" vermögen. Der zugegeben "erfrischende Stil" erinnert den Rezensenten an sozialkritische Romane der 60er und er fügt etwas boshaft hinzu, dass derlei heutzutage wieder in "Schreibseminaren" gelehrt würde. Vollmann geht dann auch davon aus, dass Parrella ihre Schreibweise dort gelernt hat, und er vermutet, dass die Übersetzerin durch die gleiche Schule gegangen ist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2005

Was ist eine Fliege plus Walfisch?
Tragende Pfeiler, brüchige Welt: Valeria Parrellas Erzähldebüt

Heldinnen des Alltags könnte man die Frauenfiguren in Valeria Parrellas Erzählungsband nennen. Im literarischen Debüt der Neapolitanerin ist viel Sympathie für diejenigen zu spüren, die sich mit Chuzpe durchs Leben schlagen und dabei ganz auf den Instinkt verlassen. Der trotzigen Lebensbejahung ihrer Protagonistinnen liegt allerdings tiefe Verunsicherung zugrunde.

Diese reflektiert die Autorin mit Doktortitel der Sprachwissenschaften, die sonst ganz auf theoretische Überwölbungen verzichtet, allerdings nur einmal explizit, in der Eingangserzählung "Woran ich mich nicht mehr erinnere". An ihrem Beginn steht ein seit Kleist wohlbekannter literarischer Topos, das Erdbeben. Prompt verliert ein kleines Mädchen das Vertrauen in die modernen, aufgeklärten Eltern. ",Das ist der tragende Pfeiler', sagte mein Vater im Tonfall eines Architekten, ,hier sind wir sicher.' Da es dunkel war, entdeckten wir erst am nächsten Tag, daß der einzige tiefe Riß ausgerechnet durch diesen Pfeiler ging." Die Heranwachsende entfremdet sich den Eltern, sucht ihr Heil bei Wahrsagern und zieht im heimischen Neapel mit einem Lkw-Fahrer zusammen.

Dieser umgekehrte Bildungsroman ist typisch für Valeria Parrellas literarischen Kosmos. Auf tradierte Muster, die väterliche, die patriarchale Erzählung, ist kein Verlaß mehr. Bildung scheint eher hinderlich und unpraktisch. Besser ist eine Verwurzelung im vermeintlich authentischen, hier: neapolitanischen Leben. Auch gibt es keine große Gala für das selbstbestimmte, handelnde Individuum mehr. Die Ich-Erzählerin hat ein anderes Programm: "Im allgemeinen Durcheinander mache ich eine Bemerkung, die nichts verändert - eine Ergänzung, die nichts ergänzt. Das, was ich sage, nimmt bei keinem Platz im Gedächtnis weg. Hinterher erinnere nicht einmal ich mich selbst daran."

Zünftig neapolitanisch ist auf ganz andere Weise auch die Protagonistin der Titelgeschichte. Als schönes Gegenstück zur Heldin der Eingangserzählung bahnt sie sich durch erotisch-politisches Intrigenspiel den Weg nach oben. Faszinierend ist an dieser Erzählung, daß der Titel die Leseerwartung von Anfang an bestimmt. Ist die Ich-Erzählerin wirklich die "Signora" geworden, die sie werden wollte? So gewinnt die geläufige Story einer skrupellosen Aufsteigerin Vielschichtigkeit, ohne daß die Geschlossenheit des Plots leidet.

Von einer Lebenskrise erzählt "Vierzig Punkte". Die vierzigjährige Vera, verheiratet, zwei Kinder, dirigiert den Familienalltag souverän, während sie insgeheim einen wahnhaften Zahlentick entwickelt. "Die Calzone kamen - exakt der halbe Durchmesser einer Pizza. Als ihr Mann mit der Papierserviette nach einer griff und hineinbiß, dachte Vera, daß sie sein Hemd gebügelt hatte, bevor sie gegangen waren, und daß ein Hemd zwanzig Minuten bügeln bei sechzig Grad bedeutete. Deshalb sagte sie: ,Iß mit Messer und Gabel, sonst kleckerst du.'" Bittere Pointe am Schluß: Auch der klassische Ausweg in eine Affäre hilft nicht; Veras Innenleben ist für den Liebhaber genauso wenig erreichbar wie für den Mann. Das Protokoll dieser absteigenden Lebenslinie ist stilistisch von beeindruckender Geschlossenheit. Mit fast wissenschaftlicher Präzision beschreibt es die Entrückung einer modernen Wiedergängerin von Madame Bovary.

Ein Beispiel für das große Talent der Autorin ist auch "Fliege plus Walfisch", die temporeiche Chronik eines komplett aus den Fugen geratenden Tages, die zur Parabel über die Unvereinbarkeit von sozialen Erwartungen und indivduellen Lebensentwürfen wird. Die Frage eines Bewerbungstests, was eine Fliege plus Walfisch ist - ein Reptil? -, offenbart für die Protagonistin die ganze Absurdität des Daseins.

Mitunter verwendet Parrella aber etwas zu schrille Töne, so in der Erzählung "Übergang": Eine Vertretungslehrerin verliebt sich in eine Frau, nimmt eine Illegale mit Kind bei sich auf, wird schwanger, bekommt endlich eine Festanstellung, versöhnt sich wieder mit ihrer Geliebten, regelt cool ein paar Dinge mit der Camorra - und bringt ihr Kind im Taxi zur Welt. In den meisten Texten durch erzählerische Disziplin gebändigt, macht sich der Hang zum Klischee hier unangenehm breit: Neapolitanische Frauen erscheinen alle als schön, selbstbewußt, sozial engagiert, weiblich-solidarisch, kinderlieb, pragmatisch - und kommen am besten ohne Männer klar.

"Die Signora, die ich werden wollte" wurde dennoch zu Recht in Italien als bestes Debüt ausgezeichnet. Denn in den meisten Stücken gelingt es der 1974 geborenen Autorin, mit knappen Worten wunderbar pointiert und zugleich schwerelos vom Alltäglichen zu erzählen. Also von dem, an das wir uns selten erinnern und das doch die eigentliche Substanz unseres Lebens ausmacht.

JUDITH LEISTER

Valeria Parrella: "Die Signora, die ich werden wollte". Erzählungen. Aus dem Italienischen übersetzt von Constanze Krings. Verlag SchirmerGraf, München 2005. 192 S., geb., 17,80 [Euro].

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